Großer Andrang bei der AG "Willkommen"
Ehrenamtliche stehen bereit
Die Stühle reichten gestern Abend im Bonhoeffer-Saal nicht aus, so groß war der Andrang der Bürger, die sich dafür interessierten, den Asylbewerbern in Baden-Baden in allen möglichen Bereichen des Lebens zu helfen.
Initiiert wurde die Versammlung von der "Arbeitsgemeinschaft Willkommen", die sich erst im April diesen Jahres als Unterabteilung der Gruppe "Immergrün" der evangelischen Stadtkirche gebildet hat.
(Über die Ziele von "Immergrün", in der sich Menschen ab 62 zusammengefunden haben, können Sie sich hier informieren => KLICK)
"Wir brauchen Geduld" - diesen Satz musste der Leiter der Arbeitsgemeinschaft, Pfarrer i.R. Rainer Boy, desöfteren gebrauchen. Es sei nicht sinnvoll, beispielsweise eine Kleiderkammer zu initiieren, wenn man weder Räumlichkeiten noch Personal dafür habe. Auch eine Fahrradwerkstatt benötige erst einmal ein Dach zum Unterschlüpfen.
Dennoch gibt es viel zu tun. Davon zeugten die Berichte der vielen Ehrenamtlichen, die sich bereits heute in der Asylbewerberunterkunft in der Westlichen Industriestraße betätigen. Diese Unterkunft wird Ende des Jahre voll sein, weshalb die Stadt dringend weitere Standorte sucht und bereits gefunden hat. Am Montag soll der Gemeinderat darüber entscheiden. (Lesen Sie dazu meinen Blogeintrag "Zeit und Raum werden knapp" => KLICK)
Wie wichtig eine Beschlussfassung am Montag sein wird, unterstrich Rainer Boy: Erst wenn der Gemeinderat den neuen Unterkünften zustimme, könne auch die Stelle eines weiteren Sozialarbeiters ausgeschrieben werden, und dieser werde dringend benötigt: "Ohne einen Sozialarbeiter können wir im Vincentiushaus nicht tätig werden."
Dass neue Unterkünfte benötigt werden, zeichnete sich bereits im Sommer ab, als die Unterkunft in der Westlichen Industriestraße eingeweiht wurde. Am 22. September titelte das Badische Tagblatt:
In diesem Haus sind hauptsächlich alleinstehende Männer aus dem afrikanischen Kontintent untergebracht. Um sie kümmern sich die Ehrenamtlichen derzeit auf dreierlei Weise:
1. Café Kontakt
Bis zu 35 Menschen drängeln sich hier, wenn der Raum samstags geöffnet wird, denn sie haben sonst, außer in der Küche, keine Möglichkeit zusammenzukommen. Eine Ehrenamtliche berichtete, sie sei einfach froh gewesen, Kaffee und Tee für alle zu kochen. Man rede hauptsächlich auf Englisch und es herrsche eine große Herzlichkeit, auch wenn am Anfang wohl etwas Ratlosigkeit geherrscht haben muss. "Wir sind ja auch fremd für sie", erkannten die Helfer schnell. Aber es haben sich bereits einige gute Kontakte entwickelt, es gibt Helfer, die interessierte Asylbewerber auch schon mal mitnehmen in die Stadt oder zum Wandern in den Schwarzwald.
Das nächste Treffen der Café Kontakt-Gruppe findet am Montag, 15. Dezember, um 20 Uhr im Melanchthonhaus der Friedenskirche in Oos (Königsberger Straße 15) statt.
2. Sprachkurse
Es gibt zur Zeit Kurse im Pfarrheim von St. Bernhard, die von acht Freiwlligen betreut werden. Das ermöglich Klein- und Kleinstgruppen.
Grundkurse finden auch in der Westlichen Industriestraße statt. Hier leben zum Beispiel viele Männer als Eritrea, für die sich eine Muttersprachlerin als Dolmetscherin angeboten hat. Auch eine Frau aus Kamerun hilft gerne mit ihrer Heimatsprache aus. Für die meisten der Sprachkurse werden aber grundsätzlich Englisch oder Französisch benötigt.
Desweiteren sollen demnächst Kurse im neuen katholischen Gemeindehaus am Marktplatz angeboten werden.
"Es werden dringend weitere Helfer gebraucht, vor allem bei den Neuen ist der Bedarf groß. Jeder weiß, dass Integration ohne Deutschkenntnisse nur schlecht möglich ist." Didaktik-Kenntnisse sind nicht erforderlich. Man fängt einfach an, manchmal mit Händen und Füßen.
Aber es gibt auch immer wieder etwas zum Schmunzeln, etwa wenn zum Beispiel ein Asylbewerber ganz dringend wissen will, wie man "ich will dich wiedersehen" als sms auf Deutsch schreibt...
Das nächste Treffen der Sprachkurs-Gruppe findet am Mittwoch, 10. Dezember, um 15 Uhr im neuen katholischen Gemeindehaus am Marktplatz statt.
3. Begrüßungsguppe
Die Begrüßungsgruppe kümmert sich um die nötigen Amtsgänge der Neuankömmlinge. In der Regel werde man vom Sozialarbeiter verständigt, wenn eine neue Gruppe eingetroffen ist. Es habe sich als günstig herausgestellt, die "Neuen" erst einmal ein, zwei Tage zur Ruhe kommen zu lassen, ehe man mit ihnen zum Einwohnermeldeamt und zum Ausländeramt marschiere.
Nach dem anstrengenden Amtsgang gibt es Kaffee und Kuchen für alle, und erste Gespräche bahnen sich an. Rainer Boy: "Ich erkläre ihnen dann, wer wir sind, warum wir hier sind und uns um sie kümmern wollen, und dass wir hoffen, dass sie heimisch werden."
Eine Begrüßung sei für viele traumatisierte Flüchtlinge, die ihre Heimat ohne Abschiedsritual verlassen mussten, extrem wichtig.Viele verstünden auch im ersten Anlauf gar nicht, was die vielen freundlichen Deutschen von ihnen wollen. Dass sie einfach nur helfen wollen, scheint manchen un-glaublich.
Was gebraucht wird
"Es ist nicht so, dass die Asylberwerber nackt zu uns kommen", relativierte Rainer Boy die Hilfsangebote, die sich sofort in der Runde breit machten.
Kleiderspenden müsse man also nicht sammeln. Damit sich die Flüchtlinge mit neuen Sachen oder zum Beispiel einem Wintermantel eindecken können, reiche es, ihnen zu zeigen, dass es beim Roten Kreuz am Schweigrother Platz eine Kleiderkammer gibt, oder dass sie auch sehr günstig im Diakonieladen in der Bertholdstraße einkaufen können. Ihnen stehen übrigens pro Person ca. 360 Euro im Monat zur Verfügung, dieser Satz ist dem für Hartz-IV-Empfänger angeglichen.
Stadtrundgang. Die Aylbewerber freuen sich, wenn ihnen jemand die Stadt zeigt.
Begrüßungsmappe: Zwar bekommen die Asylbewerber wie jeder Neubürger der Stadt eine Mappe mit Stadtplan und zum Beispiel einem Busticket, das für eine Woche gilt und entsprechend sinnvoll eingesetzt werden sollte. Wünschenswert wäre es aus der Sicht der Ehrenamtlichen, wenn sie den Neuankömmlingen einen Brief überreichen könnten, in dem man ihnen mitteilt, in welch einer schönen Sadt sie gelandet sind. "Sie wissen ja oft gar nicht, wo sie sind."
Fahrräder sind für die Mobilität gerade in der abgelegenen Westlichen Industriestraße wichtig. Eine dafür erforderliche Fahrradwerkstatt wird allerdings erst demnächst eingerichtet. => KLICK
Fernseher: Manche Flüchtlinge besitzen zwar ein eigenes Gerät, von den anderen aber wird ein gemeinsamer Fernsehraum gewünscht.
Internet. Ein Internet-Cafe wird sehr gewünscht. Hier erklärte sich ein Interessent spontan bereit, bei der Einrichtung von W-Lan zu helfen und auch Laptops zur Verfügung zu stellen. Die Stadt müsste allerdings für die nötigen (V-)DSL Anschlüsse für die Standorte sorgen. Aktualisierung: Dies lehnt die Stadt leider mit Hinweis auf Ungleichbehandlung mit anderen Sozialhilfeempfängern ab.
Bus: Wünschenswert fanden die Anwesenden auch, wenn die Asylbewerber eine Ermäßigung für den Bus bekommen könnten. Leider sieht die Stadtverwaltung dafür keine Möglichkeit, da die Flüchtlinge finanziell Hartz-IV-Empfängern gleichgestellt sind, die ebenfalls keine Beförderungsermäßigungen erhalten.
Spiele sind in der Unterkunft nicht vorhanden.
Bücher. Gut angenommen wird von den Asylbewerbern, wenn man sie in die Stadt mitnimmt und ihnen zeigt, wo sich die Stadtbibliothek befindet und wie die Ausleihe funktioniert.
Kinder: Das Mütterzentrum überlegt, eine "sprachlose Krabbelgruppe" anzubieten.
Vereine. Kostenose Mitgliedschaften in Sport- und Musikvereinen werden als sehr sinnvoll angesehen.
Arbeiten: Flüchtlinge dürfen nach den neuen gesetzlichen Vorgaben bereits nach drei Monaten arbeiten. Die Agentur für Arbeit bemüht sich, von Anfang an auch die beruflichen Qualifikation der Flüchtlinge zu erfassen. Praktika in Betrieben werden gern angenommen. Betriebe können sich bei der Agentur für Arbeit melden.
Andere Tätigkeiten sind ebenfalls erlaubt, müssen ganz normal für Steuer und Sozialversicherung angemeldet werden.
Gegenseitige Nachbarschaftshilfe ist immer und überall möglich, ebenfalls die Möglicheit von 400-Euro-Jobs.
Ehrenamtliche Tätigkeit ist über die Kirche versichert.
Wichtig ist vielen Asylbewerbern, etwas Sinnvolles tun zu dürfen. Gerade für Menschen, die Traumatisches durchgemacht haben, gibt es nichts Schlimmeres, als untätig herumsitzen zu müssen.
Wohnraum: Die Stadt sucht händeringend Räumlichkeiten nicht nur für die Sammelunterkünfte, sondern auch normalen, bezahlbaren Wohnraum für die Zeit nach dem Asylverfahren. "Die Stadt zahlt pünktlich," sagt Bürgermeister Michael Geggus, "und die Wohnungen werden bei Auszug zuverlässig renoviert." Ziel ist es, die Asylbewerber möglichst dezentral unterzubringen.
Neu: Inzwischen hat die evangelische Stadtkirchengemeinde ein Spendenkonto für die Flüchtlingsarbeit eingerichtet. Das Pfarramt stellt für das Finanzamt eine Spendenbescheinigung aus.
Kontonummer „Flüchtlingsarbeit“
bei Sparkasse Baden-Baden Gaggenau
IBAN: 29 66 25 00 30 00 30 04 06 38