Sonntag, 23. August 2015

Asylgeschichten (7)


Zutaten für die Arbeitssuche für Asylbewerber:

Zufälle, Hoffnungen
und ein goldenes Herz



Viele kennen Oluwatosim Ogunrinu bereits. Der freundliche 26jährige Asylbewerber aus Nigeria (rechts im Bild) sang sich im Mai diesen Jahres bei einem Konzert des Gesangvereins Concordia im Kloster Lichtental zusammen mit seinem Landsmann Benjamin Nzegwu (links) sofort in die Herzen der Zuhörer. Vor allem als er mit seinen Sangesbrüdern und -schwestern aus vollster Brust und mit Hingabe das Badner-Lied schmetterte, da riss es alle von Stühlen vor Begeisterung.




Seitdem besucht er weiterhin fleißig montags die Proben des Chores, lässt sich donnerstags von Mitgliedern der Concordia in die Welt der Noten und deutschen Texte einweisen, er nimmt vormittags am Sprachunterricht teil und büffelt im Augenblick jeden Nachmittag im Intensiv-Deutschkurs des Sommercamps zusätzlich Sinn und Aussprache des Deutschen.

Was fehlt?

Das, was alle wollen: Ein Job.

Oder – zumindest Sicherheit, hierbleiben zu dürfen.

Oluwatosim, der mit zweitem Vornamen Samson heißt und einverstanden ist, dass man ihn so nennt, um sich nicht die Zunge zu brechen, ist übrigens - wie so viele Asylbewerber, die ich bisher gesprochen habe - nicht mit dem Ziel aufgebrochen, nach Deutschland zu kommen und am Wohlstand unseres Landes teilzunehmen. Ganz im Gegenteil. Es gab triftige Gründe, die ihn zwangen, seine Heimat zu verlassen. Auf diese Gründe gehe ich hier nicht ein. Mehr als fünf Jahre war er auf dem afrikanischen Kontinent auf der Flucht, strandete irgendwann in Libyen, immer auf der Suche, sich mit Jobs über Wasser  zu halten. Libyen aber ist ein rechtsfreies Land geworden, der IS nimmt überhand, Gewalt beherrscht den Alltag, es gibt keine Sicherheit für das nackte Leben.

Was bleibt, ist irgendwann das Boot.

Auch Samson machte die gefährliche Überfahrt, ohne recht zu wissen, wohin sie ihn führen würde. Er landete auf Lampedusa, man winkte ihn durch, und so kam er im Oktober 2014 in Baden-Baden an. Und hier wird er wohl eine ganze Weile bleiben, denn bisher konnte er sich aufgrund der Überlastung der Behörden noch nicht einmal offiziell als Asylsuchender registrieren.

Was aber nun nicht bedeutet, dass er, bis das Verfahren ins Gang kommt, untätig herumsitzen muss. Würde er einen Job finden, darf er, wenn die Ausländerbehörde zustimmt und kein Deutscher oder Europäer seine Stelle übernehmen könnte, eine Arbeit aufnehmen – der absolute Traum vieler, die in den Asylheimen in der Westlichen Industriestraße und im Vincentiushaus untergekommen sind.

Samson ist diesem Traum durch Zufall einen großen Schritt näher gekommen, und um für alle Ehrenamtlichen, aber auch für potenzielle Arbeitgeber einmal zu dokumentieren, was zu hierbei beachten ist, werde ich Herrn Ogunrinu auf seinem Weg begleiten.

Bevor wir loslegen, müssen die Ehrenamtlichen Vorarbeit leisten: Es gilt, einen kurzen Lebenslauf zu erstellen, in dem die Personalien des Asylbewerbers samt einem Foto und Handynummer erfasst werden, seine Schulbildung, seine berufliche Bildung und Berufserfahrung, sonstige Kenntnisse (wie zum Beispiel Führerschein, PC-Kenntnisse, Kochen, Bedienen, Freiwilligendienste, Rotes Kreuz?), seine Sprachkenntnisse, Interessen und Hobbys und die gesuchte Tätigkeit (hier wohl meistens erst einmal Hilfsarbeiter). Arbeitgeber wollen ja wissen, mit wem sie es tun haben werden. Es ist gut, wenn man dieses Dokument dann schon erstellt hat und einfach aus der Tasche ziehen kann.



Erster Schritt:


Suche nach einem Arbeitgeber.

Hier ist der Einsatz von Ehrenamtlichen wichtig. Die Erfahrung zeigt, dass zurzeit im Gastgewerbe ein großer Mangel an Hilfskräften herrscht. Da sich dank der Anstrengungen der ehrenamtlichen Sprachlehrer und dank des intensiven Sommercamps nun immer mehr Asylbewerber mehr oder weniger gut auf Deutsch verständigen können, tun sich auf diesem Gebiet Chancen auf. Oft sind es dann die Ehrenamtlichen, die die nötigen Brücken bauen. Sie suchen potenzielle Arbeitgeber auf, sprechen mit ihnen und nehmen ihnen zeitraubende Behördengänge ab.

Im vorliegenden Fall spielte auch der Zufall eine Rolle. Morgens hatte ein Baden-Badener Gastwirt signalisiert, dass er eventuell einen Asylbewerber beschäftigen würde, abends schneite Samson Ogunrinu mit einer rechtlichen Frage beim Arbeitskreis Asyl herein.

Seine Papiere wurden sorgfältig studiert. „Das wird noch dauern“, lautete das Fazit der Profis, die aber gleich nachschoben: „Immerhin dürfte er arbeiten, wenn er eine Stelle fände und das Ausländeramt zustimmt.“

Da musste man nicht lange eins und eins zusammenzählen.

Voller Hoffnung wurde ein Termin mit jenem Gastwirt ausgemacht, Samson war überpünktlich zur Stelle, doch leider: der Job war bereits an einen anderen Asylbewerber vergeben.

Aber wie das in Baden-Baden manchmal so läuft. Dem Gastwirt tat es ja auch leid, und als just in diesem Augenblick ein Berufskollege vorbeikam, wurde der gleich angehalten: „Brauchst du nicht jemanden?“

Der Mann blieb wie angewurzelt stehen. „Dringend! Seit Wochen!“

So kann es gehen.


Zweiter Schritt:

Das benötigte Formular „Antrag auf Zulassung einer Beschäftigung“ muss ausgefüllt werden. Dieses Formular ist leider nicht so einfach und auf die Schnelle parat, aber die Ehrenamtlichen, die sich seit Wochen in „steiler Lernkurve“ befinden und schon etliche Asylbewerber in Arbeit gebracht haben, haben den Antrag als pdf gesichert und schicken ihn untereinander herum. 

Kritik ist an dieser Stelle angebracht: leider gibt es diesen Antrag nicht im Internet. Man kann ihn also nur per Mail weitergeben und ausdrucken, dann muss er umständlich per Hand ausgefüllt werden. Das könnte verbessert werden.




In vorliegenden Fall war der Antrag also ausgedruckt zur Hand. Der spontane Gastwirt, Günter Feist von der "Großen Tanne" in Unterstmatt, unterschrieb die erste Seite noch am Tisch. Den zweiten Teil nahm er mit, denn den sollte doch lieber seine Frau ausfüllen, immerhin liegt hier der Teufel im Detail:




Beim Ausfüllen des Formulars ist zu beachten: 

  • Reiner Mindestlohn von 8,50 Euro reicht nicht.
  • Es muss der Mindest-Tariflohn eingetragen werden.
  • Bitte auch Stunden und Tage eintragen, sonst wird der Antrag aus formalen Gründen abgelehnt.


Dritter Schritt:


Und dann: Händeschütteln. „Deal!“

Asylbewerber glücklich, Wirt glücklich. Schreiberin glücklich.

Aber...

... da hatten wir die Rechnung ohne die Wirtin gemacht, wie sich am gleichen Nachmittag bei einem zufälligen Besuch vor Ort herausstellte.

Christa Feist, die die "Große Tanne" vor sieben Jahren zusammen mit ihrem Mann gekauft hat, und die man als Köchin aus Leidenschaft bezeichnen kann, ist eine Seele von Mensch. Aber erst einmal schüttelte sie den Kopf. „Mein soziales Konto ist gerade leer“, sagte sie entschuldigend. „Ich kann nicht mehr.“ Man sah ihr die Skepsis an, man könnte auch sagen, sie hatte nach mehreren Reinfällen mit Hilfskräften regelrecht die Nase voll. Aber dann überwog ihr Naturell eben doch, sie stockte, zog mich in eine Ecke, blickte mich forschend an. „Erzählen Sie mir von dem jungen Mann.“
Drei Tage später stand ich mit dem jungen Mann in der Wirtsstube. Ein Blick und ein kurzes Gespräch in deutsch-englischem Kauderwelsch genügte, und...




 
Und das Ende vom Lied?

Sehen Sie selbst! Dazu muss ich nichts mehr sagen. Es war Sympathie auf beiden Seiten.




Vierter Schritt:

Freitag hat Samson Ogunrinu den ausgefüllten Antrag in der Ausländerbehörde abgegeben, und man versprach, ihn auf dem schnellsten Weg an die zuständige zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit weiterzuleiten. Hier wird eine so genannte Vorrangprüfung und eine Prüfung der Arbeitsbedingungen vorgenommen:




Was Punkt eins der Prüfung angeht, sind wir zuversichtlich. Immerhin war das Ehepaar Feist wochenlang vergeblich auf der Suche nach einer helfenden Hand. In der Regel, so zeigt die Erfahrung, gehen Vermittlungen ins Gastgewerbe reibungslos durch, vor allem, wenn Bezahlung und Arbeitszeiten stimmen.

Was diesen zweiten Teil anbelangt, wird es im vorliegenden Fall ebenfalls keine Schwierigkeiten geben: Samson soll genauso viel verdienen wie die anderen Helfer auch. Und eine Monatskarte für den Bus hinauf in den Schwarzwald gibt es obendrauf.


Wie geht es weiter?


Bis nun die Genehmigung vorliegt, darf Samson nicht arbeiten, obwohl er es so gerne möchte und er so dringend benötigt wird. Allerdings ist erlaubt, dass er sich als Hospitant an seiner künftigen Arbeitsstelle umsieht. 




Wenn Sie also in den nächsten Tagen jemanden mit freundlichem Gesicht und verschränkten Armen am Unterstmatt sehen, wissen Sie Bescheid. Es ist hoffentlich nur eine Frage von Tagen, bis er endlich zupacken darf.

Christa Feist jedenfalls freut sich bereits auf ihn, nicht nur, was seine Arbeitskraft angeht. "Ich bin gespannt, was meine Gäste sagen werden", sagt sie lachend.

Fortsetzung folgt...

Aktualisierung: Inzwischen arbeitet Oluwatosim Samson Ogunrinu seit 1. September in der großen Tanne, und die Wirtsleute sind von ihrem "Sam" absolut begeistert. Sie würden gerne einen weiteren Asylbewerber, und zwar einen Koch, einstellen.
 





Hier ein Video über die Große Tanne => KLICK




Hier geht es zur Webseite der "Großen Tanne" => KLICK


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