Menschen in Baden-Baden, heute:
Irene Tilgner
Irne Tilgner ist schon etwas Besonderes! "Viele haben Angst aufzufallen. Ich nicht! Ich will mich abheben von der Masse", sagt die 67jährige selbstbewusst. Recht hat sie!
Und so ist alles an ihr einzigartig, der Schmuck (selbstgemacht), die Mützen und Knautschhüte (selbstgemacht), die Kleider (selbstgemacht), die Pulswärmer (selbstgemacht), die Schals (selbstgemacht)... Farbenfroh, extravagant aber trotzdem tragbar. Sie hat Erfolg mit ihrer "kreativen Mode für Junge jeden Alters", sicher auch deshalb, was alles so stimmig ist. Sie ist so erfolgreich, dass sie inzwischen viele Flohmärkte und Verkaufsausstellungen und Künstlermärkte bestückt.
An der Haustür klopft die Kundschaft zwar nicht, aber dennoch summt und brummt und klingelt es in dem kuscheligen Einfamilienhaus an der Fremersbergstraße zurzeit, denn wir befinden uns in der heißen Phase der Vorbereitungen für den 45. Künstlertreff, den das Ehepaar Tilgner am Wochenende noch einmal - das letzte Mal - veranstaltet. Danach ist Schluss.
Wehmütig? "Dazu habe ich gerade keine Zeit. Fragen Sie mich später mal", antwortet Irene Tilgner. Sie blättert für mich in dem dicken Ringbuch, in dem alle Künstlertreffs festgehalten sind. Kunterbunt wie ihre Leben und ihre Mode ist auch der Strauß der Künstler, die sich auf ihren Treffen in den vergangenen 25 Jahren ein Stelldichein gegeben haben: Männer und Frauen aus den Bereichen Modedesigner, Puppenspieler, Handleserin, Goldschmied, Entertainer, Sänger, Töpfer... und es wird auch schon mal ein Nachbar eingeladen, weil er so nette Anekdoten erzählen kann.
Sie hört auf zu blättern und schiebt mir ein Blatt Papier zu: "Und so fing alles an."
Was war denn der Auslöser für die Idee, das Haus zu öffnen, Kräuterbutter und angemachten Camembert anzurichten, kostenlos Wein auszuschenken und wildfremde Menschen - in Spitzenzeiten kamen an einem Wochenende schon mal 220 Leute - in die eigenen vier Wände zu lassen? Ein Lächeln huscht über Irene Tilgners lebendiges Gesicht. "Ab 1986 hatte ich einen eigenen Stand beim Weihnachtsmarkt, damals noch auf dem Marktplatz." Es war kalt und feucht damals, und sie sorgte sich um die feinen gebatikten Stoffe und Seidenstücke. "Man müsste etwas daheim im Warmen machen", schoss ihr durch den Kopf, und Irene Tilgner ist kein Mensch des Zauderns. "Ich mach das einfach", sagte sie sich. Sie kannte eine Modedesignerin, und auch Evelis Reichardt war bereits zur Freundin geworden und so stand die Gruppe für den ersten Künstlertreff schnell fest.
Auch für die hauseigene musikalische Untermalung war bestens gesorgt: Ehemann Florian Tilgner ist
ebenso kreativ wie seine Frau, und hat in seinem Leben so nebenbei zwanzig Drehorgeln selbst gebaut. Wie er darauf kam? Ganz einfach: Der Vater war Organist, das Instrument hatte ihn von Klein auf interessiert. Mit zwanzig baute er seine erste eigene elektronische Orgel, es folgten weitere für Verwandte und Bekannte. Nicht nur das, auch an einem Synthesizer, einem Portativ, einer zitherähnlichen Kantele versuchte er sich, obwohl er von Beruf her nüchterner Techniker beim SWF später SWR war.
Er lässt sich auch nicht lange bitten und gibt mir eine Kostprobe seines Könnens, einen Beatles-Song, obwohl er ja eigentlich lieber Klassik "aufdreht". Alle Musikstücke habe er übrigens selbst arrangiert, sagt er, und man merkt ihm an, wie stolz er darauf ist.
Und wie das so geht im Leben: Ist erst einmal eine Drehorgel da, gibt es auch schon den ersten Einsatz: Vor dem Münster in Freiburg war das, erinnert sich Ehepaar Tilgner. Frau Irene hatte ihren Mann eigens für den Auftritt mit Zylinder, Umhang und weißem Schal ausstaffiert - ein Riesenerfolg. Als die beiden dann aber 1983 in Baden-Baden in Mariannes Wasserburgers Kinderbuchladen "Mäx und Moritz" eine Malerin, Evelis Reichardt, kennenlernten, war das Trio perfekt. Evelis sollte Bilder malen, wurde kurzerhand beschlossen, und tatsächlich waren auch schnell die ersten drei Moritate von später dreißig fertig. Fünfzehn Jahre tingelten die drei fidelen Musiker danach durch ganz Deutschland, sogar bis nach Italien reichten die Festival-Einladungen. Anstrengend sei das gewesen, erinnert sich Irene Tilgner, aber auch eine glückliche Zeit.
Auch als sie sieben Jahre lang mit Evelis Reichardt als "die Drehorgelweiber" weiterzog, bis die Gesundheit ihnen einen Strich durch die Rechnung machte, sei das eine schöne Zeit gewesen "... und die richtige Zeit", verbessert sich Irene Tilgner, denn heutzutage ginge das alles wahrscheinlich nicht mehr so: "Alles hat seine Zeit."
Und heute? Konzentriert sie sich wieder mehr auf ihre eigene Kreativität, stellt ihre Waren auf Handwerkermärkten aus und schneidert ihre farbenfrohe, extravagante Mode.
Modezeichnerin war ja auch von Anbeginn ihr Wunschberuf gewesen. Dumm nur, dass sie als 16jährige keine Lust auf eine Schneiderlehre hatte, obwohl ihre Mutter doch mit gutem Beispiel voranging und ihre Tochter stets mit Selbstgenähtem der neuesten Modetrends versorgte. Aber selber schneidern? Nein danke.
So fügte es sich für die junge Irene gut, dass just zu diesem Zeitpunkt der Berufswahl ein Rechtsanwalt ins Haus schneite und sie fragte, ob sie eine Lehre als Anwaltsgehilfin beginnen wollte. Sie griff zu, wechselte mit Erreichen der Volljährigkeit aus dem heimischen Backnang nach Karlsruhe, weil sie sich im Schatten des Bundesgerichtshofs interessantere Tätigkeitsfelder erhoffte.
Doch dann kam die Liebe ins Spiel und sie zog zu ihrem Mann Florian nach Baden-Baden, wo sie über Umwege zum damaligen SWF kam. Fast zwanzig Jahre hielt sie dort die Stellung im Büro des Familienprogramms - halbtags allerdings, denn die andere Hälfte der Zeit verbrachte sie lieber kreativ. Erste Gehversuche mit Emaille-Schmuck, dann folgten Oberteile aus Batikstoffen, nach japanischem Vorbild zusammengestückelte Jacken, dann Wickelröcke, Kleider, Pulsschmeichler - alles lässig und bunt.
Immer ist Irene Tilgner auf der Suche nach ausgefallenen Stoffen, leicht ist es nicht. In Baden-Baden - Fehlanzeige. Da muss sie schon zugreifen, wenn sie gerade in Bühl, Karlsruhe, München, Freiburg, oder im Schweizer Grenzgebiet unterwegs ist. Manchmal bestellt sie auch im Internet, obwohl dieses Medium für sie nur eine Einbahnstraße ist. Selber würde sie ihre Sachen nicht online verkaufen, dazu macht ihr der persönliche Kontakt zur Kundschaft einfach viel zu sehr Spaß, ist Teil des Ganzen.
Besonders ihre Knautschhüte sind der Renner, am liebsten noch hübsch und originell verziert mit einer ihrer berühmten Schmucknadeln.
Wie könnte man besser diese pralle Lebensfreude ausdrücken, die Irene Tilgner uns allen vorlebt. Ihre positive Lebenseinstellung ist ansteckend.
Woher holt sie ihre tiefe Zufriedenheit?
"Aus meiner Kreativität. Kreativität steht nicht still. Ich lasse alles auf mich zukommen und mich von meinen eigenen Ideen begeistern. Und wenn dann was fertig ist und ich es mir anschaue, dann denke ich: Toll ist das! und freue mich."
Der 45. Private Künstlertreff findet an diesem Wochenende statt:
Samstag, 22. November 2014 von 14 bis 18 Uhr und
Sonntag, 23. November 2014 von 11 bis 18 Uhr
Adresse:
Irene und Florian Tilgner
Fremersbergstr. 20, Eingang Hebelweg
Bushaltestelle und Parken: Stadelhoferstraße
Tel. 07221-23905
Mitwirkende Künstler:
Sandra Alf (Schmuck)
Helga Reiser (Ledertaschen)
Christel Holl (Kunstkarten)
Gisela Döring-Ortlepp (Malerei)
Evelis Reichardt (Bücher und Gedichte)
und Edeltraud Galitschke (Zaubermärchen, Sonntag ab 15 Uhr)
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