Ablenken und Tee trinken
im herzlichen Café Kontakt
Sie wissen, was sie tun, und sie tun es gern:
Samstag Nachmittag, 14 Uhr. Noch ist der Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss der Asylbewerberunterkunft in der Westlichen Industriestraße leer. Die Tische stehen in Hufeisenform, erste freiwillige Helfer trudeln ein, schwer bepackt mit Thermoskannen voller Tee und Kaffee, mit Kuchenblechen, Körben voller Geschirr, Servietten, Besteck, Milch- und Safttüten. Einer der erfahrenen Helfer hat vorsorglich einen Wasserkocher mitgebracht, um den es später noch Verwirrung geben wird.
Nebenan in der Gemeinschaftsküche stehen einige Bewohner der Unterkunft am Kochherd, der Duft exotischer Gewürze hängt in der Luft. Neugierig spitzt schon mal die eine oder der andere Köchin durch die Tür, um nachzusehen, ob es nebenan bald losgeht.
Die Umgangssprache hier ist zwar Englisch, manche sind aber auch schon erstaunlich fit in Deutsch. Andere schauen noch etwas skeptisch. Sie sind sich nicht sicher, was es mit dem Treiben der Deutschen auf sich hat, aber nach einer kurzen Erklärung geht ein Leuchten über die Gesichter, und dann wird auch schon per Mund-zu-Mund-Propaganda auf den Gängen der beiden Häuser verbreitet, dass es in einer halben Stunde losgeht mit dem "Café Kontakt". Es gibt aber auch Bewohner, die das Treiben kurz in Augenschein nehmen, scheu lächeln und sich wieder in ihre Zimmer zurückziehen.
Die wenigen Kindern, die auf dem Gang herumwuseln, sind weniger schüchtern, sie kommen unbefangen wie kleine Spatzen und stibitzen sich schon mal mit fragendem Bick und strahlendem Augen einen Keks vom Teller, freundlich ermuntert von den Ehrenamtlichen, die immer mehr werden.
Acht Helfer sind es schließlich, die sich einfinden, viel zu viele, wie sie gleich anmerken. Normalerweise reichen drei, vier Personen aus, aber heute sind auch Hospitanten dabei, die das Prinzip des Cafés für das Vincentiushaus übernehmen wollen, in das in wenigen Tagen die ersten Asylbewerber einziehen werden.
Ein kurzer Blick zur Uhr, gleich geht es los! Die Kuchen werden angeschnitten, bunte Teller vorbereitet, Tassen verteilt. Jeder Handgriff sitzt, man merkt, diese Gruppe öffnet das Café Kontakt nicht zum ersten Mal.
Seit ein paar Monaten schon kümmern sich Ehrenamtliche alle vierzehn Tage samstags in entspanntem Rahmen um die Asylsuchenden. Viel Ablenkung haben die in der Westlichen Industriestraße untergebrachten Asylbewerber ja sonst nicht im Alltag. Die Innenstadt mit ihren Zerstreuungen ist weit, eine Busfahrt teuer. Es gibt keine Fernseher, kein Internet, die Gemeinschaftsräume sind für sie in der Regel verschlossen, sie werden nur für die ehrenamtlichen Angebote wie Sprachunterricht und eben Café Kontakt geöffnet. Anfangs hatten die Bewohner daher auch nur wenig Kontakt untereinander.
Das hat sich in der Zwischenzeit geändert, die Zusammenkünfte im Café Kontakt haben auch dazu beigetragen, dass sich die Asylbewerber unterschiedlicher Nationen nicht mehr in verschiedene Herkunftsländer zersplittern, sondern erkennen: "Wir sitzen alle in einem Boot."
Für einen besseren Zusammenhalt und Zerstreuung haben übrigens an Silvester drei Ehrenamtliche gesorgt, die auf Initiative von Evelin Schuster (Foto unten) mit Quiche, Pizza, Knabbereien, Säften, einem CD-Player und diversen Gesellschaftsspielen anrückten und mit den Asylbewerbern ins neue Jahr feierten. Wie kam sie auf die Idee?
Initialzündung war eine Radtour mit dem Ehemann, die die tatkräftige Frau zufällig am Tag der Einweihung der Asylbewerberunterkunft an der Westlichen Industriestraße vorbeiführte. "Denen müsste man doch mal Kuchen vorbeibringen", überlegte sie laut, und ihr Mann konnte sie gerade noch davon abhalten, die Idee sofort in die Tat umzusetzen. So hielt man brav den Dienstweg ein, meldete sich bei Hanna Panther, die die Initiativen der Ehrenamtlichen koordiniert, und wurde an das Café Kontakt der Arbeitsgemeinschaft Willkommen verwiesen. Seit 1. November ist Evelin Schuster nun mit ihrem Mann regelmäßig bei den Treffen dabei, und aus diesen Begegnungen erwuchs die Idee, den Asylbewerbern am Silvesterabend ebenfalls eine Zerstreuung anzubieten.
Der Abend war ein Riesenerfolg, auch wenn der Anfang noch etwas zögerlich war, erinnert sich Evelin Schuster. Eine Phase des vorsichtigen Abtastens musste überwunden werden, dann aber stieg die Stimmung schnell. "Wir haben Mühle und Dame gespielt, Mensch ärgere dich nicht, Luftballon-Werfen, Reise nach Jerusalem..." 30, 40 Bewohner vergnügten sich königlich zusammen mit den Ehrenamtlichen, andere standen draußen auf dem Gang, sahen zu und freuten sich genauso. Um Mitternacht wurde mit Saft angestoßen, mehr nicht, es gab überhaupt kein Bedürfnis, Feuerwerk anzuschauen, denn man wollte ja weiter spielen. "Die hätten am liebsten die ganze Nacht durchgemacht", erzählt Evelin Schuster und lacht glücklich. Das war jedenfalls ein Erlebnis, das auch sie nicht missen möchte. Es habe gut getan, die Menschen einfach einmal von der Dramatik ihrer Erlebnisse ablenken zu können.
Sie hat aus dieser Erfahrung gelernt und auch für den heutigen Nachmittag eine große Tüte mit Spielen mitgebracht. Noch steht die Tüte in der Ecke, denn erst sind das gemeinsame Essen und Trinken und Reden wichtiger. Der Raum füllt sich schnell, an die 40 Bewohner drängen sich in den Raum, manche haben sich richtig schick gemacht für den Nachmittag.
Die Ehrenamtlichen haben sich Schilder mit ihren Vornamen an die Brust geheftet, damit es mit der Kommunikation noch besser funktioniert.
Evelin Schuster ergreift das Wort, erklärt den Sinn des Café Kontakts. "Wir wollen nichts dafür, keine Gegenleistung", betont sie auf Englisch. "Wir wollen nur, dass Sie Spaß haben."
Dann stellt sie die Ehrenamtlichen kurz vor. Einige der Besucher folgen dem Beispiel. Höflich stehen sie auf, nennen auf Englisch Namen und Herkunftsland, dann werden sie mutiger. Einige bringen erste Deutschkenntnisse an, formulieren Sätze wie "Mein Name ist..., ich komme aus..." Einer von ihnen, unzweifelhaft in Zentralafrika geboren, schießt den Vogel ab, als er fröhlich ausruft: "Ich bin ... und stamme aus - Baden-Baden!" Alles lacht.
Ein Bewohner, der offenbar im Haus eine Art Sprecherrolle übernommen hat, bittet um Gehör:
"Wir sind gesunde junge Menschen mit vielen Fertigkeiten", sagt er ernst. "Wir sind bereit, zu arbeiten und mit Ihnen zusammenzuleben. Und wir sind dankbar für das, was Sie für uns tun." Am liebsten würde man den Spieß auch einmal umkehren, und die Gastgeber als Dank einladen, wie es in Afrika Sitte sei, ergänzt er, und alle applaudieren.
Inzwischen sind die Kuchenplatten geleert, die Atmosphäre gleicht einem fröhlichen großen Familienfest. Babys werden von Schoß zu Schoß gereicht, es wird angeregt geplaudert, untereinander, miteinander. Zwischendurch wird wieder Tee gekocht, aber plötzlich ist der Teekocher weg.
Der, der ihn mitgebracht hat, nimmt es gelassen. Er blickt sich um, spricht eine junge Frau an, es gibt einen fröhlichen Wortwechsel mit viel Gelächter, dann läuft die Frau auf ihr Zimmer und bringt den Wasserkocher zurück. "Ein Missverständnis", klärt der Besitzer auf. "Ich habe ihr gezeigt, wie das Gerät funktioniert und habe gesagt: For you. Ich hatte natürlich 'for you all' gemeint, nicht 'for you alone'." Wieder lachen die beiden, dann wird die Produktion von Tee fortgesetzt.
Und endlich kommt Evelin Schusters Spieletüte zum Einsatz.
Aber nicht nur sie hatte die Idee. Kaum stehen die Zeichen auf Entertainment, holt auch eine Bewohnerin ein abgegriffenes Mensch-ärgere-dich-Brett aus ihrem Zimmer. Schnell finden sich drei Mitspielerinnen, als Würfelbecher dient ein sauberer Joghurtbecher - und los geht es. In einer anderen Ecke wird ein großes Strategiespiel ausgepackt, gleich daneben stecken zwei Besucher die Köpfe über einem Schachbrett zusammen.
Auf dem Gang fährt eine vielleicht Fünfjährige stolz mit einem "neuen" Kinderfahrrad auf und ab, eine junge Mutter hat einen Säugling von vier Monaten auf dem Arm, der in einem viel zu kleinen Jäckchen steckt. Eine der Ehrenamtlichen nimmt sie beiseite, fragt behutsam, ob vielleicht Kinderkleider gewünscht wären, sie hat ja selber drei Enkel in dem Alter. Die junge Mutter nickt dankbar. "Ja, passende Kleidung würde mich glücklich machen", sagt sie leise auf Englisch und strahlt. Die Ehrenamtliche ist erleichtert. "Man weiß ja nicht, ob man ihnen mit solchen Vorschlägen zu nahe tritt", erklärt sie. Jetzt ist sie aber froh, direkt helfen zu können.
Inzwischen ist ein neuer Besucher eingetroffen, Josef Hauk von der Stadt, zuständig für die Unterbringung und Belegung der Asylbewerber. Ja, er ist auch samstags im Einsatz, hat Wochenendbereitschaft und schaut einfach gern mal nach dem Rechten, sagt er. Er sorgt sich, dass die Kleiderfrage vielleicht falsch interpretiert werden könnte. "Schreiben Sie bitte, dass man bitte grundsätzlich keine Kleiderspenden direkt vor Ort abgeben möge", trägt er mir auf. Dafür gebe es die Kleiderkammern des Roten Kreuzes und den Diakonieladen. Nichts wäre fataler, als wenn Plastiksäcke mit unsortierter und womöglich abgetragener, unbrauchbarer Kleidung abgegeben würden.
Auch ein Trupp Sanitäter kommt im Laufe des Nachmittags noch vorbei. Jemand im Haus habe bei der Leitstelle angerufen, weil er sich seinen Fuß verletzt hat, heißt es. Aus dem Gemeinschaftsraum weiß niemand Bescheid, die beiden Rotkreuzler setzen aber mit einem von ihnen ihren Gang durch die Unterkunft fort und werden fündig. Irgendwie ist es beruhigend zu wissen: Die Unterkunft in der westlichen Industriestraße mag zwar abseits liegen, ihre Bewohner sind aber längst im Herzen der Stadt angekommen.
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Wie gestern das erste "Café Kontakt" in der Asylbewerberunterkunft im Vincentiushaus verlief, lesen Sie nächsten Sonntag. Hier schon einmal ein kleines Stimmungsbild: