Sonntag, 17. Januar 2016

Anna-Maria Oeser


Menschen in Baden-Baden, heute:
Anna-Maria Oeser

Wer diese Frau besucht, weiß schon, bevor er ihre Wohnung betritt, auf was beziehungsweise auf wen er sich einlässt. Der Fußabstreifer erzählt Bände. 




Wenn man weitergeht und den Flur betritt, braucht man diese Ansage nicht mehr: Bilder. Überall Bilder. 


 



Und mittendrin die Künstlerin, Anna-Maria Oeser. Das Atelier ist im wahrsten Sinne des Wortes malerisch. Staffelei, Bilder, Farben, Pinsel, und noch mehr Bilder, Bilder, Bilder.




Und doch – Lampe und der Hocker stehen nicht hier, am Malplatz mit dem Fenster, sondern etwas entfernt, am zweiten Schreibtisch im Raum, auf dem ganz andere Dinge liegen: Kleber. Schere. Kleine Papierstreifen. Winzige Bildchen. Skizzen. Und Bücher. Aber was für welche! Mini-Bücher, gerade mal zweieinhalb mal zwei Zentimeter groß.



Ja – was ist sie nun? Malerin oder Buchkünstlerin? Zwei Seelen, ach in einer Brust?

Für Anna-Maria Oeser ist das tatsächlich seit kurzem (k)eine Frage, und irgendwie merkt man ihr an, dass sie mitten drin steckt in einem Findungsprozess. Dabei war sie sich doch so sicher!

Felsenfest stand ihr Entschluss, der sie, als sie 17 war, wie ein Virus anflog. Sie weiß den Tag noch ganz genau, an dem es geschah: Der 14. November 1998 war es gewesen. Auf einer langen Fahrt vom heimatlichen Weimar zu einem Onkel im Allgäu machte sie mit ihrer Familie Pause in einer Schneelandschaft. Die junge Anna-Maria stieg aus dem Auto, streckte sich – und da war sie plötzlich, die Muse, und küsste sie stürmisch. Elektrisiert wandte sich Anna-Maria Oeser sich zum Vater um und erklärte ihm mit fester Stimme: „Ich werde Malerin“. Punkt. So einfach kann das manchmal sein. Der Vater übrigens reagierte gelassen. „Das wundert mich nicht“, antwortete er nur, immerhin hatte seine Tochter von Klein auf gern und viel gemalt.

Sie warf die Schule hin, unterstützt ausgerechnet vom Geographielehrer, der ihr die erste Auftragsarbeit verschaffte: Sie sollte den Umriss von Thüringen zeichnen. Kurze Zeit später hatte sie eine stattliche Mappe von Bildern zusammengestellt und wurde schon ein Jahr nach ihrem Entschluss an der freien Kunstakademie in Mannheim aufgenommen, wo sie bis 2005 studierte. Mit Haut und Haaren war sie dabei, so sehr, dass sie 2001 – natürlich stilvoll zum Jahrestag, dem 14. November, ihre Leidenschaft ganz offiziell besiegelte - und heiratete. Wen? Na, die Kunst natürlich! Im Rahmen einer richtigen Zeremonie mit graviertem Ring und Trauzeugen und Hochzeitsfeier. Warum? „Nonnen im Kloster machen das doch auch“, sagt sie schlicht, und ein sehr seltenes Lächeln huscht wie ein flüchtiger Schatten über ihr Gesicht. Kunst – das ist für sie kein Beruf. Kunst – das ist ihr Leben.



Nach Abschluss der Akademie hängte sie noch eine dreijährige Ausbildung zur Bühnenmalerin am badischen Staatstheater in Karlsruhe dran, danach arbeitete bis 2012 als Ausstattungsmalerin beim SWR in Baden-Baden, und seitdem ist sie selbständig und versucht sich mit freiberuflichen Projekten über Wasser zu halten, oder vielmehr durchzubeißen, wie sie es nennt.

Aufträge am Theater in Karlsruhe oder am Stadttheater in Gießen helfen ihr dabei, außerdem unterrichtet sie Bühnenmalerei, nimmt Auftragsarbeiten an und bestückt Ausstellungen.

Und hier beginnen auch schon die „Eheprobleme“. „Manchmal denke ich in letzter Zeit über Scheidung nach“, verrät sie – aber natürlich meint sie damit nur einen Teil ihrer selbst, nämlich die klassische Malerei in Öl.

Die ist ihr mit den Jahren eher zur Last geworden, am liebsten würde sie sie links liegen lassen! Für eine einzige Ausstellung beispielsweise bewerben sich heutzutage bis zu 400 Künstler, hat sie erfahren, hinzu komme, dass die Menschen immer unverbindlicher würden: Erst erteilten sie vollkommen begeistert Malaufträge, dann aber nähmen sie wieder Abstand. Das Ende vom Lied? Ist mehr als zäh, und das macht verständlicherweise wenig Spaß, zumal es heute keinen Markt mehr gibt für die reine Kunst, wie sie sie vertritt. „Heute gängige Acryl-Farben trocknen viel schneller, ich aber bevorzuge Öl und die klassische Lasurmalerei, weil diese Technik den Bildern einfach mehr Tiefe gibt“, sagt die Künstlerin und fügt lakonisch hinzu: „Schwierig zu vermitteln.“ Denn: „Es gibt zwei Strömungen: Bilder fürs Museum – und schnelle Bilder für den Alltag.“ Nicht ihr Ding, das merkt man, auch ohne dass sie es ausspricht.



Leicht fällt ihr die Trennung von ihrer großen Liebe der Malerei nicht, und sie erinnert sich gerne an so manche Begebenheiten, die man eben nur als Malerin erlebt. So wie zum Beispiel bei einer Auftragsarbeit, die sie in vollkommenem Schweigen erledigen sollte: Der Kunde brachte seine Freundin, der er die Augen verbunden hatte, wortlos zu ihr ins Atelier, ließ in vollkommenem Schweigen ein Aktbild der Frau anfertigen und führte sie danach wieder – immer noch mit verbundenen Augen – nach Hause. Kein Wort wurde gewechselt, und wenn einmal doch eine Kommunikation zwischen Auftraggeber und Malerin nötig war, erfolgt sie auf Zetteln, die hin und hergeschoben wurden. „Die Frau weiß wahrscheinlich bis heute nicht, wo sie war und ob eine Frau oder ein Mann sie malte. Das war wohl eine Art erotischer Kick zwischen den beiden“, vermutet die Künstlerin.

Aber das ist lange her, und nun also ist es Zeit, von Pinsel und Farben Abschied zu nehmen. Es fällt allerdings nicht schwer.

Denn der Hauptgrund für ihr derzeitiges Unbehagen mit der Malerei ist ein Nebenbuhler, eine neue Leidenschaft, die immer mehr überhand nimmt in ihrem Leben: Anna-Maria Oeser ist seit einem halben Jahr der Welt der Bücher verfallen. Der selbstgemachten Mini-Bücher, um es genau zu sagen. So winzig sind sie, dass sie sie sich als Schmuck ins Haar stecken oder ihr ganzes Sortiment, quasi ihren Bücherschrank, in der Handtasche mit sich spazieren tragen kann.



Und das tut sie auch. 13 Bücher sind es im Augenblick, die sie in ihrer Angebotspalette hat. „Gefunden“ heißen sie, oder „Gemalt“, „Farbentage“, „Weihnachtsbuch“, „Anatomie“ ...





... aber auch Geburtstagsbücher und ein Erotikkalender sind dabei. Alles selbstgemacht, die Texte, die Herstellung, die gemalten Bilder, und sogar die Fotos sind Selfies. Stolz ist die Künstlerin, dass ihre Bücher lesbar bleiben, so klein sie auch sein mögen.



Ganz früher, als Kind, bevor die Malerei in ihr Leben tat, habe sie Schriftstellerin werden wollen, sagt sie halb zur Erklärung, seit 2002 tritt sie übrigens auch regelmäßig mit Lesungen im literarischen Café in Baden-Baden auf. Und so vereint sie nun alle Talente in ihren kleinen Werken: Das Schreiben, das Malen, das Fotografieren, das Dichten und die Handwerkskunst des ordentlichen Buchbindens. 


 

Und sie entwickelt ihre Kunst weiter. Inzwischen sind es nicht nur „Bücher“ zu einem bestimmten Thema, sondern es ist auch ein „Magazin“ dazugekommen, ein Potpourri aus Dichtung, Interviews, Science fiction, Kurzgeschichten mit komplett freier Themenwahl – ihre versteckte Sicht der Welt – mit dem Abstand von einem anderen Stern. „Explosiv“, nennt sie dieses gebundene Buch-Magazin, gerade sitzt sie an der dritten Ausgabe. Ihre Botschaft darin? Man soll nicht alles negativ sehen. Oder anders ausgedrückt: Wie könnte man anders leben?



Es ist ihr Ernst damit. Aber kann man davon leben? Nein, das nicht, gibt sie zu. Aber zum Überleben, ja, dazu reicht es schon. Immerhin. Sie hebt die Schultern, als wolle sie sagen: So ist das eben mit der Leidenschaft.



Die handgefertigten Bücher gibt es nur in geringer Auflage, jedes Buch ist ein Original. Zu genauen Zahlen schweigt sie sich aus, aber sie hat ihre Palette ja immer dabei und es ist zu vermuten, dass die Menschen, denen sie begegnet, auch gern zugreifen. Bei 6 Euro für das Buch ist das ja erschwinglich. Der Renner sind die Geburtstagsbücher, sagt sie. 


 

Und das funktioniert?

Nun, 80 Prozent ihres Tagwerks sind im Augenblick Marketing und Netzwerkarbeit, sagt sie. Sie hat auch versucht, ihre Minis auf dem Weihnachtsmarkt zu verkaufen – nun ja – vielleicht nicht das richtige Klientel dort. Aber am 23. April, beim Flohmarkt in der Kaiserallee, wird sie zusammen mit einer Freundin einen Stand haben. Bis dahin kann man ihre Bücher selbstverständlich jederzeit erwerben, Anruf oder Mail genügen. Kontaktdaten siehe unten. Immerhin gibt es schon einige Sammler, Tendenz steigend. „Es spricht sich herum“, weiß sie. 


 

Warum Minibücher?

Anna-Maria Oser sieht ihre Kunst als Gegenentwurf zur Technik heutzutage. „Alle Welt starrt ins Handy – warum nicht mal ein kleines Buch in die Hand nehmen?“ Warum sich nicht auf die Gedanken einer Künstlerin einlassen, die in ihren kleinen Geschichten bewusst viel Raum zur Interpretation lässt, ohne den Zeigefinger zu erheben? 


 

Gibt es auch noch etwas anderes in ihrem Leben außer der Kunst?

Oh ja! Ihre Augen leuchten. Nachts, wenn die Dunkelheit die Fenster zu großen Spiegeln macht, schlüpft Anna-Maria Oeser in eine ganz andere Rolle. Da legt sie einen Umhang um, eine Maske an, dreht die Musik auf und wird zur Schwerttänzerin – frei und wild dreht und windet sie sich, probiert Stellungen und Sprünge, vergisst sich in Wildheit und Stimmungen. Spontan springt sie auf, sucht die Utensilien, macht es vor, ernsthaft, wie alles. 


 

Nein, auch der Schwerttanz ist keine Laune, sondern wird weiterentwickelt, wird ein neues Projekt, das sie schon bald hofft, präsentieren zu können. Ein Musiker ist schon gefunden, nun wird es bald ans gemeinsame Üben und Einstudieren gehen, um Musik und Tanz zu einem harmonischen Ganzen zu verschmelzen.

Ziele für die Zukunft?

Sie sieht mich von der Seite an, als ob sie mich fragen will, ob das alles nicht schon genug sei. Und doch - ja! Da gibt es in der Tat noch etwas, ein Projekt mit Flüchtlingskindern, das sie in Angriff nehmen will – ein Thema, das ihr am Herzen liegt, seitdem sie in Karlsruhe in der Betreuung von Flüchtlingskindern aktiv gewesen ist. Aber genauer möchte sie da noch nicht werden, so ganz spruchreif ist es noch nicht.

Man darf also gespannt sein!

Wer Anna-Maria Oeser einmal persönlich über die Schulter sehen möchte: Jeden Dienstag um 18.30 Uhr ist sie zusammen mit ihrer Freundin und Kollegin Ute Back, die Skizzenbücher herstellt, im offenen Atelier des Kunstvereins in der Weinbergstraße anzutreffen. Besucher sind jederzeit herzlich willkommen.



Kontaktdaten:
Anna-Maria Oeser
Tel.: 0170 62 444 88



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