Menschen in Baden-Baden, heute:
Axel Himer
Ich bin sehr dankbar, ihn gekannt zu haben. Hier mein Portrait über ihn - nun in memoriam:
Ein bisschen ist es wie im Märchen: Blauer Himmel, goldene Oktobersonne, ein paar Blätter segeln zu Boden, Laub raschelt, Stille. Vor mir, mitten in der Lichtentaler Allee, duckt sich unter dunklen Baumkronen ein kleines Hexenhäuschen, oder vielmehr das legendäre "Hirtenhäuschen". Mehr zur Historie des Fachwerkgebäudes auf Stadtwiki Baden-Baden => KLICK
Mittlerweile beherbergt das Haus ein Schuhmacher-Museum...
Damals habe ich übrigens gelernt, wie ein Maßschuhmacher ganz direkt einen Krimi beeinflussen kann: Dieses Schuhpaar mit dem auffälligen Absatz (Foto unten) spielte in einem der legendären Bienzle-Tatorte eine Rolle, und auch Axel Himer und ich fantasierten eine Zeitlang über verräterische, sehr individuelle Schuhabdrücke in einem meiner nächsten Werke.
Krimi und Zunfthaus gehören inzwischen der Vergangenheit an, auch Axel Himer pendelt inzwischen zwischen Baden-Baden und Köln, aber seine Wurzeln und seinen Hauptwohnsitz hat er immer noch hier, im Herzen der Stadt, inmitten seiner Freunde und Bekannten, und ach, welcher Ur-Baden-Badener kennt ihn eigentlich nicht! Schließlich ist er hier geboren und hat einiges in der Stadt gewagt, selbst wenn es nicht immer gut ausgegangen ist. Auch darüber wollen wir heute sprechen.
Schnell streicht er noch einen Leimpinsel ab, dann ist er ganz für mich da. Und nein, sein Blick fällt nicht nach unten, auf meine extra frisch geputzten, aber ausgetretenen Schuhe "von der Stange". Warum auch? Wo ich hingucke, sehe ich nur Herrenschuhe. Maßschuhe sind offenbar Männersache.
Er selbst trägt sie selbstverständlich auch, am liebsten aus Velour (Foto unten). In der Regel sind es Versuchsanfertigungen seiner Töchter, die hinsichtlich der Materialien lieber an den Füßen des Vaters herumexperimentieren als an denen der feinen Kunden. In der Familie Himer jedenfalls gilt das Sprichwort "Die Kinder des Schusters haben die schlechtesten Schuhe" ganz sicher nicht. Auch die geliebte Enkelin Stella macht gerade ihre ersten Schritte in handgefertigten Maßschuhen.
Leben
Wie wird jemand, der aus kleinen Verhältnissen stammt, ein international gefeierter Maßschuhmacher?
Axel Himer holt tief Luft, und ich komme die nächsten zwei Stunden mit dem Mitschreiben kaum nach.
Man hört ihm seine Wurzeln nicht an, was nicht weiter verwunderlich ist, wenn man nachfragt. "Ich habe einen kleinen Sprachfehler", gesteht Axel Himer grinsend: "Ich kann kein Badisch." Überhaupt hat ihn das wechselvolle Leben in seiner Jugend sehr geprägt. Vom dritten bis zum 15. Lebensjahr verbrachte er seine Kindheit überwiegend im Rheinland, in Kölner Raum genauer gesagt. Zwölf Umzüge prägten ihn schon als Kind, zwangen ihn dazu, bei neuen Bekanntschaften genau und schnell hinzuschauen und sich ein Bild vom Gegenüber zu machen, sich in den anderen intuitiv einzufühlen. Eine Eigenschaft, die ihm heute, wo es auf viel Fingerspitzengefühl ankommt, sehr zugute kommt.
Seit seinem zwölften Lebensjahr war er nur von einem einzigen Gedanken beseelt: Er wollte selbständig sein. Eine Schreinerlehre brach er deshalb nach rund einem Jahr ab, weil er erkannte, dass er für dieses Handwerk teure Maschinen brauchen würde, die er sich wohl nie würde leisten können. Ähnlich erging es ihm als Kfz-Lehrling, als er den ersten Diagnose-Stecker in Händen hielt und erfasste, in welche Richtung sich dieser Beruf verändern würde.
Dennoch führte ihn eben diese Lehre über Umwege zum Ziel: Mit Leidenschaft nämlich restaurierte er in der Freizeit Oldtimer, bevorzugt Modelle der Marke Jaguar. Das brachte ihn mit 18 Jahren natürlich ins Mutterland der Marke, England, wo sich sofort ein erster Stachel in seinem Herzen verhakte, als er nämlich die Verkaufsräume und Werkstatt der dort ansässigen, traditionell über viele Generationen tätigen Maßschuhmacher betrat. Da war es um ihn geschehen; er hatte seine Bestimmung gefunden.
Das Schicksal trug sein übrigens dazu bei, als nämlich eine Knieverletzung den sportlichen Jungen zu einem Berufswechsel zwang. Der Zufall verschlug Axel Himer zurück nach Köln, wo er - damals für ein ganzes Jahr an Krücken gefesselt - umschulte und zusammen mit Behinderten eine Orthopädielehre "wie vor hundert Jahren" begann. Spätestens hier wurde ihm klar, dass er endlich im richtigen Beruf gelandet war - nur noch nicht am richtigen Ort. Die Wissbegier zerrte an ihm, ließ ihn immer wieder - mit dem Segen seiner Ausbilder - die Lehrstelle wechseln. Nach drei Jahren hielt er den Gesellenbrief in Händen und machte sich in einer uralten Schuhmacherei in Lichtental selbständig - sehr zum Missfallen der Obrigkeit, denn damals herrschte noch der Zwang zum Meisterbrief. Ein endloser Kampf gegen Windmühlen und missgünstige Berufskollegen schloss sich an.
Axel Himer ließ sich nicht unterkriegen, hatte er doch mittlerweile geheiratet und Frau und zwei Kinder zu versorgen. Das nahm er ernst. Er arbeitete in seiner Werkstatt und nebenher als Designer für Schuhfabriken und Vertriebsorganisationen in Holland und Portugal, bis ihm eines Tages die Querelen mit der Handwerkskammer zu viel wurden und er einen Meisterkurs im fernen Stuttgart belegte. "Zeit hatte ich nicht dafür", gesteht er. "Ich musste ja Schuhe bauen." Immerhin schaffte er den praktischen Teil der Prüfung mit Bravour, nur mit der ungeliebten Betriebswirtschaft wollte es nicht so richtig klappen. Warum auch, fragt er sich im Nachhinein. Seit 2004 ist der alte Zopf der Meisterpflicht ohnehin abgeschnitten, und alles, was Zahlen anbelangt, hat schon immer der Steuerberater erledigt.
Liebe
Was treibt ihn an?"Wenn jemand Leidenschaft und Liebe für etwas hat, dann macht er das einfach!", sagt er schlicht. "Für mich ist Schuhmacher der schönste Beruf auf der Welt."
Warum?
"Weil ich aus nichts - nur mit einem Stück Leder - ein fertiges Produkt nach meinen Vorstellungen und nach den Wünschen meines Kunden herstellen kann." Die Kreativität ist es, die ihn fasziniert - und am Ende "dieses Gefühl, wenn alles geklappt hat, wenn du den Dank im Gesicht des Kunden und das Geld in der Kasse siehst..." Axel Himer lacht verschmitzt. "Schon wenn ich mit einem Schuh anfange, kann ich es eigentlich nie erwarten, bis er fertig ist."
Er nimmt sich Zeit für seine Kundschaft, die mittlerweile aus der ganzen Welt zu ihm kommt. Das erste Gespräch dient dem Kennenlernen, dem Ausprobieren, dem Abtasten, ob die "Chemie" stimmt. "Ich sitze 22 bis 23 Stunden an einem Schuh, ohne Trockenzeiten - das machst du nur gerne, wenn du deinen Kunden magst. Wenn nicht, wird es zur unglaublich mühsamen Qual."
Bis zu drei Stunden kann so eine erste Kontaktaufnahme dauern, da wird auch schon mal zusammen gekocht und gemütlich in der Küche gesessen. Der Kunde ist bei ihm kein König ("Wo wäre ich denn da?"), sondern hier wird auf Augenhöhe geredet und verhandelt. Wenn alles stimmt, wird Maß genommen, dann werden mehrere Probeschuhe gefertigt, damit später auch wirklich auch alles passt. Wenn man sich anhört, auf was geachtet wird, wie ein Kunde zum Beispiel ein Probeexemplar 15 Stunden einlaufen muss, damit anhand der Abdrücke das Fußbett geformt und das Leder angepasst werden kann, dann fragt man sich:
Was ist der Unterschied zu orthopädischen Schuhen?
Na ja, erst mal das Aussehen. Das Orthopädiehandwerk war seit Urzeiten eine Männerdomäne, wurde mit der bewährten klobigen Form, bei der der Schuh stets etwas größer als der Fuß ist, damit nichts drückt, vom Vater auf den Sohn vererbt. Raum für Innovation gab es kaum, in der Regel waren die Söhne auch schon im fortgeschrittenen Alter, ehe die Väter sie endlich "machen" ließen. Maßschuhmacher hingegen tasten sich vom zarten Punkt des Fast-Drückens her an die Form des Fußes heran. Der Kunde spürt schon längst kein Drücken mehr, da sieht der Fachmann immer noch den einen Hauch, den es zu verbessern gilt.
Bei Material, Form und Farbe schöpft er dann aus dem Vollen. "Ich verarbeite jedes Leder - außer Schlange", verrät Axel Himer. Warum keine Schlange? "Die werden bei lebendigem Leib gehäutet, das kann ich nicht unterstützen." Sorgen bereitet der Branche inzwischen, dass die Preise für gutes Leder explodieren. Schuld daran, so sieht Axel Himer es, sind Auto- und Möbelindustrie. "Jeder Kleinwagen wird inzwischen mit Leder ausgeschlagen, und aus dem Leder für ein Sofa könnte ich hundert Schuhe machen", gibt er zu bedenken.
Ein Luxusartikel also. Wer sind seine Kunden? Aufschneider, Protze, Möchtegerns?
Mitnichten! "Meine Kunden sind eher zurückhaltend." Man sieht es einem Schuh ja nicht an, dass er maßgefertigt ist, deshalb kommen hauptsächlich die stillen Genießer - oder Leute mit Fußproblemen, die keine "orthopädischen Schuhe" tragen wollen - obwohl Axel Himer nichts anderes als orthopädische Schuhe macht - nur eben stilvoller. 3300 Euro kostet das erste Paar Schuhe bei ihm, ab dem zweiten wird es etwas preiswerter. Wer leistet sich das? Die Palette reicht von Arnold Schwarzenegger über Bentley-Rennfahrerschuhe bis zum Schuh für den normalen Finanzbeamten oder Lehrer, den die Kollegen auch schon mal schief angesehen haben wegen seiner Schuhe - bis er ihnen erklärte, dass er dafür eben an anderer Stelle spart und sich nicht alle paar Jahre ein neues Auto leistet.
Leiden(-schaft)
Woher kommen seine Kunden? Aus Baden-Baden? Wohnt und arbeitet er deswegen neben Köln auch regelmäßig hier im kleinen Hirtenhäuschen?
Axel Himer verzieht das Gesicht. Wir sind an einem Kernpunkt angelangt: Die Stadt ist für exklusives Handwerk zu klein, hat er schmerzlich festgestellt. So kommen seine Kunden heute aus aller Welt, aus Hamburg, New York, Osaka und Tokio, und der Großraum Köln hat sich mittlerweile als gute Standortwahl entpuppt. Aber bis es soweit war, war es ein hartes Stück Arbeit. Der 49jährige weiß, wovon er spricht. Ein Schuhgeschäft in der Baden-Badener Fußgängerzone endete im Desaster. Er musste lernen, dass es zwar einige wenige Kunden in der Stadt gibt, diese aber nicht jede Woche neue Maß-Schuhe kaufen. Die gehen ja auch nicht so schnell kaputt wie Exemplare von der Stange.
So schwenkte er bald um und begann, sein Verkaufstalent zu pflegen. Ausgangspunkt und Standbein war für ihn ab 1994 das stadteigene, mehr als 200 Jahre alte Hirtenhäuschen, in dem zuvor ein Goldschmied gearbeitet hatte. Als Axel Himer erfuhr, dass das Häuschen neu vermietet werden sollte, stellte er sein Konzept mit Werkstatt und Museum dem Stadtrat vor und erhielt auf einstimmigen Beschluss einen Mietvertrag, der regelmäßig verlängert wird. Er liebt das kleine Fachwerkhaus, auch wenn seine Kundschaft bei 1,90 Metern Deckenhöhe den Kopf einziehen muss und er beständig heizen muss, um die Feuchtigkeit aus den Mauern abzuhalten.
Auch nach Kapitulation mit dem eigenen Geschäft in der Fußgängerzone brodelte es weiter in ihm, der Gedanke eines Zunfthauses gewann Kontur: Mehrere exklusive Handwerker sollten sich in einem Haus zusammenschließen, sich vernetzen und gegenseitig ihre Kunden austauschen - das war die Idee. "In einer anderen, größeren Stadt hätte das funktioniert", schätzt Himer, im kleinen Baden-Baden aber klappte es nicht. Schuldzuweisungen wird man aus seinem Mund nicht hören, er klopft sich auch an die eigene Brust. Wer nämlich ihn zum Freund hat, der trifft auf ein weiches, goldenes Herz. Und wenn es mal für einen schlecht lief, dann wurden auch schon mal die Mietzahlungen gestundet. 2009, sechs Jahre nach Gründung, hatten die Mietschulden überhand genommen, und er musste den Schlüssel umdrehen und das Licht ausschalten.
Wehmut?
Ganz im Gegenteil! Es war wie eine Befreiung. "Ich habe ständig herumgewirbelt, um neue Kunden hauptsächlich für die anderen Mieter im Zunfthaus zu akquirieren, und in dieser Zeit habe ich mein eigenes Geschäft vernachlässigt." Es sei "eine tolle Zeit gewesen", aber mit viel Stress und Rennerei verbunden. Jetzt ist er glücklich, denn "jetzt kann ich mich wieder auf das konzentrieren, was meine Leidenschaft ist: Schuhe machen." Reichtümer hat er ohnehin nie anhäufen wollen, er braucht nicht viel zum Leben - außer seiner Leidenschaft. Im Augenblick werkelt er, wie es seine Art ist, an einer neuen fantastischen Idee herum: Maßgeschneiderte, auf der Welt einzigartige Skistiefel aus Kohlefasern.
Seine Töchter Kim und Nicola haben sich von seiner Begeisterung anstecken lassen. Sie sind beruflich in seine Fußstapfen getreten und haben in der Zwischenzeit einen Maßschuh-Laden in Köln aufgebaut, in dem er mitarbeitet. Außerdem ist er, mit Titeln rund um den Schuh natürlich, unter die Buchautoren gegangen und macht das, was ihn ausfüllt und glücklich macht: Maßschuhe. Genügsam, sagt er, sei er ja schon immer gewesen. Und eines habe er aus allem gelernt: "Schuster bleib bei deinen Leisten." Leise sagt er das, und er lacht ein bisschen dabei. "Man muss immer einmal mehr aufstehen als man hinfällt." Und: "Jetzt ist alles gut."
Hier ein Video über sein Geschäft, besser den Schuhtempel, in Köln und - wie ein handgemachter Schuh entsteht! Sehr sehenswert! => KLICK
Hier ein Video des ZDF über die Werkstatt von Vater und Töchtern in Köln => KLICK (oder aufs unten stehende Foto klicken)
Ein Video von "Hin und Weg" über Axel Himer => KLICK
Die FAZ über Axel Himer und das damalige Zunfthaus in Baden-Baden => KLICK
"Die Stimme" über das damalige Zunfthaus Baden-Baden => KLICK
Das Schuhmacher-Museum auf bad-bad.de => KLICK
Axel Himer empfiehlt seine Lieblingsorte in Baden-Baden => KLICK
Hier geht es zur Website des Museums => KLICK
und zur Schuhmacherfirma in Köln => KLICK
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