Montag, 29. Januar 2024

Günther Lehnert - Kunstpreis 2023

 

Wenn der Selbstauslöser

zum Selbstläufer wird

 

Was für ein Zufall! Seit Wochen steht schon der Besuch des Alten Dampfbades auf meiner to-do-Liste, nachdem ich die Eröffnung der derzeitigen Foto-Ausstellung „Günther Lehnert – eine Revision“ verpasst hatte. Gestern, auf meiner sonnigen Sonntagsrunde über den Hungerberg und die Aussichtsterrasse am neuen Schloss, schoss mir durch den Kopf, dass es nun allerhöchste Zeit wäre. Nächste Woche, am Sonntag, 4. Februar 2024, ist ja schon Schluss oder, die der Künstlermund sagt: „Finissage“.

Und wie es der Zufall (gibt es den überhaupt, den Zu-Fall?) so will, treffe ich den Künstler vor Ort höchstpersönlich an. Zusammen mit Stefan Schmidt, seines Zeichens Gitarrenlehrer an der Musikschule und Komponist für elektronische Musik, will er gerade eine Klangprobe durchführen für die – ja richtig! - Finissage am kommenden Sonntag, 16 Uhr.

 

 

Bei meinem Anblick lässt Günther Lehnert alles stehen und liegen und führt mich exklusiv durch seine Ausstellung – ein beeindruckender Überblick über mehr als 40 Jahre Fotokunst vom Feinsten.

Die ersten Anfänge seiner fotografischen Laufbahn, die im vergangenen Jahr mit Verleihung des Titels „Künstler des Jahres 2023 in Baden-Baden“ gekrönt wurde, lassen sich weit zurückverfolgen: Eigentlich begann alles mit Onkel Gerhard, der sich Ende der 1950er Jahre einen Fotoapparat zulegte und besonders gern mit dem Selbstauslöser experimentierte. Das erweckte das Interesse seines 1953 in Lichtental geborenen Neffen Günther, auch wenn es noch eine Zeitlang dauerte, bis dieser seine Leidenschaft zur Berufung machte.

Zunächst absolvierte er ab 1968 eine handwerkliche Ausbildung zum Elektroinstallateur, wohnte zwischenzeitlich in Freiburg, Berlin und Frankfurt, um dann 1988 wieder in der Heimatstadt Baden-Baden sesshaft zu werden.

Bereits seit den 1970er Jahren zog es ihn unwiderstehlich vor und hinter die Kamera, seitdem vertiefte und vervollkommnete er sein Wissen und sein Talent autodidaktisch immer weiter, haderte, verkaufte sogar 1980 seine Ausrüstung, nur um zwei Jahre später wieder eine Kamera in die Hand zu nehmen – aus sehr nachvollziehbarem Grund: Er war gerade Vater geworden. Im Alten Dampfbad widmet er einen ganzen Raum seinen fotografischen Familien-Stilleben, meist per Selbstauslöser, durchaus skurril mit magerem Tannenbaum im Hintergrund, aber äußerst kunstfertig in Schwarz-weiß. Hier in der Familiengalerie hängt auch Lehnerts privates Lieblingsbild:

 


Sein Schwerpunkt ist und bleibt aber die Architekturfotografie, ab 1990 arbeitete er für die Firma Luis Poulsen. Seit dem Ruhestand 2019 ist Günther Lehnert freiberuflich hinter der Linse tätig; seine Arbeiten spiegeln sein Leben und seine Leidenschaft, von der Selbstdarstellung bis hin zur Zukunftscollage:

 


Die Ausstellung gliedert sich in verschiedene Themenbereiche, mit denen jeweils ein Raum gefüllt wurde: „Baden-Baden, Betrachtungen der Heimat“ ist wohl selbsterklärend. 

 


 

„Wir sind im Recht“ widmet sich den Paradoxien im Rechtsverständnis: Er fotografierte (freigegebene) Szenen über Atombombentester vom Bildschirm ab, montierte die Sekunden nach der Ermordung Kennedys, suchte das abgeschottete einsame Wohnhaus von Cornelius Gurlitt auf, in dem 1280 Kunstwerke im Wert von über einer Milliarde Euro aufgehoben worden waren, bis es zum großen Skandal kam, über den der Senior nicht mehr hinwegkam.

=> https://www.spiegel.de/kultur/sammlung-gurlitt-ein-deutscher-skandal-a-56264509-2a6c-450e-bdc5-25b22c06adbf

Eine Foto-Collage erinnert - mehr Aktualität geht nicht! - an einen Antrag der AfD Baden-Württemberg 2019, "zur Entsiffung des Kulturbetriebs" die Bühnen-, Ballett- und Orchestermitarbeiter nach Herkunft und Ausbildungsstatus zu selektieren. Vor dem Hintergrund der jüngsten Correctiv-Enthüllungen ein ganz schauerlicher Antrag, der in dieser Art und Weise bisher gar nicht so sehr im Blick der Öffentlichkeit gestanden hat. 




Dann ist da der runde Saal mit eindrucksvollen Stadt- und Landschaftsarchitekturen, die noch mehr Kontur entfalten, wenn der Künstler seine Sichtweise auf die Architektur erklärt. Sein persönliches Lieblingsbild ist auch dabei, man muss sich etwas beugen, um es zu würdigen, und um zunächst zu stutzen – hm... warum ist das ein Motiv??? Keinesfalls ist es so simple, wie es zunächst wirkt. Wenn der Künstler nämlich streng geometrische Vorgaben dagegenhält, wird schnell klar, wie kunstvoll auch diese eigentlich schnöde Hausfassade sein kann. Und dann noch kunstvoll fotografiert! 

 


Lehnert lässt seine Werke übrigens in einem Speziallabor in Freiburg vergrößern und auf Spezialpapier aufziehen, das garantiert 50 Jahre unverändert bleibt – wichtig für potenzielle Käufer! Und tatsächlich, einige seiner Werke tragen bereits den berühmten „roten Punkt“ = verkauft! Der Traum eines jeden Künstlers.

 


 


 

Eine Hommage an zahlreiche Künstler, die in Baden-Baden leben, lebten, ausstellten oder ausgezeichnet wurden, befindet sich übrigens im Eingangsbereich der Schau. Diese viel beachtete Ahnengalerie mit ihrem eher intimen Blick auf die Künstler beweist, dass Baden-Baden in seiner Geschichte immer ein Ort der Begegnung in Kunst und Kultur war und es bis heute ist. 

 


 

Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, aber ich beende meinen kleinen Rundgang an dieser Stelle, damit noch Raum für eigene Impressionen bleibt. Zum besseren Verständnis kann ich den Katalog zur Ausstellung wärmstens empfehlen. Er beinhaltet alle ausgestellten Fotos und weitere Einblicke in Vita und Gedankenwelt dieses außergewöhnlichen Preisträgers.

Wie gesagt, die Zeit drängt, die Ausstellung ist nur noch diese Woche geöffnet:

Dienstag bis Freitag 15 bis 18 Uhr

Samstag und Sonntag 11 bis 17 Uhr

Sonntag, 4. Februar findet um 16 Uhr die Finissage statt.

=> http://www.gfjk.de/seite/431451/aktuell.html

Ein Bericht in den BNN => https://bnn.de/mittelbaden/baden-baden/guenther-lehnert-ist-kuenstler-in-baden-baden-2023




Und druckfrisch kann ich auch schon verraten, wie es weitergeht:

Vom 18. Februar bis 1. April stellt Peter Piek im Alten Dampfbad unter dem Titel „Getting There Is All The Fun“ - Malerei und Komposition aus.

Eröffnung ist Sonntag, 18. Februar um 11 Uhr mit einem Künstlergespräch zwischen Peter Piek, Petra SeitzHupe und Karl Manfred Rennertz, und am Samstag, 9. März um 19 Uhr präsentiert der Künstler bei einem „Mid-Term-Event“ eigene Songs.

=>  https://peterpiek.com/