Menschen in Baden-Baden, heute:
Khalil Khalil
Auf
einmal ist er da. Taucht auf aus der breiten Anonymität der
Flüchtlinge in Baden-Baden. Auf Facebook hebt er den Finger und
diskutiert eifrig mit, im Café international hilft er als
Ehrenamtlicher im Team mit. Den Sprachlehrern fällt er auf, weil sie
seinen Wissensdurst nicht stillen können. Wo immer es geht, trägt
er - manchmal noch etwas holprig - zur besseren Verständigung bei.
Bereitwillig kommt er auch in andere Asylunterkünfte im Stadtgebiet, um den Ehrenamtlichen bei der oft schwierigen Verständigung zu helfen, wenn aus Syrien Geflüchtete ausschließlich arabisch sprechen und verstehen. Kein Problem für ihn: Der in Syrien geborene Kurde spricht Arabisch, Kurdisch, Türkisch, Englisch und bereits verblüffend gut Deutsch, obwohl er erst vor fünf Monaten in Deutschland landete und erst hier damit begonnen hat, die Sprache zu erlernen. Ein Talent, ohne Frage, aber gepaart mit eisernem Willen.
Bereitwillig kommt er auch in andere Asylunterkünfte im Stadtgebiet, um den Ehrenamtlichen bei der oft schwierigen Verständigung zu helfen, wenn aus Syrien Geflüchtete ausschließlich arabisch sprechen und verstehen. Kein Problem für ihn: Der in Syrien geborene Kurde spricht Arabisch, Kurdisch, Türkisch, Englisch und bereits verblüffend gut Deutsch, obwohl er erst vor fünf Monaten in Deutschland landete und erst hier damit begonnen hat, die Sprache zu erlernen. Ein Talent, ohne Frage, aber gepaart mit eisernem Willen.
So
ist es kein Wunder, dass er in Baden-Baden die Runde macht,
herumgereicht wird wie ein Schatz. Er verzaubert Ehrenamtliche, die
mit ihm automatisch Englisch reden wollen, mit dem Satz „Aber ich
verstehe auch Deutsch“. Er ist außergewöhnlich pünktlich ("Ich weiß, das ist wichtig in Deutschland"), höflich, fast ein wenig schüchtern,
freundlich, humorvoll und bescheiden, und er macht sich so seine Gedanken über
das Land, in dem er nun leben möchte. Kurz: Er ist das leuchtende
Beispiel, wie einfach Integration funktionieren kann, wenn man nur
einen Baustein beherrscht: Die Sprache.
Die
Rede ist von Khalil (sprich: Chalil, mit einem kehligen Ch) Khalil.
Ja, richtig: Vor- und Nachname sind gleich. „So wie bei Baden-Baden“,
pflegt er zu sagen, wenn jemand stutzt. Und schon ist das Eis
gebrochen.
Geboren
ist er 1988 in Aleppo, und sein Lebensweg war
eigentlich gutbürgerlich vorgezeichnet: Er studierte Zivilrecht an der Universität,
finanzierte sich das Studium durch Jobs als Patisserieverkäufer,
belegte Kurse zum Buchhalter und als Krankenpfleger. Vier Jahre
besuchte er die Universität von Aleppo und schloss mit dem Master ab.
Da
hatte ihn allerdings bereits der Bürgerkrieg eingeholt, der 2011 in
seinem Land ausbrach. Das Elternhaus in Aleppo wurde zerbombt, die
Familie floh in ein kleines Dorf auf dem Land. Der Kampf ums
Überleben begann, und kein Job weit und breit. So schlug sich Khalil
Khalil 2013 über die Grenze in die Türkei durch, wo er in einer
Schuhfabrik wie eine Maschine bis zum Umfallen schuftete.
12-Stunden-Schichten seien das gewesen, danach sei er vor
Erschöpfung nur noch ins Bett gefallen. Die Behandlung war genauso mies wie
die Bezahlung, und Khalil Khalil musste erkennen, dass es so nicht
weiterging – noch dazu als Kurde in der Türkei. Zurück in den
Krieg konnte er nicht mehr, er sah nur die Möglichkeit, sich in
die Hände von Schleppern zu begeben. Deutschland war schon länger das Land seiner Träume gewesen, alles faszinierte ihn: Die Kultur, die freiheitliche Grundordnung...
Und
so fand er sich irgendwann im Juli 2015 auf einem kleinen Boot
wieder, er, der Nichtschwimmer! Fünf Stunden bangte er in der
Nussschale um sein Leben. „Das Wasser war überall“, erinnert er
sich mit Grausen. „Wenn das Boot sinkt, ist es um mich geschehen.“
Mehr konnte er nicht denken.
Aber
nein, das Schicksal meinte es gut mit ihm, er schaffte die Überfahrt,
landete auf einer griechischen Insel, und setzte seinen Weg fort,
betrat am 25. August deutschen Boden, bat in Ulm auf einer
Polizeistation um Asyl, wurde nach Karlsruhe geschickt, von dort für ein par Tage nach
Sinsheim und dann nach Donaueschingen, wo er zwei Monate im Erstaufnahmelager
bleiben musste und wo es ihm überhaupt nicht gefiel, denn die Leute
dort seien sehr unfreundlich gewesen. Doch es war ja nicht für ewig.
Zwei
Wochen vor seinem 28. Geburtstag, am 4. November – diesen Tag
wird er nicht vergessen – wurde er mit 16 anderen Personen
weitergeschickt; ausgestattet mit Adresse, Zugticket und GPS-Daten
landeten sie mit Sack und Pack am Bahnhof Baden-Baden, wo
Sozialarbeiterin und Hausmeister der Stadt sie Empfang nahmen und zur
Unterkunft in der Westlichen Industriestraße brachten. Die Enge der
Dreibett-Zimmer schreckte sie nicht, sie waren darauf vorbereitet,
und außerdem war es möglich gewesen, dass sich drei Freunde das
Zimmer teilen. Das macht vieles erträglicher.
Dennoch
ist es wirklich eng hier. Das Einzel- und das Stockbett stehen
vielleicht 30 oder 40 Zentimeter auseinander, man kann gerade noch
durchgehen – könnte durchgehen, muss man sagen, denn die fleißigen
jungen Männer haben in diesen Zwischenraum tatsächlich noch einen
Tisch gequetscht, ein ovales Möbelstück mit einem Fuß in der
Mitte, sonst wäre es nicht gegangen. Die Platte ragt in die Betten
links und rechts hinein, aber das stört nicht.
Einer
sitzt nun also auf dem Bett und beugt sich über den Couchtisch zum
Lernen, der andere sitzt am winzigen Esstisch und schlägt seine
Deutschbücher auf. Ein Regal haben die drei Freunde auch besorgt,
dort haben sie ihre Kochutensilien aufgereiht, es gelingt ihnen,
Ordnung zu halten, und sie beklagen sich nicht.
Schon
seit seinem ersten Tag in Deutschland hat Khalil Khalil damit
begonnen, Deutsch zu lernen. In Sinsheim, wo er nur ein paar Tage
Zwischenaufenthalt hatte, lernte er eine deutsche Helferin kennen,
mit der er auch heute noch freundschaftlichen Kontakt hält; sie
besorgte ihm die ersten Bücher, Hefte und Stifte. Und während
die anderen Karten spielten, schliefen oder spazieren gingen, vertiefte
Khalil sich in seine Deutschbücher. Eine Stunde am Tag kam er außerdem über
das Handy seines Freundes ins Internet und eignete sich so die
Aussprache an, und seit er in Baden-Baden ist und regelmäßigen
Unterricht besucht, macht er Riesenfortschritte.
Kein
Wunder! Er lässt keine Gelegenheit zum Lernen aus, erstaunte seine
ehrenamtlichen Lehrer so sehr, dass sie ihn zur Volkshochschule zu
einem Test schickten. 40 Fragen sollte er dort beantworten, erinnert er sich. Er hatte
nur begrenzt Zeit und schaffte nicht alles. Nur 33 Antworten waren
korrekt, ein Schock für den ehrgeizigen jungen Mann, bis man ihn
lachend aufklärte: „Hätten Sie alles beantwortet, hätten Sie ja
keinen Deutschkurs mehr nötig gehabt.“
So
aber lautete das Ergebnis: "B-2-Level", und er darf seit 11. Januar den Kurs für Fortgeschrittene besuchen. „Schritte Plus 3“ heißt sein Lehrbuch, doch er verzieht
etwas das Gesicht, denn auch das ist für ihn viel zu leicht. Doch er
sieht es philosophisch: „Die Volkshochschule gibt einem einen Weg,
wenn man gehen will, aber wenn man rennen möchte, muss man noch
andere Möglichkeiten wahrnehmen“. Selbstlernen ist nun also sein
großes Motto. Viermal die Woche geht er vormittags in den Unterricht
in der Volkshochschule, daneben kreuzt er dreimal in der Woche abends
in den ehrenamtlichen Unterrichtsstunden in der Unterkunft auf, und
er sucht (und findet) Kontakt zu Deutschen, wo immer es geht.
Die
Vorfälle in Köln haben ihn sehr mitgenommen. Er schämt sich dafür,
und das ist kein Lippenbekenntnis. Es ließ ihn nicht ruhen, und so
hat er einen offenen Brief und Plakate der Bewohner seiner Unterkunft
angestoßen (siehe Blogeintrag => KLICK)
Auch
auf Facebook hat er sich öffentlich für die Taten der ihm Unbekannten entschuldigt:
Man
nimmt es ihm seine Besorgnis ab, denn schon vor der verhängnisvollen Silvesternacht hat er stets versucht, im sozialen Netzwerk zwischen
den Kulturen und den Nationen Brücken zu schlagen: Mal wünschte er
frohe Weihnachten, zu Silvester einen guten Rutsch, oder er postet einfach nur
einen schönen Spruch – in mehreren Sprachen.
Religiöse Verblendung ist denn auch kein Thema für ihn: Seine Grundsätze sind Geduld, Toleranz, Güte, Liebe, Respekt, anderen helfen wollen - „Wenn du das alles im Herzen hast, brauchst du keine Religion“, sagt er.
Religiöse Verblendung ist denn auch kein Thema für ihn: Seine Grundsätze sind Geduld, Toleranz, Güte, Liebe, Respekt, anderen helfen wollen - „Wenn du das alles im Herzen hast, brauchst du keine Religion“, sagt er.
Und
danach lebt er auch. Menschen und andere Kulturen kennenzulernen, ist
das Wichtigste für ihn, das kann ihm gar nicht schnell genug gehen.
Schon bohrt es in seinem Hinterkopf, ob er nicht parallel zu seinen
Deutschkursen anfangen sollte, sich ins Französische zu vertiefen.
Die passenden Bücher hat er jedenfalls schon da...
Ach
ja – Bücher! Die sind seine große Leidenschaft. Meine Frage, ob
er schon ein deutsches Buch gelesen hat, beantwortet er mit einem
fragenden Blick, der soviel aussagt wie: Ob ich das wohl ernst meine?
Dann springt er auf, kniet sich auf den Boden und zerrt mit großer
Anstrengung etwas unter seinem Bett hervor: Eine riesige Schublade,
voll mit deutscher Lektüre, und noch während ich staunend
fotografiere, kommen immer mehr Bücher zum Vorschein, und noch mehr.
Bücher, die man nicht unbedingt bei einem jungen Mann aus Syrien
vermuten würde. Aber er liest sie!
Auch
das Bürgerliche Gesetzbuch, das ein Rechtsanwalt ihm überlassen
hat, ist bereits in Gebrauch. Denn irgendwo dort sieht Khalil Khalil
seine Zukunft: Er weiß, dass sein syrisches Jura-Studium nicht
ausreichen wird, um sich in Deutschland als Rechtsanwalt
niederzulassen. Aber er könnte sich sehr gut vorstellen, einem
Rechtsanwalt oder vor Gericht als Dolmetscher zu dienen. Seine Augen
beginnen unternehmungslustig zu strahlen: „Dafür brauche ich noch
Französisch. Und Spanisch. Und Italienisch...“
Gibt
es eigentlich so etwas wie eine Freizeitbeschäftigung für ihn? So
ganz scheint er die Frage nicht zu verstehen, und ein Blick in seinen
Terminkalender offenbart den Grund. Dieser Mann ist gefragt in
Baden-Baden! Und er nimmt bereitwillig und freundlich jede Einladung der Ehrenamtlichen wahr, ob zum Konzert, zum Netzwerken oder sogar ins Theater, wo zurzeit mit "Zorn" (=> KLICK) ein höchst aktuelles Stück gespielt wird (Schwierigkeitsgrad S* für seine Deutschkenntnisse, aber er war dennoch beeindruckt).
Und so geht es immer weiter mit ihm. Demnächst, soviel darf ich vielleicht schon verraten, wird er sogar Hauptperson in einer kleinen Videoreihe sein, erste Vorgespräche mit dem Fachmann, Georg von Langsdorff, liefen bereits:
Und so geht es immer weiter mit ihm. Demnächst, soviel darf ich vielleicht schon verraten, wird er sogar Hauptperson in einer kleinen Videoreihe sein, erste Vorgespräche mit dem Fachmann, Georg von Langsdorff, liefen bereits:
Hat man, wenn man so viel beschäftigt ist, überhaupt noch Wünsche? Oh ja! Ganz oben steht natürlich die ersehnte Anerkennung als Asylbewerber. Und dann wäre da noch etwas: Seine Bücher, so sagt Khalil in seiner bildhaften Art, seien gut für den Kopf, die Musik
fürs Herz, aber Sport, Sport sei für den Körper. Und da fehlt ihm
etwas. Bobybuilding wäre sein Traum, wenn er sich etwas wünschen dürfte. Oder, ganz profan und sehr
plausibel: „Ich würde gerne schwimmen lernen“, sagt er. Sein
Gesicht wird ernst und der Blick verliert sich in der Ferne.
Mehr Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK
Diese und ähnliche Geschichten, Informationen und Termine rund um das Asyl in Baden-Baden finden Sie auf meinem gesonderten Blog www.Fluechtlingshilfe-Baden-Baden.de => KLICK