Ein
Kämpferin, die sich nicht unterkriegen lässt
Sinnlich
und mitreißend wird es Ende nächster Woche im Stadtteilzentrum
Briegelacker zugehen, wenn im Rahmen der interkulturellen Woche der
kamerunische Freundeskreis zum großen Afrikafest mit kulinarischen
Köstlichkeiten, Musik und Tanz einlädt. Moment mal! Kamerunischer
Freundeskreis? Wer oder was ist das?
„Wir
sind um die 30 Personen – wenn alle kommen“, sagt die treibende
Kraft hinter dem Ganzen, Leonie Ganyou Diefe. Und sie sagt auch
weitere Sätze wie „Wenn alles klappt“ oder „Wir werden uns
überraschen lassen“. Sätze sind das, die einen deutschen
Veranstalter vermutlich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs
treiben würden. Sie aber lacht dabei, ansteckend und gutmütig, als
sei das alles ein Riesenspaß, und als sei Improvisation ihr
Lebensinhalt. Wer ist die Frau, die hinter all dem steckt?
Nun
das erste, was an Leonie Ganyou Diefe auffällt, ist die
Ausgeglichenheit, Zufriedenheit, die sie ausstrahlt. Sie ist eine
offene, selbstbewusste, kraftvolle Frau, die in sich ruht und weiß,
wer sie ist und die stolz darauf ist, was sie in ihrem Leben erreicht
hat. „Ich bin eine Kämpferin“, sagt sie über sich selbst.
Schon
früh hat sie gelernt, aus eigener Kraft zurechtzukommen im Leben.
Ihre Kindheit in der Großfamilie mit sechs weiteren Geschwistern im
Westen Kameruns war kein Zuckerschlecken. Der Vater starb früh, die
Mutter wurde krank, und so schuftete Leonie mit ihren Brüdern und
Schwestern auf dem Feld, um zu überleben, schaffte es aber
gleichzeitig, die Schule zu besuchen und allen Widrigkeiten zum Trotz
das Abitur zu machen.
Und
dann? Wäre es nicht weitergegangen. „Wer keine Beziehungen hat,
hat es schwer in Kamerun“, fasst sie die Situation kurz zusammen.
Ohne Geld zum Beispiel sei nicht einmal eine Berufsausbildung
möglich.
Diese
Perspektivlosigkeit und die politische Situation im Land ließen sie
ans Weggehen denken. Dann starb auch noch ihr Baby, mit gerade mal
zwei Monaten, einfach so. „Das war schrecklich“, erinnert sie
sich. Dieser Vorfall war für sie der Auslöser, endgültig die
Koffer zu packen und nach Europa zu kommen. 26 war sie damals, im
Jahr 2000, als sie schließlich in Karlsruhe ankam und Asyl
beantragte.
Ihr
Ziel in Deutschland, im Märchenland der unbegrenzten Möglichkeiten,
war klar: Sie wollte hier studieren. Medizin am liebsten, oder
Sozialpädagogik. „Aber wie geht das? Wie kann ich das schaffen?“,
fragte sie sich, als sie endlich hier war. Die Landung in der
Wirklichkeit war hart und kam schnell. Ein Studium, so lernte sie,
war ohne entsprechende Papiere unmöglich. Also zurück nach Kamerun,
um Visum und Papiere zu beschaffen? Sie winkt ab und schüttelt den
Kopf. „Das hätte damals 12 000 D-Mark gekostet, das ging nicht.“
Also
blieb sie – und folgte dem Ruf ihres Herzen. Sie lernte einen Mann
kennen, bekam einen Sohn. Eine glückliche Zeit. Doch leider –
Glück ist launisch, und es hielt nicht lange. Viel berichtet sie
nicht über die Gründe, warum die Beziehung scheiterte, nur so viel,
dass sie sich und ihr Kind in eine Zuflucht in Baden-Baden rettete.
Ein Jahr war sie damals erst in dem fremden Land, hatte noch mit
Sprachproblemen zu kämpfen und musste für sich und das Kleinkind
sorgen. Und wieder kam die Liebe ins Spiel, wieder kam ein Kind auf
die Welt, diesmal eine Tochter, und wieder gab es kein Happy End...
Manche geben an dieser Stelle im Leben auf.
Nicht
so Leonie Ganyou Diefe! Sie wachte auf: „Da wusste ich, ich muss
mein Leben selber in die Hand nehmen“, sagt sie und klopft
energisch auf den Tisch. „Ich wusste: Entweder du kämpfst jetzt,
oder du gehst unter. Du hast nur diese zwei Möglichkeiten.“
Sie
zuckt mit den Schultern. „Ich habe ja immer schon gekämpft,
also...“ Leonie beendet den Satz nicht, aber es ist klar, was er
bedeutet: Harte Arbeit! Zielstrebig machte sie zuerst den
Führerschein, lernte dann Deutsch und belegte unermüdlich Kurse und
machte Praktika. Schwesternhelferin, Krankenschwester,
Nachbarschaftshilfe – alles versuchte sie, sogar eine Ausbildung
als Erzieherin begann sie, aber die amtlichen Hürden wuchsen ins
Unüberwindbare. Sprache, Kurse, Ämterkrieg und noch dazu die
ständige Suche nach Kinderbetreuungsplätzen – es war ein Kampf an
(zu) vielen Fronten. Aber nein, Aufgeben kam ja nicht in Frage. Also
biss sie sich durch, erfuhr tatkräftige Unterstützung von
Sozialorganisationen, bekam ein Praktikum in einem Altenpflegeheim -
und durfte schon eine Woche später mit einer dreijährigen
Ausbildung zur Altenpflegerin beginnen. „Eine harte Zeit“,
resümiert Leonie trocken, „aber da musste ich durch.“
Eine
große Herausforderung, vor allem mit dem Schichtdienst, den sie mit
der Betreuung ihrer Kinder vereinbaren musste, was in Baden-Baden
extrem schwierig war. Zum Glück erwies sich der Großvater eines der
Kinder als große Stütze und „irgendwann habe ich es geschafft!“
Endlich, endlich hielt sie die ersehnte Urkunde in Händen: Die
Ausbildung war beendet, ein neues Leben begann.
2009
war das, und das Gefühl, das Ziel erreicht zu haben, war
unbeschreiblich. Es war ja nicht einfach nur der Abschluss einer
Ausbildung, sondern es hatte etwas mit Selbstwertgefühl zu tun.
Seitdem
läuft es rund bei ihr, in ihrem Job als ambulante Altenpflegerin und
Wundexpertin ist sie hochzufrieden, und auch mit dem Glück klappte
es nun besser, Hochzeit, drittes Kind, gut organisierter Alltag.
Vor
allem die Kinder bereiten ihr viel Freude. 15 und 13 sind die Großen
jetzt, sie gehen aufs Gymnasium und bringen Traumnoten nach Hause.
Der Sohn heimst einen Preis nach dem anderen ein, später will er in
die Forschung gehen, und die Tochter liebäugelt mit dem
Anwaltsberuf. „Was ich nicht geschafft habe, versuchen sie zu
erreichen“, erklärt die stolze Mutter, die rastlos immer
weitermacht, um ihrer neuen Heimat etwas zurückzugeben: Sie ist als
ehrenamtliche Elternmentorin in der Stadt unterwegs, hilft einer
Ärztin, die Flüchtlinge behandelt, beim Übersetzen, hat 2003 eine
Kindertanzgruppe gegründet, und nun, seitdem eine ganze Reihe von
Landsleuten in die Asylunterkünfte der Stadt eingezogen sind,
kümmert sie sich um diese. Schon im vergangenen Jahr initiierte sie
während der interkulturellen Woche ein afrikanisches Fest, mit
Vorträgen, und Workshops zum Thema Kochen, Tanzen, Kunst. Auch in
diesem Jahr steht das afrikanische Kulturfest ganz im Zeichen von
Tanz und Musik und kulinarischen Köstlichkeiten, von denen wir uns,
wie schon gesagt, werden überraschen lassen. Und fürs nächste Jahr
könnte sich Leonie ein noch größeres Fest an einem größeren
Platz vorstellen... Aber das ist noch Zukunftsmusik.
Eine
letzte Frage: Hat sie noch Träume? Ihre Augen werden ganz groß und
rund. Oh ja! „Die Situation zuhause verbessern!“ Da sie einen
deutschen Pass besitzt, reist sie manchmal in die (alte) Heimat. Die
Vorstellungen, die ihre Landsleute von Europa und Deutschland haben,
seien leider unrealistisch, stellt sie dabei immer wieder fest.
Wünschenswert wären daher große Beratungsstellen direkt vor Ort,
um die Menschen über die Situation hierzulande aufzuklären, „damit
sie wissen, wie das ist in Europa, und damit sie sich entscheiden
können, ob sie vielleicht doch lieber zuhause bleiben wollen.“
Auch in Kamerun gäbe es schließlich viel zu tun. Weggehen sei nicht
immer die beste Lösung. „Menschen können Politik auch ändern.“
Nicht
jeder, der nach Deutschland gehe, erreiche das, was sie geschafft
habe. Dazu brauche man viel eisernen Willen und müsse sich immer
wieder fragen: „Wer bin ich, was will ich und was ist mein Ziel,
das ich erreichen will.“
Was
ihr Ziel für den 1. Oktober ist, liegt natürlich auf der Hand: Sie
wünscht sich ganz viele Besucher, die nicht nur einfach Spaß haben
werden, sondern bei denen sie vielleicht auch Verständnis für die
Flüchtlinge wecken kann. Sie hat im vergangenen Jahr ja selbst
erlebt, wie schnell die Stimmung auch in Baden-Baden, sogar in ihrem
engsten Umfeld, kippte. Bis dahin habe sie nie Schwierigkeiten
gehabt, „alles war super“, dann aber seien die Leute zunehmend
gereizt gewesen. Sie tat, was sie konnte, auf die ihr eigene Weise:
Sie diskutierte und erklärte geduldig und unermüdlich. Jetzt hat
sich die Situation zum Glück wieder etwas beruhigt. Und das ist –
dies sei an dieser Stelle erlaubt zu sagen – in gewisser Hinsicher
sicher auch ihr Verdienst! Solche Beispiele geglückter Integration
brauchen wir. Danke, Leonie!