Angela Ulrich
im "Alten Dampfbad"
Manchmal muss man auf sein Bauchgefühl hören. Es war purer Zufall, der mich an diesem wunderbar sonnigen, warmen Werktagnachmittag auf den Marktplatz hinaufgeführt hat. Einheimische finden ja nicht oft den Weg auf den Berg mit dieser riesigen leeren, toten Pflasterfläche. Die Stimmung war ruhig und heiter, und plötzlich stellt sich Urlaubsgefühl ein. Warum nicht wie die Touristen vor mir, ins Alte Dampfbad gehen? Die Ausstellungen dort sind doch immer wieder sehr sehenswert. Kostet nichts, schadet bestimmt auch nichts.
Während unten im Erdgeschoss gerade (noch bis Sonntag, 27. April) die Bühnenmaler ihre Handwerkskunst mit einigen eindrucksvollen, großformatigen Bildern zur Schau stellen, weisen an der Treppe Plakate den Weg zur "richtigen" Kunst im ersten Obergeschoss. (Nur so nebenbei: Für Außenstehende ist es manchmal nicht leicht zu erkennen, dass es sich in den beiden Stockwerken um vollkommen unterschiedliche Kunstkonzepte handelt. Darüber könnte man mal trefflich diskutieren.)
"Gehen Sie ruhig rauf, die Künstlerin ist gerade da", rät die nette Dame am Empfang.
Und tatsächlich, da steht sie. Angela Ulrich hat alles mitgebracht, was man als Maler so braucht: Unterlage zum Schonen des Bodens, Staffelei, Farben, Pinsel, Tücher, einen Tisch, auf dem die Farben gemischt werden und sogar ein Modell! Natürlich. Die Ausstellung heißt ja auch "gemalte Menschen".
Da steht sie nun inmitten ihrer eigenen großen Gemälde, die im Stockwerk der Gesellschaft für junge Kunst an den Wänden hängen. Vor ihr sitzt ein Herr aus Fleisch und Blut auf einem Klappstuhl. Sie betrachtet ihr Gegenüber ruhig, fast beiläufig. Sie hört seinem Geplauder zu, während ihr Pinsel über die Leinwand huscht und tupft und streicht, während sie geschickt immer wieder aus dem Pinselstrauß in ihrer Linken ein dickeres oder wieder ein dünneres Exemplar zieht, es hier und da in Farbkleckse auf dem Tisch taucht, die Farbe verstreicht, zusammenschiebt, vermischt, abstreift. Dann wieder ein kleiner Strich hier, neue Farbe, kleiner Tupfer dort. Schnell nimmt das Gesicht ihres Gegenübers auf der Leinwand Form an. Offenbar ist es keineswegs so, dass man in einem Maleratelier stocksteif stillsitzen müsste. Das ginge auch gar nicht; das heutige Modell, der Baden-Badener Augenarzt Dr. Hartmut König, nutzt die Zeit ja gerne, um mit der Künstlerin ins Gespräch zu kommen und Parallelen zwischen ihrem Lebensweg und dem seinen zu ziehen.
Leichthändig schwebt der Pinsel auf der Leinwand hierhin, dorthin, sticht zu, zuckt weg, streicht über eine Kontur, während das Gespräch in tiefere Gefilde vordringt.
War es einfach, den Weg als Malerin einzuschlagen? Wann hat sie sich dazu entschlossen, zu malen und dies und nichts anderes zu tun? Beschließt man so etwas überhaupt?
"Es hat sich entwickelt", erklärt die 60jährige Künstlerin aus Karlsruhe gelassen. Es war nicht sicher, was sie werden sollte nach dem Abitur. Sie hatte sich schon hier und da in der väterlichen Arztpraxis als Aushilfe etwas Geld verdient, den Numerus Clausus in Medizin hätte sie locker geschafft. Aber das war es nicht, was ihr Herz wollte. Die Berufsberaterin habe ihr nach dem Abitur zu guter Letzt zu etwas ähnlichem wie Forscherin für mexikanische Dialekte geraten, wenn es denn etwas Exotisches sein solle. Sie lacht, wenn sie daran denkt und fügt dankbar hinzu: "Man hat mir damals zum Glück keinen Druck gemacht, die Praxis vom Vater zu übernehmen." So ging sie erst einmal als Au Pair nach Rom, und dort "entwickelte" sich etwas. Dieses Etwas zog sie in Richtung Malerei. Sie besuchte eine Privatakademie vor Ort und setzte, zurück in Karlsruhe, an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste ein Studium in Kunst und Kunstgeschichte drauf, das sie mit Examina und einem Förderpreis der Akademie abschloss. Die üblichen Referendarjahre im Schuldienst schlossen sich an, sie war also gerüstet für einen evenutellen "Notfall", dann aber entschied sie sich, gänzlich als freie Malerin weiterzumachen.
Schon von ihren ersten abstrakten Gemälden zeigten sich die Galeristen begeistert. "Wie viele haben Sie davon", wurde sie gefragt. "Dreißig", sagte sie voller Stolz und musste lernen, dass es für einen Durchbruch zu wenig waren. "Malen Sie hundert davon, und Sie bekommen eine Ausstellung bei mir", sagte man ihr, denn: "Sie brauchen einen Stil!" - "Wie langweilig", dachte sie sich. "Ich will doch kein Markzenzeichen sein." Also orientierte sie sich um und wandte sich der Landschaftsmalerei zu, der sie fortan jahrelang frönte. Aber bald schon galt sie als "die Frau mit den Aquarellen" und wechselte erneut. Diesmal zu Öl und Acryl und hin zu den Menschen.
Zahlreiche Einzelausstellungen in Rastatt, Freiburg, Badenweiler, Bayreuth, Wilhelmshaven, Darmstadt und natürlich Karlsruhe zeugen davon, dass sich ein eigener Kopf auch in der Kunst sehr wohl durchsetzen kann.
Menschen malt sie nun also, große Portraits sind es zumeist, die die Räume im Alten Dampfbad füllen. Und es werden während der Ausstellung bis zum 18. Mai wohl noch mehr: Während dieser Zeit nimmt Angela Ulrich nämlich auch quasi Auftragsarbeiten der besonderen Art an: Wer will, kann sich über die Gesellschaft für junge Kunst mit ihr in Verbindung setzen und sich von ihr porträtieren lassen, entweder in ihrem Studio in Karlsruhe, oder, wie an diesem zufälligen Nachmittag, auch direkt vor den Augen des Publikums im Alten Dampfbad. Fünfhundert Euro kostet so ein Bildnis, ein bis zwei Stunden Geduld sollte man außerdem mitbringen. Allerdings gibt es so etwas wie eine Geld-zurück-Garantie: Gefällt einem im Anschluss an die Sitzung das Bild nicht, muss man es nicht kaufen. Für das heutige Modell ist dies aber keine Option. "Ich nehme das Bild auf jeden Fall", ruft Dr. König und setzt sich wieder erwartungsvoll in Positur.