Menschen in Baden-Baden, heute:
Petra Greiner
„Es geht nicht mehr.“
Welch
ein Desaster hinter diesen vier Worten steckt, merkt man Petra
Greiner auf den ersten Blick nicht an.
Draußen,
am Schaufenster kleben schon die garstigen roten Buchstaben, drinnen
sind die Vitrinen aber noch voll. Perlen, Perlen, Perlen. Als
Rohlinge an langen Schnüren aufgereiht oder ganz individuell zu
kleinen handwerklichen Unikaten umgewandelt, warten sie auf Käufer,
die sich nur selten in den kleinen Laden verirren.
Vielleicht
ist die Lage falsch?
Mit
Sicherheit! Dies hier ist keine Shoppingmeile, hat Petra Greiner
inzwischen festgestellt. Immer wieder lassen sich Eis schleckende
Leute auf dem Sims ihres Schaufensters nieder, Kinder spielen vor dem
Laden, Motorräder und Lieferwagen parken hier. Ein
Gastronomiebetrieb zum Verweilen hätte es vielleicht leichter als
ein kleines, feines Geschäft mit sehr individuellem Angebot.
Vielleicht
liegt es auch daran, dass die Besucherzahlen in der Stadt eingebrochen sind?
Auch
das ist möglich, mutmaßt sie. Ihre eigene Kundschaft kommt
jedenfalls hauptsächlich aus Frankreich, der Schweiz und den großen
Städten im In- und Ausland, Menschen, die gerne ein Wochenende in Baden-Baden
verbringen, um einen Besuch im Festspielhaus mit einem Bummel durch
kleine, individuelle Läden zu verbinden. „Aber diese kleinen
Geschäfte werden immer weniger“, hat Petra Greiner in den letzten
Jahren sorgenvoll beobachtet. Immer mehr große Firmen eröffnen
neuerdings in der Stadt der horrenden Ladenmieten ihre Filialen und
ziehen ein anderes Publikum an, als das, auf das sie vor ein paar
Jahren gebaut hatte.
Es
ist ja nicht so, dass sie ihr Geschäft blauäugig von einem winzigen
Atelier in der Büttengasse auf die prominente Fieserbrücke verlegt
hätte. Eine Marktanalyse ließ das Wagnis kalkulierbar erscheinen,
es gab eine Kontaktperson, die mit ins Umbaurisiko gehen wollte. Doch
kaum war der Mietvertrag im Herbst 2013 in trockenen Tüchern und der
sehr aufwändige Umbau begann, gab es Differenzen, die bis heute
nicht beigelegt ist. Der Umbau musste trotzdem vorangehen,
Geschäftseröffnung sollte unbedingt im Dezember sein, um das
Weihnachtsgeschäft noch mitzunehmen. Jetzt, knapp zwei Jahre später,
geht der gelernten Juwelierin die Puste aus. Den Juli wird sie es
wohl noch schaffen, vielleicht. Aber dann ist Schluss. Aus der Traum von der Selbständigkeit.
„Ich
will nicht klagen, ich habe meinen Traum gelebt“, sagt sie tapfer,
aber dann bricht es doch aus ihr heraus: „Ich habe wirklich
gekämpft“, sagt sie. „Ich habe alles, was ich hatte, verkauft,
um den Laden zu halten, alle Reserven sind aufgebraucht, ich lebe
von der Hand in den Mund.“ Um wenigstens ein Minimum in die Rente
einzuzahlen und ihre Krankenversicherungsbeiträge zu stemmen, geht
sie mehrmals in der Woche morgens, bevor sie den Laden aufschließt,
putzen.
Trotzdem
muss sie nun die Reißleine ziehen.
Verbittert?
Nein.
Das nicht. „Ich hatte ein tolles Leben, es gibt nichts, wofür ich
mich schämen müsste“, lautet ihre Lebensbilanz. Das Geschäft
hätte wohl eine Zukunft gehabt, aber dass es mit der finanziellen
Unterstützung nicht geklappt hat, habe sie einfach nicht abfedern
können.
Dabei
hatte sie die Selbständigkeit, die ihr nun so viele schlaflose
Nächte bereitet, eigentlich nie auf ihrer Agenda gehabt. Dass sie
etwas mit Schmuck machen wollte, hatte hingegen von klein auf
festgestanden. Kein Wunder, arbeitete doch schon der Vater in der
Schmuckbranche. „Ich bin mit Glitzer großgeworden“, sagt sie
denn auch schmunzelnd, und sie erinnert sich mit großer Liebe an
ihre wohlbehütete Kindheit und Jugend im Kinzigtal.
Folgerichtig
absolvierte sie nach der Schule eine Lehre als Goldschmiedin in
Pforzheim, doch es stellte sich heraus, dass sie die einsame
Handwerksarbeit am „Brett“ nicht glücklich machte.
Sie wollte
raus, Kundenkontakt und Kommunikation, das war ihr „Ding“.
Gleichzeitig wollte sie möglichst viele Sparten der Branche
kennenlernen, und so tingelte sie ein paar Jahre durch die
Schmuckwelt, lernte den Umgang mit Perlen, Farbsteinen, Antikschmuck
und modernen Kreationen, dann wurde es ihr wichtig, nicht mehr als
„Tochter von...“ vermittelt zu werden, sondern ihren eigenen Weg
einzuschlagen.
Irgendwann
verschlug sie der Zufall zu Stuttgarts Nummer eins, Wempe. „Ich
ging in der City spazieren, sah das Geschäft, und ging einfach rein
und fragte, ob sie Verwendung für mich hätten“, erinnert sich
Petra Greiner lachend. Am nächsten Tag hatte sie den Vertrag in der
Tasche, arbeitete sich vierzehn Jahre lang hoch bis in die
Führungsetage.
Und
dann kam der Sommer, der ihr Leben veränderte: Ein Kunde schneite
herein, wollte, dass sie Unmögliches möglich machte: Seine
wertvolle Armbanduhr musste repariert werden, und für diese Marke
gab es für einen solchen Auftrag weltweit nur eine einzige Adresse. Entsprechend lang
sind die Wartezeiten für die Reparatur – drei Monate bis zu zwei
Jahre sind keine Seltenheit. Aber Petra Greiner schaffte es, vier
Wochen später konnte der Herr seine Uhr abholen – und lud sie als
Dankeschön ein. „Vorsicht, Vorsicht“, mahnten die Alarmglocken
in ihrem Kopf, knabberte sie zu jener Zeit doch gerade an einer
Enttäuschung. Doch das Schicksal war stärker, und es folgten die
sieben glücklichsten und turbulentesten Jahre ihres Lebens, über
die sie auch heute noch mit einem ungläubigen Strahlen redet, obwohl
die große Liebe nicht hielt.
2001
endete alles, Karriere und Mann, denn da kam ihre neue "Nummer eins"
auf die Welt... Und damit einher gingen alle Schwierigkeiten, die man
als alleinerziehende Mutter hat: Ein Ganztagsjob war erst mal
ausgeschlossen, mit Hartz IV war eine Kita nicht zu bezahlen, und so
wurden die Reserven aus den fetten Jahren angeknabbert und
aufgebraucht.
„Ich
habe mein Leben lang geschafft, ich kann nicht daheim herumsitzen“,
sagt Petra Greiner, und so folgte eine neue berufliche
Herausforderung in Pforzheim, in die sie sich voll und ganz
reinhängte. 500 Überstunden häufte sie in der neuen Firma binnen
zwei Jahren an, dann war aus innerbetrieblichen Gründen Schluss. Das
war 2007, wieder stand ein Umzug an. Diesmal ging es nach
Baden-Baden, in die Schmuckboutique einer weltweit agierenden Kette.
Aber
sie fühlte sich nicht wohl. „Für mich steht der Mensch im
Vordergrund, nicht der Profit“, erkannte sie, und so wurden wieder
Headhunter eingeschaltet, Angebote gewälzt. München? Potsdam?
Leipzig? Optionen, die ihren Sohn unglücklich machten. Er wollte in
Baden-Baden bleiben, nicht schon wieder umziehen. „Ach Kind, die
kleinen Juweliere brauchen niemanden, höchstens Aushilfen. Da kann
ich mich ja gleich selbständig machen“, seufzte sie eines Abends –
und die Idee der eigenen Firma war geboren.
Die
Nische im Angebot der Stadt war schnell gefunden: Perlen. Und so ging
es los, erst im kleinen „Fädelstudio“ daheim in der eigenen
Wohnung, in dem sie vor allem Dienstleistungen für Juweliere in ganz
Baden-Württemberg anbot und erste Stammkunden mit eigenen Kreationen
versorgte.
Der
nächste Schritt war folgerichtig: ein eigenes winziges Atelier in
der Büttenstraße, das sie bereits an ihre finanziellen Grenzen
brachte. Aber Optimismus gehört einfach an ihre Seite, und so
tauschte sie kurzerhand die große Privatwohnung gegen eine kleinere. Und
es ging aufwärts.
Und
dann kam die Verlockung. Die Räume der Hofbuchhandlung Wild wurden
frei. „Mach es!“, wurde sie ermuntert, und sie wagte es...
Nun - es
gibt leider Geschichten, die nicht gut ausgehen...
Und
was nun?
Petra
Greiner lässt sich nicht unterkriegen, auch wenn ihre Augen
verräterisch glänzen, als sie sich im „wohl schönsten Geschäft
der Stadt“ umsieht. Ihre ganze Existenz steckt in diesem Ladenraum,
so viel Geld und Energie hat sie hineingebuttert, hat das alte Holz
eigenhändig aufgearbeitet, sich Lösungen überlegt, um die
denkmalgeschützten aber morschen alte Bücher-Regale zu
verkleiden...
Aber
es half nichts.
Jetzt,
nach insgesamt vier Jahren Selbständigkeit, muss sie zusehen, dass sie so
schnell wie möglich einen genehmen Nachmieter findet, der in ihren
5-Jahres-Mietvertrag einsteigt. Einen Interessenten hatte sie schon,
aber sein Nutzungsvorschlag wurde nicht akzeptiert.
Wie
geht es jetzt weiter?
Petra
Greiner sieht ihr Zukunft pragmatisch. Sie hat gekündigt, räumt ihr
Lager. Selbst vor dem Gedanken, Privatinsolvenz anzumelden, schreckt sie nicht zurück. Aber das will sie nun auf sich zukommen lassen und sucht wieder eine Stelle: „Ich bewerbe mich überall, im
Reisebüro, im Getränkemarkt, und zur Not muss ich eben noch mehr
Putzstellen annehmen. Hauptsache, ich kann mein Kind ernähren.“
Letzte Woche nun war wirklich Schluss. Der letzte Tag, alles wird sorgfältig ins Kartons gepackt, Möbel stehen zum Abtransport bereit. Wie geht es ihr?
Sie zuckt mit den Schultern und lächelt immer noch. "Ich lasse mich nicht unterkriegen", verkündet sie. "Irgendwie muss es weitergehen. Noch fühle ich mich gut, es ist der richtige Schritt, und es ist ja auch im Moment furchtbar viel zu tun." Aber dann, leiser, fügt sie hinzu: "Irgendwann wird das Loch schon noch kommen. Wahrscheinlich heute Abend, wenn ich hier das letzte Mal abschließe." Aber bis es soweit ist, schiebt sie den Gedanken daran schnell wieder weg.
Letzte Woche nun war wirklich Schluss. Der letzte Tag, alles wird sorgfältig ins Kartons gepackt, Möbel stehen zum Abtransport bereit. Wie geht es ihr?
Sie zuckt mit den Schultern und lächelt immer noch. "Ich lasse mich nicht unterkriegen", verkündet sie. "Irgendwie muss es weitergehen. Noch fühle ich mich gut, es ist der richtige Schritt, und es ist ja auch im Moment furchtbar viel zu tun." Aber dann, leiser, fügt sie hinzu: "Irgendwann wird das Loch schon noch kommen. Wahrscheinlich heute Abend, wenn ich hier das letzte Mal abschließe." Aber bis es soweit ist, schiebt sie den Gedanken daran schnell wieder weg.
Auf Petra Greiners Homepage gibt es unter anderem wertvolle Tipps zur Pflege von Perlen => KLICK
Mehr Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK
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