Montag, 8. Mai 2017

Leonie Ganyou Diefe



Ein Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lässt


Sinnlich und mitreißend wird es Ende nächster Woche im Stadtteilzentrum Briegelacker zugehen, wenn im Rahmen der interkulturellen Woche der kamerunische Freundeskreis zum großen Afrikafest mit kulinarischen Köstlichkeiten, Musik und Tanz einlädt. Moment mal! Kamerunischer Freundeskreis? Wer oder was ist das?

Wir sind um die 30 Personen – wenn alle kommen“, sagt die treibende Kraft hinter dem Ganzen, Leonie Ganyou Diefe. Und sie sagt auch weitere Sätze wie „Wenn alles klappt“ oder „Wir werden uns überraschen lassen“. Sätze sind das, die einen deutschen Veranstalter vermutlich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs treiben würden. Sie aber lacht dabei, ansteckend und gutmütig, als sei das alles ein Riesenspaß, und als sei Improvisation ihr Lebensinhalt. Wer ist die Frau, die hinter all dem steckt?

Nun das erste, was an Leonie Ganyou Diefe auffällt, ist die Ausgeglichenheit, Zufriedenheit, die sie ausstrahlt. Sie ist eine offene, selbstbewusste, kraftvolle Frau, die in sich ruht und weiß, wer sie ist und die stolz darauf ist, was sie in ihrem Leben erreicht hat. „Ich bin eine Kämpferin“, sagt sie über sich selbst.




Schon früh hat sie gelernt, aus eigener Kraft zurechtzukommen im Leben. Ihre Kindheit in der Großfamilie mit sechs weiteren Geschwistern im Westen Kameruns war kein Zuckerschlecken. Der Vater starb früh, die Mutter wurde krank, und so schuftete Leonie mit ihren Brüdern und Schwestern auf dem Feld, um zu überleben, schaffte es aber gleichzeitig, die Schule zu besuchen und allen Widrigkeiten zum Trotz das Abitur zu machen.

Und dann? Wäre es nicht weitergegangen. „Wer keine Beziehungen hat, hat es schwer in Kamerun“, fasst sie die Situation kurz zusammen. Ohne Geld zum Beispiel sei nicht einmal eine Berufsausbildung möglich.
Diese Perspektivlosigkeit und die politische Situation im Land ließen sie ans Weggehen denken. Dann starb auch noch ihr Baby, mit gerade mal zwei Monaten, einfach so. „Das war schrecklich“, erinnert sie sich. Dieser Vorfall war für sie der Auslöser, endgültig die Koffer zu packen und nach Europa zu kommen. 26 war sie damals, im Jahr 2000, als sie schließlich in Karlsruhe ankam und Asyl beantragte. 
 
Ihr Ziel in Deutschland, im Märchenland der unbegrenzten Möglichkeiten, war klar: Sie wollte hier studieren. Medizin am liebsten, oder Sozialpädagogik. „Aber wie geht das? Wie kann ich das schaffen?“, fragte sie sich, als sie endlich hier war. Die Landung in der Wirklichkeit war hart und kam schnell. Ein Studium, so lernte sie, war ohne entsprechende Papiere unmöglich. Also zurück nach Kamerun, um Visum und Papiere zu beschaffen? Sie winkt ab und schüttelt den Kopf. „Das hätte damals 12 000 D-Mark gekostet, das ging nicht.“
Also blieb sie – und folgte dem Ruf ihres Herzen. Sie lernte einen Mann kennen, bekam einen Sohn. Eine glückliche Zeit. Doch leider – Glück ist launisch, und es hielt nicht lange. Viel berichtet sie nicht über die Gründe, warum die Beziehung scheiterte, nur so viel, dass sie sich und ihr Kind in eine Zuflucht in Baden-Baden rettete. Ein Jahr war sie damals erst in dem fremden Land, hatte noch mit Sprachproblemen zu kämpfen und musste für sich und das Kleinkind sorgen. Und wieder kam die Liebe ins Spiel, wieder kam ein Kind auf die Welt, diesmal eine Tochter, und wieder gab es kein Happy End... Manche geben an dieser Stelle im Leben auf.

Nicht so Leonie Ganyou Diefe! Sie wachte auf: „Da wusste ich, ich muss mein Leben selber in die Hand nehmen“, sagt sie und klopft energisch auf den Tisch. „Ich wusste: Entweder du kämpfst jetzt, oder du gehst unter. Du hast nur diese zwei Möglichkeiten.“

Sie zuckt mit den Schultern. „Ich habe ja immer schon gekämpft, also...“ Leonie beendet den Satz nicht, aber es ist klar, was er bedeutet: Harte Arbeit! Zielstrebig machte sie zuerst den Führerschein, lernte dann Deutsch und belegte unermüdlich Kurse und machte Praktika. Schwesternhelferin, Krankenschwester, Nachbarschaftshilfe – alles versuchte sie, sogar eine Ausbildung als Erzieherin begann sie, aber die amtlichen Hürden wuchsen ins Unüberwindbare. Sprache, Kurse, Ämterkrieg und noch dazu die ständige Suche nach Kinderbetreuungsplätzen – es war ein Kampf an (zu) vielen Fronten. Aber nein, Aufgeben kam ja nicht in Frage. Also biss sie sich durch, erfuhr tatkräftige Unterstützung von Sozialorganisationen, bekam ein Praktikum in einem Altenpflegeheim - und durfte schon eine Woche später mit einer dreijährigen Ausbildung zur Altenpflegerin beginnen. „Eine harte Zeit“, resümiert Leonie trocken, „aber da musste ich durch.“ 
 
Eine große Herausforderung, vor allem mit dem Schichtdienst, den sie mit der Betreuung ihrer Kinder vereinbaren musste, was in Baden-Baden extrem schwierig war. Zum Glück erwies sich der Großvater eines der Kinder als große Stütze und „irgendwann habe ich es geschafft!“ Endlich, endlich hielt sie die ersehnte Urkunde in Händen: Die Ausbildung war beendet, ein neues Leben begann.
2009 war das, und das Gefühl, das Ziel erreicht zu haben, war unbeschreiblich. Es war ja nicht einfach nur der Abschluss einer Ausbildung, sondern es hatte etwas mit Selbstwertgefühl zu tun.
Seitdem läuft es rund bei ihr, in ihrem Job als ambulante Altenpflegerin und Wundexpertin ist sie hochzufrieden, und auch mit dem Glück klappte es nun besser, Hochzeit, drittes Kind, gut organisierter Alltag.

Vor allem die Kinder bereiten ihr viel Freude. 15 und 13 sind die Großen jetzt, sie gehen aufs Gymnasium und bringen Traumnoten nach Hause. Der Sohn heimst einen Preis nach dem anderen ein, später will er in die Forschung gehen, und die Tochter liebäugelt mit dem Anwaltsberuf. „Was ich nicht geschafft habe, versuchen sie zu erreichen“, erklärt die stolze Mutter, die rastlos immer weitermacht, um ihrer neuen Heimat etwas zurückzugeben: Sie ist als ehrenamtliche Elternmentorin in der Stadt unterwegs, hilft einer Ärztin, die Flüchtlinge behandelt, beim Übersetzen, hat 2003 eine Kindertanzgruppe gegründet, und nun, seitdem eine ganze Reihe von Landsleuten in die Asylunterkünfte der Stadt eingezogen sind, kümmert sie sich um diese. Schon im vergangenen Jahr initiierte sie während der interkulturellen Woche ein afrikanisches Fest, mit Vorträgen, und Workshops zum Thema Kochen, Tanzen, Kunst. Auch in diesem Jahr steht das afrikanische Kulturfest ganz im Zeichen von Tanz und Musik und kulinarischen Köstlichkeiten, von denen wir uns, wie schon gesagt, werden überraschen lassen. Und fürs nächste Jahr könnte sich Leonie ein noch größeres Fest an einem größeren Platz vorstellen... Aber das ist noch Zukunftsmusik.




Eine letzte Frage: Hat sie noch Träume? Ihre Augen werden ganz groß und rund. Oh ja! „Die Situation zuhause verbessern!“ Da sie einen deutschen Pass besitzt, reist sie manchmal in die (alte) Heimat. Die Vorstellungen, die ihre Landsleute von Europa und Deutschland haben, seien leider unrealistisch, stellt sie dabei immer wieder fest. Wünschenswert wären daher große Beratungsstellen direkt vor Ort, um die Menschen über die Situation hierzulande aufzuklären, „damit sie wissen, wie das ist in Europa, und damit sie sich entscheiden können, ob sie vielleicht doch lieber zuhause bleiben wollen.“ Auch in Kamerun gäbe es schließlich viel zu tun. Weggehen sei nicht immer die beste Lösung. „Menschen können Politik auch ändern.“ 
 
Nicht jeder, der nach Deutschland gehe, erreiche das, was sie geschafft habe. Dazu brauche man viel eisernen Willen und müsse sich immer wieder fragen: „Wer bin ich, was will ich und was ist mein Ziel, das ich erreichen will.“




Was ihr Ziel für den 1. Oktober ist, liegt natürlich auf der Hand: Sie wünscht sich ganz viele Besucher, die nicht nur einfach Spaß haben werden, sondern bei denen sie vielleicht auch Verständnis für die Flüchtlinge wecken kann. Sie hat im vergangenen Jahr ja selbst erlebt, wie schnell die Stimmung auch in Baden-Baden, sogar in ihrem engsten Umfeld, kippte. Bis dahin habe sie nie Schwierigkeiten gehabt, „alles war super“, dann aber seien die Leute zunehmend gereizt gewesen. Sie tat, was sie konnte, auf die ihr eigene Weise: Sie diskutierte und erklärte geduldig und unermüdlich. Jetzt hat sich die Situation zum Glück wieder etwas beruhigt. Und das ist – dies sei an dieser Stelle erlaubt zu sagen – in gewisser Hinsicher sicher auch ihr Verdienst! Solche Beispiele geglückter Integration brauchen wir. Danke, Leonie!