Sonntag, 29. November 2015

Christof Teelen


Menschen in Baden-Baden, heute:


Christof Teelen


Es ist still in der Wohnung, obwohl im Hintergrund leise Musik läuft. Die zwei Katzen, vorgestern aus dem Tierheim geholt, haben sich irgendwo verkrochen; sie wissen noch nicht, wie gut es ihnen gehen könnte, wenn sie zu ihrem neuen Besitzer nur mehr Zutrauen fassen würden. Christof Teelen lässt sie in Ruhe. Stellt ihnen hin, was sie brauchen, beobachtet sie aus dem Augenwinkel, wartet ab. „Nachts trauen sie sich mehr“, hat er bemerkt. Aus dem Regal gefallene CDs und Fußtapsen auf der Herdplatte zeugen davon, dass sie die Wohnung erkunden, wenn sie sich sicherer fühlen. Zehn Jahre sind die beiden schon. „Katzen gewöhnen sich nur schlecht an eine neue Umgebung. Das wird schon noch“, erklärt er freundlich und guckt noch einmal in die Ecke. Was ist es, das sich in seinen Blick schleicht? Sehnsucht? Trauer, dass er erst kürzlich die Vorgängerkatze verloren hat, die abends so gemütlich bei ihm auf dem Lesesofa lag und schnurrte? Hoffnung, dass die beiden sich schon bald richtig verwöhnen lassen werden?



Wahrscheinlich eine Mischung aus allem. Besonders aber Mitgefühl. Denn er ist ein Mensch, der anderen gerne hilft – egal ob Mensch oder Tier – , und zwar auf eine ihm eigene unaufdringliche, stille, freundliche Art. Ob Hausaufgabenhilfe, Patenaktion oder Videoprojekt für Jugendliche – zweimal die Woche mindestens schenkt er anderen Menschen Zeit und Rat. Obwohl er doch selbst tief in seiner Seele zerrissen ist.

Er ist keiner, der sich nach vorne drängt, dennoch kennen ihn aufmerksame Zeitungsleser: Denn er war es, der bei der Friedenskundgebung am 8. Mai auf der Fieserbrücke stand, und den letzten Brief des Vaters von der Front vorlas. Der soeben für zehn Jahre aktive Mitarbeit bei der Caritas im Projekt Bücke 99 geehrt wurde. Der sich seit Frühjahr im Patenprojekt der Caritas engagiert und sich intensiv um Samson, einen Flüchtling aus Nigeria, kümmert.

Dieser Fall liegt ihm besonders am Herzen, und über diesen Fall haben wir uns kennengelernt, denn zufällig bemühten wir uns eine Zeitlang, ohne voneinander zu wissen, um den gleichen Mann, was es bei derzeit über 600 Asylbewerbern in der Stadt eigentlich nicht geben sollte.

Hier ein Foto der beiden (Fotos: Zeindler-Efler) während der Ausbildungsmesse im Kongresshaus.



Wenig später fand Samson seinen Arbeitsplatz „jwd“, hoch droben an der Schwarzwaldhochstraße: => KLICK




Christof Teelen ist kein Mensch, für den der Fall damit abgeschlossen wäre, im Gegenteil, seine Betreuung geht weit darüber hinaus: Er bahnt seinem Schützling nun den Weg durch den Behördendschungel und bringt ihn mit Musikgruppen zusammen, in denen der junge Mann in seiner mageren Freizeit nach Herzenslust Saxophon spielen kann.

Dabei kommen Teelen seine Kontakte aus der Berufszeit zugute. Die Künstlerwelt wurde ihm nämlich schon in die Wiege gelegt. Sein leiblicher Vater, den er nie kennenlernen konnte, weil er 1942, fünf Monate vor seiner Geburt, im Krieg fiel, war Schauspieler gewesen. Fotos und viele verblichene Schriftstücke blieben als Erinnerung an den Unbekannten. Unvergessen das offizielle Schreiben der Wehrmacht, in dem der jungen Ehefrau und werdenden Mutter mitgeteilt wurde, wie ihr Mann gefallen war: „Ein Herzschuss setzte seinem Leben ein Ziel“, hieß es. Teelen fehlen die Worte angesichts so viel Zynismus.




Die Mutter heiratete ein zweites Mal, und sein Stiefvater war ebenfalls Schauspieler, ein berühmter noch dazu: Friedrich Schoenfelder, ein Kavalier der alten Schule, dessen Markenzeichen eine sonore Stimme und eine überaus elegante Erscheinung waren => KLICK

Wie war das Leben an der Seite des großen Gentleman-Schauspielers? Ein großes Glück sei dieser (Stief-)Vater gewesen („Er hat mich voll als Sohn angenommen, ich war sein 'Junge'“), auch wenn es angesichts der vielen Engagements Schoenfelders kein „richtiges“ Familienleben gab. Die gemeinsame Liebe zum Jazz verband die beiden, außerdem gingen sie oft zusammen ins Kino und redeten viel über die Welt des Films. Kein Wunder also, dass Christof Teelen schon bald, noch vor dem Abitur, die Schule hinschmiss und in eben diese Welt eintauchte: Kameramann wollte er eigentlich werden, aber es war „nur“ ein Platz für die Ausbildung zum Aufnahmeleiter frei.

Es folgten sechs Jahre in einer Synchronfirma, dann war es genug, und er wechselte als Aufnahmeleiter zum Fernsehen. Fast 20 Jahre lang sorgte Christof Teelen nun freiberuflich dafür, dass am „Set“ alles wie am Schnürchen klappte: Er erstellte den Drehplan, war für die tägliche Disposition verantwortlich, passte auf, wann wer wo war. Fernsehspiele, Opernaufführungen, Traumschiff, Unterhaltungsshows... Er kam mit allen Berühmtheiten seiner Zeit in Berührung, kannte auch die kleinen Geheimnisse eines großen Placido Domingo oder eines – übrigens tadellos disziplinierten - Harald Juhnke. Tausend Geschichten aus jener Zeit hat er auf Lager, aber auch eine Niederlage: So ein hektischer Beruf nämlich frisst einen auf, eine Ehe kann schnell in die Brüche gehen, wenn man sich nur noch zwischen Tür und Angel sieht und den gemeinsamen Gesprächsfaden verliert...

Doch dann traf ihn das Glück. Während der Produktion einer Peter-Alexander-Show. Mitten ins Herz. Da war sie plötzlich, die Richtige, der Anker- und Wendepunkt in seinem Leben.

Christof Teelen stockt, mag nicht gleich weiterreden. Unangenehm wird ihm das Gespräch jetzt, vor allem, weil viele in seiner Umgebung von dem, was nun folgt, nicht viel wissen. Aber – es gehört doch zu seinem Leben dazu... Soll er es für immer verschweigen? So war es damals eben: Stress, viel Stress. Und es gab ein Mittel, diesen Stress besser zu ertragen: Alkohol. Nein, gar nicht soo viel Alkohol. Als Spiegeltrinker braucht man nicht viel, solange der Pegel stimmt...

Seine Liebe aber, die bemerkte das Problem schon. Und sie tat das einzig Richtige. Sie drohte mit Konsequenzen: Der Alkohol oder ich! Und Teelen? Nahm den nur für einen Alkoholkranken folgerichtigen Weg: Er ignorierte die Warnung, nahm die Drohung erst für bare Münze, als es zu spät war und die Frau seines Lebens tatsächlich ging. Nur ein paar Tage hielt er das aus, dann beschloss er zu kämpfen: Für sein Leben, für seine Liebe, für sich. Ein harter Kampf. Klinik, Therapie, ein halbes Jahr lang. Er biss sich durch, hatte ein klares Ziel vor Augen: Er wollte, nein, er musste diese Frau zurückgewinnen.

Und er schaffte es.

Und wenig später meldete sich seine Tochter an...

Das Glück war vollkommen.

1990 wurde auch sein Berufsleben ruhiger, denn durch Zufall war er zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und sprach mit dem richtigen Mann: Wochen später, nur wenige Stunden, bevor es von Barbados aus per Traumschiff für längere Zeit auf Drehtermin hinaus auf die offene See ging, erreichte ihn das Angebot des heutigen SWR in Baden-Baden: Eine sichere Festanstellung! Für den treusorgenden Familienvater war das DIE Gelegenheit. Der Vertrag wurde sofort geschlossen, noch am Telefon.

Seitdem lebt Christof Teelen in Baden-Baden, und zwar gern. Obwohl er hier in Baden-Baden nur sieben Jahr später das Schlimmste erlebte, was ein liebender Mensch durchmachen kann: Aus heiterem Himmel erlitt seine über alles geliebte Frau eines Abends einen Herzanfall und starb von einem Augenblick zum anderen.

Wenn er über jenen Abend redet, merkt man Christof Teelen die Qualen an, die er damals durchlebte. 1997 war das gewesen, aber für ihn ist es immer noch, als sei es gestern geschehen. Mit den Händen greifbar wird die Verzweiflung, wenn er darüber spricht, was er damals durchmachte: Hier die tote Frau. Im Zimmer nebenan schlafend die ahnungslose elfjährige Tochter. Die Brille, die er vor Aufregung nicht fand. Der Krankenwagen, der so lange brauchte. Die Nachbarn und Freunde, sie sofort kamen und bei ihm blieben. Die aufgewühlte Stimmung, die nicht nachließ, als die letzten nach Hause gegangen waren. Und dann... Die Flaschen auf der Anrichte, die er plötzlich wahrnahm – und die er trotz der jähen Versuchung nicht anrührte. Bis heute winkt er - „aus gesundheitlichen Gründen“ - ab, wenn ihm jemand ein Glas anbietet. Und jedes Mal ist dann der Gedanke an „sie“ ganz nah bei ihm.

Ach, sie ist sowieso immer da, auf den Fotos in der Wohnung, vor allem aber im Herzen. Die Trauer, die wird er nie mehr los. Sie klebt an ihm, auch wenn er sie tapfer wegzulächeln versucht. 


 

Der Weg in den Alltag ohne die Ehefrau war schwer: Beruf, Haushalt, Erziehungsfragen, und niemand, mit dem man sich aussprechen kann... 2002, als ein vorzeitiger Ruhestand zur Option wurde, überlegte er daher nicht lange. Nie wird er vergessen, wie die Tochter strahlte, als sie hörte, dass ab sofort das Essen auf dem Tisch stehen würde, wenn sie mittags aus der Schule käme.

Ruhestand? Geht das denn so einfach? Kann man wirklich ohne weiteres von heute auf morgen aus einem so interessanten, aufregenden Beruf aussteigen?

Man kann! Christof Teelen schmunzelt. „Ich habe in den fünf Wochen vor dem Tag X meinen Resturlaub genommen, und der hörte dann einfach nicht mehr auf. Das war toll.“ Denn: „Ich merkte, ich hatte etwas Wertvolles geschenkt bekommen: Zeit.“

Die verbrachte er erst einmal mit Lesen und einer ausgedehnten Sommerfrische am Erländer See. Urlaub? Fernreisen? Er wiegt den Kopf. „Wozu, wenn man seine Eindrücke mit niemandem teilen kann...?“ Und schon kriecht sie wieder heran, die stille Traurigkeit in seinen Augen. Aber er beeilt sich hinterherzuschieben, wie schön doch Baden-Baden ist, und dass er ja auch oft seine Tochter besucht, zumal jetzt, seit er Opa geworden ist...

Und es ist ja auch nicht so, dass er sich einschließt. Natürlich gab es einmal einen Versuch zu einer neuen Zweisamkeit. Aber dann merkte er schnell, dass es nicht gehen würde. „Frühstück um 8 Uhr und zum Rauchen auf den Balkon?“ Keine Option.

So hielt er die Augen offen und stolperte 2005 über eine Zeitungsanzeige, in der ehrenamtliche Unterstützer für die Hausaufgabenhilfe in der Brücke 99 gesucht wurden, einem Projekt der Caritas. Seitdem ist Christof Teelen dabei, zehn Jahre nun schon. An zwei Tagen die Woche betreut er jeweils acht Kinder und Jugendliche bei den Hausaufgaben, und mehr noch: Als die Caritas Paten für junge Leute suchte, die Unterstützung bei Bewerbungsschreiben, beim Gang zur Arbeitsagentur und zur Berufsberatung brauchten, war er dabei. Sogar ein Video-Projekt entstand unter seiner Leitung daraus – mit zweifachem Erfolg. Zum einen ist es eine toller Film über Berufswünsche und was daraus werden kann geworden, zum anderen hat das Projekt den Jugendlichen selbst etwas mitgegeben: „Ich habe dadurch gelernt, auf Menschen zuzugehen. Das hätte ich mich vorher nie getraut“, sagte einer von ihnen, und das macht Christof Teelen glücklich: „Für diesen Satz hat sich das halbe Jahr Arbeit voll gelohnt.“

Ähnlich engagiert hat er nun sein neuestes Projekt, die Patenschaft für Samson aus Nigeria, angepackt. Aus einer behutsamen Annäherung über gemeinsame Fußballabende vor dem Fernseher wurde eine echte Herausforderung, die nicht mit der Vermittlung zu Musikfreunden endet. Inzwischen ist er auf der Suche nach einer kleinen, preiswerten Wohnung oder einem Platz in einer WG für Samson, denn im Augenblick muss der fleißige junge Mann von seinem geringen Lohn fast 200 Euro Miete bezahlen – für einen Schlafplatz in einem 17 Quadratmeter kleinen Zimmer, in das sich neuerdings drei Personen quetschen, mit allen Unannehmlichkeiten, die das mit sich bringt – bis hin zu der Tatsache, dass plötzlich Dinge „verschwinden“... Da wird „der Pate“ ungeduldig und sehr bestimmt. Wenn Samson sich mit zwei weiteren berufstätigen Asylbewerbern zusammentäte, stünden 600 bis 750 Euro für die Warmmiete einer bescheidenen zwei oder drei-Zimmer-Wohnung zur Verfügung. Das sollte doch zu schaffen sein!




Und die scheuen Katzen? Wie geht es ihnen? Schon einen Tag nach meinem Besuch trauten sie sich ein Stück aus der Deckung, die eine schaffte es aufs Sofa, die andere – wenn auch sehr skeptisch – auf den Stuhl. Manchmal sind es eben die kleinen Dinge im Leben … 

 

Mehr Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK