Menschen
in Baden-Baden, heute:
Anna-Maria
Oeser
Wer
diese Frau besucht, weiß schon, bevor er ihre Wohnung betritt, auf
was beziehungsweise auf wen er sich einlässt. Der Fußabstreifer
erzählt Bände.
Wenn man weitergeht und den Flur betritt, braucht
man diese Ansage nicht mehr: Bilder. Überall Bilder.
Und
mittendrin die Künstlerin, Anna-Maria Oeser. Das Atelier ist im
wahrsten Sinne des Wortes malerisch. Staffelei, Bilder, Farben,
Pinsel, und noch mehr Bilder, Bilder, Bilder.
Und
doch – Lampe und der Hocker stehen nicht hier, am Malplatz mit dem
Fenster, sondern etwas entfernt, am zweiten Schreibtisch im Raum, auf
dem ganz andere Dinge liegen: Kleber. Schere. Kleine Papierstreifen.
Winzige Bildchen. Skizzen. Und Bücher. Aber was für welche!
Mini-Bücher, gerade mal zweieinhalb mal zwei Zentimeter groß.
Ja
– was ist sie nun? Malerin oder Buchkünstlerin? Zwei Seelen, ach
in einer Brust?
Für
Anna-Maria Oeser ist das tatsächlich seit kurzem (k)eine Frage, und
irgendwie merkt man ihr an, dass sie mitten drin steckt in einem
Findungsprozess. Dabei war sie sich doch so sicher!
Felsenfest
stand ihr Entschluss, der sie, als sie 17 war, wie ein Virus anflog.
Sie weiß den Tag noch ganz genau, an dem es geschah: Der 14.
November 1998 war es gewesen. Auf einer langen Fahrt vom heimatlichen
Weimar zu einem Onkel im Allgäu machte sie mit ihrer Familie Pause
in einer Schneelandschaft. Die junge Anna-Maria stieg aus dem Auto,
streckte sich – und da war sie plötzlich, die Muse, und küsste
sie stürmisch. Elektrisiert wandte sich Anna-Maria Oeser sich zum
Vater um und erklärte ihm mit fester Stimme: „Ich werde Malerin“.
Punkt. So einfach kann das manchmal sein. Der Vater übrigens
reagierte gelassen. „Das wundert mich nicht“, antwortete er nur,
immerhin hatte seine Tochter von Klein auf gern und viel gemalt.
Sie
warf die Schule hin, unterstützt ausgerechnet vom Geographielehrer,
der ihr die erste Auftragsarbeit verschaffte: Sie sollte den Umriss
von Thüringen zeichnen. Kurze Zeit später hatte sie eine stattliche
Mappe von Bildern zusammengestellt und wurde schon ein Jahr nach
ihrem Entschluss an der freien Kunstakademie in Mannheim aufgenommen,
wo sie bis 2005 studierte. Mit Haut und Haaren war sie dabei, so
sehr, dass sie 2001 – natürlich stilvoll zum Jahrestag, dem 14.
November, ihre Leidenschaft ganz offiziell besiegelte - und
heiratete. Wen? Na, die Kunst natürlich! Im Rahmen einer richtigen
Zeremonie mit graviertem Ring und Trauzeugen und Hochzeitsfeier.
Warum? „Nonnen im Kloster machen das doch auch“, sagt sie
schlicht, und ein sehr seltenes Lächeln huscht wie ein flüchtiger
Schatten über ihr Gesicht. Kunst – das ist für sie kein Beruf.
Kunst – das ist ihr Leben.
Nach
Abschluss der Akademie hängte sie noch eine dreijährige Ausbildung
zur Bühnenmalerin am badischen Staatstheater in Karlsruhe dran,
danach arbeitete bis 2012 als Ausstattungsmalerin beim SWR in
Baden-Baden, und seitdem ist sie selbständig und versucht sich mit
freiberuflichen Projekten über Wasser zu halten, oder vielmehr
durchzubeißen, wie sie es nennt.
Aufträge
am Theater in Karlsruhe oder am Stadttheater in Gießen helfen ihr
dabei, außerdem unterrichtet sie Bühnenmalerei, nimmt
Auftragsarbeiten an und bestückt Ausstellungen.
Und
hier beginnen auch schon die „Eheprobleme“. „Manchmal denke ich
in letzter Zeit über Scheidung nach“, verrät sie – aber
natürlich meint sie damit nur einen Teil ihrer selbst, nämlich die
klassische Malerei in Öl.
Die
ist ihr mit den Jahren eher zur Last geworden, am liebsten würde sie
sie links liegen lassen! Für eine einzige Ausstellung beispielsweise
bewerben sich heutzutage bis zu 400 Künstler, hat sie erfahren,
hinzu komme, dass die Menschen immer unverbindlicher würden: Erst
erteilten sie vollkommen begeistert Malaufträge, dann aber nähmen
sie wieder Abstand. Das Ende vom Lied? Ist mehr als zäh, und das
macht verständlicherweise wenig Spaß, zumal es heute keinen Markt
mehr gibt für die reine Kunst, wie sie sie vertritt. „Heute
gängige Acryl-Farben trocknen viel schneller, ich aber bevorzuge Öl
und die klassische Lasurmalerei, weil diese Technik den Bildern
einfach mehr Tiefe gibt“, sagt die Künstlerin und fügt lakonisch
hinzu: „Schwierig zu vermitteln.“ Denn: „Es gibt zwei
Strömungen: Bilder fürs Museum – und schnelle Bilder für den
Alltag.“ Nicht ihr Ding, das merkt man, auch ohne dass sie es
ausspricht.
Leicht
fällt ihr die Trennung von ihrer großen Liebe der Malerei nicht,
und sie erinnert sich gerne an so manche Begebenheiten, die man eben
nur als Malerin erlebt. So wie zum Beispiel bei einer Auftragsarbeit,
die sie in vollkommenem Schweigen erledigen sollte: Der Kunde brachte
seine Freundin, der er die Augen verbunden hatte, wortlos zu ihr ins
Atelier, ließ in vollkommenem Schweigen ein Aktbild der Frau
anfertigen und führte sie danach wieder – immer noch mit
verbundenen Augen – nach Hause. Kein Wort wurde gewechselt, und
wenn einmal doch eine Kommunikation zwischen Auftraggeber und Malerin
nötig war, erfolgt sie auf Zetteln, die hin und hergeschoben wurden.
„Die Frau weiß wahrscheinlich bis heute nicht, wo sie war und ob
eine Frau oder ein Mann sie malte. Das war wohl eine Art erotischer
Kick zwischen den beiden“, vermutet die Künstlerin.
Aber
das ist lange her, und nun also ist es Zeit, von Pinsel und Farben
Abschied zu nehmen. Es fällt allerdings nicht schwer.
Denn
der Hauptgrund für ihr derzeitiges Unbehagen mit der Malerei ist ein
Nebenbuhler, eine neue Leidenschaft, die immer mehr überhand nimmt
in ihrem Leben: Anna-Maria Oeser ist seit einem halben Jahr der Welt
der Bücher verfallen. Der selbstgemachten Mini-Bücher, um es genau
zu sagen. So winzig sind sie, dass sie sie sich als Schmuck ins Haar
stecken oder ihr ganzes Sortiment, quasi ihren Bücherschrank, in der
Handtasche mit sich spazieren tragen kann.
Und
das tut sie auch. 13 Bücher sind es im Augenblick, die sie in ihrer
Angebotspalette hat. „Gefunden“ heißen sie, oder „Gemalt“,
„Farbentage“, „Weihnachtsbuch“, „Anatomie“ ...
... aber auch Geburtstagsbücher und ein Erotikkalender sind dabei. Alles selbstgemacht, die Texte, die Herstellung, die gemalten Bilder, und sogar die Fotos sind Selfies. Stolz ist die Künstlerin, dass ihre Bücher lesbar bleiben, so klein sie auch sein mögen.
... aber auch Geburtstagsbücher und ein Erotikkalender sind dabei. Alles selbstgemacht, die Texte, die Herstellung, die gemalten Bilder, und sogar die Fotos sind Selfies. Stolz ist die Künstlerin, dass ihre Bücher lesbar bleiben, so klein sie auch sein mögen.
Ganz
früher, als Kind, bevor die Malerei in ihr Leben tat, habe sie
Schriftstellerin werden wollen, sagt sie halb zur Erklärung, seit
2002 tritt sie übrigens auch regelmäßig mit Lesungen im
literarischen Café in Baden-Baden auf. Und so vereint sie nun alle
Talente in ihren kleinen Werken: Das Schreiben, das Malen, das
Fotografieren, das Dichten und die Handwerkskunst des ordentlichen
Buchbindens.
Und
sie entwickelt ihre Kunst weiter. Inzwischen sind es nicht nur
„Bücher“ zu einem bestimmten Thema, sondern es ist auch ein
„Magazin“ dazugekommen, ein Potpourri aus Dichtung, Interviews,
Science fiction, Kurzgeschichten mit komplett freier Themenwahl –
ihre versteckte Sicht der Welt – mit dem Abstand von einem anderen
Stern. „Explosiv“, nennt sie dieses gebundene Buch-Magazin,
gerade sitzt sie an der dritten Ausgabe. Ihre Botschaft darin? Man
soll nicht alles negativ sehen. Oder anders ausgedrückt: Wie könnte
man anders leben?
Es
ist ihr Ernst damit. Aber kann man davon leben? Nein, das nicht, gibt
sie zu. Aber zum Überleben, ja, dazu reicht es schon. Immerhin. Sie
hebt die Schultern, als wolle sie sagen: So ist das eben mit der
Leidenschaft.
Die
handgefertigten Bücher gibt es nur in geringer Auflage, jedes Buch
ist ein Original. Zu genauen Zahlen schweigt sie sich aus, aber sie
hat ihre Palette ja immer dabei und es ist zu vermuten, dass die
Menschen, denen sie begegnet, auch gern zugreifen. Bei 6 Euro für
das Buch ist das ja erschwinglich. Der Renner sind die
Geburtstagsbücher, sagt sie.
Und
das funktioniert?
Nun,
80 Prozent ihres Tagwerks sind im Augenblick Marketing und
Netzwerkarbeit, sagt sie. Sie hat auch versucht, ihre Minis auf dem
Weihnachtsmarkt zu verkaufen – nun ja – vielleicht nicht das
richtige Klientel dort. Aber am 23. April, beim Flohmarkt in der
Kaiserallee, wird sie zusammen mit einer Freundin einen Stand haben.
Bis dahin kann man ihre Bücher selbstverständlich jederzeit
erwerben, Anruf oder Mail genügen. Kontaktdaten siehe unten.
Immerhin gibt es schon einige Sammler, Tendenz steigend. „Es
spricht sich herum“, weiß sie.
Warum
Minibücher?
Anna-Maria
Oser sieht ihre Kunst als Gegenentwurf zur Technik heutzutage. „Alle
Welt starrt ins Handy – warum nicht mal ein kleines Buch in die
Hand nehmen?“ Warum sich nicht auf die Gedanken einer Künstlerin
einlassen, die in ihren kleinen Geschichten bewusst viel Raum zur
Interpretation lässt, ohne den Zeigefinger zu erheben?
Gibt
es auch noch etwas anderes in ihrem Leben außer der Kunst?
Oh
ja! Ihre Augen leuchten. Nachts, wenn die Dunkelheit die Fenster zu
großen Spiegeln macht, schlüpft Anna-Maria Oeser in eine ganz
andere Rolle. Da legt sie einen Umhang um, eine Maske an, dreht die
Musik auf und wird zur Schwerttänzerin – frei und wild dreht und
windet sie sich, probiert Stellungen und Sprünge, vergisst sich in
Wildheit und Stimmungen. Spontan springt sie auf, sucht die
Utensilien, macht es vor, ernsthaft, wie alles.
Nein,
auch der Schwerttanz ist keine Laune, sondern wird weiterentwickelt,
wird ein neues Projekt, das sie schon bald hofft, präsentieren zu
können. Ein Musiker ist schon gefunden, nun wird es bald ans
gemeinsame Üben und Einstudieren gehen, um Musik und Tanz zu einem
harmonischen Ganzen zu verschmelzen.
Ziele
für die Zukunft?
Sie
sieht mich von der Seite an, als ob sie mich fragen will, ob das
alles nicht schon genug sei. Und doch - ja! Da gibt es in der Tat
noch etwas, ein Projekt mit Flüchtlingskindern, das sie in Angriff
nehmen will – ein Thema, das ihr am Herzen liegt, seitdem sie in
Karlsruhe in der Betreuung von Flüchtlingskindern aktiv gewesen ist.
Aber genauer möchte sie da noch nicht werden, so ganz spruchreif ist
es noch nicht.
Man
darf also gespannt sein!
Wer
Anna-Maria Oeser einmal persönlich über die Schulter sehen möchte:
Jeden Dienstag um 18.30 Uhr ist sie zusammen mit ihrer Freundin und
Kollegin Ute Back, die Skizzenbücher herstellt, im offenen Atelier
des Kunstvereins in der Weinbergstraße anzutreffen. Besucher sind
jederzeit herzlich willkommen.
Kontaktdaten:
Anna-Maria
Oeser
Mail:
Luise-Sylvester@web.de
Mehr
Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK