Samstag, 12. August 2023

kunst findet stadt - Teil 2

 

Aha! Eine Führung kann Augen öffnen

Eine Einladung zum Philosophieren


Ja, tatsächlich. Ein Kunstspaziergang mit einem Kurator kann helfen, Augen zu öffnen. Und wenn es auch nur die Erkenntnis ist, das Kunst Tore aufmachen und Bilder erzeugen möchte. Kunst als Einladung, Dinge anders zu sehen und zu fühlen. „Es ist alles richtig, was Sie empfinden. Sie dürfen auch etwas anderes in der Kunst sehen als die Künstlerin.“ 

 


Kunst also als Angebot zum Philosophieren? Ja, das auch. Mit anderen Worten: Wenn wir im Kurgarten stehen und uns umschauen, vielleicht auf den „public resonator“ klopfen, durch die Muster der Wolke aus rostigem Corten-Stahl blicken oder über den langen Läufer mit orientalischen Mustern schreiten, dann dürfen wir uns wundern. Wir dürfen ratlos sein. Und wir dürfen einfach nur sehen, fühlen, hören, staunen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Kunst macht immer etwas mit einem, zu dieser Erkenntnis kann man gelangen, wenn man einem Fachmann über den Kunstparcour der renommierten Künstlerin Nevin Aladağ (das ğ wird übrigens nicht ausgesprochen) folgt.

 


 

Einer der drei Kuratoren der Ausstellung, Johann von Haehling, ehemals international erfolgreicher Galerist, macht uns als erstes auf den langen Teppichläufer aufmerksam, der schnurgerade in der Mitte der Kolonnaden-Allee liegt. Gäbe es den Teppich mit seinen feinen orientalischen Mustern nicht, würde man vielleicht gar nicht wahrnehmen, dass das Terrain uneben ist, dass es Wellen schlägt. Aha.

 


Nun lohnt sich der Blick nach oben, zu den Lichtobjekten (nein, keine Lampen!). Zwei schaukeln in den Baumkronen zwischen den Kolonnaden, zwei hängen am Kurhaus zwischen mächtigen Säulen. Gefertigt aus soliden Stahlkreisen (Symbol von Männlichkeit), umhüllt von bunten Damenstrumpfhosen (Symbol - na klar, von Weiblichkeit), geben sie abends buntes Licht ab und präsentieren, so will es die Künstlerin, die vier Jahreszeiten. Schon ist er da, der zweiten Aha-Moment der Führung. Tatsächlich kann man die unterschiedliche Farbgebung als Herbst, Winter, Frühling und Sommer deuten. 

 


 

Am Kurhaus „aha“ Nummer drei: Der Teppich macht einen Knick, wächst hinauf – wohin? In den Himmel oder doch nur aufs Dach? Was könnten mit diesem Richtungswechsel gemeint sein? Ein Angebot zum Philosophieren.

 


Weiter geht es auf den heiligen Rasen vor dem Kurhaus. Zur Cloud, einem rostigen Gitter, das da etwas zusammenhanglos auf dem Grün steht. Hm. Cortenstahl, wassergelasert, lernen wir. Eine Wolke soll es sein. Unterschiedlichste Muster sind zu entdecken. Jedes Muster steht als Inspiration für eine Stadt, in der die Künstlerin gewesen ist. Prag, Copenhagen, Mexiko, Istanbul, Bangkok, München und, ja, ganz oben auch Baden-Baden. Betrachtet man das Muster „Baden-Baden“ näher, kommt es einem tatsächlich bekannt vor. Richtig: dreht man sich um, sieht man das Original, nämlich das Muster, das der Zaun um den Kurgarten hat. Auch gut zu erkennen sind Muster, die wie Honigwaben aussehen. Stellen Sie sich vor die Wolke und suchen Sie sie! Rechts unten erinnern die „water drops“ an das Thermalwasser von Baden-Baden. Glauben Sie nicht? Sehen Sie genau hin!

 


Von Haeling überreicht den Teilnehmern einen kleinen „Musterführer“, mit dem die Geheimnisse der Cloud mühelos entziffert werden können. „Aha!“ Schade, dass es Insiderwissen bleibt. Nirgends lässt sich dieser Musterführer finden. Ich nehme ihn mit und stelle ihn wenigstens hier auf den Blog. Mein Tipp: Beim nächsten Spaziergang durch den Kunstparcour bitte Smartphone anmachen, Blog aufrufen, Muster vergrößern und auf die Suche gehen. Und schon ist man mitten drin in der Kunst, die nicht nur stadt findet, sondern auch Spaß macht.

 



Jetzt aber endlich zum Hauptwerk auf der Wiese, zum „public resonator“, der wie eine Raumsonde, ein Sputnik, herumliegt. Nevin Aladağ hat dieses futuristische Objekt zusammen mit Instrumentenbauern entworfen, hören wir. Es ist eine Einladung zum gemeinsamen Musizieren. Oder na ja – wie auch immer man die Töne bezeichnen möchte, die die Zuschauer dem Sputnik zaghaft oder mutig entlocken. Nicht erst seit Corona werden wohl die wenigsten die Pfeifen bespielen, aber trommeln und an den leider nicht sehr widerstandsfähigen Saiten zupfen, das geht. Unten noch schnell die Metallstäbe zum Klingen bringen. Nun ja. Und dann? Nichts. „Jeder kann seine Erfahrung machen.“ Punkt. Aha.

Dass sich auf diesem Dings tatsächlich so etwas wie Musik erzeugen lässt, kann man übrigens heute Abend, Samstag, 12. August 2023, um 18 und um 19 Uhr hören, wenn das Quartett Maha Pudma die Kugel zum Schwingen oder Singen bringen wird. Eine Wiederholung der Live-Aufführung ist für Samstag, 19. August, gleiche Uhrzeiten, geplant. Eine Führung indes ist leider nicht mehr im Programm. Man muss sich also weiter auf sich allein gestellt treiben lassen, auf Inspiration hoffen, oder einfach nur feststellen, dass das Leben ohne Kunst möglich, aber nicht ganz so bunt wäre.

Die Kunst von Nevin Aladağ findet übrigens noch bis zum 3. September „stadt“. Und was passiert mit dem Sputnik-Resonator danach? Von Haehling hebt unschlüssig die Schultern. Meistens werden solche großformatigen Kunstwerke von Institutionen gekauft oder auch von einem Museum, sagt er. Aha. Nun denn – vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder. 

Webseite Nevin Aladağ => https://nevinaladag.com/

 


 

offizielle Webseite von Baden-Baden-Events zum Thema => https://www.badenbadenevents.de/veranstaltung/371-kunst-findet-stadt/


Hier geht es zu Teil 1 meiner Annäherung an das Kunstprojekt => https://forum-baden-baden.blogspot.com/2023/08/kunst-findet-stadt-teil-1.html