Menschen in Baden-Baden, heute:
Çetin Beker
Integration
– ein sperriges, abstraktes Wort, das zurzeit in aller Munde ist.
Viele Menschen machen sich Sorgen, wie „Integration“
funktionieren könnte. Dabei brauchen sie eigentlich nur um die Ecke
zu gehen, um Erfolgsmodelle zu erleben: Italiener, Griechen, Türken
– sie alle kamen vor ein paar Jahrzehnten zu uns und gehören heute
ganz selbstverständlich in unsere Gesellschaft - und das, obwohl sie
es weiß Gott nicht immer leicht hatten bei uns.
„Für
den Nachbarn war ich der „Sohn vom Türken“, obwohl er doch ganz
genau wusste, wie ich hieß“, erinnert sich Çetin
Beker noch lebhaft an einen Vorfall, der ihn sehr gekränkt hatte.
Auch in der Schule war er schnell völlig zu unrecht als Schuldiger
ausgemacht, wenn etwas passierte. Das sei sehr demütigend gewesen,
sagt er heute, vor allem, weil er damals noch nicht die Sprache
beherrschte und sich nicht verteidigen konnte.
Das kann man kaum glauben, wenn man ihn heute in seinem Geschäft am
Bertholdsplatz besucht. Wie ein kleiner, heimeliger Tante-Emma-Laden
kommt einem seine „Game-station“ vor. Bunt gemischt wie sein
Sortiment von Videospielen und gebrauchten Handys ist auch seine
Kundschaft, die sich an diesem verregneten Nachmittag wie in einem
Taubenschlag die Klinke in die Hand gibt.
Da
ist der ältere Herr mit seinem nicht minder betagten Klapphandy, das
nicht mehr so richtig funktioniert. Çetin
Beker verspricht, ein anderes zu besorgen. Er kennt den Kunden, weiß,
dass er Hörprobleme hat. „Ich finde etwas für Sie, ein älteres
Gerät, denn die sind lauter als die smartphones“, tröstete er den
Mann. „Kommen Sie Ende der Woche wieder.“
Zwei Halbwüchsige kramen aufgekratzt in den Regalen mit den Videospielen und entschließen sich dann doch, nur 20 Cent einzusetzen und sich aus einem altmodischen Automaten je eine Kaugummi-Kugel zu ziehen.
Zwei
junge Burschen schleppen ein schweres Paket herbei. 32 Kilo wiege es,
versichern sie ihm, denn er nimmt nur Pakete bis 40 Kilo an. Aber die
Verpackung muss geändert werden. Für Çetin
Beker kein Problem. Er sucht einen anderen Karton, hebt das schwere
Motorenteil geduldig hoch, bis die Burschen es mit Luftpolsterfolie
umwickelt haben, und sorgt für Füllmaterial.
Wieder
geht die Tür. Ein kleiner Junge stürmt herein, stockt, grüßt
fröhlich und bleibt etwas verlegen, aber mit erwartungsvollem Blick
vor der Ladentheke stehen. Çetin
Beker beugt sich vor und lächelt. „Möchtest du vielleicht einen
Lutscher haben?“ Der Junge nickt – und bekommt ihn natürlich und
rennt glücklich hinaus.
Schon
steht der nächste Kunde da und hält sein Smartphone hoch. Çetin
Beker genügt ein kurzer Blick. „Oh, sieht bös aus“, sagt er,
fügt aber gleich beruhigend hinzu: „In einer Stunde ist es
fertig.“ Dann verschwindet er in seine kleine Werkstatt und beginnt
zu „basteln“.
„Ich
habe schon immer gerne Sachen auseinandergenommen“, sagt Çetin
Beker und lacht ein bisschen. „Manchmal habe ich sie auch wieder
zusammenbekommen.“ Heute ist er „DER“ Fachmann für
Smart-Phone-Reparaturen in Baden-Baden, aber bis der freundliche
43jährige sich diesen Ruf erarbeitet hatte, war es ein langer Weg.
Den
Ausgang nahm seine Geschichte in einem kleinen Dorf in Anatolien, von
dem aus sich sein Vater einst aufmachte und in die Millionen-Stadt
Izmir zog. Ein Riesenschritt für diesen Mann, und es sollte ein noch
größerer folgen: 1970 ging er nach Deutschland, 1979 ließ er seine
Familie nachkommen. Eine abenteuerliche Reise von Izmir nach Varnhalt
sei das gewesen, erinnert sich Çetin
Beker, der damals sieben Jahre gewesen war. „Wir saßen zu acht in
einem Ford Consul, zu acht – plus Gepäck.“ Bei der Passkontrolle
staunten die Grenzbeamten immer wieder, wie viele Menschen in diesem
Wagen saßen, aber damals ließ man solch überladene Autos noch
großzügig weiterziehen. „Ich saß die ganze Fahrt über auf der
Handbremse“, weiß Çetin
Beker noch und schüttelt sich. Eine Qual sei das gewesen.
Auch
die Ankunft in einer winzigen zwei-Zimmer-Wohnung steht ihm noch
bildlich vor Augen. Und wie die Kinder sich über das deutsche Essen
gewundert hatten. Brötchen - neu! Fruchtjoghurt – merkwürdig.
Dann noch die anderen Geschmacksrichtungen: Zu wenig scharf, zu wenig
süß. „Aber die Milchschnitte, die haben wir geliebt!“
Was
folgte, war ein Alptraum: Der Siebenjährige wurde eingeschult, ohne
ein Wort Deutsch zu können. Wie ein Taubstummer sei er sich
vorgekommen, und schnell wusste er, wie wichtig es für ihn sein
würde, möglichst rasch Deutsch zu lernen. Die Aufnahme im
Fußballverein half dabei übrigens herzlich wenig, „da wurde
Fußball gespielt und nicht viel geredet.“
Sozialarbeit, wie sie sein sollte
Er
hatte Glück. Zwei Sozialarbeiterinnen der Stadt kümmerten sich um
ihn. Unvergesslich ist das noch heute für ihn, selbst ihre Namen –
Angelika und Agnes – kennt er noch. Die beiden holten ihn von
zuhause ab, lernten mit ihm, nahmen ihn auch mit zu sich nach Hause,
damit er deutsches Leben und die deutsche Küche kennenlernte.
Es lohnte sich. Er wurde ein guter Schüler, hatte im Übergangszeugnis der Grundschule viele Einser und hoffte natürlich insgeheim auf den Wechsel zumindest in die Realschule. Doch es kam anders, die Lehrer sprachen dem "kleinen Türken" nur die Hauptschulempfehlung aus, und seine Eltern nahmen es hin, machten sich auch keine Gedanken darüber. „Meine Mutter konnte nicht lesen und schreiben, mein Vater nur sehr schlecht Deutsch, sie hätten mir in der Schule gar nicht helfen können - und was der Lehrer sagte, das galt damals für sie.“
Er selbst fand diese Zurücksetzung sehr enttäuschend und demütigend. Immerhin fand er im damaligen Rektor einen Förderer, mit dem er übrigens auch heute noch in Kontakt steht. Die Hauptschule verließ er dann auch mit einer glatten Eins, auch die Realschule war kein Problem für ihn, die Ausbildung zum Autoelektriker bei Mercedes in Gaggenau wurde verkürzt, den Abschluss machte er als bester Lehrling.
Es lohnte sich. Er wurde ein guter Schüler, hatte im Übergangszeugnis der Grundschule viele Einser und hoffte natürlich insgeheim auf den Wechsel zumindest in die Realschule. Doch es kam anders, die Lehrer sprachen dem "kleinen Türken" nur die Hauptschulempfehlung aus, und seine Eltern nahmen es hin, machten sich auch keine Gedanken darüber. „Meine Mutter konnte nicht lesen und schreiben, mein Vater nur sehr schlecht Deutsch, sie hätten mir in der Schule gar nicht helfen können - und was der Lehrer sagte, das galt damals für sie.“
Er selbst fand diese Zurücksetzung sehr enttäuschend und demütigend. Immerhin fand er im damaligen Rektor einen Förderer, mit dem er übrigens auch heute noch in Kontakt steht. Die Hauptschule verließ er dann auch mit einer glatten Eins, auch die Realschule war kein Problem für ihn, die Ausbildung zum Autoelektriker bei Mercedes in Gaggenau wurde verkürzt, den Abschluss machte er als bester Lehrling.
Was
folgte – war die nächste Ernüchterung: Ein Angebot, am Band zu arbeiten. Er konnte es nicht
glauben. „Ich habe mich so angestrengt und soll jetzt ans Band?“,
fragte er nach und hatte Glück: Er wurde im Unimog Kundendienst im
Bereich Elektrik eingesetzt. "Eine schöne und lehrreiche Zeit“,
sagt er rückblickend. Allerdings wurde ihm klar, dass er nicht 40
oder 50 Jahre lang an ein und derselben Arbeitsstelle bleiben wollte.
Als das Unimogwerk zumachte und er nach Wörth ziehen sollte, zog er daher die Reißleine und machte das, „was wohl jeder Türke einmal in seinem Leben machen will“: Er eröffnete – blind für die Risiken der Selbständigkeit – Mitte der 90er Jahre zusammen mit seiner Frau eine Dönerbude, das „Sindbad“ am Augustaplatz. Doch schnell wurde ihm klar, dass er in der Gastronomie mit ihren Arbeitszeiten bis 2 Uhr morgens nicht glücklich werden würde, zumal seine beiden Söhne geboren wurden – auf die er übrigens mit Recht sehr stolz ist. Der Älteste hat gerade Abitur gemacht und mehrere Preise eingeheimst – darunter auch den renommierten Scheffel-Preis für das beste Deutsch-Abitur. => KLICK und wird demnächst in Heidelberg Jura studieren. Das freut Çetin Beker natürlich besonders. „Gerade wir Ausländer wollen doch immer, dass es unsere Kinder besser machen!“
Als das Unimogwerk zumachte und er nach Wörth ziehen sollte, zog er daher die Reißleine und machte das, „was wohl jeder Türke einmal in seinem Leben machen will“: Er eröffnete – blind für die Risiken der Selbständigkeit – Mitte der 90er Jahre zusammen mit seiner Frau eine Dönerbude, das „Sindbad“ am Augustaplatz. Doch schnell wurde ihm klar, dass er in der Gastronomie mit ihren Arbeitszeiten bis 2 Uhr morgens nicht glücklich werden würde, zumal seine beiden Söhne geboren wurden – auf die er übrigens mit Recht sehr stolz ist. Der Älteste hat gerade Abitur gemacht und mehrere Preise eingeheimst – darunter auch den renommierten Scheffel-Preis für das beste Deutsch-Abitur. => KLICK und wird demnächst in Heidelberg Jura studieren. Das freut Çetin Beker natürlich besonders. „Gerade wir Ausländer wollen doch immer, dass es unsere Kinder besser machen!“
Dönerbude
Sein
eigener Weg war wesentlich steiniger. Sein Bruder übernahm die
„Dönerbude“, er selbst fand eine sehr kurze Beschäftigung in
einem Großbetrieb mit Schichtdienst – und verzweifelte alsbald. Die
Arbeit selbst war kein Problem für ihn, aber die Zeit, die verging
einfach nicht. „Ich schaute auf die Uhr, weil ich dachte, es sei
bereits 21 Uhr, aber es war gerade erst 19 Uhr.“ Da wurde ihm klar, dass
er wieder gehen musste: „Ich kann doch keinen Job machen, in dem
die Zeit nicht vergeht und ich mich die ganze Woche auf Wochenende
freue. Was ist denn das für ein Leben!“
In
einer Druckerei als Leiter der Weiterverarbeitung war das Leben schon
abwechslungsreicher. Dennoch holte ihn irgendwann seine große
Leidenschaft ein, die Videospiele. Nein, nicht die Spiele an sich,
sondern die technische Seite faszinierte ihn. Dies war die
Geburtsstunde der Gamestation, die er zunächst zuhause in Neuweier
im Keller betrieb. Sechs Monate später, im August 2000, eröffnete er
sein eigenes Geschäft am Bertholdsplatz, und sein buntes Leben als
Videospiele-Verkäufer begann. „Ich könnte ein Buch darüber
schreiben“, lacht er, und es ist ihm anzumerken, dass er jetzt endlich
genau „sein Ding“ gefunden hat.
Anlaufstelle
Schnell
wurde sein Geschäft zur Anlaufstelle, nicht nur der Nachbarschaft,
die ihn zunächst bestürmte, auch Bügeleisen und Föhn zu
reparieren oder sogar Damenstrumpfhosen zu verkaufen. Bald war die
Gamestation DER Treffpunkt für Jugendliche, vor allem die
Nintendo-Vorführkonsole war die Attraktion. Man spielte, man teilte das Essen, es wurden – ohne wirtschaftliche Interessen -
Spiele-Turniere auch außerhalb veranstaltet. „Aber alles verändert
sich“, räumt Çetin Beker
ein, auch er selbst kann davon ein Lied singen.
2006
eröffnete der MediaMarkt in der Cité, und damit veränderte sich das Verhalten
der Konsumenten. Wenn er ein Spiel nicht vorrätig hat, waren die
Kunden früher zufrieden gewesen, wenn er es ihnen über Nacht
besorgte. „Heute fahren gleich weiter in die Cité“ - wenn sie das
Spiel nicht gleich ganz bequem am eigenen Computer downloaden. Aber
die Paketannahme und der Handy-Reparaturdienst, den er seit zwei Jahren anbietet, federn vieles ab.
Aber
eine Tradition aus den Anfangsjahren der Gamestation lebt immer noch: Die
Weihnachts-Pizza-Kasse, die das ganze Jahr über von ihm und seinen Kunden
gefüttert und am 23. Dezember geschlachtet wird. „An Heiligabend
mittags kommen alle Stammkunden und Freunde hierher, und es gibt
Riesenpizzen und Getränke, und man erzählt sich Geschichten von
früher.“
Hat
er einen Wunsch? Er lacht leise. „Alles soll so bleiben, wie es ist.
Uns geht es doch gut.“
Und
wie fühlt er sich? Zwischen zwei Kulturen?
Çetin
Beker verzieht das Gesicht. Wenn Leute ihn fragen, ob er im Urlaub
„nach Hause“ fahre, ärgert ihn das. „Zuhause – wo ist das?
Hier ist das natürlich“, sagt er mit Nachdruck. Hier habe er alles
getan, um heimisch zu sein: Baum gepflanzt, Haus (im Rebland) gebaut,
Wurzeln geschlagen. Kurz: „Wir sind angekommen“.
Natürlich
fahre er ab und zu mit der Familie in die Türkei und besichtige
antike Stätten und genieße das gute türkische Essen, aber das
steht beileibe nicht jedes Jahr auf dem Programm. Denn am liebsten
macht er natürlich Urlaub daheim – auf der Hornisgrinde oder mit
dem Fahrrad am Bodensee.
Wenn er an die Asylbewerber denkt, die nun neu in unsere Stadt kommen, fühlt er mit ihnen. Deshalb hat er, ohne auch nur einen Wimpernschlag lang zu zögern, für die internationale Suppenparty am Samstag, 26. September, ganz spontan ein Smart-Phone gespendet. Es wird der Hauptpreis des Deutsch-Wettbewerbs sein, den die Asylbewerber während der Veranstaltung austragen werden: Wer die meisten deutschen Wörter beherrscht, gewinnt. Als er davon hörte, war sofort klar, dass er die Aktion unterstützen wollte. Denn: Wenn einer weiß, wie wichtig Deutsch für die Integration ist, dann Çetin
Beker.
Hier geht es zum Programm der Suppenparty =>KLICK
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