Maulkorb für die Bürger
Ruhe für die Stadträte?
Das war mein persönlicher Aufreger der Woche!
Ab sofort dürfen wir Bürger im explizit dafür vorgesehen Tagesordnungspunkt „Einwohner/innen-Fragestunde“ zu Beginn einer jeden Gemeinderatssitzung keine Fragen mehr zu aktuellen Themen stellen, die anschließend im Gremium behandelt werden sollen. Warum? Damit die Räte nicht in ihrer Entscheidung beeinflusst werden.
Das mag rechtlich einwandfrei sein, aber ich frage mich: Was ist das für eine Begründung? Wie werden wir Bürger behandelt in einer Zeit, in der landauf, landab über Politikverdrossenheit und schwindende Wahlbeteiligung geklagt wird? Ist es wirklich klug, mündigen Bürgern einen Maulkorb zu verpassen, weil man ihre Meinung nicht anhören will? Im Vorfeld der Beratungen zum geplanten Zentralklinikum gab es in diesem Jahr in der Tat unschöne Szenen auf der Zuschauertribüne. Aber müssen wir nun alle zum Schweigen gebracht werden, nur weil jemand übers Ziel hinausschoss? Gäbe da nicht andere Möglichkeiten, Eskalationen einen Riegel vorzuschieben? Dazu gleich mehr.
Bleiben wir zunächst beim Vorgang an sich. Es ist tatsächlich so, dass es diese Regelung erst seit September gibt. Der zuständige zweite Bürgermeister, Dr. Tobias Krammerbauer, hat mir auf Anfrage sehr ausführlich beantwortet, wie es dazu kam. Hier seine Stellungnahme:
1. Beschlusslage und Verfahren
Die Änderung der Geschäftsordnung wurde vom Gemeinderat in öffentlicher Sitzung am 28. Juli 2025 beschlossen. Grundlage war eine entsprechende öffentliche Gemeinderatsvorlage. Der Entscheidung gingen ausführliche Vorberatungen zwischen Verwaltung und den Fraktionen voraus. Die Neuregelung trat zum 1. September 2025 in Kraft und gilt damit für künftige Sitzungen.
Der Gemeinderat hat hierbei von seinem gesetzlich vorgesehenen Selbstorganisationsrecht Gebrauch gemacht.
2. Wesen und Zweck der Einwohnerfragestunde
Die Einwohnerfragestunde nach § 33 Abs. 4 GemO ist rechtlich keine Diskussion mit dem Gemeinderat und kein Instrument zur Einflussnahme auf laufende Beratungen. Sie dient dazu, Einwohnerinnen und Einwohnern die Möglichkeit zu geben, Fragen zu Gemeindeangelegenheiten zu stellen sowie Anregungen und Vorschläge einzubringen.
Die Rechtsprechung stellt klar, dass daraus kein einklagbares Recht auf eine bestimmte Ausgestaltung folgt – weder hinsichtlich des Zeitpunkts noch hinsichtlich der zulässigen Inhalte. Insbesondere besteht kein Anspruch darauf, sich im Rahmen der Fragestunde zu Punkten der aktuellen Tagesordnung zu äußern.
3. Fragen zur Tagesordnung
In der bisherigen Praxis hat sich gezeigt, dass Fragen zu Tagesordnungspunkten – insbesondere zu Beginn der Sitzung – regelmäßig zu inhaltlichen Vorab-Diskussionen geführt haben, die rechtlich nicht vorgesehen waren.
Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass es etwa im Zusammenhang mit dem Neubau des Klinikums wiederholt zu sehr langen Diskussionen im Rahmen der Einwohnerfragestunde gekommen ist. Solche Situationen verdeutlichen, dass der vorgesehene Rahmen der Fragestunde überschritten wurde und faktisch Einfluss auf die noch offene Willensbildung des Gemeinderats entstehen konnte.
4. Kommunaler Vergleich
Auch im kommunalen Vergleich ist die beschlossene Regelung nicht ungewöhnlich. … (Anm: gekürzt)
Andere Städte verzichten sogar vollständig auf eine Einwohnerfragestunde. Vor diesem Hintergrund stellt die aktuelle Ausgestaltung weiterhin eine bürgerfreundliche und ausgewogene Lösung dar.
5. Bürgerfreundlichkeit der Regelung
Die Beteiligungsmöglichkeiten bleiben weiterhin niedrigschwellig und transparent:
• regelmäßige Einwohnerfragestunde,
• weiterhin zu Beginn der Sitzung,
• Fragen, Anregungen und Vorschläge zu Gemeindeangelegenheiten ausdrücklich möglich,
• lediglich der unmittelbare Bezug zu laufenden Tagesordnungspunkten ist ausgeschlossen.
Weitere Beteiligungsformen – etwa Gespräche, Anfragen oder schriftliche Eingaben – bestehen unverändert.
6. Einordnung und Ausblick
Die nun beschlossene Klarstellung dient nicht der Einschränkung von Beteiligung, sondern ihrer klaren, verlässlichen und rechtssicheren Ausgestaltung.
Selbstverständlich wird man nun auch beobachten, wie sich die neue Regelung in der Praxis bewährt. Erfahrungen aus der Anwendung können in zukünftige Überlegungen einfließen. Zunächst geht es jedoch darum, die beschlossene Regelung umzusetzen und ihre Wirkung sachlich zu betrachten.
Soweit also die rechtliche Einordnung: Alles rechtens, kein Grund zur Klage, ein demokratischer Prozess, die Gemeinderäte haben den Punkt beschlossen. Akzeptiert!
Dennoch stehen wir Bürger nun etwas ratlos da und fühlen uns übergangen und ausgeschlossen. Wie sollen wir uns mit unseren Sorgen und Anregungen künftig zeitnah Gehör verschaffen? Die Tagesordnung des Gemeinderats ist auf der extrem schlecht navigierbaren, unübersichtlichen Bürgerinformations-Webseite erst zehn Tage vor der jeweiligen Gemeinderatssitzung öffentlich auffindbar. Wie soll man da zeitnah reagieren?
Ich habe die Bürgerfragestunde bislang immer auch als eine Art Gradmesser dafür angesehen, was die Bürger der Stadt gerade bewegt.
Bislang haben sich Betroffene zu einem anstehenden Thema Gedanken gemacht, sich zusammengesetzt, kurze (pro Frage gibt es ohnehin nur zwei Minuten Zeit) Stellungnahmen oder Fragen ausgearbeitet, sich - manchmal zitternd - getraut, ans öffentliche Mikrofon zu treten und unter Nennung ihres Namens und ihres Wohnortes ihr Anliegen vorzubringen, die Räte zu bitten, vor ihrer Entscheidung noch einmal zuzuhören und abzuwägen.
Kochen allerdings Emotionen hoch, wie in jüngster Vergangenheit, könnte man diese Auswüchse wahrlich anders in den Griff bekommen, zum Beispiel mit deutlicherem Verweis und Umsetzung der zeitlichen Einschränkungen und/oder einer Art Nettiquette, Ordnungsrufen bis hin zu Saalverweisungen, wenn sich jemand während der anschließend laufenden Sitzung überhaupt nicht zurückhalten kann und oben auf der Tribüne stört. Das wurde in jüngster Zeit leider vernachlässigt, und umso deutlicher wurden dann die Auswirkungen.
Jetzt mit einem generellen Maulkorb für aktuelle Themen zu reagieren, mag rechtlich einwandfrei sein und ist zu akzeptieren, halte ich persönlich jedoch für den falschen Weg. Denn ich als Bürgerin fühle mich nicht gesehen, nicht mitgenommen und nicht respektiert.
Nun gut, es ist auf absehbare Zeit nicht zu ändern, da können wir uns ärgern, wie wir wollen. Die Entscheidung ist gefallen.
Aber dann, liebe Verwaltung und liebe Gemeinderäte, dann gebt uns bitte andere Möglichkeiten, uns ins Stadtgeschehen einzubringen, und zwar andere, als alle fünf Jahre unser Kreuzchen zu machen. Die schwindende Wahlbeteiligung ist ja ein Alarmzeichen für Politikverdrossenheit, das man nicht übersehen darf. Hier gilt es, aktiv entgegenzuwirken. Den Bürger mitnehmen, nicht links liegen lassen! Direkte Kommunikation wird doch auch vom Land gefordert!
Einwohner- oder Bürgerversammlungen wären zum Beispiel eine Möglichkeit, und zwar keine themenbezogenen Veranstaltungen zu Baumaßnahmen, sondern abendfüllende Veranstaltungen (ab 19 Uhr für die Berufstätigen) zur Lage der Stadt, ganz allgemein, rückblickend und vorausschauend: Was wurde im letzten Jahr wie und warum entschieden, was liegt als nächstes an, was ist die Meinung der Bürger? In anderen Bundesländern ist dies einmal im Jahr Pflicht, in Baden-Württemberg ein Soll. Also, warum machen wir das nicht in Baden-Baden? Dann aber mit live-stream, bitte!
Na gut, das ist wieder ein anderes Thema...
d