Sonntag, 9. August 2015

Petra Greiner


Menschen in Baden-Baden, heute: 
Petra Greiner



Es geht nicht mehr.“

Welch ein Desaster hinter diesen vier Worten steckt, merkt man Petra Greiner auf den ersten Blick nicht an.



Aufrecht sitzt sie in ihrem wunderschönen kleinen Perlengeschäft auf der Fieserbrücke, in denkmalgeschütztem Ambiente, in dem einst die Traditionsbuchhandlung Wild untergebracht war.

 
 

Draußen, am Schaufenster kleben schon die garstigen roten Buchstaben, drinnen sind die Vitrinen aber noch voll. Perlen, Perlen, Perlen. Als Rohlinge an langen Schnüren aufgereiht oder ganz individuell zu kleinen handwerklichen Unikaten umgewandelt, warten sie auf Käufer, die sich nur selten in den kleinen Laden verirren.




Vielleicht ist die Lage falsch?

Mit Sicherheit! Dies hier ist keine Shoppingmeile, hat Petra Greiner inzwischen festgestellt. Immer wieder lassen sich Eis schleckende Leute auf dem Sims ihres Schaufensters nieder, Kinder spielen vor dem Laden, Motorräder und Lieferwagen parken hier. Ein Gastronomiebetrieb zum Verweilen hätte es vielleicht leichter als ein kleines, feines Geschäft mit sehr individuellem Angebot.

Vielleicht liegt es auch daran, dass die Besucherzahlen in der Stadt eingebrochen sind?

Auch das ist möglich, mutmaßt sie. Ihre eigene Kundschaft kommt jedenfalls hauptsächlich aus Frankreich, der Schweiz und den großen Städten im In- und Ausland, Menschen, die gerne ein Wochenende in Baden-Baden verbringen, um einen Besuch im Festspielhaus mit einem Bummel durch kleine, individuelle Läden zu verbinden. „Aber diese kleinen Geschäfte werden immer weniger“, hat Petra Greiner in den letzten Jahren sorgenvoll beobachtet. Immer mehr große Firmen eröffnen neuerdings in der Stadt der horrenden Ladenmieten ihre Filialen und ziehen ein anderes Publikum an, als das, auf das sie vor ein paar Jahren gebaut hatte. 


 

Es ist ja nicht so, dass sie ihr Geschäft blauäugig von einem winzigen Atelier in der Büttengasse auf die prominente Fieserbrücke verlegt hätte. Eine Marktanalyse ließ das Wagnis kalkulierbar erscheinen, es gab eine Kontaktperson, die mit ins Umbaurisiko gehen wollte. Doch kaum war der Mietvertrag im Herbst 2013 in trockenen Tüchern und der sehr aufwändige Umbau begann, gab es Differenzen, die bis heute nicht beigelegt ist. Der Umbau musste trotzdem vorangehen, Geschäftseröffnung sollte unbedingt im Dezember sein, um das Weihnachtsgeschäft noch mitzunehmen. Jetzt, knapp zwei Jahre später, geht der gelernten Juwelierin die Puste aus. Den Juli wird sie es wohl noch schaffen, vielleicht. Aber dann ist Schluss. Aus der Traum von der Selbständigkeit.




Ich will nicht klagen, ich habe meinen Traum gelebt“, sagt sie tapfer, aber dann bricht es doch aus ihr heraus: „Ich habe wirklich gekämpft“, sagt sie. „Ich habe alles, was ich hatte, verkauft, um den Laden zu halten, alle Reserven sind aufgebraucht, ich lebe von der Hand in den Mund.“ Um wenigstens ein Minimum in die Rente einzuzahlen und ihre Krankenversicherungsbeiträge zu stemmen, geht sie mehrmals in der Woche morgens, bevor sie den Laden aufschließt, putzen.

Trotzdem muss sie nun die Reißleine ziehen.

Verbittert?

Nein. Das nicht. „Ich hatte ein tolles Leben, es gibt nichts, wofür ich mich schämen müsste“, lautet ihre Lebensbilanz. Das Geschäft hätte wohl eine Zukunft gehabt, aber dass es mit der finanziellen Unterstützung nicht geklappt hat, habe sie einfach nicht abfedern können.

Dabei hatte sie die Selbständigkeit, die ihr nun so viele schlaflose Nächte bereitet, eigentlich nie auf ihrer Agenda gehabt. Dass sie etwas mit Schmuck machen wollte, hatte hingegen von klein auf festgestanden. Kein Wunder, arbeitete doch schon der Vater in der Schmuckbranche. „Ich bin mit Glitzer großgeworden“, sagt sie denn auch schmunzelnd, und sie erinnert sich mit großer Liebe an ihre wohlbehütete Kindheit und Jugend im Kinzigtal.

Folgerichtig absolvierte sie nach der Schule eine Lehre als Goldschmiedin in Pforzheim, doch es stellte sich heraus, dass sie die einsame Handwerksarbeit am „Brett“ nicht glücklich machte.




Sie wollte raus, Kundenkontakt und Kommunikation, das war ihr „Ding“. Gleichzeitig wollte sie möglichst viele Sparten der Branche kennenlernen, und so tingelte sie ein paar Jahre durch die Schmuckwelt, lernte den Umgang mit Perlen, Farbsteinen, Antikschmuck und modernen Kreationen, dann wurde es ihr wichtig, nicht mehr als „Tochter von...“ vermittelt zu werden, sondern ihren eigenen Weg einzuschlagen.

Irgendwann verschlug sie der Zufall zu Stuttgarts Nummer eins, Wempe. „Ich ging in der City spazieren, sah das Geschäft, und ging einfach rein und fragte, ob sie Verwendung für mich hätten“, erinnert sich Petra Greiner lachend. Am nächsten Tag hatte sie den Vertrag in der Tasche, arbeitete sich vierzehn Jahre lang hoch bis in die Führungsetage.




Und dann kam der Sommer, der ihr Leben veränderte: Ein Kunde schneite herein, wollte, dass sie Unmögliches möglich machte: Seine wertvolle Armbanduhr musste repariert werden, und für diese Marke gab es für einen solchen Auftrag weltweit nur eine einzige Adresse. Entsprechend lang sind die Wartezeiten für die Reparatur – drei Monate bis zu zwei Jahre sind keine Seltenheit. Aber Petra Greiner schaffte es, vier Wochen später konnte der Herr seine Uhr abholen – und lud sie als Dankeschön ein. „Vorsicht, Vorsicht“, mahnten die Alarmglocken in ihrem Kopf, knabberte sie zu jener Zeit doch gerade an einer Enttäuschung. Doch das Schicksal war stärker, und es folgten die sieben glücklichsten und turbulentesten Jahre ihres Lebens, über die sie auch heute noch mit einem ungläubigen Strahlen redet, obwohl die große Liebe nicht hielt.

2001 endete alles, Karriere und Mann, denn da kam ihre neue "Nummer eins" auf die Welt... Und damit einher gingen alle Schwierigkeiten, die man als alleinerziehende Mutter hat: Ein Ganztagsjob war erst mal ausgeschlossen, mit Hartz IV war eine Kita nicht zu bezahlen, und so wurden die Reserven aus den fetten Jahren angeknabbert und aufgebraucht.



Ich habe mein Leben lang geschafft, ich kann nicht daheim herumsitzen“, sagt Petra Greiner, und so folgte eine neue berufliche Herausforderung in Pforzheim, in die sie sich voll und ganz reinhängte. 500 Überstunden häufte sie in der neuen Firma binnen zwei Jahren an, dann war aus innerbetrieblichen Gründen Schluss. Das war 2007, wieder stand ein Umzug an. Diesmal ging es nach Baden-Baden, in die Schmuckboutique einer weltweit agierenden Kette.

Aber sie fühlte sich nicht wohl. „Für mich steht der Mensch im Vordergrund, nicht der Profit“, erkannte sie, und so wurden wieder Headhunter eingeschaltet, Angebote gewälzt. München? Potsdam? Leipzig? Optionen, die ihren Sohn unglücklich machten. Er wollte in Baden-Baden bleiben, nicht schon wieder umziehen. „Ach Kind, die kleinen Juweliere brauchen niemanden, höchstens Aushilfen. Da kann ich mich ja gleich selbständig machen“, seufzte sie eines Abends – und die Idee der eigenen Firma war geboren.




Die Nische im Angebot der Stadt war schnell gefunden: Perlen. Und so ging es los, erst im kleinen „Fädelstudio“ daheim in der eigenen Wohnung, in dem sie vor allem Dienstleistungen für Juweliere in ganz Baden-Württemberg anbot und erste Stammkunden mit eigenen Kreationen versorgte.

Der nächste Schritt war folgerichtig: ein eigenes winziges Atelier in der Büttenstraße, das sie bereits an ihre finanziellen Grenzen brachte. Aber Optimismus gehört einfach an ihre Seite, und so tauschte sie kurzerhand die große Privatwohnung gegen eine kleinere. Und es ging aufwärts.

Und dann kam die Verlockung. Die Räume der Hofbuchhandlung Wild wurden frei. „Mach es!“, wurde sie ermuntert, und sie wagte es...

Nun - es gibt leider Geschichten, die nicht gut ausgehen...

Und was nun?

Petra Greiner lässt sich nicht unterkriegen, auch wenn ihre Augen verräterisch glänzen, als sie sich im „wohl schönsten Geschäft der Stadt“ umsieht. Ihre ganze Existenz steckt in diesem Ladenraum, so viel Geld und Energie hat sie hineingebuttert, hat das alte Holz eigenhändig aufgearbeitet, sich Lösungen überlegt, um die denkmalgeschützten aber morschen alte Bücher-Regale zu verkleiden...

Aber es half nichts.


 

Jetzt, nach insgesamt vier Jahren Selbständigkeit, muss sie zusehen, dass sie so schnell wie möglich einen genehmen Nachmieter findet, der in ihren 5-Jahres-Mietvertrag einsteigt. Einen Interessenten hatte sie schon, aber sein Nutzungsvorschlag wurde nicht akzeptiert.

Wie geht es jetzt weiter?

Petra Greiner sieht ihr Zukunft pragmatisch. Sie hat gekündigt, räumt ihr Lager. Selbst vor dem Gedanken, Privatinsolvenz anzumelden, schreckt sie nicht zurück. Aber das will sie nun auf sich zukommen lassen und sucht wieder eine Stelle: „Ich bewerbe mich überall, im Reisebüro, im Getränkemarkt, und zur Not muss ich eben noch mehr Putzstellen annehmen. Hauptsache, ich kann mein Kind ernähren.“

Letzte Woche nun war wirklich Schluss. Der letzte Tag, alles wird sorgfältig ins Kartons gepackt, Möbel stehen zum Abtransport bereit. Wie geht es ihr?  

Sie zuckt mit den Schultern und lächelt immer noch. "Ich lasse mich nicht unterkriegen", verkündet sie. "Irgendwie muss es weitergehen. Noch fühle ich mich gut, es ist der richtige Schritt, und es ist ja auch im Moment furchtbar viel zu tun." Aber dann, leiser, fügt sie hinzu: "Irgendwann wird das Loch schon noch kommen. Wahrscheinlich heute Abend, wenn ich hier das letzte Mal abschließe." Aber bis es soweit ist, schiebt sie den Gedanken daran schnell wieder weg.





Auf Petra Greiners Homepage gibt es unter anderem wertvolle Tipps zur Pflege von Perlen => KLICK

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