Sonntag, 29. März 2015

Kunsthalle - Früher Tod (3)



Menschen in Baden-Baden, heute:
Hendrik Bündge


Man merkt der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden an, dass hier ein junges Team arbeitet, das viel Spaß an und mit der Kunst hat. Einer von ihnen ist Hendrik Bündge, Kurator der aktuellen Ausstellung „Nach dem frühen Tod“. 32 Jahre ist er alt – erst!, möchte man sagen, oder schon!, wenn man bedenkt, dass manche Künstler, mit denen er sich in seiner Ausstellung beschäftigt, sein Alter gar nicht erreichten.

Nun, anders als sie ist der Kurator quicklebendig und trotzdem erfolgreich – während er anhand der Künstler beobachtet hat, dass deren Erfolg erst nach dem Tod eintrat.

Hier ein Beitrag von Baden-TV über die derzeitige Ausstellung => KLICK



Spaß beiseite - wie wird man denn so jung Kurator? Ein Lebenstraum? Vielleicht von Kindheit an?

Bündge unterdrückt ein Schmunzeln. Seine erste intensive Begegnung mit der Kunst hatte er mit 13 oder 14 Jahren, als er mit seinen Eltern Urlaub in der Toskana machte, verrät er. Da wurde am dortigen Ferienort ein VHS-Malkurs angeboten, und der Schüler setzte sein gesamtes Ferientaschengeld in Zeichenblock und Zeichenkohle um.

Aber das war es dann auch schon mit dem Thema. „In der Schule war unser Kunstlehrer ständig krank. Wir haben stattdessen Mathe gehabt“, berichtete Handrik Bündge ganz pragmatisch. Auch sein Leistungsfach in Abitur hatte nichts mit dem tun, was heute sein Leben ausmacht. „Ich war auf einem ernährungswissenschaftlichen Gymnasium“, sagt er mit leichtem Schulterzucken, "da ging es vornehmlich um Zahlen und Formeln". Danach brauchte er noch ein Jahr Zivildienst, in dem er sich um Senioren und um Behinderten kümmerte, bis er wusste, wohin sein Weg gehen sollte.

Natürlich war das Elternhaus in gewisser Weise prägend: Vater und Mutter waren kunstinteressierte Lehrer, die ihre Kinder früh in die Museen der Welt mitnahmen. 

Aber dann war es eher ein Buch, das die Weichen stellte: "Fliegen ohne Flügel" von Tiziano Terzani (hier eine Rezension in der FAZ => KLICK) gab den Ausschlag, dass Hendrik Bündge sich für die Kunst entschied. Zunächst studierte er in Heidelberg Ostasiatische Kunstgeschichte, dann traf er aber während eines Praktikum beim Kunstverein Heidelberg auf Johan Holten, und damit begann seine intensive Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst.

Diese Auseinandersetzung wurde so intensiv, dass er nur noch selten in die Universität ging, sondern sich immer mehr auf sein Spezialgebiet festlegte. Kurz vor dem Universitätsabschluss wechselte Holten als Leiter zur staatlichen Kunsthalle und Baden-Baden und nahm Bündge kurzerhand mit, indem er ihm zunächst ein Volontariat anbot. Seit einem Jahr nun ist Bündge hauptamtlicher Kurator in Baden-Baden. Mit der Ausstellung „Nach dem frühen Tod“ hat er übrigens das Thema seiner Magisterarbeit aufgegriffen, in der er sich mit der Preisentwicklung und -gestaltung in der Kunstwelt beschäftigte.

Wie viel Vorbereitung in so einer Ausstellung steckt, habe ich gestern und vorgestern berichtet (=>KLICK und KLICK).

Hat ein Kurator in so einer großen Ausstellung eigentlich auch einen Lieblingskünstler?

Bündge überlegt nicht lange. Eva Hesse vielleicht, sagt er. Es sei ihm wichtig gewesen, ihre Studio-work-Serie zu zeigen. Nach ihrem Tod habe man sich nämlich zunächst gefragt, was die Dinge, die man in ihrem Studio fand, überhaupt waren: Waren es Modelle? Sollten die Dinge so, wie sie waren, ausgestellt werden? Oder waren es verunglückte Exponate für den Mülleimer? Wenn der Künstler stirbt, fehlt plötzlich die Instanz, die ein Werk zum Kunstwerk erklärt. Wer entscheidet, ob diese Dinge Kunst sind oder nicht? Eine spannende Frage, nicht nur für Bündge.





Eva Hesse steht leider auch sinnbildlich dafür, dass es die Frauen im Kunstbetrieb - egal ob tot oder lebendig - erheblich schwerer haben als ihr männlichen Kollegen, erfolgreich zu werden.



 
Spektakulär auch die Installation von Christoph Schlingensief, der zu Lebzeiten von Kritikern und Presse geschmäht wurde. In dem Augenblick, als seine Krebserkrankung und damit sein naher Tod publik wurde, wendete sich das Blatt, und man begann, seine Kunst anzuerkennen. In der Ausstellung ist sein „stairlift to heaven“ installiert, ein Treppenlift, in den sich die Besucher (wohlgemerkt angegurtet – wie hier der Leiter der Kunsthalle, Johan Holten, während der Pressekonferenz) selber setzen können und sich zu einem Kästchen hoch oben an der Wand fahren lassen können. Heben sie dort einen kleinen Vorhang, sehen sie ein Video, das an ihren Geschmacksnerven kratzt und kratzen soll...





Wie sich dieser Stairlift wohl weiterentwickelt hätte, würde der Künstler noch leben? Bündge: „Mit seinem Tod fand eine Festschreibung statt, es gibt plötzlich eine Ordnung in Schlingensiefs Werk, die ihm typische Dynamik fehlt nun.“

Wie geht es einem Kurator eigentlich, wenn er „fremde“ Ausstellungen besucht? Sieht er sie mit anderen Augen?

Man hat ein Auge für die Gesamtsituation, für die Flyer, man registriert, ob viel los ist, oder wie der erste Raum gestaltet ist, man sieht, wenn ein Bild schief hängt, man schaut, wie bei einer Installation die Kabel für die Projektionen verlegt sind, und es fällt einem auch auf, ob die Reihenfolge der Räume funktioniert oder nicht..."

Mit anderen Worten: Freizeit und Arbeit sind nur schwer voneinander zu trennen.

Wenn man ihn so reden hört, kann man sich kaum vorstellen, dass noch etwas anderes in seinem Leben Platz hat neben der Kunst. Ist das so?

Sagen wir mal – fast. Natürlich liest er gerne, Romane hauptsächlich, Konzerte und Theater stehen ebenso auf seinem Freizeitprogramm, das also eindeutig kulturell geprägt ist. Joggen in der Allee steht da eher nicht an. Aber natürlich interessiert ihn auch, was in der Modewelt passiert oder im Filmgeschäft.

Und dann wäre da noch das Reisen: China ist und bleibt weiterhin seine Leidenschaft. Gerne erinnert er sich an Exkursionen nach Peking und Shanghai - „ein Stück von mir ist dort geblieben“, sagt er schlicht.

Und was ist eigentlich aus seinem eigenen Exkurs in die Welt der Malerei geworden? Gab es nach dem Selbstversuch in der Teenagerzeit weitere Malversuche? Bündge runzelt die Stirn und schweigt, dann gibt er sich einen Ruck. „Ich wusste gleich, dass das keine Zukunft hat“, sagt er vorsichtig. Seine Kohlezeichnungen von damals hängen allerdings immer noch im Elternhaus. „An denen gehe ich lieber mit geschlossenen Augen vorbei."




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