Sonntag, 19. Juli 2015

Asylgeschichten (5)



Gloria und Olivia – oder:
Hartnäckigkeit zahlt sich aus

Vor kurzem berichtete ich an dieser Stelle vom vorbildlichen Fahrradprojekt im alten Vincentiushaus. Damals berichtete „Frau Wirbelwind“, dass die 1,60 Meter kleine tapfere Midia ein kleines Damenfahrrad oder Jugendrad benötigt. Mehr dazu => KLICK





Das brachte Olivia Pallas, die Wirtin des Olivenhauses in der Kreuzpassage (hier geht es zu meiner Geschichte über Olivia => KLICK), auf den Plan. Unermüdlich sprach sie ihre Gäste an, fragte nach einem solchen kleinen Rad. Schließlich lobte sie sogar einen Preis aus: Wer eines spende, bekäme als Dank ein Essen für zwei Personen von ihr.

Nun, ihre unermüdliche Hartnäckigkeit zahlte sich aus, und gestern brachte Irene Ritter ein solches Jugendrad vorbei. Olivia hielt Wort, übertraf sich sogar selbst, indem sie gleich ein ganzes Geburtstagsbüffet für mehrere Personen zauberte.

Hier das Foto der Radübergabe:





Aufmerksame Blog-Leser werden bei diesem Foto stutzen. Nein, die Beschenkte ist nicht Midia, sondern Gloria. Und deren Geschichte erzählt „Frau Wirbelwind“ nun als Gastbeitrag:

"Midia konnte bereits mit einem angemessenen Rad versorgt werden. Unser Kummerkind und ungelöstes Problem war nun Gloria. Gestern war nun die feierliche Übergabe des Jugendrades an Gloria vor dem Olivenhaus in der Kreuzpassage.

Gloria ist Mitte 30 und stammt aus Nigeria. Sie ist seit Februar diesen Jahres in Baden-Baden. Von Beginn an herrschte stillschweigendes Einvernehmen, die Gründe ihrer Flucht und die Details ihrer Reise nicht anzusprechen, da die Erinnerung sie sichtbar aufwühlt.

Glorias Wille zur Integration in Deutschland ist beispielhaft. Seit "Tag Eins" nimmt sie jede ihr gebotene Chance war, am Deutschunterricht durch ehrenamtliche Lehrer teilzunehmen. Das wenige Geld, das sie zur Verfügung hat, investiert sie hauptsächlich in Bücher und Lernmaterial. Bildung und Fortbildung haben derzeit Priorität. Bei allem Eifer ist sie jedoch bei weitem keine Stubenhockerin. Einladungen zu städtischen kulturellen, insbesondere zu musikalischen Veranstaltungen, nimmt sie mit Begeisterung wahr. Und auch der sonntägliche Gang zum Gottesdienst in der Stadtkirche ist ihr sehr wichtig.

Auch für Gloria sind die Kosten des öffentlichen Nahverkehrs ein nahezu unerschwinglicher Luxus. Um nach den Sommerferien jedoch zu den Unterrichtsstätten in den verschiedenen Stadtvierteln zu gelangen, möchte sie mobil sein. Mit der ihr eigenen Energie und Willenskraft erlernte sie deshalb in den vergangenen Wochen das Radfahren.

Mehrere „Fahrlehrer“ wurden bei diesen Lektionen verschlissen und gaben entnervt auf. Nicht jedoch Gloria. In den frühen Morgenstunden, vor 6 Uhr, konnte man in der autofreien Zone der Lichtentaler Allee beobachten, wie sie, mit Helm und Gelenkschützern gewappnet, todesmutig auf einem geliehenen Kinderrad die Straße auf und ab rollte.

Den großen Durchbruch habe ich selbst miterlebt. Sie fuhr zum ersten Mal über eine Strecke von circa 100 Metern wirklich mit Pedal, ohne die Straße zu berühren und ohne zu stürzen. Selten habe ich ein solches Glück miterlebt. Eine olympische Medaille ist nichts dagegen. 

Das Jugendrad, das mit Olivias Unterstützung gefunden und heute an Gloria übergeben wurde, stellt nun den nächsten Schritt im Lernprozess dar. Es ist etwas größer, robuster und verfügt über eine Gangschaltung. Noch eine kleine Inspektion durch den Fachmann, und weiter kann es gehen auf dem langen Weg zur „Tour de Baden-Baden“."




Nachtrag: 

Letzte Woche kam die Nachricht, dass die Sparkassenstiftung Baden-Baden Gaggenau das Fahrradprojekt Mobilität für Asylbewerber, kurz MofA, finanziell unterstützt.

Mit dieser Finanzspritze eröffnen sich nun ganz neue Möglichkeiten. Projektmanagerin „Frau Wirbelwind“ dazu: „Wir können sicherstellen, dass die Räder auch weiterhin gut gepflegt und gewartet werden. Und wir können dem Flüchtling das Rad mitsamt Schloss gegen einen Unkostenbeitrag dauerhaft überlassen. Natürlich nur denen, die die Radprüfungen bestanden haben. So die Projektvereinbarung. 

Weiterhin haben sich noch einige Asylbewerber gemeldet, die gerne an einer Radprüfung im September teilnehmen würden. Auch dieser Wunsch kann nun berücksichtigt werden.
 
Die Nachricht wurde von den Asylbewerbern mit großer Freude aufgenommen. Insbesondere jene, die nun bald in Brot und Arbeit gehen werden, sind erleichtert. Ein Problem wirklich gelöst. Es kann weitergehen!“


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