Vom Glück, Künstlerin zu sein,
und der Kunst, glücklich zu sein
Monika Thiele ist bekannt. Ist das nicht die, die mit dem Faden malt? Richtig. Baden-Badener Künstlerin des Jahres 2014 war sie auch. Aber wer meint, sie und ihre Kunst zu kennen, täuscht sich. Monika Thiele lässt sich in kein Raster pressen, sie entwickelt sich kontinuierlich weiter. Diesen Samstag, 26. November 2023, wird um 18 Uhr in der Galerie Supper in der Kreuzstraße ihre neue Ausstellung eröffnet. „Mond / Wald / Blatt“ - so derTitel, und Kenner können schon erraten, was es damit auf sich hat: Weiterentwicklung ist das Stichwort. War in der Ausstellung vor einem Jahr unter dem Titel „Weltentanz“ der Mond bereits Thema, rückt er nun zur Hauptfigur auf. Und wer Mond und Wald mit Mystischem und Geheimnisvollem verbindet, ist schon mal auf der richtigen Spur, wie mir die Künstlerin bei meinem Vorab-Besuch in ihrem Atelier verrät.
Aber lassen wir dem Galeristen Dirk Supper das erste Wort. Er betont in seiner Einladung, dass seine Haus- und Hofkünstlerin auch diesmal dreidimensional arbeiten und „den Faden in der Hand“ haben wird, und er verspricht uns ein Feuerwerk aus Faden, Papier, Stoff, Formen und Farben. Ja, er schwärmt regelrecht, „beim Anblick von Thieles Arbeiten werden wir mit einem warmen Gefühl beschenkt, als würden wir nach einem langen Tag über die Schwelle der eigenen Haustür treten und nach Hause kommen“.
Nun bin ich gespannt.
Letzte Woche Freitag Nachmittag. Es regnet in Strömen. In der Kreuzstraße wird Weihnachtsbeleuchtung aufgehängt, die Baustellen ringsum werden wochenendfein gemacht. Die Galerie in der kleinen Passage ist leer, richtig leer. Weiße Wände. In einer Ecke stehen verpackte Werke der vorherigen Ausstellung. Aufgeregt bellend springt ein weißes Wollknäuel herbei, als sich die Tür öffnet. Winnie, der kleine Liebling mit den schwarzen Knopfaugen, erwartet ein Leckerli. Fehlanzeige. Leider. Macht nichts. Auf Frauchens Schoß ist die Welt trotzdem in Ordnung.
Monika Thieles neues Atelier befindet sich praktischerweise in der Galerie, im ersten Stock. Und tatsächlich hat der ruhige Raum mehr von einem meditativen Zuhause als von einem Arbeitsplatz. Entspannt führt die Künstlerin herum. Hier die Konstruktion, die sie für ihre Fadenbilder braucht, dort ein Platz für kleine Schnipsel, aus denen noch etwas Großes werden soll. An den Wänden Exponate, die ab Samstag zur Schau gestellt werden. Großformate, auf denen sie mit figurativen Motiven von Oskar Schlemmer spielt, jenes Künstlers, nach dem demnächst ein Platz in der Stadt benannt wird. Auf den großen Bildern vereinen sich die Techniken, die Monika Thiele im Laufe ihres Lebens ausprobiert und vervollkommnet hat: Farben, Faden, Papier...
In die Wiege gelegt wurde ihr die künstlerische Laufbahn nicht, im Gegenteil. 1966 in der ehemaligen DDR geboren, war das Leben entbehrungsreich. „Wir sahen im Westfernsehen, was es alles gab, eine andere, bunte Welt. Aber wir hatten nichts.“
Jedenfalls kaum etwas Materielles. Dafür andere Werte. Mit drei Geschwistern galt die Familie als kinderreich. Die Eltern hatten „ganz normale Berufe“, nichts Künstlerisches lag in der Luft. Aber Monika Thiele war ein besonderes Kind. „Ich war, im Gegensatz zu den Geschwistern und Freunden, lieber drinnen und habe viel gemalt“, erinnert sie sich. Es gab Jugendtreffs, aber das war nichts für sie. „Ich war lieber zuhause und habe meiner Mutter beim Kochen oder im Garten geholfen.“ Dort stand auch die Staffelei, an der sie malte was sie sah, selbstverloren und glücklich: Landschaften vor allem, Blumen, Gras, Gartenwege, Felder, Natur, Kirschplantagen. Auch Basteln stand hoch im Kurs. Folgerichtig träumte sie nach dem Schulabschluss davon, die künstlerische Laufbahn einzuschlagen – und stieß natürlich auf Besorgnis seitens der Mutter, die eine ganz besondere Rolle in ihrem Leben spielt. Lange Unterhaltungen folgten, wie soll das Leben aussehen mit der Kunst, der brotlosen? Die Mutter hatte Bedenken: „Du wirst dich im Leben einschränken müssen, auf Beziehung und Kinder verzichten. Willst du das?“ Monika Thiele wollte! Bedingungslos. Bis heute steht sie zu ihrer Entscheidung, kompromisslos und glücklich.
Studium in Dresden und, nach der Wende, in Karlsruhe und Stuttgart, bis irgendwann Schluss war. „Ich fühlte, ich war fertig, ich muss jetzt meinen eigenen Weg gehen.“
Zunächst hatte es ihr die Bildhauerei angetan, nicht Holz, nein, großformatige Linolschnitte, dann Styropor, aus dem sie Figuren schnitzte, die sie mit dünnem Draht umwickelte, anmalte und draußen bei jeder Witterung Patina annehmen ließ. Bleistifte, Buntstifte folgten, die ganze Palette. Farben mischte sie selbst und füllte sie in die Patronen ihrer Füllhalter, Filzstifte kamen hinzu. Gerade Linien, Kreuzschraffur....
Und dann kam der Tag, der alles veränderte. „Ich stand in meinem Atelier und fragte mich: Was, wenn du jetzt Nadel und Faden nimmst und stickst?“ Was folgte war „ein wunderbares Erlebnis“, denn sie erkannte: „Du bist angekommen, Monika“.
15 Jahre lang widmete sie sich seit diesem Tag ausschließlich ihrer ganz eigenen Fadentechnik, die sie Schritt für Schritt zu unfassbarer Perfektion trieb. Eine schwierige Kunst, denn mit dem Faden zu „malen“ ist etwas ganz anderes als mit Farbe, bei der man ja über kleine Unsicherheiten immer wieder neue Farbe legen kann. „Das geht mit dem Faden nicht.“
Insofern ist das Arbeiten mit dem ihr eigenen Material höchst konzentriert, fast schon meditativ. Die Ergebnisse begeisterten ein großes Publikum, sogar Auftragsarbeiten wurden bestellt. Doch wie das so ist, wenn ein Künstler seine Grenzen ausreizt: Irgendwann ist das Ende des Fadens erreicht, und „jetzt ruhen wir uns voneinander aus“.
Bedeutet: Neues Material hat Einzug gehalten ins Atelier: Papier statt Faden, Messer statt Nadel. Aus „die mit dem Faden malt“ wurde „die mit dem Messer zeichnet“.
Wann immer sie nun also mit dem Messer hantiert, fallen auch Reste zu Boden, Blättern gleich. Und schon werden diese aufgehoben bedruckt, bemalt, besprüht und wie ein Puzzle oder ein Mosaik zusammengefügt. Und siehe da – jetzt kommt auch der Faden wieder ins Spiel, bringt sich ein, Schicht für Schicht, einem Gewebe gleich, bildet das Rückgrat der neuen Komposition, nicht mehr als einzelner Faden sichtbar, sondern flächig verbunden, einem Teppich gleich.
Wie geht es ihr bei dieser Arbeit? Nachdenklich streichelt Monika Thiele ihren Winnie, der brav auf dem Schoß sitzt. „Das Worten „arbeiten“ passt nicht“, meint sie schließlich. „ich wirke.“ Sie hält inne, spürt dem Wort nach und nickt. „Ja, das ist das richtige Wort.“
Sie liebt alles an ihrem Leben, die Stille, die Ruhe, die meditative Tätigkeit, wenn sie Stunde und Stunde, Tag für Tag, Woche um Woche an einem Bild sitzt, bis es sich "fertig" anfühlt. (Und ich verrate mal, dass sich bei einem der ausgestellten Bilder dieses Gefühl bis zum Vortrag der Vernissage noch nicht eingestellt hatte und die Künstlerin bis zur letzten Minuten an ihm weiterwirkte.) Bis zu einem halben Jahr steht sie an einem Fadenbild, nichts soll und kann sie dabei stören oder ablenken.
Der Tag ist heutzutage streng strukturiert, seitdem sie ihre erkrankte Mutter nach Baden-Baden geholt hat, um sich um sie zu kümmern. Viel „freie“ Zeit bleibt nicht, aber braucht sie die Ablenkung überhaupt? Früher, vor Corona, besuchte sie Ausstellungen und Museen, Theater, Festspielhaus, unternahm kleine Städtereisen, hatte zusammen mit befreundeten Künstlern mehrfach China bereist, liebte gute Gespräche über Kunst und Literatur. Um dann aber wieder erleichtert zurückzukehren in ihre Klausur, in der sie geduldig Fäden auffädelt, Papiere schneidet, Techniken ausreizt, bis sie sie so virtuos beherrscht, das die Betrachten verwirrt versuchen herauszufinden, welche Technik sie denn angewandt habe.
War es die richtige Entscheidung, für die Kunst auf Beziehung und Kinder zu verzichten und sich ganz und gar, mit Haut und Haar, der Kunst zu verschreiben?
„Ich war noch nie in meinem Leben so zufrieden wie heute. Das künstlerische Schaffen erfüllt mich, es gehört zu mir. Ich könnte nicht ohne sein“, sagt sie. Gerade heute, mit Blick auf die sich nicht zum Besten verändernder Welt da draußen, fühlt sie sich dankbar, mit sich im Reinen, im Glück. „Und das ist keine Phrase, das ist wirklich so.“
Die Ausstellung Monika Thiele „Mond – Wald – Blatt“ wird morgen, Samstag, 25. November 2023, um 18 Uhr eröffnet. Um 19 Uhr gibt es eine Einführung. Eintritt frei. Die Künstlerin ist anwesend.
Adresse: Galerie Supper, Kreuzstraße 3.
=> https://www.galerie-supper.de/
Mehr über die Künstlerin, die übrigens auch schon auf der Biennale in Venedig ausgestellt hat, hier => https://www.galerie-supper.de/monika-thiele-biographie.html