Sonntag, 16. August 2015

Asyl - Sommercamp



Hochmotivierte Asylbewerber im Sommercamp:

Ohne Sprache
geht es nicht


Montag, 10. August. Vincentiushaus. Ruhe vor dem Ansturm.
Im großen Saal werden Tische gerückt, Stühle gestellt, Hefte und Bleistifte ausgeteilt.



 
Die ersten Schüler kommen herein, 15, 20 Minuten zu früh, setzen sich stumm hin, warten. Der Saal füllt sich. Pünktlich um 15 Uhr ist jeder Platz besetzt, das Sommercamp kann beginnen.

Sommercamp – das bedeutet ein einmaliges Pilotprojekt hier in Baden-Baden: Drei Wochen lang werden interessierte Asylbewerber drei Stunden am Tag von Montag bis Freitag intensiv in Deutsch unterrichtet. Die Stadt übernimmt die Kosten für zwei Profilehrer der Volkshochschule, die in „Deutsch für Ausländer“ ausgebildet und zertifiziert sind, auch für die Bücher wurde gesorgt, wenngleich sie nicht kostenfrei abgegeben werden. Fünf Euro zahlen die Kursteilnehmer für ihr Buch selbst, den Rest übernimmt, unterstützt durch private Spenden, ebenfalls die Stadt.

Ziel ist es, möglichst vielen Asylbewerber möglichst effizient beizubringen, Deutsch zu verstehen und zu sprechen – ideale Voraussetzung für einen Job, den ja jeder und jede von ihnen unbedingt finden möchte.

Dies soll als Zusatzangebot zu den Deutschkursen gelten, die zahlreiche sehr engagierte ehrenamtliche Helfer seit langem in jeder Unterkunft anbieten. Anders als bei jenen Kursen, in denen ein ehrenamtlicher Lehrer jeweils einmal in der Woche für 90 Minuten vor einer Klasse mit häufig wechselnden Teilnehmern und unterschiedlichem Sprachniveau steht, ist im Sommercamp der intensive Kontakt nur eines Lehrers zu einer festen Schüler-Zahl.




Im alten Vincentiushaus kommen die Anfänger im großen Saal zusammen, 23 sind es am ersten Tag hier, am Standort Westliche Industriestraße sind es 36, die sich bei weitaus beengteren Verhältnissen in einen der kleinen Gemeinschaftsräume quetschen. 

Später am Tag wird noch etwas ausgetauscht, denn es stellt sich heraus, dass zehn Teilnehmer aus der Industriestraße besser zum Anfängerkurs wechseln sollten. Ausgerechnet diese besitzen kein Fahrrad. Und die übertragbaren Monatskarten, die der Rotary Club Baden-Baden-Merkur und der Lions-Club im April gespendet haben, sind bereits anderweitig vorbildlich und unermüdlich im Einsatz, und werden dringend von anderen Leuten gebraucht. Es geht also nur mit Sammeltickets, die die Ehrenamtlichen nun vorstrecken und hoffen, ersetzt zu bekommen.

Birte Gräper, die Initiatorin des Projekts, hatte die Idee zum Sommercamp vor ein paar Wochen und setzte sie, tatkräftig unterstützt von Marianne Jäger-Both und der Integrationsbeauftragten der Stadt, Hanna Panther, um.


Wie kam es zu dieser Idee?

Birte Gräper: Die Idee wurde geboren aus dem ehrenamtlichen Sprachunterricht, den ich ab März/April für die Flüchtlinge im Vincentiushaus anbot. Zusammen mit fünf, sechs anderen ehrenamtlichen Lehrern gab es hier wöchentliche Kurse. Im Laufe der Zeit zeigte sich, dass die Gruppen der Kursteilnehmer immer
heterogener wurden: Von Analphabeten bis Anfängern ohne jegliche Kenntnisse, bis zu Anfängern mit kleinen Kenntnissen und zu fortgeschrittenen Anfängern. Manche hatten es einfach, sich in den Unterricht und in die neue Sprache einzufinden und manchen fiel es schwerer. Schließlich haben alle mehr oder weniger traumatische Erlebnisse hinter sich und befinden sich in einer für sie unbekannten Kultur.

Das hört sich nach einer schwierigen Ausgangslage an – und zwar für alle: für die lernwilligen Asylbewerber genauso wie für die Lehrer.

Birte Gräper: Man bekam den Eindruck, dass es die Asylbewerber unterstützen würde, wenn sie die Möglichkeit bekommen könnten, ganz intensiv Deutsch zu lernen. Täglich, ein paar Stunden lang, über ein paar Wochen mit einem Lehrer, der sie kennenlernt und individuell betreuen kann. Mit dieser Idee tauschte ich mich vor ca. zwei Monaten mit Frau Panther aus, und sie sagte spontan: „Ja toll, dann machen Sie doch ein Sommercamp daraus.“

Also ganz einfach - gesagt, getan?

Birte Gräper: Ganz so einfach war es nicht. Ich mailte unsere interne ehrenamtliche Helfergruppe vom Vincentiushaus an und fügte am Schluss hinzu: "Ich kann mich leider aus zeitlichen und beruflichen Gründen nicht um die Umsetzung oder Durchführung kümmern. Wer könnte das übernehmen?" Tja, und niemand meldete sich. Niemand hatte Zeit. Und dann habe ich es doch nicht ausgehalten und habe mich selbst gekümmert. Immer nach meiner hauptberuflichen Arbeit und manchmal an Wochenenden.

Das hört sich nach großem Engagement an. Was hat Sie angespornt?

Birte Gräper: Es macht mir Freude, weil es Sinn macht.


Doch alleine war das nicht zu stemmen und Gräpers Helferkollegin Marianne Jäger-Booth sprang ihr zur Seite. Alle ehrenamtlichen Helfer, die Gruppe der ehrenamtlichen Lehrer und die rührige Helfer-Gruppe ums Vincentiushaus, ebenso die in beiden Heimen arbeitenden Sozialarbeiter hießen das Projekt willkommen. Die Lehrer machten Listen mit ihren Empfehlungen, wer für die Kurse in Frage käme, die Initiatorinnen schlugen zusätzlich Listen ans schwarze Brett, damit sich weitere Interessenten für die Teilnahme eintragen konnten.

Birte Gräper: „Wir sprachen über mehrere Wochen immer wieder mit vielen Flüchtlingen, über die Kurse und die damit verbundenen Möglichkeiten.“

Auf diese Weise waren die Kurse schnell in aller Munde, und die Listen füllten sich im Handumdrehen, jeweils mit über 30 Interessenten.

Als es endlich so weit war, ließ es sich Birte Gräper nicht nehmen, beide Kurse zu begleiten, die Kursteilnehmer zu begrüßen und sie anzuspornen, dieses Geschenk der Stadt gut zu nutzen. Denn „immer wieder habe ich gesehen, dass die Asylbewerber, die wir für Jobs oder Ausbildungen vermitteln wollten, immer erst genügend Deutsch als Voraussetzung brauchen, bevor sie arbeiten dürfen. Das haben jetzt auch alle verstanden. Und alle wollen unbedingt arbeiten, und nicht in den Heimen herumsitzen müssen und warten. Deshalb sind sie alle sehr motiviert.“

Das trifft übrigens auch auf die beiden Lehrer der VHS, Alexander Arssentjew und Rafal Majcher, die sich für dieses Pilotprojekt zur Verfügung gestellt haben, in gleichem Maße zu.Sie machen das gerne, denn beide wissen aus eigener Erfahrung - einer ist gebürtiger Pole, der andere Russe - wie es ist, als Ausländer in ein neues Land zu kommen und die Sprache und die Kultur neu lernen zu müssen.“

Und so war es schon am ersten Tag allen anzumerken, dass dieses Projekt ein Riesenerfolg werden wird. Hier ein Foto mit Birte Gräper (links), Alexander Arssentjew und Marianne Jaeger-Both während der Begrüßung. 




Welche Wünsche und Hoffnungen hat die Initiatorin?

Birte Gräper: Ich wünsche mir so sehr, dass die Flüchtlinge es schaffen werden, soviel wie möglich von dem Sprachprojekt zu profitieren. Ich hoffe, sie werden die Kraft haben, dranzubleiben, aufnahmefähig zu sein, sich konzentrieren zu können und Freude daran zu haben. Ich weiss, es wird nicht einfach sein für diese Menschen, die schon so viel hinter sich haben. Deshalb stellen wir uns auch vor, dass vielleicht ein Viertel oder mehr nicht wird durchhalten können. Aber letztlich wissen wir das nicht, und drücken allen die Daumen, dass sie alle dranbleiben und jeder für sich das Beste daraus macht.


*


Schon am Ende der ersten Woche lässt sich eine überaus positive Bilanz ziehen: Immer noch strömen Interessierte herbei und würden gerne mitmachen, aber es gibt einfach keinen Platz mehr. Bei einem Besuch im Anfängerkurs im Vincentiushaus stelle ich fest, dass bisher offenbar niemand abgesprungen ist.

Die Schüler sind emsig, aufmerksam, arbeiten mit und sind ganz offensichtlich immer noch schwer begeistert, auch ihre Lehrbücher sehen bereits sehr benutzt aus. Als ihr Lehrer Alexander Arssentjew die Hausaufgaben abfragt, stellt sich heraus, dass wirklich jeder geübt hat: "Guten Tag, ich heiße ... ich komme aus ... ich wohne in Baden-Baden. Ich spreche Englisch und ein bisschen Deutsch." So können sie sich bereits alle vorstellen, akzentfrei übrigens, mit der richtigen Betonung. Einigen ist diese nüchterne Vorstellung allerdings noch etwas dürftig. Sie haben sich weitergebildet und fügen eine weitere Eigenschaft hinzu: "Und ich bin ledig." Da schwingt dann schon ein bisschen das Prinzip Hoffnung mit ...

Ich werde gegen Ende der drei Wochen noch einmal über das Projekt  berichten.

Aktualisierung 27. August 2015: Aufgrund des großen Erfolges wird das Sommercamp um eine weitere Woche verlängert - zur großen Freude der Schüler und der Lehrer!



Mehr Informationen, Geschichten und Termine über Asyl in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK