Freitag, 30. Januar 2015

bunt (2)



Baden-Baden ist bunt
auch bei Schneeregen


Reden wir nicht drum herum: Gerade mal hundert Teilnehmer kamen zur Mahnwache "Baden-Baden ist bunt".


War es die Duplizität der Ereignisse? Immerhin waren erst vor gut zwei Wochen ähnlich viele Menschen auf die Straße gegangen, um ihre Betroffenheit mit den schrecklichen Attentaten in Paris auszudrücken. War es das Wetter? Ja, sicher hat auch der eklige Schneeregen zum großen Teil viele Menschen abgeschreckt.



Aber ich sehe es positiv: Vielleicht gibt es in Baden-Baden einfach keinen Grund, für dieses Motto auf die Straße zu gehen, weil Baden-Baden selbstverständich bunt, offen und international ist und für ein friedliches Miteinander der Nationen einsteht. Warum dafür auf die Straße gehen, wenn diese Kultur überall in der ganzen Stadt gelebt und gefühlt wird? Man denke nur an die vielen Menschen, die sich zur Zeit für die Asylbewerber einsetzen und ihnen helfen wollen.



Es müßig, weiter darüber zu spekulieren. Die Stimmung war gut, es gab keine Störungen, und nach 15 Minuten ging es wieder heim ins Warme. 



Und für Montag, den 9. Februar, rufen uns schon die nächsten wieder auf die Straße. Stellen wir Unermüdlichen also unsere Plakate und Winterstiefel nicht allzuweit in die Ecke.





Hier geht zu einem schönen Stimmungsbild, das Goodnews4 in einem Video eingefangen hat => KLICK





Flüchtlingshilfe Vincentiushaus (3)


So geht Flüchtlingshilfe
in Baden-Baden


Noch liegen ein paar der von Kinderhand gemalten Willkommens-Schilder auf dem Tisch, neben den Alpenveilchen, die vorgestern jeder der neuen Asylbewerber im Vincentiushaus bekommen hat - oder jedenfalls fast jeder. Eine fünfköpfige Familie wird erst in ein paar Tagen nachkommen, denn vorher müssen noch Windpocken auskuriert werden. Blumen, Schilder und vor ein dichtes Netz von freiwilligen Helfern warten dann aber auch auf sie, wenn sie das Vincentiushaus mitten in der Stadt beziehen.


Auch ein paar Äpfel werden dann sicherlich noch übrig sein, die Oberbürgermeisterin Margret Mergen gestern Mittag auf einem Presse-Rundgang verteilte.



Die Neuankömmlinge freute es, und sie signalisierten auch gleich, dass sie nichts lieber täten, als sofort damit zu beginnen, deutsch zu lernen. Aber erst wollten die beiden Männer, die stellvertetend für den Rest der Bewohner zum Treffen dazugekommen waren, Schnee sehen, echten Schnee, den es natürlich in ihrer alten Heimat Togo nie gab. 

OB Mergen stellte Vorteile und Risiken des neuen Standortes Vincentiushaus heraus: Zum einen werde hier in der Nähe von Kindergärten und Schulen die Integration gerade von Familien gut gelingen, auch wenn das Haus nur für rund ein Jahr zur Verfügung steht, bevor es einer geplanten Neubausiedlung weichen muss. Aber die Bewohner werden gerade im Herzen der Stadt schnell Gelegenheit haben, die Kultur ihrer neuen Heimat kennenzulernen. 

0,5 Prozent der Flüchtlinge des Landes Baden-Württemberg habe Baden-Baden aufzunehmen, und diese Menschen würden zum großen Teil in Deutschland bleiben, betonte OB Mergen. 18 Monate dauere normalerweise Phase 1 der Asylantragstellung, viele blieben aber länger, selbst wenn ihr Verfahren abgelehnt werde, weil man sie aus humanitären Gründen nicht zurück in die Kriegs- und Krisengebiete ihrer Ursprungsländer schicken könne. Hundert Asylbewerber befänden sich zur Zeit bereits in Baden-Baden in Phase 2, der Anschlussunterbringung, die nicht mehr zwingend eine Sammelunterkunft voraussetze, sondern in Wohnungen fortgeführt werde.

Wer hierher komme, der wolle sich sehr schnell integrieren, sagte OB Mergen. Die Menschen seien aber zunächst einfach nur froh und dankbar, ein Dach über dem Kopf zu haben, zu essen zu bekommen und endlich nach vielen Monaten der Flucht ein Stück Intimsphäre zu erhalten. Danach seien die Integrationsmöglichkeiten vielfältig, wie Fachbereichsleiter Frank Fürle verdeutlichte. An erster Stelle stehe eine schnelle Eingliederung in den Arbeitsprozess, für die aber die Sprache Voraussetzung Nummer eins sei. Auch weitere Neigungen würden abgefragt, um vielleicht musikalisch Interessierte an die nahe Musikschule zu vermitteln. So habe man beispielsweise in der der Industriestraße sehr schnell zwei Fußballbegeisterte an den FV Oos vermittelt.

Die Verwaltung sorge zusammen mit der Sozialarbeiterin und dem Hausmeister für die räumlichen und finanziellen Voraussetzungen, sei aber nur bedingt in der Lage, sich um alle Bedürfnisse der Asylbewerber zu kümmern, hieß es. Deshalb sei man sehr dankbar, dass sich so viele Anwohner gemeldet haben, um den Schutzsuchenden mit Sprachkursen, bei Behördengängen und Sozialkontakten zur Seite zu stehen.

Ende März werde das Vincentiushaus schon voll sein, war zu erfahren, 70 Personen sollen hier insgesamt aufgenommen werden, und fast genauso viele Ehrenamtliche werden sich um sie kümmern. Diese Hilfe rollte bereits an: Neben der Begrüßungsaktion vorgestern mit Plakaten, Blumen, selbstgebackenem Kuchen und Tee wird schon am Samstag ein "Café Kontakt" angeboten, in dem erste soziale Verbindungen geknüpft werden sollen.



Mehr Termine, Reportagen und Informationen zum Thema Asyl in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK


Anmerkung:
Heute Abend können auch Sie ein Zeichen setzen, dass Sie die Flüchtlinge willkommen heißen, dass Sie für ein friedliches Miteinander der Kulturen sind - kurz: dass Baden-Baden bunt ist: Von 19 bis 19.15 Uhr ruft ein breit aufgestelltes Bündnis zu einer bunten Mahnwache auf der Fieserbrücke auf. Machen Sie mit! Bringen Sie - im Idealfall - bunte Plakate oder - im schlechten Fall - bunte Schirme mit!








Donnerstag, 29. Januar 2015

Thermalwasser (6)



Statt gegen Arthrose
jetzt gegen Karies


"Aufhören", möchte man rufen. "Schlimmer geht es doch nicht mehr!"

Allmählich brauche ich morgens keinen Kaffee mehr zum Aufwachen, ein Blick in die Tageszeitung reicht. Heute der neueste Aufreger zum unendlichen Thema "Thermalwasser": Die Umbenennung unseres Jahrtausende alten, bewährten Thermalwassers in "Heilwasser" hat nun neben all den anderen unerquicklichen Nebenwirkungen, über die ich hier auf meinem Blog schon geschrieben habe, zur Folge, dass sich durch die Entarsenisierung die Zusammensetzung des Wassers offenbar radikal geändert hat:

Hier ein Ausschnitt aus dem Bericht in der heutigen (29. Januar 2015) Ausgabe des Badischen Tagblatts:



Karies?! 

Das wird sowohl die ansässigen Zahnärzte freuen, als auch die zahlreichen Faschingsfreunde, die nun flugs ihre Büttenreden werden umschreiben müssen.

Mehr fällt mir dazu nicht mehr ein.

Und so sah die Empfehlung unseres guten, alten bewährten Thermalwassers früher aus (Indikation aus dem Brunnen in der Trinkhalle):





... und die neue Verordnung und Zusammensetzung:






Alter Hinweis in der Trinkhalle:



Eine Zusammenfassung der unendlichen Tragödie um das Baden-Badener Thermalwasser finden Sie hier => KLICK






Ausländerrecht


Licht im Dickicht
des Ausländerrechts

Für weitere Informationen ud Reportagen zum Thema Asyl in Baden-Baden benutzen Sie bitte den Blog der Ehrenamtlichen www.Flüchtlingshilfe-Baden-Baden.de


Bis auf den letzten Platz besetzt war das Sitzungszimmer im Ausländeramt Baden-Baden, in dem sich auf Anregung der Migrationsbeauftragten der Stadt, Hanna Panther (links), zahlreiche ehrenamtliche Flüchtlingshelfer zusammenfanden, um sich über die allerneuesten gesetzlichen Vorgaben für ihre Schützlinge zu informieren. Die Vorschriften, die die Sachgebietsleiterin der Ausländerbehörde, Marianne Bauer, (Mitte, neben Abteilungsleiterin Ute Hasel), bekanntgab, waren zum Teil erst wenige Wochen alt.

So hat sich mit der neuen Rechtslage einiges zum Guten für die Asylbewerber gewandt, manches erstickt aber auch weiterhin im Dickicht der bundesweiten Bürokratie.

Die wichtigsten Fakten

In Baden-Baden leben derzeit rund 8000 ausländische Staatsangehörige.
Davon sind ca. 200 Asylbewerber, zusätzlich rund 200 befinden sich derzeit in einer "Anschlussunterbringung".


Das Verfahren

Asylbewerber melden sich in der Regel nach Grenzübertritt bei Polizei oder anderen Behörden als Asylsuchende. Sie werden dann - für den Raum Mittelbaden - in der Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe, Durlacher Allee 100, für mindestens sechs Wochen bis drei Monate untergebracht.

 + Hier werden sie registriert (persönliche Daten, Fingerabdruck, Foto) und medizinisch untersucht.

 + Hier müssen sie auch den Asylantrag und - falls vorhanden - ihre Dokumente abgeben.

 + Als Ersatz für ihre Papiere erhalten sie eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens (mit Foto), die wie ein Personalausweis (siehe Foto unten) aussieht,




 + oder (falls noch kein Antrag erfolgt ist) eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender, genannt "Büma". Diese Büma ist ein Übergangsdokument, auf dem alle persönlichen Daten und ein Foto vermerkt sind.

Nach der Registrierung weist das Regierungspräsidium sie den einzelnen Kommunen zu.

 + Hier muss sich der Asylsuchende beim Bürgerbüro (Einwohnermeldeamt) anmelden,

 + und sofort anschließend zur Ausländerbehörde (im selben Gebäude) gehen. Hier wird seine neue Wohnadresse aufgenommen und die Aufenthaltsgestattung für zunächst drei Monate ausgestellt und aktualisiert. Die Aufenthaltsgestattung muss regelmäßig auf dem Amt verlängert werden. Die Büma kommt zu den Akten.

Die Aufenthaltsgestattung muss der Asylbewerber immer bei sich führen.

Mit dieser Gestattung dürfen Asylbewerber, die in Baden-Baden untergebracht sind, übrigens vom ersten Tag an innerhalb von Baden-Württemberg frei reisen. Wollen sie in ein anderes Bundesland reisen, brauchen sie in den ersten drei Monaten die Genehmigung der Ausländerbehörde.

Wichtig ist, dass der Aylbewerber an seinem gemeldeten Wohnort erreichbar ist, zum Beispiel für wichtige Briefe, die sein Asylverfahren betreffen. In diesem Zusammenhang wird allen ehrenamtlichen Helfern geraten, den Asylbewerbern zu verdeutlichen, dass sie alle Schriftstücke, die sie bekommen, genau prüfen (lassen) sollten, damit evtl. für ihr Verfahren keine wichtige Fristen versäumt werden.

Lesen sie dazu auch:
30. 7. 2015: ProAsyl: Neue Verordnung für Asylsuchende ohne Asylantrag => KLICK


Arbeiten


Nach drei Monaten Aufenthalt kann die Ausländerbehörde eine Arbeitsaufnahme gestatten.

Dazu braucht die Ausländerbehörde allerdings die Genehmigung der Bundesagentur für Arbeit in Duisburg.
Diese verlangt:

 + einen Antrag des künftigen Arbeitgebers, in dem dieser die Stelle beschreibt.

 + Bei der Arbeitsagentur muss eine so genannte Vorrangprüfung (ob Deutsche oder EU-Ausländer für die Stelle ebenfalls in Betracht kämen) durchgeführt werden.

 + Ferner wird von der Bundesanstalt geprüft, ob alle gültigen tarifliche Bestimmungen und der Mindestlohn eingehalten werden.

Die Zeit zwischen Antragstellung und eventueller Gestattung dauert in der Regel zehn Tage.

Wenn die Voraussetzungen vorliegen, kann das Ausländeramt eine Beschäftigung für einen fest umrissenen Zeitraum gestatten.

Dieses Procedere ist auch bei Minijobs anzuwenden, also auch beim Babysitten oder Hilfe bei der Gartenarbeit.

Ausnahme: gemeinnützige Arbeit, für die der Asylsuchende nur eine kleine Sachspende erhält.

Was er verdient, wird zu 75 Prozent auf den Regelunterhalt (rund 360 Euro, angeglichen an die allgemeinen Hartz-IV-Sätze) angerechnet. Anders ausgedrückt: 25 Prozent können abzugfrei hinzuverdient werden. Ab März können auch die Fahrtkosten zum Arbeitsplatz abzugfrei hinzubezahlt werden.

Eine reguläre Arbeitsaufnahme ist also sehr kompliziert.

Einfacher ist es für Asylbewerber, die nicht untätig in ihrer Unterkunft sitzen wollen, sich für den Bundesfreiwilligendienst oder fürs Freiwillige soziale Jahr anzumelden. Auch dies muss allerdings die Ausländerbehörde genehmigen und auf der Aufenthaltsgestattung vermerken.

Auch ein Ausbildungsverhältnis  dürfen sie ohne Genehmigung der Bundesanstalt für Arbeit, aber mit Genehmigung der ausländerbehörde Erlaubnis aufnehmen. Hierfür sind allerdings Deutschkenntnisse notwendig.

Lesen Sie dazu auch:
15. 7. 2015: Stuttgarter Zeitung über die Bürokratie bei der Arbeitssuche => KLICK


Versicherung


Asylbewerber sind weder kranken- noch haftpflichtversichert.

Sie haben aber bei akuten Schmerzen oder lebensberohlichen Zuständen grundsätzlich Anspruch auf den normalen Leistungskatalog eines gesetzlich Krankenversicherten. Dafür bekommen sie quartalsweise vom Sozialamt einen Krankenschein ausgestellt. Bei anderen Erkrankungen oder weiteren Heilbehandlungen sind ein ärztliches Gutachten und die Überprüfung und Genehmigung durch das Gesundheitsamt nötig.

Außerdem haben sich in Baden-Baden einige Ärzte und eine Hebamme bereiterklärt, die Asylbewerber ehrenamtlich zu versorgen. Die zuständigen Sozialarbeiter in den Unterkünften haben ihre Kontaktdaten.

In diesem Zusammenhang für alle Ehrenamtlichen selbst wichtig: Wer ein Ehrenamt ausübt, für den gilt über die Kirchen oder die kommunale Versicherung ein genereller Haftpflicht- und Unfallversicherungsschutz.


Für weitere Informationen ud Reportagen zum Thema Asyl in Baden-Baden benutzen Sie bitte den Blog der Ehrenamtlichen www.Flüchtlingshilfe-Baden-Baden.de

Mittwoch, 28. Januar 2015

Diakonieladen


Das Lager der Diakonie
ist voll und bunt gemischt


Heute begegneten mir in der Stadt auf der Lichtentaler Straße zwei junge Männer. Sie schauen zu mir und lächeln zaghaft, und bei mir im Kopf klickt es: Sicher sind das zwei Bewohner aus dem Asylbewerberheim in der Industriestraße. Da war ich in der letzten Zeit ja ein paarmal. Ich lächele also auf Verdacht freundlich zurück (mit Gesichtserkennung von Außereuropäern hapert es leider noch ein bisschen). Und siehe da: Sie erinnern sich ganz genau an mich, vom Kaffeetrinken letzten Samstag (Der Bericht über meinen Besuch beim Café Kontakt folgt am Sonntag).

"Guten Tag" sagen die beiden auf Deutsch und reichen mir höflich mit einem kleinen Diener die Hand. Wie es mir denn gehe, wollen sie wissen. Wir freuen uns; sie, weil ich sie verstanden habe, ich, weil sie ihre neuen Deutschkenntnisse gleich anwenden. Den Rest der Unterhaltung führen wir dann aber lieber auf Englisch, das wir alle drei gleich schlecht können.

Da wir in der Nähe sind, will ich ihnen gleich zeigen, wo der Diakonieladen zu finden ist, in dem sie sich mit günstiger Kleidung und allerlei Hausrat bis hin zu Bettwäsche eindecken können. Hocherfreut kommen sie mit, einer nimmt mir sofort wie selbstverständlich die schweren Einkauftstüten ab. Aufmerksam hören sie zu, als ich aufzähle, was sie im Diakonieladen alles günstig besorgen können:










Als ich erkläre, dass die nächste Bushaltestelle nicht weit ist, lachen sie ein bisschen. Und ich erfahre, dass sie nicht mit dem teuren Bus in die Stadt gekommen sind, sondern den ganzen Weg von ihrer Unterkunft hinterm Bahnhof gelaufen sind. Aber dann wären doch gebrauchte, funktionsfähige Fahrräder - gerade für die Bewohner in der Industriestraße - nicht schlecht, denke ich. Gerade im Frühjahr mustert doch so mancher seinen Drahtesel aus und kauft sich ein neues Modell. Warum dann nicht das alte Gefährt spenden? Diese Leute können es wirklich gut gebrauchen, und im Frühjahr richtet die Stadt draußen auf dem Areal sogar eine Reparaturwerkstatt ein.

Bitte beachten Sie: Sachspenden bitte nicht direkt in den Unterkünften abgeben!

Auch solche Spenden nimmt der Diakonieladen (hinter dem Bonhoeffersaal in der Bertholdstraße) übrigens gern entgegen. Hier geht zur Webseite mit den Öffnungszeiten => KLICK

Mit meinen Begleitern stehe ich leider eine Stunde vor der Öffnungszeit vor der Tür, aber die beiden winken ab. Nicht schlimm, signalisieren sie, heute würde es sowieso nichts mehr mit einem Einkauf werden: "Today we are out of money." Aber nächsten Montag werden sie kommen, zusammen mit einigen weiteren Mitbewohnern. Das haben sie fest vor.

Vorsichtshalber gehe ich später noch einmal zum Diakonieladen, um nachzusehen, ob ich auch nicht zuviel versprochen haben. Zu den Anfangszeiten des Diakonieladens hatte ich dort selbst eine Zeitlang die Buchabteilung betreut, bis mich wieder die Schreibwut überfiel. Damals war der Laden noch über die Maria-Victoria-Straße erreichbar. Später hat man den Gebäudetrakt abgerissen.

Nach dem Umbau ist die Ausstellungsfläche irgendwie kleiner geworden, oder kommt es mir nur so vor? Aber vom ehrenamtlichen Personal sind noch viele bekannte Gesichter da. Elfriede Kahne zum Beispiel, die superfreundliche "Kassendame", die gerne mal ein Auge zudrückt, wenn sie sieht, dass die Not eines Kunden besonders groß ist.




Überhaupt herrscht immer noch die gleiche freundliche Stimmung wie vor fünf Jahren. Und schon sind sich alle einig: Wenn am nächsten Montag die Asylbewerber aus der Industriestraße kommen sollten, werden sie herzlich aufgenommen. "Unser Lager ist voll, die sollen ruhig kommen!"

Und wie es aussieht, ist tatsächlich für jeden etwas da, sogar für die Kleinsten:




Weitere Reportagen, Termine und Informationen zum Thema Asyl finden Sie hier  => KLICK



Montag, 26. Januar 2015

Flüchtlingshilfe Vincentiushaus (2)



Am Mittwoch beziehen die ersten
31 Bewohner das Vincentiushaus




Die Nachricht elektrisierte alle: "Mittwoch kommen die ersten 31 Asylbewerber ins Vincentiushauses", erfuhren die rund 50 Ehrenamtlichen, die am Freitagnachmittag zusammengekommen waren, um die neue Unterkunft in der Innenstadt, genauer gesagt im alten Vincentiushaus in der Scheibenstraße, zu besichtigen.

Das Haus steht seit September leer, weil es eigentlich im Zuge einer großflächigen Neubebauung abgerissen werden soll. Weil diese sich aber wegen Rechtsstreitigkeiten noch hinziehen, hat der Eigentümer, die Ideal-Wohnbau, der Stadt das ehemalige Altenheim mietfrei überlassen. Nur für die Nebenkosten muss die Stadt aufkommen.




In den vergangenen Wochen war viel organisiert worden, um das Haus für die geplanten 70 Asylbewerber auf Vordermann zu bringen. Bei einem Rundgang waren die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer dann auch voll des Lobes über dieses Vorzeigeobjekt. Alles ist fertig und wartet auf den Bus aus Karlsruhe:

Die Betten stehen...



in dem Paket am Kopfteil sind Bettzeug, aber auch Töpfe und Geschirr eingeschweißt.

Auf den Tischen liegt für jeden sein persönlicher Satz Besteck, selbst an einen Kochlöffel für jeden Bewohner wurde gedacht...



es gibt einen Waschmaschinenraum...




... Bäder auf dem Gang mit eindeutiger Beschriftung, auch wenn es hinter der Tür moderne Duschen statt alter Badewannen gibt...




... zwei große Küchen warten auf viele Köche...




die Schließanlage wurde auf den allerneuesten Stand gebracht...




und wo der Hausmeister sitzt, ist ebenfalls klar:




Ganz wichtig war den Ehrenamtlichen noch zu erforschen, wo sie Sprachkurse und Café Kontakt anbieten können. Dieser Raum mit Balkon lässt wirklich keine Wünsche offen.




Und so fiel auch das Urteil der Helfer begeistert aus, ja, man verfiel eigentlich sogleich in Trübsinn, weil dieses Haus nur für ein Jahr zur Verfügung steht, bevor es der Spitzhacke zum Opfer fällt.

Doch diese Sorge trat gleich wieder in den Hintergrund, denn es gab dringendere Fragen zu klären. Wenn die ersten Asylbewerber ja schon am Mittwoch eintrudeln - wer begrüßt sie dann?

Schnell waren sich die Ehrenamtlichen einig, dass es zwar schön und gut ist, wenn Sozialarbeiterin Kathrin Warth dies zusammen mit Hausmeister Christopher Bell übernimmt, aber so ganz alleine wollte man die 31 Flüchtlinge denn auch nicht stehen lassen. Brot, Butter und Käse sollte doch das Mindeste sein, meinte eine Ehrenamtliche, ließ sich aber belehren, dass die Essgewohnheiten der sehnlichst Erwarteten vielleicht einen anderen Speisezettel vorsehen.

Aber wenigstens eine Tasse Tee und Plätzchen sollen den Ankömmlingen dann doch gereicht werden, da war man sich einig, und unter diesem Druck fand sich auch schnell ein Kopf für die Begrüßungsgruppe, die sich auf dem Papier bereits formiert, aber noch nicht organisiert hatte. Am Freitag aber ging es flott, und auch die Gruppe für das Café Kontakt hielt es nicht mehr auf den Stühlen. Man beschloss, bereits am Samstag das erste Begegnungscafé anzubieten, auch auf die Gefahr hin, dass die Flüchtlinge vielleicht andere Pläne haben und erst mal Freunde und Verwandte besuchen wollen.

Den Vertretern der Verwaltung blieb bei so viel Engagement manchmal das Wort im Halse stecken. Fachbereichsleiter Frank Fürle fasste sich als erster. Von so viel ehrenamtlicher Begeisterung angesteckt, gab er sich einen Ruck: "Dann probieren eben Neues aus." Nicht unbedingt Worte, die man aus dem Mund eines Verwaltungsbeamten erwartet.


Dankbar für die Unterstützung 





Überhaupt findet in den Köpfen im Rathaus zurzeit ein großes Umdenken statt. "Wir sind dankbar für die positive Stimmung sowohl in der Stadtmitte als auch im Rebland und in Haueneberstein", hieß es. Dort sind offenbar die nächsten Unterkünfte gefunden worden. Konkrete Einzelheiten dazu gibt es noch nicht, hier müssen zunächst Ortschaftsräte und Gemeinderat informiert werden, bevor die Öffentlichkeit Näheres erfährt. Aber die Atmosphäre für die Aufnahme der Flüchtlinge sei sehr offen, berichtete Fachbereichsleiter Frank Fürle (Mitte), der die rund 50 Ehrenamtlichen zusammen mit dem Leiter des Sozialamtes, Peter Weingärtner (links), und der Integrationsbeauftragten Hanna Panther (rechts) begrüßte. Aufgrund des offenen Klimas auch in den Stadtteilen war Fürle sehr optimistisch, die der Stadt zugeteilten Schutzsuchenden gut und menschenwürdig unterbringen zu können.

Vieles hat die Verwaltung in der Zwischenzeit getan, um des anwachsenden Flüchtlingsstroms gerecht zu werden:

Das Personal wurde aufgestockt, man hat Ärzte gefunden, die Untersuchungen vor Ort anbieten, es wurde eine Art "EC-Karte light" für die Flüchtlinge erfunden, und auch in dem Punkt Arbeit kommt Bewegung: Neuerdings dürfen Asylbewerber bereits nach drei Monaten unter bestimmten Bedingungen eine Arbeit aufnehmen oder in eine Ausbildung gehen, und so beginnt nun schon bei ihrer Ankunft eine Art "screening", um ihre beruflichen Kenntnisse und Hintergründe zu erfragen, damit die Agentur für Arbeit möglichst schnell eine passende Beschäftigung vermitteln kann.

Ganz gespannt waren die Ehrenamtlichen natürlich, aus welchem Land denn nun die neuen Flüchtlinge kommen. Immerhin hatte die Stadt beim Regierungspräsidium signalisiert, dass man mit dem Vincentiushaus endlich auch in der Lage ist, Familien aufzunehmen. Syrien stand zwar als Herkunftsland sehr weit oben auf der heimlichen Wunschliste mancher ehrenamtlicher, aber das hat die Stadt Baden-Baden nicht in der Hand. Karlsruhe hat anders entschieden, wurde nun bekannt. Es werden acht alleinreisende Männer aus Togo kommen, acht aus Ghana, zwei Familien mit Kindern aus China, eine Frau aus dem Irak, eine Familie aus Bosnien, und ein Mann aus Nigeria.

Zum Thema der gewünschten Patenschaften gab es noch keine konkreten Einzelheiten. Adrian Struch von der Caritas, der sich bislang um den Jugendtreff "Brücke 99" kümmerte, wird sich ab Februar offiziell (auf einer halbe Stelle) darum kümmern und ein Modell ausarbeiten. Ihm liegt bereits eine lange Liste von Ehrenamtlichen vor, die sich um eine Patenschaft beworben haben. Dafür müssen aber noch Strukturen erarbeiten werden, auch die Chemie muss zwischenmenschlich stimmen, hieß es. Man möchte vermeiden, dass die Paten überlastet werden und an ihre Grenzen stoßen, daher sollen sie bei der Caritas Rückhalt bis hin zur Supervision angeboten bekommen. Drei bis vier Wochen würden noch dafür benötigt, "aber wir sind  optimistisch, dass wir allen potenziellen Paten ein Angebot machen können", so Fürle.




Zusätzlich werden sich zwei Hauptamtliche intensiv um die Neuankömmlinge kümmern: Sozialarbeiterin Kathrin Warth, die allerdings ihr eigentliches Betätigungsfeld in der Westlichen Insdustriestraße hat. Sie wird die Zeit im Vincentiushaus interimsäßig überbrücken, bis die zweite Sozialarbeiterin in den nächsten Tagen/Wochen hier ihren Dienst aufnimmt.


Vom "Gelben Engel" zum Schutzengel


Und dann ist da ja noch Christopher Bell, der Hausmeister. Ein Glücksgriff, wie sich schnell im Gespräch herausstellte. Der gelernte Kfz-Mechaniker und ehemalige "Gelbe Engel" vom ADAC hat turbulente Wochen hinter sich: Tagsüber ließ er sich von seinem Kollegen in der Westlichen Industriestraße einlernen, abends streifte er durch "sein" Vincentiushaus, um sich mit den Räumlichkeiten vertraut zu machen, den Umbaufortschritt zu beobachten, die Möblierung zu überwachen und sich seelisch und moralisch auf seinen neuen Job vorzubereiten.

Dass am Mittwoch alles stressfrei verlaufen kann und alles bis ins Kleinste vorbereitet ist, war ihm übrigens so wichtig, dass er darüber ganz vergaß, sich um seinen eigenen Telefonanschluss im Haus zu kümmern. "Das kommt später. Die Asylbewerber gehen jetzt vor", sagt er und schmunzelt.

Stolz erklärt er den Besuchern, dass man eine neue Schließanlage angeschafft hat, die den Schutzsuchenden auch dann Sicherheit bietet, wenn er Feierabend hat und das Haus verlässt. "Ich will, dass die Bewohner ruhig schlafen können." Das ist sein Hauptanliegen.

Überhaupt ist er vor dem Einzugstermin in höchster Anspannung, ist er doch ein bekennender Perfektionist. Nichts wird dem Zufall überlassen, alles will er exakt vorbereitet haben, alles soll am Mittwoch entspannt und reibungslos ablaufen. Deshalb hat er keine Zeit für einen Reportagetermin. Ein kurzes Frage- und Antwortspiel zwischen Tür und Angel muss ausreichen.

"Wir bauen ihnen eine Brücke; sie brauchen einfach nur drübergehen und anfangen zu kommunizieren", umschreibt er seinen Job mit den Flüchtlingen. Er hat sich gründlich auf seine Tätigkeit vorbereitet, hat seine auslandserfahrenen Freunde nach landestypischen Gebräuchen überall auf der Welt befragt, weiß, welche Religionsgemeinschaften welche Rücksichtnahmen erfordern.

Dass er wohl auch ab und zu Grundkenntnisse im Bedienen und Benutzen von Elektroherden oder sanitären Einrichtungen vermitteln wird, ist selbstverständlich für ihn, und auch hier werden seine Schützlinge auf große Empathie stoßen.

Ja, er freut sich auf die Ankunft der neuen Bewohner. Der Beruf macht ihm Spaß, das merkt man. Was ist es, was ihn antreibt? "Die Hilfe kommt direkt am Mann an, und ich bekomme direktes Feedback", sagt er. "Das finde ich erfüllend." Sein größter Wunsch? "Dass die Leute sich bei mir in Sicherheit fühlen."

Besser geht es nicht.




Hier geht es zu meinem Beitrag über das erste Treffen der Flüchtlingshelfer für das Vincentiushaus => KLICK

Hier geht es zu meiner Sonderseite Asyl =>  KLICK



Thermalwasser (5)



Muss Baden-Baden für das
Thermalwasser bezahlen?





Diese Meldung in der heutigen Druckausgabe des Badischen Tagblatts kann man doch eigentlich nicht glauben. Erst wird das Wasser auf Initiative des Landes ungefragt abgestellt, dann ungefragt und ohne um eine Ausnahmeregelung zu ersuchen flugs auf Kosten des Landes entarseniert - und nun will die Carasana GmbH Geld für das Baden-Badener Themalwasser, und zwar von der Stadt, die diesen Aufwand überhaupt nicht in Auftrag gegeben hat...




Am 2. Februar um 9 Uhr (!) wird der Gemeinderat in seiner Sitzung im Ratssaal diesen Punkt abschließend beraten. Die Verwaltung schlägt vor, der Carasana das Geld zu bezahlen. Es soll aber auch über folgende Punkte diskutiert werden:




Aktualisierung:
Und hier noch ein Nachtrag aus dem Badischen Tagblatt vom 27. 1. 2015:
Interview mit Bürgermeister Michael Geggus über die Kosten für das Thermalwasser. "Derzeit seien für vom RP wöchentliche Prüfungen vorgesehen", heißt es darin. Daraus entstünden der Carasana GmbH zusätzliche Personalkosten.





Hier geht es zu den endlosen Vorgeschichten:

17. April 2014: "Alle Brünnlein... " => KLICK

8. Oktober 2014: "Thermalwasser-Tragödie" => KLICK

29. Oktober 2014: "Die unendliche Zeit der Dürre" => KLICK

16. Dezember 2014: Einem Bürger platzt der Kragen => KLICK

5. Januar 2015: "und warten, warten, warten..." => KLICK











Sonntag, 25. Januar 2015

Begrüßungsgruppe



"You are welcome
in Baden-Baden"




Es ist kalt an diesem Montagmorgen kurz vor zehn Uhr. Fröstelnd stehen die "Neuen" mit hochgezogenen Schultern vor ihrer Unterkunft in der trostlosen Westlichen Industriestraße. Gleich geht es los, heute sollen sie offiziell Bewohner von Baden-Baden werden. Ein kleines Grüppchen der ehrenamtlichen "Begrüßungsgruppe" unter Führung von Rainer Boy fährt mit ihren Autos vor, man lädt für ein späteres Kaffeekränzchen mit den "Neuen" Taschen mit Thermoskannen, Keksen und Kuchen aus und schafft Platz für die Schützlinge, die man gleich im Auto mitnehmen wird aufs Amt.

Aber erst sind ein paar organisatorische Dinge abzuklären. Gleich, als wir das Haus betreten, merken wir den anderen Wind, der hier plötzlich weht. Die Gemeinschaftsküchen blinken und blitzen sauber und ordentlich, die Stimmung ist heiter. Seit zwei Wochen arbeitet die neue Sozialarbeiterin, Kathrin Warth, in den beiden Gebäudetrakten mit ihren 160 Bewohnern, und man spürt bereits ihre Handschrift, sieht, dass sie auf allen Seiten anerkannt ist, sowohl bei den Asylbewerbern als auch bei den Ehrenamtlichen. "Ich tue mein Bestes", sagt sie gut gelaunt.

Sieben junge Männer aus Gambia (für mehr Informationen über das Land hier der Link zu Wikipedia => KLICK) sollen heute zur Meldebehörde begleitet werden. So jedenfalls hieß es noch letzte Woche, als Rainer Boy über die Neuzugänge unterrichtet wurde und seine kleine Truppe mobilisierte.

Inzwischen ist die heutige Gruppe, die auf ihren ersten Behördengang in Baden-Baden wartet, auf elf Schutzsuchende angewachsen, weil einige beim letzten Termin noch nicht alle Unterlagen beisammen hatten. Es wird viel gelächelt, freundlich bis verlegen. Wir quetschen uns in die Autos, auch Kathrin Warth fährt mit. Einer unserer Fahrgäste fasst sich nach wenigen Metern ein Herz. "Hat das Auto vielleicht eine Heizung?", fragt er höflich und bläst sich in die Hände. Sofort läuft die Klimaanlage auf Hochtouren. Wie aufs Stichwort fallen ein paar Schneeflocken vom Himmel.

Im Amt die erste Begegnung mit der deutschen Gründlichkeit: Jeder ziehe eine Nummer! Und man macht es. Ohne zu murmeln, ohne zu fragen, ohne zu grinsen. Der Rest ist unspektakulär.

Man wird aufgerufen, zeigt sein ausweisähnliches Dokument vor, das man im Aufnahmelager in Karlsruhe bekommen hat. Die Daten werden erfasst, Stempel. Dann werden die amtlichen Bögen über den Schreibtisch geschoben. "Please read this and sign." Die Männer unterschreiben die deutschen Formulare "blind" und ohne zu zögern.

Asylbewerber werden im Einwohnermeldeamt wie jeder Neubürger Baden-Badens behandelt, lerne ich. Noch ein Stempel, eine amtliche Unterschrift, dann werden ein paar zusätzliche Papiere überreicht, unter anderem eine auf den Namen des Neubürgers ausgestellte persönliche Busfahrkarte, die ab dem Abstempeln eine Woche im gesamten KVV-Gebiet gilt, ebenso ein Gutschein für die Stadtbücherei. Kein Stadtplan. Keine Beschreibung des Ortes, in dem sie gelandet sind.

Die Fahrkarte ist der Hit für die jungen Männer. Ob die wohl bis Mannheim gilt, wollen sie wissen, und, fast noch wichtiger, wo eigentlicher dieser Schwarzwald liege, von dem sie schon gehört haben. Den würden sie ja gerne mal sehen! Wir Ehrenamtlichen sehen uns an. "Stadtplan besorgen" wird im Geiste notiert, aber das wird später nicht einfach sein, erfassen doch die üblichen in der Stadt kursierenden kostenlosen Pläne nur die Innenstadt, nicht aber den Bahnhof Oos oder schon gar nicht die hinter dem Bahndamm liegende westliche Industriestraße.

Im Amt geht es flott weiter: Nächste Station. Die Ausländerbehörde ein Stockwerk höher. Wieder Nummern ziehen. Die Gruppe ist angemeldet, deshalb geht auch hier alles schnell und freundlich über die Bühne. Es wird die Adresse in dem ausweisähnlichen Dokument - es ist eine Aufenthaltsgestattung, lerne ich - geändert, denn dort steht noch als Anschrift die Landeserstaufnahmestelle in Karlsruhe. Westliche Industriestraße 41, lautet die Adresse ab sofort. Aber das Dokument ist nur auf drei Monate befristet. Danach muss es auf dem Amt verlängert werden.

Bis zu diesem Termin, das wird gleich klar, wollen die jungen Männer Deutsch lernen, unbedingt, so schnell wie möglich.

Eine Stunde später sind wir zurück in der Westlichen Industriestraße. Gemeinsames Kaffeetrinken mit den Ehrenamtlichen. Es ist eine herzliche, fröhliche halbe Stunde im neuen Gemeinschaftsraum, der extra für sie aufgeschlossen wird. Tassen und Teller werden verteilt, der Kuchen, ein typisch deutscher Marmorkuchen von Rainer Boy selber ganz frisch gebacken, geht reißend weg.

Boy freut sich, das sieht man ihm an. Auf Englisch erklärt er der Runde, in welch einer schönen Stadt sie zufällig gelandet sind. Wobei dieser Teilaspekt für manche nebensächlich ist. "Alles, was ich wollte, war, es nach Deutschland zu schaffen. Hier bin ich. Das macht mich glücklich", formuliert es einer von ihnen auf Englisch. Beifälliges Murmeln und strahlendes Lächeln auf vielen Gesichtern bekräftigen diese Aussage.

Auch die optimale Nutzung des Bustickets wird noch einmal erklärt, ebenso, dass es nicht übertragbar ist und nur in Verbindung mit der Aufenthaltsgestattung gilt. Gespanntes Zuhören und zustimmendes Nicken in der Runde: Das haben alle verstanden.

Noch Fragen?

Ja! Ob und wo es denn Winterkleidung gibt, fragt einer, der noch keine warme Jacke hat und erbärmlich friert. Rainer Boy nennt die Anlaufstellen und verspricht, in den nächsten ein, zwei Tagen wiederzukommen. Bis dahin soll ein Begrüßungsschreiben für die Neuankömmlinge, auch in Englisch und Französisch übersetzt, fertig sein, und auf diesem Blatt sind alle nützlichen Adressen, von der Kleiderkammer, dem Diakonieladen und dem Tafelladen bis hin zur ärztlichen Sprechstunde in der Unterkunft vermerkt. Auch auf das 14tägig stattfindende Café Kontakt, die ehrenamtlichen Sprachkurse und die Sprechstunden des Arbeitskreises Asyl für alle Fragen des Asylverfahrens wird auf dem Blatt hingewiesen.

Noch eine Frage:

"Gibt es für uns eine Möglichkeit, unsere Berufe auszuüben? Wann können wir arbeiten?", will ein anderer wissen. Er sei ausgebildeter Elektriker, es gebe einen Klempner hier, und auch ein Fensterbauer meldet sich. Das ist der Moment, in dem die Sozialarbeiterin eingreift. "Die ersten drei Monate sollten Sie intensiv nutzen, um Deutsch zu lernen. Wenigstens ein paar Brocken, damit Sie sich verständlich machen können", schlägt Kathrin Warth vor, und wieder nicken alle eifrig und sehen sich suchend nach den Aushängen um, auf denen die Sprachkurse angekündigt sind. Die werden also auf weiterhin gut besucht sein.

Mehr Fragen gibt es fürs Erste nicht. Und wieder fällt auf, wie höflich und freundlich diese jungen Schutzsuchenden sind. Wie selbstverständlich räumen sie die Tassen weg, wischen den Tisch ab und bringen die Stühle unaufgefordert zurück. Dann stehen sie Spalier, geben allen Ehrenamtlichen die Hand und bedanken sich. Das gibt ein gutes Gefühl, auf allen Seiten.


 Rainer Boy

Ein voller Erfolg sei dieser Vormittag gewesen, freut sich Rainer Boy wenig später, als wir noch kurz zu einem kleinen Interview zusammenstehen.


Den ehemaligen, langjährigen Pfarrer aus Birkenfeld bei Pforzheim verschlug es nach der Pensionierung im August 2012 nach Baden-Baden. Nach einem Jahr des Eingewöhnens wollte er die Hände nicht länger in den Schoß legen und sah sich in der Stadtkirche nach einer ehrenamtlichen Beschäftigung um. Und schon saß er im Gründungsteam der Gruppe "Immergrün", in der sich Menschen über 62 Jahren, die nicht untätig bleiben wollen, zusammengefunden haben. (Hier geht es zur Webseite von Immergrün => KLICK)

Schon bei der ersten Zusammenkunft schlug Boy vor, sich in der Asylarbeit zu engagieren, falls noch jemand mitmachen würde. Sieben oder acht Anwesende meldeten sich spontan, inzwischen ist daraus die "Arbeitsgemeinschaft willkommen" mit mehr als 70 ehrenamtlichen Mitgliedern aller Konfessionen geworden, und mit der freien Zeit ist es weitgehend vorbei.

Warum startet man mit 66 noch einmal durch? Was treibt ihn an? "Rein christliche Motive", sagt Boy. "Ich führe so ein tolles Leben, da wollte ich ein bisschen zurückgeben." Als Pfarrer habe er sich um so viel anderes kümmern müssen, da sei einfach keine Zeit und kein Platz gewesen, sich für soziale Probleme so intensiv zu engagieren, wie er es gern gewollt hätte.

In der Studentenzeit sah das anders aus, da habe er sich in Wuppertal und Heidelberg in der Obdachlosenarbeit engagiert. Danach aber stand die Gemeindearbeit im Vordergrund. In besonders schöner Erinnerung ist ihm geblieben, wie er auf seiner ersten Pfarrstelle in Birkenfeld unter anderem auch für die Ortsranderholung von hundert Kindern, vier Wochen lang von morgens bis abends, zuständig gewesen war. "Das war schön", schwelgt er.

Sein Lebensweg ist ein gerader. Das Elternhaus war sehr kirchlich geprägt, aber ohne Frömmelei, wie er gleich einschränkt. Mit 14 Jahren, im Konfirmandenunterricht, kam noch ein "toller Pfarrer" dazu, und schon stand der Berufswunsch des Arztsohnes fest: Pfarrer wollte er werden, und nichts konnte sich ihm mehr in den Weg stellen, nicht einmal ein abfälliger Kommentar zu seiner allerersten Predigt in der Heimatgemeinde, als ihm ein Einheimischer den rechten Glauben absprechen wollte. "Das hat mich geärgert", gibt Boy zu, denn frömmelnder Pietismus, der da offenbar von ihm erwartet wurde, ist nicht sein Ding. Er steht mitten im Leben, freundlich, aber bestimmt. Ein Mann der leisen Töne, der aber nicht zu überhören ist.

So auch heute, als Kopf der "Begrüßungsgruppe" in Baden-Baden. Irgendwie ist es ihm nicht ganz wohl, als wir das Gebäude mit den Asylbewerbern heute verlassen. Das Haus ist nun voll belegt, die Arbeit der Gruppe, die die Neuankömmlinge seit August regelmäßig auf ihrem Gang zu den Ämtern begleitet hat, ist damit eigentlich erledigt.

Ist seine Mission wirklich beendet? Er blickt zurück und verzieht wehmütig das Gesicht. "Wäre schade, wenn ich sie nicht wiedersehen würde", meint er dann. Es wäre zu überlegen, etwas Zusätzliches anzubieten. Immerhin sitzen die jungen Männern mindestens die ersten drei Monate zwangsweise tatenlos in ihren Zimmern. Vielleicht kommt er also demnächt noch einmal im Café Kontakt vorbei, das sich vierzehntägig trifft. Vielleicht gibt er aber auch einen Anstoß, das Angebot an die Asylbewerber auszuweiten. "Freizeitbeschäftigung wäre gut", überlegt er laut. Musik vielleicht? Er selbst ist ja begeisterter Sänger in zwei Chören, auch greift er manchmal - viel zu selten eigentlich - zur Geige. vorstellen könnte er sich auch, die Begrüßungsgruppe als "Behörden-Engel" weiterzuführen, denn mit dem ersten Behörden-Kontakt ist es ja für die meisten Flüchtlinge nicht getan, und in Begleitung eines deutschen Helfers geht vielleicht manches etwas einfacher.

Aber erst einmal muss er seine Erfahrungen aus der Begrüßungs-Gruppe an die nächste Gruppe Freiwilliger weitergeben, Anfang Februar, wenn die ersten Asylbewerber ins Vincentiushaus eingezogen sind und wieder ein erster Gang zu den Ämtern ansteht. Zumindest beim ersten Mal will er den dortigen Ehrenamtlichen gern mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Die Arbeit wird ihm bestimmt nicht ausgehen. Und das ist gut so!




Mehr Informationen zum Thema Asyl finden Sie auf meiner Sonderseite => KLICK

Mehr Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK

Wichtig:
Kleiderspenden bitte auf keinen Fall direkt vor Ort abgeben, sondern in den Kleiderkammern des Roten Kreuzes oder im Diakonieladen am Bonhoeffersaal in der Bertholdstraße. 
Hier der Link zur Kleiderkammer des Roten Kreuzes Baden-Baden mit Öffnungszeiten => KLICK
Hier der Link zum Diakonieladen in Baden-Baden, der auch z. B. Hausrat und Spielsachen annimmt => KLICK

Samstag, 24. Januar 2015

Baden-Baden ist bunt


Baden-Baden ist bunt -
Flüchtlinge willkommen




"Baden-Baden ist bunt, offen und international. – Für ein friedliches Miteinander“. Unter diesem Motto findet am Freitag, 30. Januar, zwischen 19.00 und 19.15 Uhr eine Mahnwache auf der Fieserbrücke in Baden-Baden statt.

Organisator ist der Kern des Bündnisses „Bunt statt braun“, das sich im Januar vergangenen Jahres partei- und konfessionsübergreifend für eine ähnliche Kundgebung auf der Fieserbrücke gegründet hatte.

Die Welt brennt, und immer mehr Menschen aus den Krisenregionen suchen in Westeuropa Zuflucht, um zu überleben. Auch in Baden-Baden treffen jeden Monat zwanzig neue Flüchtlinge ein, sei es aus Eritrea, Kamerun, Nigeria oder Syrien. Die im September neu eröffnete Sammelunterkunft in der Westlichen Industriestraße ist seit Mitte Januar voll, nächste Woche werden die ersten Geflohenen – wenn auch nur vorübergehend - ins Vincentiushaus in der Innenstadt ziehen, weitere Unterkünfte in der Schussbachstraße und in der Aumattstraße werden folgen.

In Baden-Baden sind sie willkommen, wie man an den vielfältigen ehrenamtlichen Hilfsangeboten sehen kann. Um diese positive Haltung auch nach außen zu dokumentieren, ruft das Bündnis dazu auf, ein Zeichen für ein friedliches Miteinander zu setzen. Alle Bürger dieser Stadt, alle Parteien, Fraktionen, Vereine, Verbände, Glaubensgemeinschaften, Schulen, Jugendforum, Organisationen und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer sind eingeladen, sich am kommenden Freitag, 30. Januar, von 19 bis 19.15 Uhr auf der Fieserbrücke zu versammeln. Gesonderte Einladungen ergehen nicht.

Es soll eine kurze, aber eindrucksvolle Mahnwache sein, nicht GEGEN etwas, sondern FÜR unsere Willkommenskultur. Bitte bringen Sie kunterbunte Plakate als Zeichen für Ihre Offenheit, für Ihre Bereitschaft zum Dialog mit anderen Kulturen, für eine freundliche Aufnahme von Flüchtlingen und für ein friedliches Miteinander mit!





Anmerkung:
Wenn sie sich über die Arbeit der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer in Baden-Baden informieren wollen, lesen Sie bitte auch meine Sonderseite Asyl => KLICK


Donnerstag, 22. Januar 2015

Via Wohnprojekt

+++ Aktualisierung +++ Aktualisierung +++ Aktualisierung +++

Sechs-Jahres-Feier
des Via-Wohnprojekts


Im Rahmen der „Bundesweiten Aktionstage Gemeinschaftliches Wohnen“ öffnet VIA - das erste Gemeinschaftliche Wohnprojekt in Baden-Baden, Pariser Ring 39 - seine Türen für Interessierte:
VIA-Spätsommerfest am Sonntag, 6. September (11 Uhr –17:30 Uhr), mit Vorträgen zum Wohnprojekt, Erfahrungsaustausch, Besichtigung und Verköstigung.




Damit nimmt VIA an den Bundesweiten Aktionstagen Gemeinschaftliches Wohnen teil: „Wir wollen mit Interessierten unsere Erfahrungen teilen und Einblicke gewähren, sowohl in unser Haus, als auch in die Gemeinschaft“, so Peter Ulrich, der mit seiner Partnerin zu den einzig verbliebenen Gründern von „VIA“ gehört. Grundpfeiler der Gemeinschaft sind gemeinsame Aktivitäten und gegenseitige Unterstützung. Und die Fähigkeit, Konflikte auszutragen: „Der Schlüssel ist ein ausgewogenes Verhältnis von Nähe und Distanz. Ein Wohnprojekt funktioniert nur mit toleranten Bewohnern“ weiß Peter Ulrich.

Für Rückfragen zum VIA Wohnprojekt:
Peter Ulrich
peter.ulrich@gmx.net
Telefon 07221/8035202



*

Hier mein Blog-Eintrag zum 5-jährigen Bestehen:

Fünf Jahre Abenteuer:
Das Via Wohnprojekt



Fast könnte man es als "silberne Revolution" bezeichnen, was Bildungseinrichtungen wie Volkshochschule oder Funkkolleg vor mehr als einem Jahrzehnt im Land losgetreten haben. "Wohnen im Alter", "Mehrgenerationenhaus", "Sorgende Gemeinschaft", "Zukunftswerkstatt" - so oder ähnlich lauteten um die Jahrtausendwende einige Denkanstöße, die sie verbreiteten, und bei etlichen Vertretern der Generation "50-plus" fielen diese Denkstöße auf fruchtbaren Boden: Sie wagten das Abenteuer.

Sie suchten und fanden sich, rauften sich zusammen, brüteten über Bauplänen, suchten geeignete und bezahlbare Grundstücke, legten ihr Geld auf den Tisch (und mussten sogar in einer gewissen Phase mit dem gesamten Vermögen für alle haften), bauten und zogen zusammen. Und begannen miteinander zu leben, Regeln für das Zusammenleben zu entwerfen, die Modelle auf ihre Alltagstauglichkeit zu prüfen. Und siehe da, das einhellige Fazit lautet: Experiment geglückt.



Das jedenfalls konnte man am vergangenen Wochenende aus den Berichten von sieben solcher Wohnprojekte heraushören, deren Bewohner beziehungsweise Abordnungen sich erstmals im Baden-Badener Vorzeigeobjekt "Via" (=Vital im Alter) im Pariser Ring trafen, um ihre Erfahrungen auszutauschen.
Sie kamen aus Herrenberg, Schorndorf, Stuttgart, Bietigheim, Karlsruhe und Schwäbisch Hall, und sie hatte eine einhellige Botschaft dabei: Es funktioniert! Mehr noch: Es funktioniert gut!

Betrachtete man die Teilnehmer des Projekttages, konnte man es sich gut vorstellen. Denn obwohl sich die Gruppen untereinander nicht oder kaum kannten, verschmolzen sie bei Betreten des Raumes zu einer homogenen Einheit. Konsensfähigkeit ist offenbar die große Klammer, die alle Projekte zusammenhält, obwohl sie von der Struktur durchaus unterschiedlich sind. Einige wollen den Einzug junger Familien fördern, freuen sich über jedes im Haus geborene Baby oder stellen Mietwohnungen für StudentenWGs zur Verfügung, andere entschieden sich bewusst für das Motto "Wohnen im Alter".

"Wir wollen so lange wie möglich in der eigenen Wohnung wohnen, am liebsten bis zum Schluss", darin waren sich alle einig. Das fordert größtmögliche Unterstützung und ein ständiges Jonglieren zwischen Distanz und Nähe. Man schaut aufeinander, in einigen Häusern gibt es tägliche Kontrollanrufe, in anderen geht das bis zu gemeinsamen Urlaubsfahrten.

Überhaupt ist gemeinsames Erleben das A und O dieser Projekte. Allen ist ein Gemeinschaftsraum mit angrenzender Küche zu eigen, manche haben darüber hinaus eine gemeinsam genutzte Werkstatt, ein Kinderspielzimmer, Büchertauschregal, Hobbyraum und Gemeinschafts-Waschküche - bis hin zum Fitnessraum wie bei VIA, in dem in der anderen Ecke noch Kraftmaschine und Gymnastikbälle lagern.



Hört man sich die Erfahrungsberichte an, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich ein feierfreudiges Völkchen zusammengefunden hat. Monatlicher Sonntagsbrunch, wöchentliche Kochabende, gemeinsame Geburtstags- und Adventsfeiern,  Sommerfeste, Ausflüge in den Schwarzwald und Urlaubsfahrten für 40, 50 Personen prägen das gesellschaftliche Leben in diesen Projekten ebenso wie die organisierte - nicht unbedingt nur typisch schwäbische - Kehrwoche - wobei sich das eventuelle Schneeräumen an anderen Kriterien orientiert: In Baden-Baden übernehmen beispielweise die Frühaufsteher diesen Dienst und offenbar gibt es derer viele, und jeder schwört anscheinend auf sein spezielles Gerät, wie man bei diesem Foto vermuten kann:



Anders als in anderen Häusern gibt es in Baden-Baden eine externe Hausverwaltung, darüberhinaus trifft man regelmäßig zu Bewohnerrats-Sitzungen und Bewohnerversammlungen, es gibt Film- und Diskussionsabende. "Wir sind eine richtige Fressbande", fasst es einer der Bewohner auf Nachfragen zusammen, und alle am Via-Tisch nicken und lachen.

Welche Erwartungen hatte man in Baden-Baden, als man sich zu diesem Projekt zusammenfand?

"Wir wollen im Alter nicht alleine sein" - war einhellig der Hauptgrund. Viele alte Menschen vereinsamten nach dem Auszug der Kinder, wollten irgendwann gar nicht mehr raus auf die Straße. Das wollen die Via-Leute anders machen. Sie sehen ihre Mitbewohner längst als ihre Ersatzfamilie an, haben ihre Häuser verkauft, sind mit Wonne der "grüne Hölle", wie sie ihre Gärten bezeichnen, entronnen.



Eine Bewohnerin erzählte: "Ich habe in einem Mehrfamilienhaus in Karlsruhe gewohnt, alle in meinem Alter zogen irgendwann aus, junge Leute übernahmen die Wohnung, aber die kümmerten sich nicht um mich, die waren berufstätig, den ganzen Tag außer Haus, und ich - ich war irgendwann einfach nur die alte Tante, die ihre Zalando-Pakete entgegennehmen durfte." Ohne Gegenleistung, versteht sich.

Im Via-Wohnprojekt hingegen hingegen kennt man sich und hegt ein Grundverständnis füreinander.

Was hat die heutgen Bewohner angetrieben, den Schritt in das Wohnprojekt zu wagen?

"Abenteuerlust", fällt einem der Bewohner spontan ein. Nichts anderes sei es gewesen, als alle ihr Geld auf den Tisch legen mussten und nicht wussten, ob das Projekt gelingt. "Wenn nicht, wäre das Geld verloren gewesen." Er lacht. "Da konnte man schnell sehen, auf wen man sich verlassen kann."

Spannend sei auch gewesen, dass man sich vorher nicht gekannt hat, dass man in endlosen Sitzungen, in denen man über Bauplänen brütete und Hausordnungen und Regeln des Zusammenlebens festlegte, zusammenwuchs.

Konsensbereitschaft sei der Kitt, war überall zu hören. Streitpunkte gibt es natürlich auch. Vor allem seien es Machtkämpfe zwischen den zwei Polen "Wir entscheiden alles gemeinsam" und "Das machen wir jetzt einfach" - und ja, ich schreibe auch das: "Zickenkriege" gibt es auch. Meistens werden solche Probleme in langen Diskussionen bereinigt. Und eigentlich schien es zunächst so, als sei alles halb so wild.

Am Nachmittag aber nahmen genau diese Probleme überraschenderweise breiteren Raum ein, als man es erwartet hatte, hieß es, als ich beim Verfassen dieses Beitrags noch einmal nachhakte. Und es stellte sich heraus, dass das Zusammenleben doch nicht immer so harmonisch ist, wie es am Vormittag klang. Da müssen auch schon mal Experten von außen eingreifen, Psychologen oder Mediatoren, um wieder Frieden zu schlichten. Ausnahmen gab es offenbar nicht, auch nicht im Via-Wohnprojekt, denn auch hier taten sich mit einem Mal Risse auf. "Aber die flicken wir wieder", beruhigte mich mein Ansprechpartner später am Telefon. Er sei sehr zuversichtlich, dass man alles untereinander mit gemeinsamen Gespräche hinbekommen wird. Immerhin hat man ja einen großen gemeinsamen Herzenswunsch, nämlich, ein zweites, ähnliches Wohnprojekt ganz in der Nähe anzuschieben.

Eine letzte Frage in die Runde: Würden Sie den Schritt noch einmal wagen?

Auch hier kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen: "Jederzeit! Aber lieber noch wäre mir, ich müsste es nicht noch einmal wagen, sondern kann ganz einfach hier wohnen bleiben." Und alle am Tisch nickten begeistert. Und dieser Grundkonsens ist es wohl auch, der alle antreibt und letztendlich zusammenhalten wird.




Hier geht es zur Webseite des Via-Wohnprojekts Baden-Baden => KLICK


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