Sonntag, 19. Oktober 2014

Axel Himer


Menschen in Baden-Baden, heute:

Axel Himer




Ich bin sehr dankbar, ihn gekannt zu haben. Hier mein Portrait über ihn - nun in memoriam:




Ein bisschen ist es wie im Märchen: Blauer Himmel, goldene Oktobersonne, ein paar Blätter segeln zu Boden, Laub raschelt, Stille. Vor mir, mitten in der Lichtentaler Allee, duckt sich unter dunklen Baumkronen ein kleines Hexenhäuschen, oder vielmehr das legendäre "Hirtenhäuschen". Mehr zur Historie des Fachwerkgebäudes auf Stadtwiki Baden-Baden => KLICK




Mittlerweile beherbergt das Haus ein Schuhmacher-Museum...




... und zwar "lebendiges Schuhmacher-Museum" und funktionierende Werkstatt mit gebrauchsfähigen alten Gerätschaften zugleich, wie mir der Hausherr Axel Himer mitteilt, als er mir Tür und Herz öffnet. Ich kenne Axel Himer schon länger, er hat mich vor Jahren einmal beim Schreiben des Baden-Baden-Krimis "Tod auf der Rennbahn" inspiriert. Damals - das war die Zeit des legendären Zunfthauses, in dem sich mehrere auf Luxus spezialisierte Handwerker zusammengeschlossen hatten. Was gab es da nicht alles zu bestaunen. Auf der Suche nach Beispielen für den exquisiten Lebensstil der Reichen und Schönen war die versteckte Adresse in der Merkurstraße ein Dorado für mich. Unvergessen, wie Axel Himer mir stolz einen wie pures Gold glänzenden riesigen Safe zeigte, in dem die Schubladen mit rotem Samt ausgelegt waren und sogar ein Fach vorhanden war, in dem Automatikarmbanduhren regelmäßig geschüttelt wurden. In der obersten Schublade lag damals ein spezielles Messer, das für meinen Krimi sofort eine zentrale Rolle, nämlich als Tatwaffe, spielte - samt dem dazugehörenden urigen Messermacher aus dem tiefen Schwarzwald.

Damals habe ich übrigens gelernt, wie ein Maßschuhmacher ganz direkt einen Krimi beeinflussen kann: Dieses Schuhpaar mit dem auffälligen Absatz (Foto unten) spielte in einem der legendären Bienzle-Tatorte eine Rolle, und auch Axel Himer und ich fantasierten eine Zeitlang über verräterische, sehr individuelle Schuhabdrücke in einem meiner nächsten Werke.




Krimi und Zunfthaus gehören inzwischen der Vergangenheit an, auch Axel Himer pendelt inzwischen zwischen Baden-Baden und Köln, aber seine Wurzeln und seinen Hauptwohnsitz hat er immer noch hier, im Herzen der Stadt, inmitten seiner Freunde und Bekannten, und ach, welcher Ur-Baden-Badener kennt ihn eigentlich nicht! Schließlich ist er hier geboren und hat einiges in der Stadt gewagt, selbst wenn es nicht immer gut ausgegangen ist. Auch darüber wollen wir heute sprechen.

Schnell streicht er noch einen Leimpinsel ab, dann ist er ganz für mich da. Und nein, sein Blick fällt nicht nach unten, auf meine extra frisch geputzten, aber ausgetretenen Schuhe "von der Stange". Warum auch? Wo ich hingucke, sehe ich nur Herrenschuhe. Maßschuhe sind offenbar Männersache.






Er selbst trägt sie selbstverständlich auch, am liebsten aus Velour (Foto unten). In der Regel sind es Versuchsanfertigungen seiner Töchter, die hinsichtlich der Materialien lieber an den Füßen des Vaters herumexperimentieren als an denen der feinen Kunden. In der Familie Himer jedenfalls gilt das Sprichwort "Die Kinder des Schusters haben die schlechtesten Schuhe" ganz sicher nicht. Auch die geliebte Enkelin Stella macht gerade ihre ersten Schritte in handgefertigten Maßschuhen.



Leben


Wie wird jemand, der aus kleinen Verhältnissen stammt, ein international gefeierter Maßschuhmacher?

Axel Himer holt tief Luft, und ich komme die nächsten zwei Stunden mit dem Mitschreiben kaum nach.

Man hört ihm seine Wurzeln nicht an, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man nachfragt. "Ich habe einen kleinen Sprachfehler", gesteht Axel Himer grinsend: "Ich kann kein Badisch." Überhaupt hat ihn das wechselvolle Leben in seiner Jugend sehr geprägt. Vom dritten bis zum 15. Lebensjahr verbrachte er seine Kindheit überwiegend im Rheinland, in Kölner Raum genauer gesagt. Zwölf Umzüge prägten ihn schon als Kind, zwangen ihn dazu, bei neuen Bekanntschaften genau und schnell hinzuschauen und sich ein Bild vom Gegenüber zu machen, sich in den anderen intuitiv einzufühlen. Eine Eigenschaft, die ihm heute, wo es auf viel Fingerspitzengefühl ankommt, sehr zugute kommt.




Seit seinem zwölften Lebensjahr war er nur von einem einzigen Gedanken beseelt: Er wollte  selbständig sein. Eine Schreinerlehre brach er deshalb nach rund einem Jahr ab, weil er erkannte, dass er für dieses Handwerk teure Maschinen brauchen würde, die er sich wohl nie würde leisten können. Ähnlich erging es ihm als Kfz-Lehrling, als er den ersten Diagnose-Stecker in Händen hielt und erfasste, in welche Richtung sich dieser Beruf verändern würde.

Dennoch führte ihn eben diese Lehre über Umwege zum Ziel: Mit Leidenschaft nämlich restaurierte er in der Freizeit Oldtimer, bevorzugt Modelle der Marke Jaguar. Das brachte ihn mit 18 Jahren natürlich ins Mutterland der Marke, England, wo sich sofort ein erster Stachel in seinem Herzen verhakte, als er nämlich die Verkaufsräume und Werkstatt der dort ansässigen, traditionell über viele Generationen tätigen Maßschuhmacher betrat. Da war es um ihn geschehen; er hatte seine Bestimmung gefunden.




Das Schicksal trug sein übrigens dazu bei, als nämlich eine Knieverletzung den sportlichen Jungen zu einem Berufswechsel zwang. Der Zufall verschlug Axel Himer zurück nach Köln, wo er - damals für ein ganzes Jahr an Krücken gefesselt - umschulte und zusammen mit Behinderten eine Orthopädielehre "wie vor hundert Jahren" begann. Spätestens hier wurde ihm klar, dass er endlich im richtigen Beruf gelandet war - nur noch nicht am richtigen Ort. Die Wissbegier zerrte an ihm, ließ ihn immer wieder - mit dem Segen seiner Ausbilder - die Lehrstelle wechseln. Nach drei Jahren hielt er den Gesellenbrief in Händen und machte sich in einer uralten Schuhmacherei in Lichtental selbständig - sehr zum Missfallen der Obrigkeit, denn damals herrschte noch der Zwang zum Meisterbrief. Ein endloser Kampf gegen Windmühlen und missgünstige Berufskollegen schloss sich an.




Axel Himer ließ sich nicht unterkriegen, hatte er doch mittlerweile geheiratet und Frau und zwei Kinder zu versorgen. Das nahm er ernst. Er arbeitete in seiner Werkstatt und nebenher als Designer für Schuhfabriken und Vertriebsorganisationen in Holland und Portugal, bis ihm eines Tages die Querelen mit der Handwerkskammer zu viel wurden und er einen Meisterkurs im fernen Stuttgart belegte. "Zeit hatte ich nicht dafür", gesteht er. "Ich musste ja Schuhe bauen." Immerhin schaffte er den praktischen Teil der Prüfung mit Bravour, nur mit der ungeliebten Betriebswirtschaft wollte es nicht so richtig klappen. Warum auch, fragt er sich im Nachhinein. Seit 2004 ist der alte Zopf der Meisterpflicht ohnehin abgeschnitten, und alles, was Zahlen anbelangt, hat schon immer der Steuerberater erledigt.

Liebe

Was treibt ihn an?

"Wenn jemand Leidenschaft und Liebe für etwas hat, dann macht er das einfach!", sagt er schlicht. "Für mich ist Schuhmacher der schönste Beruf auf der Welt."

Warum?

"Weil ich aus nichts - nur mit einem Stück Leder - ein fertiges Produkt nach meinen Vorstellungen und nach den Wünschen meines Kunden herstellen kann." Die Kreativität ist es, die ihn fasziniert - und am Ende "dieses Gefühl, wenn alles geklappt hat, wenn du den Dank im Gesicht des Kunden und das Geld in der Kasse siehst..." Axel Himer lacht verschmitzt. "Schon wenn ich mit einem Schuh anfange, kann ich es eigentlich nie erwarten, bis er fertig ist."

Er nimmt sich Zeit für seine Kundschaft, die mittlerweile aus der ganzen Welt zu ihm kommt. Das erste Gespräch dient dem Kennenlernen, dem Ausprobieren, dem Abtasten, ob die "Chemie" stimmt. "Ich sitze 22 bis 23 Stunden an einem Schuh, ohne Trockenzeiten - das machst du nur gerne, wenn du deinen Kunden magst. Wenn nicht, wird es zur unglaublich mühsamen Qual."




Bis zu drei Stunden kann so eine erste Kontaktaufnahme dauern, da wird auch schon mal zusammen gekocht und gemütlich in der Küche gesessen. Der Kunde ist bei ihm kein König ("Wo wäre ich denn da?"), sondern hier wird auf Augenhöhe geredet und verhandelt. Wenn alles stimmt, wird Maß genommen, dann werden mehrere Probeschuhe gefertigt, damit später auch wirklich auch alles passt. Wenn man sich anhört, auf was geachtet wird, wie ein Kunde zum Beispiel ein Probeexemplar 15 Stunden einlaufen muss, damit anhand der Abdrücke das Fußbett geformt und das Leder angepasst werden kann, dann fragt man sich:

Was ist der Unterschied zu orthopädischen Schuhen?

Na ja, erst mal das Aussehen. Das Orthopädiehandwerk war seit Urzeiten eine Männerdomäne, wurde mit der bewährten klobigen Form, bei der der Schuh stets etwas größer als der Fuß ist, damit nichts drückt, vom Vater auf den Sohn vererbt. Raum für Innovation gab es kaum, in der Regel waren die Söhne auch schon im fortgeschrittenen Alter, ehe die Väter sie endlich "machen" ließen. Maßschuhmacher hingegen tasten sich vom zarten Punkt des Fast-Drückens her an die Form des Fußes heran. Der Kunde spürt schon längst kein Drücken mehr, da sieht der Fachmann immer noch den einen Hauch, den es zu verbessern gilt.




Bei Material, Form und Farbe schöpft er dann aus dem Vollen. "Ich verarbeite jedes Leder - außer Schlange", verrät Axel Himer. Warum keine Schlange? "Die werden bei lebendigem Leib gehäutet, das kann ich nicht unterstützen." Sorgen bereitet der Branche inzwischen, dass die Preise für gutes Leder explodieren. Schuld daran, so sieht Axel Himer es, sind Auto- und Möbelindustrie. "Jeder Kleinwagen wird inzwischen mit Leder ausgeschlagen, und aus dem Leder für ein Sofa könnte ich hundert Schuhe machen", gibt er zu bedenken.





Ein Luxusartikel also. Wer sind seine Kunden? Aufschneider, Protze, Möchtegerns?

Mitnichten! "Meine Kunden sind eher zurückhaltend." Man sieht es einem Schuh ja nicht an, dass er maßgefertigt ist, deshalb kommen hauptsächlich die stillen Genießer - oder Leute mit Fußproblemen, die keine "orthopädischen Schuhe" tragen wollen - obwohl Axel Himer nichts anderes als orthopädische Schuhe macht - nur eben stilvoller. 3300 Euro kostet das erste Paar Schuhe bei ihm, ab dem zweiten wird es etwas preiswerter. Wer leistet sich das? Die Palette reicht von Arnold Schwarzenegger über Bentley-Rennfahrerschuhe bis zum Schuh für den normalen Finanzbeamten oder Lehrer, den die Kollegen auch schon mal schief angesehen haben wegen seiner Schuhe - bis er ihnen erklärte, dass er dafür eben an anderer Stelle spart und sich nicht alle paar Jahre ein neues Auto leistet.

Leiden(-schaft)


Woher kommen seine Kunden? Aus Baden-Baden? Wohnt und arbeitet er deswegen neben Köln  auch regelmäßig hier im kleinen Hirtenhäuschen?

Axel Himer verzieht das Gesicht. Wir sind an einem Kernpunkt angelangt: Die Stadt ist für exklusives Handwerk zu klein, hat er schmerzlich festgestellt. So kommen seine Kunden heute aus aller Welt, aus Hamburg, New York, Osaka und Tokio, und der Großraum Köln hat sich mittlerweile als gute Standortwahl entpuppt. Aber bis es soweit war, war es ein hartes Stück Arbeit. Der 49jährige  weiß, wovon er spricht. Ein Schuhgeschäft in der Baden-Badener Fußgängerzone endete im Desaster. Er musste lernen, dass es zwar einige wenige Kunden in der Stadt gibt, diese aber nicht jede Woche neue Maß-Schuhe kaufen. Die gehen ja auch nicht so schnell kaputt wie Exemplare von der Stange.




So schwenkte er bald um und begann, sein Verkaufstalent zu pflegen. Ausgangspunkt und Standbein war für ihn ab 1994 das stadteigene, mehr als 200 Jahre alte Hirtenhäuschen, in dem zuvor ein Goldschmied gearbeitet hatte. Als Axel Himer erfuhr, dass das Häuschen neu vermietet werden sollte, stellte er sein Konzept mit Werkstatt und Museum dem Stadtrat vor und erhielt auf einstimmigen Beschluss einen Mietvertrag, der regelmäßig verlängert wird. Er liebt das kleine Fachwerkhaus, auch wenn seine Kundschaft bei 1,90 Metern Deckenhöhe den Kopf einziehen muss und er beständig heizen muss, um die Feuchtigkeit aus den Mauern abzuhalten.




Auch nach Kapitulation mit dem eigenen Geschäft in der Fußgängerzone brodelte es weiter in ihm, der Gedanke eines Zunfthauses gewann Kontur: Mehrere exklusive Handwerker sollten sich in einem Haus zusammenschließen, sich vernetzen und gegenseitig ihre Kunden austauschen - das war die Idee. "In einer anderen, größeren Stadt hätte das funktioniert", schätzt Himer, im kleinen Baden-Baden aber klappte es nicht. Schuldzuweisungen wird man aus seinem Mund nicht hören, er klopft sich auch an die eigene Brust. Wer nämlich ihn zum Freund hat, der trifft auf ein weiches, goldenes Herz. Und wenn es mal für einen schlecht lief, dann wurden auch schon mal die Mietzahlungen gestundet. 2009, sechs Jahre nach Gründung, hatten die Mietschulden überhand genommen, und er musste den Schlüssel umdrehen und das Licht ausschalten.

Wehmut?

Ganz im Gegenteil! Es war wie eine Befreiung. "Ich habe ständig herumgewirbelt, um neue Kunden hauptsächlich für die anderen Mieter im Zunfthaus zu akquirieren, und in dieser Zeit habe ich mein eigenes Geschäft vernachlässigt." Es sei "eine tolle Zeit gewesen", aber mit viel Stress und Rennerei verbunden. Jetzt ist er glücklich, denn "jetzt kann ich mich wieder auf das konzentrieren, was meine Leidenschaft ist: Schuhe machen." Reichtümer hat er ohnehin nie anhäufen wollen, er braucht nicht viel zum Leben - außer seiner Leidenschaft. Im Augenblick werkelt er, wie es seine Art ist, an einer neuen fantastischen Idee herum: Maßgeschneiderte, auf der Welt einzigartige Skistiefel aus Kohlefasern.
 



Seine Töchter Kim und Nicola haben sich von seiner Begeisterung anstecken lassen. Sie sind beruflich in seine Fußstapfen getreten und haben in der Zwischenzeit einen Maßschuh-Laden in Köln aufgebaut, in dem er mitarbeitet. Außerdem ist er, mit Titeln rund um den Schuh natürlich, unter die Buchautoren gegangen und macht das, was ihn ausfüllt und glücklich macht: Maßschuhe. Genügsam, sagt er, sei er ja schon immer gewesen. Und eines habe er aus allem gelernt: "Schuster bleib bei deinen Leisten." Leise sagt er das, und er lacht ein bisschen dabei. "Man muss immer einmal mehr aufstehen als man hinfällt." Und: "Jetzt ist alles gut."




Hier ein Video über sein Geschäft, besser den Schuhtempel, in Köln und - wie ein handgemachter Schuh entsteht! Sehr sehenswert! => KLICK





Hier ein Video des ZDF über die Werkstatt von Vater und Töchtern in Köln => KLICK (oder aufs unten stehende Foto klicken)




Ein Video von "Hin und Weg" über Axel Himer =>  KLICK





Die FAZ über Axel Himer und das damalige Zunfthaus in Baden-Baden => KLICK

"Die Stimme" über das damalige Zunfthaus Baden-Baden => KLICK

Das Schuhmacher-Museum auf bad-bad.de => KLICK

Axel Himer empfiehlt seine Lieblingsorte in Baden-Baden => KLICK

Hier geht es zur Website des Museums => KLICK
und zur Schuhmacherfirma in Köln => KLICK



Mehr über Menschen in Baden-Baden lesen Sie hier => KLICK

Sonntag, 12. Oktober 2014

Christina Horn




Menschen in Baden-Baden, heute:

Christina Horn




Berufswunsch: Orgelbauerin - vorläufige Endstation: Schwarzwald-Bazar. Ein unüberwindlicher Spagat? Mitnichten. Es ist einfach nur der folgerichtige Lebensweg von einer, die auszog, die Welt zu erobern: Christina Horn.

Seit Januar 2013 steht die freundliche 49jährige hinter der uralten Verkaufstheke des Ladens, der über dem Eingang stolz sein Gründungsjahr trägt:




76 Jahre war der Schwarzwald-Bazar zuletzt über drei Generationen in einer Familienhand, bevor sich Lothar Schindler mit seiner Mutter, die praktisch im Laden groß geworden ist, zur Ruhe setzte. Es gab keinen Nachfolger, und eigentlich hatte sich Familie Schindler schon damit abgefunden, Anfang 2013 den Schlüssel herumzudrehen.

Wenn da nicht die Nachbarin aus dem dritten Stock gewesen wäre, Christina Horn. "Oh Gott, Baden-Baden ohne Schwarzwald-Bazar? Das geht ja gar nicht!", dachte sich die tatkräftige blonde Westfälin, besprach sie sich kurz mit ihrem Mann und stieg kurzerhand in das Geschäft mit den Kuckucksuhren, Legoschachteln, Steiff-Tieren und Erzgebirgsfiguren ein.

Vorgezeichnet war dieser Schritt für sie nicht, hatte sie in ihrem Leben doch stets ganz andere Pläne geschmiedet und diese wiederum ganz anders umgesetzt, als es zunächst ihr Ziel gewesen war. Aber der Reihe nach.

Orgelbauerin - das war also ihr Berufswunsch gewesen, seit sie als Schülerin in Minden/Westfalen in der Jugendkantorei erst Klavier gelernt hatte, dann aber auf die Orgel umgestiegen war, "weil da gerade jemand gebraucht wurde". Und schon stand für die Schülerin fest, dass sie diese majestätischen Instrumente einmal selbst bauen und in aller Welt aufstellen und warten wollte.

Aber nach dem Abitur damals, Ende der 80er Jahre, galt der Orgelbau als reine Männerdomäne. Ein Infiltrieren war unmöglich, alle Bewerbungsversuche verliefen im Sande.

Zum Thema Orgelbau hier ein Video vom BR - natürlich aus einem Männerbetrieb! => KLICK




Also ging Christina Horn nach Würzburg und studierte dort - neben Romanistik und Kunstgeschichte ... Musik. Eine falsche Entscheidung, wie man ihr anmerkt, als die Rede darauf kommt und sie sich an den Hals greift, als bekäme sie gleich keine Luft mehr. Strawinski war für die Professoren dort schon das neumodischste aller Gefühle gewesen, japst sie. "Wir mussten uns mit Gregorianik und so was beschäftigen". Immerhin zwei Jahre hielt sie durch, dann brach sie ab und sattelte ins Hotelfach um.

Hotelfach? War das nicht ein kolossaler Bruch mit allen Neigungen? Nicht unbedingt. "Orgeln werden exportiert, sie müssen aufgebaut und gewartet werden - in Asien, Afrika, Südamerika..." Christina Horns Augen glitzern verräterisch, und man ahnt sofort, weshalb es also die Steigenberger Hotelfachschule sein musste: Das Fernweh wollte gelindert werden. Schon nach einem Jahr ging sie daher folgerichtig als Trainee nach England, arbeitete in einem kleinen Landhotel, dann in einem Familienhotel in London direkt am Buckingham Palast, in jenem Hotel, in dem Kate Middelton mit ihrer Familie vor ihrer Hochzeit übernachtete.

Nach dem Glamour der Großstadt das Kontrastprogramm: Die Bühlerhöhe war die nächste Station. Erst Rezeption, dann Bankettbüro. Die Hochzeit von Boris Becker - ein Meilenstein in ihrem Erfahrungsschatz.

Und es zog die junge Frau weiter, zu Höherem: Hotelmanagement wäre nicht schlecht, dachte sie sich und begann 1995 in Heilbronn das Studium der Touristik-Betriebswirtschaft. Mittlerweile hatte sie ihren Mann kennengelernt, und dessen ungewöhnliche Reisevorliebe gab die nächsten Schritte vor: Diplomarbeit über Frachtschiffreisen und danach - das nun wiederum folgerichtig - der Schritt in die Selbständigkeit in eben diesem Segment: Ihre neu gegründete Firma "Internaves" vermittelte Passagen auf Frachtschiffen.

Heute nennt sie diesen Schritt "ziemlich blauäugig". Aber es ging gut. 2001 zog die Familie samt Firma nach Baden-Baden, der Standort war sowieso Nebensache, denn das Geschäft spielte sich natürlich hauptsächlich online ab.

Hier ein Video über eine Frachtschiffreise: => KLICK



Das Berufsleben wurde bunt: Einem Kunden, der mit dem Fahrrad von China nach Australien wollte, verhalf sie zur benötigten See-Passage, dann "verfachtete" sie eine ganze Gruppe mit sechs Wohnmobilen und zwölf Passagieren von Hamburg nach Buenos Aires, von wo aus die Kunden im Konvoi die Panamericana bis nach Alaska hochfuhren.

In 90 Tagen um die Welt? Für Christina Horn kein Problem. Auch sie selbst war bald von dieser Art zu reisen angesteckt. "Von La Spezia durch den Suez-Kanal nach Singapur", erinnert sie sich an ihren ersten Trip. Ein Containerschiff sei das gewesen, niemand wusste, was die Container beinhalteten, nicht mal der Kapitän war informiert (nur Gefahrgüter müssen deklariert werden). "Wenn es stinkt, ist es im besten Fall gegerbtes Leder", war die Devise, wie sie sich schmunzelnd erinnert.

Gemütliche Kreuzfahrtromantik gibt es natürlich nicht auf Frachtschiffen, im Gegenteil, es ist eine ganz andere Art zu Reisen. "Da bekommt man hautnah mit, wie die Menschen an Bord leben und arbeiten." Man müsse schon Ruhe, Natur, Meer und Himmel mögen, und dennoch sei es nicht unbedingt eine Atmosphäre, um, wie ein Passagier es einmal vorgehabt hatte, seine Doktorarbeit zu überarbeiten. "Das wird nichts", hatte sie den Mann gleich gewarnt und Recht behalten.

Man merkt, mit welchem Herzblut sie dabei gewesen ist. Sogar in ein Buch hatte sie es damals geschafft.









"Christina Horn hat die Welt im Rücken", wurde damals getitelt. Sie hat das Buch unter der Ladentheke liegen. Es wird heute noch aufgelegt, aber ihr Foto ist inzwischen ausgetauscht, denn 2008 wurde auch sie mit ihrer Firma ein Opfer der Wirtschaftskrise: Mit einem Schlag lagen hunderte Handelsschiffe ohne Aufträge auf den Weltmeeren, Routen wurden verändert oder verschwanden ganz, es gab einfach keine Stabilität mehr. Immer mehr rutschte ihr Geschäft vom Buchen ins Umbuchen, Absagen, Improvisieren. "Ich konnte den Passagieren nicht mehr vermitteln, dass es keine schönen Reisen von A nach B zu festgelegten Terminen mehr gab."

Verschwunden ist ihre Firma jedoch nicht sang- und klanglos, ein ehemaliger Kollege führt sie heute weiter. Christiane Horn empfiehlt, sich mit einem Klick einen Einblick zu verschaffen, auf was man sich einlassen könnte. "Das Personal auf Frachtschiffen hat durchaus auch mal einen Swimmingpool an Bord, den man gern mit den Passagieren teilt". Kreuzfahrtflair einmal anders herum.

Aber zurück nach Baden-Baden und den Sorgen des Schwarzwald-Bazars. Schon der Fußabtreter im Eingangsbereich ist Geschichte! Das Logo nämlich hat in den 30er Jahren ein Abkömmling einer großen Spielwarenfabrik eigens für die damaligen Bazar-Besitzer, die Großeltern der Schindlers, entworfen.



Ein ganzes Jahr vor der Übernahme verbrachte Christina Horn jede freie Minute an Lothar Schindlers Seite, arbeitete sich in die ungewohnte Materie ein, ließ sich den Lieferanten vorstellen und in die Geheimnisse des Souvenir-Geschäfts einweihen.



Verändert hat sie seit 2013 nicht viel am Sortiment - warum auch. Lego und Playmobil laufen von selbst; auch wenn sie an eben diesen Produkten nichts verdient, so bringt es ihr doch die junge einheimische Kundschaft ins Haus. Puzzles und Spiele ergänzen das Spielwaren-Sortiment. Die auffälligen "Sylvanians" indes sind neu, und entzücken vor allem die Laufkundschaft aus dem fernen Japan, woher sie stammen.



Und dann sind da natürlich die Kuckucksuhren, die von einem Traditionsbetrieb (fünfte Generation) aus dem Schwarzwald geliefert werden, und zwar vom Inhaber höchstpersönlich!




Einen ganz besonderen Platz haben die hochwertigen Holzfigürchen aus dem Erzgebirge, für die der Schwarzwald-Bazar "autorisierter Händler" ist. Ich gebe zu, nicht viel davon zu verstehen, aber schon stolpert eine ältere Kundin in den Laden. "Ach, Sie haben ja meine Engelchen mit den elf Punkten", ruft sie erfreut, und schon befinden sich die beiden in einem angeregten, nostalgischen Fachgespräch über die neuesten Modelle aus dem Hause Wendt & Kühn. Winterkinder sind dieses Jahr neu, erfahre ich mit gespitzten Ohren, aber die Kundin winkt ab. Sie sammele nur Musikanten.

Und ich erfahre, dass diese auch Christina Horns Lieblinge seit der Kindheit sind. Seit nämlich bei der Familie ihrer Freundin eines dieser kleinen Holzengelchen Einzug hielt, das - ausgerechnet - an einer Orgel saß. Es hatte sofort seinen Spitznamen "Chrissie an der Orgel" - und eine lebenslange Gönnerin. "Der ist ja schon wieder ausverkauft", stellt meine Gesprächspartnerin mit kurzem Blick fest. "Den muss ich unbedingt gleich nachbestellen."




Ein Wort zu den Kunden. Wer findet den Weg in dieses nostalgische Ambiente? Ich mache es mir einfach und tippe auf Russen und Chinesen - und liege falsch. Viele ältere Einheimische sind das,  "manche kommen schon immer hierher, die haben hier schon ihren ersten Teddy gekauft." Aber auch viele junge Baden-Badener stöbern in den vollgestopften Regalen, im Sommer natürlich auch die Touristen."Manche Urlauber kommen jeden Tag und verabschieden sich am Ende ihres Aufenthalts mit Handschlag." Und manche bringen ihr sogar selber Geschenke mit, zum Beispiel kleine Magnete oder Bonbons aus dem Ural.

Christina Horn liebt ihre Kunden, das merkt man. "Am schönsten ist, wenn sie finden, was sie suchten und den Laden dann zufrieden und glücklich verlassen."





Aber umgekehrt plagen sie auch düstere Gedanken: Das Internet sorgt gerade in den kleinen inhabergeführten Läden allüberall für Probleme. "Man sollte seine eigenen Verkaufsgewohnheiten überdenken", meint sie selbstkritisch. Auch sie habe früher oft online bestellt. "Das lasse ich inzwischen". Warum? "Weil es sonst eines Tages unsere kleinen Läden nicht mehr geben wird. Wir können nicht nur einen Monat im Jahr normal verkaufen und die restlichen elf Monate alles unter dem Einkaufspreis anbieten."



Und ich lerne, dass hinter dieser spielerischen Fassade viel aufwendige Büroarbeit steckt. "Ich bin nicht so ein alter Hase", gibt Christina Horn freimütig zu. "Ich brauche viel Zeit für den Schreibkram." Manchmal kommt Lothar Schindler noch vorbei und fragt, ob alles so läuft, wie sie es sich wünscht. Das kann sie ihm dann von ganzem Herzen bestätigen.

Hobbys? Sie schüttelt den Kopf. "Das ist nicht drin."

Aber da ist ja noch Gea, die gern vorwitzig ihren Kopf aus dem Vorhang zum Hinterzimmer streckt.



Gea ist ein "Pon", ein polnischer Hütehund. Wie er in die Familie Horn kam, ist wieder so eine typische Geschichte: Christina Horns Eltern passten einmal auf einen solchen Hund auf, und ihre aufgeschlossene Tochter wollte eigentlich "nur mal so" im Internet nach dieser seltenen Rasse recherchieren. Ehe sie sich's versah, war sie auf der Seite eines Züchters gelandet, der eine damals dreieinhalbjährige Hündin verkaufen wollte, weil sie sich nicht im Rudel vertrug. Elektrisiert schickte Christina Horn den Link per Email an ihren Mannes, und der antwortete postwendend, sie sollte sofort nachfragen, ob Gea noch zu haben war. Und am Wochenende war das Ehepaar schon unterwegs nach Thüringen, um das neue Familienmitglied in Empfang zu nehmen.

Diesen Link zur Hunderasse Pon sollten Hundeliebhaber daher lieber nicht öffnen => KLICK

Inzwischen ist Gea mit ihren 15 Jahren eine betagte, schwerhörige Hundedame, die Christina Horn dazu zwingt, regelmäßige Ausflüge an den Rhein zu machen, wo das Tier aber oft schon nach 200 Metern nicht mehr weiterkann und dann in einen altmodischen Bollerwagen gesetzt wird, damit das Frauchen wenigstens noch ein paar Schritte weitergehen und sich den Wind um die Nase wehen lassen kann, ehe es wieder zurück hinter die wunderschöne alten Ladentheke im Herzen Baden-Badens geht.
 






Hier geht es zur Website des Schwarzwald-Bazars => KLICK


Hier gibt es weitere Geschichte über Menschen in Baden-Baden => KLICK














Mittwoch, 8. Oktober 2014

Thermalwasser



Bürokratie-Burleske führt zur

Thermalwasser-Tragödie





Was fällt einem zu Baden-Baden ein? Richtig! Das Wasser. Genauer gesagt unser seit tausenden Jahren sprundelndes wertvolles Thermalwasser, das schon die alten Römer dazu bewogen hat, sich an der Oos niederzulassen und die Stadt "Aquae" zu gründen.

Laut offizieller Information der Stadt befinden sich in Baden-Baden zwölf unterschiedliche natrium-chlorid-haltige Einzelquellen, die artesisch aus 1.200 - 1.800 m Tiefe - durch den Druck der Erdmassen - mit einer Temperatur zwischen 56°C - 68,8°C an die Oberfläche gelangen. Damit ist sie die heißeste und mineralreichste Quelle in ganz Baden-Württemberg. Die Quellen sind etwa 12.000 - 17.000 Jahre alt und schütten täglich ca. 800.000 l Thermalwasser aus. => KLICK




Lesen dazu auch einen Beitrag von bad-bad.de => KLICK

Auch die offizielle Seite der Stadt wirbt mit dem kostbaren Gut => KLICK

Baden kann man auch tatsächlich weiterhin ungestört in Baden-Baden. Die Thermalbäder Friedrichsbad => KLICK und Caracalla-Therme => KLICK erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit international und werden ungehindert von den Quellen gespeist.

Aber was für ein jämmerliches Bild bietet sich den tausenden Touristen, die unser Stadt bevölkern und auch einmal von der Quelle kosten wollen!








Denn: Keine Brünnlein fließen in Baden-Baden! Und das schon seit eineinhalb Jahren. Nicht etwa, wie hier auf den Zetteln behauptet, weil dringende Reparaturarbeiten angefallen wären. Nein, aus rein bürokratischen Gründen.




Was ist passiert?

Tausende Jahre ging alles gut, man ließ sich, mehr äußerlich als innerlich angewandt, vom Heilwasser heilen. Hier eine Information in der Trinkhalle, die ihren Namen zurzeit ja leider nicht verdient.




Dann nahm das Verhängnis irgendwann seinen Lauf: Die Quellen, sprich Bäder, gingen von der Stadt in die Verantwortung der Carasana-Gesellschaft über. Nichts Schlimmes. Nur versäumte man damals offenbar (wenn ich das richtig verstanden habe), eine juristische Spitzfindigkeit, nämlich die alten Rechte auf die neuen Betreiber umzuschreiben. Wenn nun aber ein NEUER Betreiber da war, galten auch die NEUEN rechtlichen Bestimmungen zum Betrieb von Thermal/Heilwasser. Und plötzlich fiel es - sehr vereinfacht ausgedrückt - einem Bürokraten auf: Wenn das Thermalwasser Heilwasser ist, dann muss es rein rechtlich nach dem heutigen Arzneimittelgesetz behandelt werden. Laut Wikipedia bedeutet dies: 


Ausführliche Informationen dazu auf Wikipedia hier => KLICK

und von der Gesellschaft für Ernährung => KLICK

Leider kam es den neuen Betreibern, der Bäder- und Kurverwaltung in Stuttgart, offenbar nicht in den Sinn, das Wasser weiter - unbeanstandet - wie eh und je als Thermalwasser laufen zu lassen. Wenn es Vorschriften für Heilwasser gibt, müssten diese befolgt werden, hieß es im November 2013 vom zuständigen Mann aus Stuttgart zur Begründung. Also musste das Wasser analysiert werden. Und siehe da: man fand Spuren von Arsen im Wasser.

Das muss raus, befanden die Bürokraten. Sonst ist das kein Heilwasser.

Und der Mann in Stuttgart fackelte nicht lange. Anstatt wenigstens zu versuchen, eine Ausnahmegenehmigung für die tausende von Jahren alten und heilenden Quellen zu erwirken, ließ er alle Quellen zusammenführen und - aus Landesmitteln - für rund eine Million Euro eine Entarsenierungsanlage einbauen, die das Wasser für die Brunnen (nicht für die Bäder) vom Arsen befreien sollte. Dafür musste übrigens auch die Temperatur des Brunnenwassers herabgesetzt werden.

Nun ist seit eineinhalb Jahren alles fertig, das Wasser vom Arsen befreit, also laut Carasana-Geschäftsführer Jürgen Kannewischer inzwischen "in jeder Hinsicht einwandfrei", wie auch das Badische Tagblatt in seiner Ausgabe vom 4. Oktber 2014 schreibt. Aber die Brunnen müssen trotzdem abgestellt bleiben, bis das zuständige Regierungspräsidium in Tübingen der Carasana GmbH "eine arzneimittelrechtliche Herstellungserlaubnis" erteilt hat.

Tja, und da liegt die Sache jetzt und liegt und liegt. Und die Brünnlein sind derweil abgestellt.

Wäre es nicht einfacher gewesen, sie mit einem Schild "kein Trinkwasser" zu versehen? So wie hier  in der Trinkhalle:


Selbst die alteingesessenen Badeärzte der Stadt haben nur Kopfschütteln für den Vorgang übrig. Sehen Sie dazu auch einen  Bericht von goodnews4 über eine sehr unbefriedigende "Bürgerinformation" zu dem Thema im November 2013  =>  KLICK

Auf meinem Blog habe ich mich im April 2014 mit dem Thema beschäftigt => KLICK

Nun legt FDP-Stadtrat Rolf Pilarski nach. Hier sein Statement auf goodnews4 => KLICK

Und weiterhin herrscht Schweigen in Stuttgart und Tübingen und Dürre in unseren Brunnen.

Sonntag, 5. Oktober 2014

Altes Dampfbad (2)



Maderthaner-Ausstellung im "Alten Dampfbad"

Juwel im Verborgenen




Es blutet mir immer wieder das Herz, wenn ich oben auf unserem schönen, totenstillen Marktplatz stehe und mich umsehe. Versprengte Touristen kommen durch die mittelalterlichen, viel zu ruhigen Gässchen von der Fußgängerzone hinaufgeklettert, bleiben stehen, sehen sich ratlos in der Leere um. Manche besichtigen dann die Stiftskirche, fotografieren die Vasen auf Stelzen beim Alten Dampfbad und drehen mit irgendwie unbefriedigter Miene wieder ab.

Als vor zwei Wochen die Staatliche Kunsthalle das Balkanfestival auf dem Marktplatz feierte, sah es zwar besser aus.





Aber nun versinkt wieder alles im Dornröschenschlaf. Was besonders schade ist, weil kaum jemand von unserem schönen Kleinod, dem Alten Dampfbad, Notiz nimmt. Oder vielmehr von der wunderbaren Ausstellung "Out of the Flat", die man dort noch bis 9. November besichtigen kann.




Wüsste ich als kunstinteressierte Baden-Badenerin nicht, dass hier zurzeit die Wiener Künstlerin Franziska Maderthaner ausstellt - ich würde den Eingang auch nicht bemerken. Hier würde ich mir eine größere Hinweistafel vorne am Platz in der Nähe der Schlossstraße wünschen und vielleicht sogar ein Plakat, das man an der Stirnseite des Gebäudes aufhängen könnte, um auf die Ausstellung aufmerksam zu machen.

Erst in dieser Woche habe ich wieder ein Touristenpaar angesprochen und auf die Ausstellung aufmerksam gemacht, und trotzdem trauten sie sich nicht hinein. Dabei ist der Besuch kostenlos. Auch das könnte man großflächiger mitteilen, finde ich.

Nun denn - dann nehme ich Sie jetzt einfach mit hinein ins Dampfbad. Bitte als erstes die Jacken ausziehen! Hier ist es nämlich ganz schön warm. Auf natürliche Weise, dank der Thermalquellen, auf denen das Dampfbad steht. Ja, das Thermalwasser! - Eine andere Geschichte (zum Weiterlesen, warum die Thermalbrunnen zurzeit abgestellt sind, bitte hier klicken => KLICK). Jedenfalls sprudelt es auch hier - N I C H T !



Aber wir sind ja nicht wegen des Wassers hier, sondern wegen der Kunst. Im Erdgeschoss - gespenstige Leere. Wer nur mal eben so den Kopf zur Eingangstür hereinstreckt, zieht ihn garantiert wieder zurück. Warum ist es hier unten so leer? Spontag wünscht man sich ein Café herbei - mit Außenbestuhlung vielleicht? Ich wüsste sogar schon eine Wirtin dafür, sie hat eine kleine Kneipe ganz in der Nähe in der Schosstraße und bangt gerade um ihre Existenz, weil man das Haus anders nutzen will. - Ach, man darf ja wohl mal träumen dürfen.

Aber sehen wir den Realitäten in die Augen: Manchmal gibt es im leer stehenden Erdgeschoss, das man von der Stadt günstig anmieten kann, kleine Hobby-Kunst-Ausstellungen - nur vertragen die sich nicht besonders mit den Ansprüchen der Damen und Herren der Gesellschaft der Freunde junger Kunst eine Etage drüber. Noch so ein Thema ... Lesen Sie dazu weiter auf Wikipedia => KLICK und bei bad-bad.de => KLICK und auf meinem Blog => KLICK

Gehen wir also lieber hinauf in den ersten Stock. Und nun halten Sie sich bitte fest: Eine solche Ausstellung gibt es auch in diesen Mauern nicht alle Tage. Die farbenprächtigen Werke von Franziska Maderthaner nehmen einen auf den ersten Blick gefangen!









Verweilen wir bei diesem Bild hier!

Sehen Sie es? Diese zwei Stile, die hier benutzt werden? Die Künstlerin ist eine Meisterin der so genannten "Schüttung"; sie schüttet Farbe auf die Leinwand, dreht und wendet sie, lässt sie ineinander fließen. Dann stoppt sie den Prozess, fotografiert das unfertige Werk, speist es in den Computer ein und wählt nun reale existierende Kunstwerke aus, um sie mit ihren Farbschüttungen zu kombinieren. Das Ergebnis - wie hier - setzt sie dann akribisch um.

Sehen Sie dazu auch einen Beitrag aus der Mediathek des SWR: => KLICK

Ebenfalls passend aus der SWR-Mediathek: Drei Fragen an Franziska Maderthaner: => KLICK


Der Kurator


Wenn der Betrachter um diese Arbeitsweise weiß, erschließen sich ihm Bild und Kunst viel besser. Ich gebe zu, ohne Einführung durch einen Fachmann, in diesem Fall war es der Kurator der Ausstellung, Burkhard Freyberg, hätte ich die Werke nicht verstanden. Oder ich hätte mühsam in den Katalogen und Büchern über die Künstlerin blättern müssen.






Burkhard Freyberg kann mit Recht stolz darauf sein, diese Künstlerin nach Baden-Baden geholt zu haben. Die Ausstellung ist ein Riesenerfolg, mehrere Werke tragen bereits den berühmten, begehrten roten "verkauft!"-Punkt, beziehungsweise haben eine Kaufoption.

Wie ist er auf Franziska Maderthaner aufmerksam geworden?

Der 64jährige, der selber Kunstgeschichte studiert hat, hat sie auf einem Rundgang über die Art Karlsruhe entdeckt. Eine Berliner Galerie präsentierte ihre Werke, und Freyberg, der als Vorstandsmitglied der Gesellschaft der Freunde junger Kunst in den letzten fünf Jahren bereits drei Ausstellungen im Alten Dampfbad organisiert hatte, sprangen die großformatigen farbenprächtigen Bilder sofort ins Auge. "Diese Art von Bildern gab es in Baden-Baden noch nicht zu sehen." Wie Maderthaner Schüttung und geplante, fotorealistische Malerei miteinander verknüpft, sei einzigartig und unvergleichbar. "So etwas hat noch niemand vor ihr gemacht", schwärmt er, ist sich aber auch sicher, dass es schon bald Nachahmer geben wird.

Für ihn jedenfalls stand ganz schnell fest, dass er die Wienerin nach Baden-Baden holen wollte. Er stöberte die Künstlerin via Homepage auf, und da sie Baden-Baden aus einer Filmproduktion mit dem Sender "Arte" bereits kannte, willigte sie gerne ein, sich die Räumlichkeiten im Alten Dampfbad anzusehen, zumal sie ohnehin zufällig in der Gegend unterwegs war. Das Gebäude gefiel ihr sofort, sie war begeistert von den abwechslungsreichen Räumen, die für die Präsentation ihrer Gemälde geradezu perfekt sind.




Freyberg fuhr daraufhin zu einem persönlichen Atelierbesuch nach Wien, diskutierte mit der Künstlerin, wo man am besten welche Bilder hängt, kümmerte sich um die Organisation des Transports und um die Versicherung der Bilder, lud kaufinteressierte Kunstfreunde zu einer Preview ein und konnte binnen kurzer Zeit acht Kaufoptionen verbuchen. "Das ist sehr viel für so eine Ausstellung", freut er sich, zumal der Kunsthandel in Deutschland im Augenblick schwere Zeiten durchmacht.

Hat der Kurator Wünsche?

Ja, mehrere: Zum einen wünscht er Franziska Maderthaner weitere Ausstellungen in Deutschland, möglichst in größeren Städten. Zum anderen wünscht er seiner Gesellschaft der Freunde junger Kunst einen größeren Bekanntheitsgrad. "Die Plakatierung könnte besser sein", gibt er freimütig zu, aber das koste eben auch viel Geld. Die Beiträge der fast 600 Mitglieder - viele davon sind Künstler mit Sonderstatus - reicht gerade so aus, um den Betrieb des Alten Dampfbades aufrechtzuerhalten.


Der gute Geist



Wer sich an einem normalen Wochentag in das stille alte Dampfbad verirrt und zögernd die Treppe hinaufstolpert, der wird unweigerlich die Bekanntschaft mit Andrea Kessler machen, dem resoluten guten Geist der Gesellschaft der Freunde junger Kunst. Seit 18 Jahre ist sie nun schon Sekretärin der Gesellschaft und arbeitet ihr Pensum während der normalen Öffnungszeiten ab, wobei sie unablässig einen Blick auf die Kunstwerke und die Besucher hat.




Ich erwische sie am Tag nach dem Urlaub, auf dem Schreibtisch türmt sich die Arbeit. Ein Plaudertäschchen ist sie daher heute nicht gerade, es war ein hartes Stück Arbeit, ihr ein paar Stationen aus ihrem kunderbunten 71jähriges Leben zu entlocken.

Fühlt man sich nicht etwas mulmig, wenn man im Winter in diesem einsamen Gebäude auf dem einsamen Marktplatz am Schreibtisch sitzt, wenn man hört, wie jemand unten im Erdgeschoss die Tür öffnet, wenn schwere Schritte langsam die Treppe hochkommen? Sie lacht. Zum Glück wohnt in der oberen Etage jemand, Angst braucht sie also nicht zu haben.

Und wie vertreibt sie sich die endlose Zeit an besucherarmen Tagen? Ein Blick auf den vollgepackten Schreibtisch belehrt mich, dass ich die falsche Frage gestellt habe. "Was ich tue?", fragt sie verwundert zurück. Spätestens bei der Aufzählung von "Buchhaltung, Mitgliederkartei, Protokolle schreiben, Ausstellungen vorbereiten, Abrechnungen, Mitgliedsbeiträge kontrollieren ..." wird mir klar, dass die Aufsicht über die Ausstellungen nur ein kleiner Teil ihrer Tätigkeit ist.

Wie kommt man zu so einem Job? "Ich war immer Sekretärin", wiegelt sie bescheiden ab, aber dann verrät sie mir doch, dass sie als junges Mädchen tatsächlich einmal kurz davor stand, in New York eine Kunstgalerie zu leiten. "Das war eine Idee meiner Cousine, sie hatte das vermittelt und schon alles organisiert." Zur Eingewöhnung in die Sprache ging dem avisierten Job allerdings ein Aufenthalt in einer "upper-class-Familie" in einem vornehmen New Yorker Vorort voraus. Ein Schuss in den Ofen: Schon nach einem halben Jahr hatte Andrea Kessler die Nase voll von der Mentalität ihrer Gastgeber und ihrer künftigen Heimat. "Heute denke ich, ich war mit 23 Jahren einfach zu jung dafür. Das war nichts für mich." Außerdem war da noch der Freund, den sie in Deutschland zurückgelasen hatte und der bald täglich schrieb und sie zurückhaben wollte. Heimweh kam dazu, und so packte die junge Frau bald wieder die Koffer. "Ich hatte sowieso ein Rückflugticket. Ohne wäre ich nicht gefahren."

Und dann? Sie lacht. "Bin ich sofort schwanger geworden und habe geheiratet." Doch lange blieb sie nicht daheim am Herd, schnell kehrte sie wieder in den  Beruf zurück. Und es gab nur einen Weg für sie: nach oben. Schallplattenfabrik, Architekturbüro, Anwaltskanzlei, Modebranche (Jil Sander) und dann ... die große Liebe, die sie Mitte der 80er Jahre nach Baden-Baden führte, und hier schloss sich der Kreis für die verhinderte Galeristin: 1996 holte eine Freundin sie zur Gesellschaft der Freunde junger Kunst ins Alte Dampfbad.

Ein Traumjob. "Kunst hat mich schon immer interessiert. Ich habe ein Faible für Künstler." Also genau das Richtige für sie. Sechs Ausstellungen gibt es hier im Jahr, "mal 18 Jahre - da kommt was zusammen", schmunzelt sie und wedelt begeistert mit den Händen. "Sehen Sie nur, was ich für eine tolle Arbeitsumgebung habe. Ständig neue Bilder." Manche Werke kauft sie sich selbst, manche Künstler schenken ihr auch ein Werk. Anekdoten sind ihr leider nicht zu entlocken, auch nicht ohne Namensnennung. Dazu ist sie Künstlern und Gesellschaft viel zu treu ergeben.

Und die Gesellschaft hat es ihr auf ganz besondere Weise gedankt: "Als mein Mann vor eineinhalb Jahren starb, da hat der erste Vorsitzende, Karl Manfred Rennertz, mir das Kreuz für das Grab gestaltet." Mit feuchten Augen wendet sie sich ab und beendet das Gespräch: "Und jetzt muss ich endlich mal was arbeiten."




Und so mache auch ich mich mit einem letzten Blick auf die farbenprächtige Ausstellung auf den Heimweg - und wünsche der Gesellschaft und der Künstlerin, dass noch möglichst viele Besucher - alt und jung - in diese außergewöhnliche Ausstellung finden mögen.






Hier ein Video von Baden-Baden-TV über den Vorsitzenden der Gesellschaft der Freunde junger Kunst, Professor Rennertz, und seine Sommerakademie in Baden-Baden:






Öffnungszeiten der Ausstellung: 

noch bis 9. November 2014
Dienstag bis Freitag   15 - 18 Uhr
Samstag und Sonntag  11 - 17 Uhr

Hier geht es zur Homepage der Gesellschaft der Freunde junger Kunst => KLICK