Sonntag, 12. Oktober 2014

Christina Horn




Menschen in Baden-Baden, heute:

Christina Horn




Berufswunsch: Orgelbauerin - vorläufige Endstation: Schwarzwald-Bazar. Ein unüberwindlicher Spagat? Mitnichten. Es ist einfach nur der folgerichtige Lebensweg von einer, die auszog, die Welt zu erobern: Christina Horn.

Seit Januar 2013 steht die freundliche 49jährige hinter der uralten Verkaufstheke des Ladens, der über dem Eingang stolz sein Gründungsjahr trägt:




76 Jahre war der Schwarzwald-Bazar zuletzt über drei Generationen in einer Familienhand, bevor sich Lothar Schindler mit seiner Mutter, die praktisch im Laden groß geworden ist, zur Ruhe setzte. Es gab keinen Nachfolger, und eigentlich hatte sich Familie Schindler schon damit abgefunden, Anfang 2013 den Schlüssel herumzudrehen.

Wenn da nicht die Nachbarin aus dem dritten Stock gewesen wäre, Christina Horn. "Oh Gott, Baden-Baden ohne Schwarzwald-Bazar? Das geht ja gar nicht!", dachte sich die tatkräftige blonde Westfälin, besprach sie sich kurz mit ihrem Mann und stieg kurzerhand in das Geschäft mit den Kuckucksuhren, Legoschachteln, Steiff-Tieren und Erzgebirgsfiguren ein.

Vorgezeichnet war dieser Schritt für sie nicht, hatte sie in ihrem Leben doch stets ganz andere Pläne geschmiedet und diese wiederum ganz anders umgesetzt, als es zunächst ihr Ziel gewesen war. Aber der Reihe nach.

Orgelbauerin - das war also ihr Berufswunsch gewesen, seit sie als Schülerin in Minden/Westfalen in der Jugendkantorei erst Klavier gelernt hatte, dann aber auf die Orgel umgestiegen war, "weil da gerade jemand gebraucht wurde". Und schon stand für die Schülerin fest, dass sie diese majestätischen Instrumente einmal selbst bauen und in aller Welt aufstellen und warten wollte.

Aber nach dem Abitur damals, Ende der 80er Jahre, galt der Orgelbau als reine Männerdomäne. Ein Infiltrieren war unmöglich, alle Bewerbungsversuche verliefen im Sande.

Zum Thema Orgelbau hier ein Video vom BR - natürlich aus einem Männerbetrieb! => KLICK




Also ging Christina Horn nach Würzburg und studierte dort - neben Romanistik und Kunstgeschichte ... Musik. Eine falsche Entscheidung, wie man ihr anmerkt, als die Rede darauf kommt und sie sich an den Hals greift, als bekäme sie gleich keine Luft mehr. Strawinski war für die Professoren dort schon das neumodischste aller Gefühle gewesen, japst sie. "Wir mussten uns mit Gregorianik und so was beschäftigen". Immerhin zwei Jahre hielt sie durch, dann brach sie ab und sattelte ins Hotelfach um.

Hotelfach? War das nicht ein kolossaler Bruch mit allen Neigungen? Nicht unbedingt. "Orgeln werden exportiert, sie müssen aufgebaut und gewartet werden - in Asien, Afrika, Südamerika..." Christina Horns Augen glitzern verräterisch, und man ahnt sofort, weshalb es also die Steigenberger Hotelfachschule sein musste: Das Fernweh wollte gelindert werden. Schon nach einem Jahr ging sie daher folgerichtig als Trainee nach England, arbeitete in einem kleinen Landhotel, dann in einem Familienhotel in London direkt am Buckingham Palast, in jenem Hotel, in dem Kate Middelton mit ihrer Familie vor ihrer Hochzeit übernachtete.

Nach dem Glamour der Großstadt das Kontrastprogramm: Die Bühlerhöhe war die nächste Station. Erst Rezeption, dann Bankettbüro. Die Hochzeit von Boris Becker - ein Meilenstein in ihrem Erfahrungsschatz.

Und es zog die junge Frau weiter, zu Höherem: Hotelmanagement wäre nicht schlecht, dachte sie sich und begann 1995 in Heilbronn das Studium der Touristik-Betriebswirtschaft. Mittlerweile hatte sie ihren Mann kennengelernt, und dessen ungewöhnliche Reisevorliebe gab die nächsten Schritte vor: Diplomarbeit über Frachtschiffreisen und danach - das nun wiederum folgerichtig - der Schritt in die Selbständigkeit in eben diesem Segment: Ihre neu gegründete Firma "Internaves" vermittelte Passagen auf Frachtschiffen.

Heute nennt sie diesen Schritt "ziemlich blauäugig". Aber es ging gut. 2001 zog die Familie samt Firma nach Baden-Baden, der Standort war sowieso Nebensache, denn das Geschäft spielte sich natürlich hauptsächlich online ab.

Hier ein Video über eine Frachtschiffreise: => KLICK



Das Berufsleben wurde bunt: Einem Kunden, der mit dem Fahrrad von China nach Australien wollte, verhalf sie zur benötigten See-Passage, dann "verfachtete" sie eine ganze Gruppe mit sechs Wohnmobilen und zwölf Passagieren von Hamburg nach Buenos Aires, von wo aus die Kunden im Konvoi die Panamericana bis nach Alaska hochfuhren.

In 90 Tagen um die Welt? Für Christina Horn kein Problem. Auch sie selbst war bald von dieser Art zu reisen angesteckt. "Von La Spezia durch den Suez-Kanal nach Singapur", erinnert sie sich an ihren ersten Trip. Ein Containerschiff sei das gewesen, niemand wusste, was die Container beinhalteten, nicht mal der Kapitän war informiert (nur Gefahrgüter müssen deklariert werden). "Wenn es stinkt, ist es im besten Fall gegerbtes Leder", war die Devise, wie sie sich schmunzelnd erinnert.

Gemütliche Kreuzfahrtromantik gibt es natürlich nicht auf Frachtschiffen, im Gegenteil, es ist eine ganz andere Art zu Reisen. "Da bekommt man hautnah mit, wie die Menschen an Bord leben und arbeiten." Man müsse schon Ruhe, Natur, Meer und Himmel mögen, und dennoch sei es nicht unbedingt eine Atmosphäre, um, wie ein Passagier es einmal vorgehabt hatte, seine Doktorarbeit zu überarbeiten. "Das wird nichts", hatte sie den Mann gleich gewarnt und Recht behalten.

Man merkt, mit welchem Herzblut sie dabei gewesen ist. Sogar in ein Buch hatte sie es damals geschafft.









"Christina Horn hat die Welt im Rücken", wurde damals getitelt. Sie hat das Buch unter der Ladentheke liegen. Es wird heute noch aufgelegt, aber ihr Foto ist inzwischen ausgetauscht, denn 2008 wurde auch sie mit ihrer Firma ein Opfer der Wirtschaftskrise: Mit einem Schlag lagen hunderte Handelsschiffe ohne Aufträge auf den Weltmeeren, Routen wurden verändert oder verschwanden ganz, es gab einfach keine Stabilität mehr. Immer mehr rutschte ihr Geschäft vom Buchen ins Umbuchen, Absagen, Improvisieren. "Ich konnte den Passagieren nicht mehr vermitteln, dass es keine schönen Reisen von A nach B zu festgelegten Terminen mehr gab."

Verschwunden ist ihre Firma jedoch nicht sang- und klanglos, ein ehemaliger Kollege führt sie heute weiter. Christiane Horn empfiehlt, sich mit einem Klick einen Einblick zu verschaffen, auf was man sich einlassen könnte. "Das Personal auf Frachtschiffen hat durchaus auch mal einen Swimmingpool an Bord, den man gern mit den Passagieren teilt". Kreuzfahrtflair einmal anders herum.

Aber zurück nach Baden-Baden und den Sorgen des Schwarzwald-Bazars. Schon der Fußabtreter im Eingangsbereich ist Geschichte! Das Logo nämlich hat in den 30er Jahren ein Abkömmling einer großen Spielwarenfabrik eigens für die damaligen Bazar-Besitzer, die Großeltern der Schindlers, entworfen.



Ein ganzes Jahr vor der Übernahme verbrachte Christina Horn jede freie Minute an Lothar Schindlers Seite, arbeitete sich in die ungewohnte Materie ein, ließ sich den Lieferanten vorstellen und in die Geheimnisse des Souvenir-Geschäfts einweihen.



Verändert hat sie seit 2013 nicht viel am Sortiment - warum auch. Lego und Playmobil laufen von selbst; auch wenn sie an eben diesen Produkten nichts verdient, so bringt es ihr doch die junge einheimische Kundschaft ins Haus. Puzzles und Spiele ergänzen das Spielwaren-Sortiment. Die auffälligen "Sylvanians" indes sind neu, und entzücken vor allem die Laufkundschaft aus dem fernen Japan, woher sie stammen.



Und dann sind da natürlich die Kuckucksuhren, die von einem Traditionsbetrieb (fünfte Generation) aus dem Schwarzwald geliefert werden, und zwar vom Inhaber höchstpersönlich!




Einen ganz besonderen Platz haben die hochwertigen Holzfigürchen aus dem Erzgebirge, für die der Schwarzwald-Bazar "autorisierter Händler" ist. Ich gebe zu, nicht viel davon zu verstehen, aber schon stolpert eine ältere Kundin in den Laden. "Ach, Sie haben ja meine Engelchen mit den elf Punkten", ruft sie erfreut, und schon befinden sich die beiden in einem angeregten, nostalgischen Fachgespräch über die neuesten Modelle aus dem Hause Wendt & Kühn. Winterkinder sind dieses Jahr neu, erfahre ich mit gespitzten Ohren, aber die Kundin winkt ab. Sie sammele nur Musikanten.

Und ich erfahre, dass diese auch Christina Horns Lieblinge seit der Kindheit sind. Seit nämlich bei der Familie ihrer Freundin eines dieser kleinen Holzengelchen Einzug hielt, das - ausgerechnet - an einer Orgel saß. Es hatte sofort seinen Spitznamen "Chrissie an der Orgel" - und eine lebenslange Gönnerin. "Der ist ja schon wieder ausverkauft", stellt meine Gesprächspartnerin mit kurzem Blick fest. "Den muss ich unbedingt gleich nachbestellen."




Ein Wort zu den Kunden. Wer findet den Weg in dieses nostalgische Ambiente? Ich mache es mir einfach und tippe auf Russen und Chinesen - und liege falsch. Viele ältere Einheimische sind das,  "manche kommen schon immer hierher, die haben hier schon ihren ersten Teddy gekauft." Aber auch viele junge Baden-Badener stöbern in den vollgestopften Regalen, im Sommer natürlich auch die Touristen."Manche Urlauber kommen jeden Tag und verabschieden sich am Ende ihres Aufenthalts mit Handschlag." Und manche bringen ihr sogar selber Geschenke mit, zum Beispiel kleine Magnete oder Bonbons aus dem Ural.

Christina Horn liebt ihre Kunden, das merkt man. "Am schönsten ist, wenn sie finden, was sie suchten und den Laden dann zufrieden und glücklich verlassen."





Aber umgekehrt plagen sie auch düstere Gedanken: Das Internet sorgt gerade in den kleinen inhabergeführten Läden allüberall für Probleme. "Man sollte seine eigenen Verkaufsgewohnheiten überdenken", meint sie selbstkritisch. Auch sie habe früher oft online bestellt. "Das lasse ich inzwischen". Warum? "Weil es sonst eines Tages unsere kleinen Läden nicht mehr geben wird. Wir können nicht nur einen Monat im Jahr normal verkaufen und die restlichen elf Monate alles unter dem Einkaufspreis anbieten."



Und ich lerne, dass hinter dieser spielerischen Fassade viel aufwendige Büroarbeit steckt. "Ich bin nicht so ein alter Hase", gibt Christina Horn freimütig zu. "Ich brauche viel Zeit für den Schreibkram." Manchmal kommt Lothar Schindler noch vorbei und fragt, ob alles so läuft, wie sie es sich wünscht. Das kann sie ihm dann von ganzem Herzen bestätigen.

Hobbys? Sie schüttelt den Kopf. "Das ist nicht drin."

Aber da ist ja noch Gea, die gern vorwitzig ihren Kopf aus dem Vorhang zum Hinterzimmer streckt.



Gea ist ein "Pon", ein polnischer Hütehund. Wie er in die Familie Horn kam, ist wieder so eine typische Geschichte: Christina Horns Eltern passten einmal auf einen solchen Hund auf, und ihre aufgeschlossene Tochter wollte eigentlich "nur mal so" im Internet nach dieser seltenen Rasse recherchieren. Ehe sie sich's versah, war sie auf der Seite eines Züchters gelandet, der eine damals dreieinhalbjährige Hündin verkaufen wollte, weil sie sich nicht im Rudel vertrug. Elektrisiert schickte Christina Horn den Link per Email an ihren Mannes, und der antwortete postwendend, sie sollte sofort nachfragen, ob Gea noch zu haben war. Und am Wochenende war das Ehepaar schon unterwegs nach Thüringen, um das neue Familienmitglied in Empfang zu nehmen.

Diesen Link zur Hunderasse Pon sollten Hundeliebhaber daher lieber nicht öffnen => KLICK

Inzwischen ist Gea mit ihren 15 Jahren eine betagte, schwerhörige Hundedame, die Christina Horn dazu zwingt, regelmäßige Ausflüge an den Rhein zu machen, wo das Tier aber oft schon nach 200 Metern nicht mehr weiterkann und dann in einen altmodischen Bollerwagen gesetzt wird, damit das Frauchen wenigstens noch ein paar Schritte weitergehen und sich den Wind um die Nase wehen lassen kann, ehe es wieder zurück hinter die wunderschöne alten Ladentheke im Herzen Baden-Badens geht.
 






Hier geht es zur Website des Schwarzwald-Bazars => KLICK


Hier gibt es weitere Geschichte über Menschen in Baden-Baden => KLICK