Montag, 8. Februar 2016

Michael Beck - Rumpelstilzchen


Ab heute wird es auf dem Forum Baden-Baden eine neue Rubrik "Alltagswahn" geben, für die mein Co-Autor Michael Beck Geschichten aus seinem kunterbunten Leben aufschreibt - frei nach dem Motto: "Nehmen Sie das Leben (und diese kleinen Geschichten) nicht zu ernst!" ...

Hier die erste Folge, viel Spaß dabei!




 
Rumpelstilzchen – deutsch-irgendetwas

von Michael Beck

Ein stürmischer Tag heute – beim Gassigang mit den beiden Monstern hat es mir so richtig das Gehirn durchgeblasen. Schadet in keinem Fall, das kleine Männchen in meinem Kopf fühlt sich auch blitzeblank gepustet und hat die Idee, schnell noch auf dem Rückweg ein paar Croissants für das zweite Hobbitfrühstück zu holen. Gute Idee, finde ich und wackle zum Bäcker des Vertrauens.
Trotz oder gerade wegen Rosenmontag ist ganz schön was los. Einige Leute vor mir, aber immerhin fasnetsfreie Zone. Vor mir stehen zwei junge Männer, siebzehn oder achtzehn Jahre alt vielleicht, stinken nach kaltem Rauch, gekleidet in die übliche Uniform einer gewissen Volksgruppe: Weiße Sneakers, gesteppte Polyester-Kurzblousons mit fantasievollem Aufdruck, Jogginghosen auf halb acht, XXL Basecap mit wilden US-Motiven, diverse Kettchen um den Hals, einer trägt weiße Fahrradhandschuhe, beide haben ihre Ohrhörer fest im Lauschorgan implantiert. Dementsprechend laut unterhalten Sie sich auch:
„Ey, Irina, ey, kennsch doch, oda?“ „Klar Alda, vollfette Schlampe!!! Fieso?“ „Ha, war isch gestern bei Fasching in XXXhalle, hab isch ganze Abend an die Bitch rumgemacht – glaubsch die hat mich rangelasse? Voll die Bitch, die Alde!“ Der andere lacht „Krass – bissu nich zum Fi…en gekommen? Alda, du Luuuuuuser!“ „Isch krieg die noch gef… du Spast, isch schwör, ey!“
Die Leute schauen peinlich berührt. Das Männchen in meinem Kopf hat schon das Kornett gezückt und bläst Tourette-Alarm. Das Tourette-Kornett sozusagen. „Können Sie Ihre Verbalfäkalien vielleicht draußen, ohne Zuhörer austauschen? Sonst muss ich mich übergeben…“ höre ich mich sagen.
Rumpelstilzchen zuckt herum. Alle Leute schauen mich an „Was? Was is? Was willsch du alda Mann, he?“ Das Männchen im Kopf lädt schon mal das erste Geschütz, da sagt eine sanfte, männliche Stimme mit kehligem Akzent hinter mir: „Sie. Es muss Sie heißen.“ Rumpelstilzchen ist einen Kopf kleiner als ich und nur halb so breit – es stellt sich auf die Zehenspitzen, schaut an meinem Kopf vorbei und quakt „Hä? Was is, hä?“
„Ich habe nicht Sie gemeint – ich habe meiner Tochter erklärt, dass es Sie statt Du heißen muss. Der Herr hat Sie ja auch gesiezt. Wenn man dann duzt, ist das sehr unhöflich, habe ich gelernt.“ „Bisch du Klugscheißer oder was, he?“ Die Tochter sagt etwas auf arabisch zu ihrem Vater. „Bitte hören Sie auf so zu schreien, meine Tochter bekommt Angst.“
„Ey, bisch du so Scheißndreckkameltreiber odder was?“ „Jetzt halten Sie mal die Luft an Mann!“ tönt meiner einer – das Männchen im Kopf klatscht begeistert in die Hände, Stimmung! „Lassen Sie nur, ist schon gut. Ich bin Syrer, wenn Sie das meinen. Und Sie?“ Rumpelstilzchen bläst sich auf „Isch bin Deutscha – isch hab ne Deutsche Pass – isch bin hier geboren, Mann! Isch wohn schon imma hier! Unn du, hä?“ Das Männchen im Kopf schlägt die Hände vor´s Gesicht und schämt sich. Blind tastet es nach dem Abzug fürs Geschütz – ist aber nicht nötig, wie sich herausstellt. „Ich bin mit meiner Tochter leider erst seit vierzehn Monaten in Deutschland. Leider beherrsche ich die Grammatik besser als Sie. Es ist schade, dass Sie mich deshalb für einen Klugscheisser halten.“ Er dreht den Kopf zu mir und fragt lächelnd „Das war hoffentlich korrekt so, oder?“ Ich bestätige lachend. Das Rumpelstilzchen hat Schnappatmung und ich kann nicht verhindern zu sagen „Es heißt übrigens auch `ich habe einen deutschen Pass´.“ Mein Gegenüber pumpt wie ein Maikäfer, kassiert von seinem Begleiter eine Kopfnuss und wird von ihm mit den Worten „Komm, wir gehen, die habens alle besser drauf als du – hab doch gesagt bisch n Luuuuser, Alda!“ auf den Parkplatz geschoben.
Die Verkäuferin schüttelt den Kopf und sagt „Und sowas darf dann wählen gehen.“ Der Syrer lächelt. „Er wird nie wählen gehen. Machen Sie sich keine Sorgen. Er versteht nicht, dass das ein Geschenk ist.“ Ich habe ihn auf einen Kaffee eingeladen und der Tochter einen Berliner spendiert. Sehr schönes Gespräch. Darüber in Kürze.