Am Anfang war das Wort -
und am Ende die Verwirrung
Es ist ja nicht so, dass ich schnell aufgebe. Und auch die Verantwortlichen der staatlichen Kunsthalle Baden-Baden sind hartnäckig.
Nach
der Eröffnung der neuen Schau mit dem – sagen wir mal freundlich:
sperrigen Titel „No other cure none other than words in talking“
war vermutlich
herauszulesen, dass mich die Ausstellung nicht so ganz überzeugt
hat.
=> https://forum-baden-baden.blogspot.com/2024/03/staatliche-kunsthalle-ausstellung-marz.html
Nun gab es eine erneute Einladung, diesmal für eine kurze, aber vertiefte Einzelbetrachtung. Friday-Lunch-Tour nennt sich das, jemand vom Team (heute: die Kuratorin Christina Lenhard höchstpersönlich) erklärt dem (sehr kleinen) Publikum jeden Freitag eines der Exponate.
Und schon das erste Missverständnis: Lunch-Tour bedeutet nicht zwangsläufig, dass da eine kleine Gruppe gemütlich beim Mittagessen zusammensitzt und über Kunst plaudert. Die Tour heißt nur so, weil sie um 13 Uhr, also zur Lunch-Time (auf deutsch: Mittagszeit), stattfindet. Essen darf man gerne anschließend; so eine Tour dauert in der Regel ja nur 20 Minuten. Ein Quickie, sozusagen. Immerhin: Freitags sind Eintritt und Führung umsonst. (Sonntags gibt es so etwas auch, aber ausführlicher, allerdings muss dann Eintritt + 2 Euro für die Führung gezahlt werden. - Dies nur am Rande.)
Mit allerbestem Willen geht es nun also los mit meinem zweiten Besuch der Ausstellung. Der Zuspruch zur Führung hält sich in Grenzen, außer mir wartet nur ein weiterer Besucher auf Erklärungen.
Erste Station: Das neu gestaltete Café. Bunt, aufgeräumt, coole Ornamente an den Wänden, einfallsreiche Beleuchtung... „Garden of Ornaments“ heißt der Raum jetzt, und man merkt: der markante Künstler Viron Erol Vert hat früher mal in der Modebranche gearbeitet (und ebenso als Türsteher...) Er hatte bei der Eröffnung versprochen, zu einem späteren Zeitpunkt nachzubessern, falls es dafür Bedarf gäbe. Und ich möchte ihm heute noch einmal ernsthaft zurufen: „JA! Bitte! KOMM! Mach!!“ Die Akustik in dieser Halle zum Beispiel ist seit jeher absolut unmöglich und ärgerlich, und gerade jetzt, wo verschiedene „Kommunikations“-Inseln geschaffen wurden, kann man alles, nur nicht kommunizieren. (Das war schon immer so, und eine Lösung wäre so einfach! Stichwort Absorber-Panels.)
So aber sitzen wir auf dem gelben Stufenpodest und verstehen unser eigenes Wort nicht, jedenfalls nicht, solange sich zwei weitere Besucher am Kassenbereich (in normaler Lautstärke) beraten lassen. Wie schade, dass man das nicht längst bei den regelmäßigen Umgestaltungen berücksichtigt hat; sie finden alle paar Jahre statt, da hätte es schon längst eine Gelegenheit gegeben. Das Problem ist ja seit Anbeginn der Kunsthalle bekannt, und irgendwann sollte doch das Land Baden-Württemberg, dem die Kunsthalle gehört, in der Lage sein, neben Farbe, Möblierung und Künstlerhonorar auch hierfür Mittel locker machen.
Denn es könnte so schön sein: ein stilles Eck, in dem man ungestört (!) die schönen Bücher lesen könnte, die man sich gerne ausleihen (aber bitte wieder zurückstellen!) kann. Da die Diebstahlsrate hoch ist und die Bücher teuer, sind sie nun in den ehemaligen Experimentierraum 45-kbm umgezogen, wo das Kassenpersonal die Lektüre besser im Auge hat. Auch einen Laptop oder ein Tablet würde, so höre ich, der Cafébetreiber auf Anfrage zum Latte dazuservieren.
Ach ja, der nette Cafébetreiber! Skender Azemi ist mittlerweile ziemlich enttäuscht von der Umgestaltung „seiner“ Räumlichkeit. Denn es gibt in der Mitte der Halle nun neurdings einen großen Tisch, eigentlich eine überdimensionierte große Tafel, an der man sich niederlassen und – ja natürlich! - kommunizieren möge. Nur – wie soll das gehen, wenn der Abstand zum Gegenüber so groß ist, dass man sich höchstens anschreien könnte? Skender Azemi seufzt unglücklich. „Da sitzt nie jemand“, klagt er, „das ist schlimmer, als ich befürchtet habe.“ Die Antwort „ach das wird schon noch“ ist da nicht wirklich beruhigend! Also hoffen wir, dass Künstler Viron Erol Vert sein gegebenes Wort hält und nachbessert. Die Tische müssen ja nicht so breit auslaufen wie jetzt. So sind sie jedenfalls einfach nur ungemütliche Zonen, die auf Menschen warten, die nicht miteinander reden können.
Für Menschen, die...
Gehen wir nach oben in die Ausstellung. Erster Eindruck:
- Fernseher, die auf Zuschauer warten, aber entweder dunkel sind (nur ab und zu taucht ein Wort auf), oder grieselig (ab und zu taucht etwas auf, das man mit viel Fantasie als Mund erkennen kann).
- Tische, die auf Menschen warten, die bereit wären, gerne und mühsam die sich im Deckenlicht spiegelnden englischen Texte zu entziffern. (Immerhin könnte man sich geschlagen geben und unten im Büro klopfen und Übersetzungshilfe verlangen.)
- Kanalisationsrohre, die auf ratlose Menschen warten, die... ach, ich bin schon still.
Wie kann das jemand verstehen, der nicht vom Fach ist? Alleine auf sich gestellt durch die Ausstellung zu streifen, ist nicht unbedingt ratsam. Man würde unweigerlich als lebendes Fragezeichen wieder herauskommen. Aber wir haben ja die Kuratorin an der Seite.
Christina Lehnert versucht engagiert, uns mit ihrer Begeisterung für das Thema und für die Künstler/innen anzustecken.
Im
Mittelpunkt der Ausstellung steht das Werk von Theresa Hak Kyung Cha,
die 1951 in Süd-Korea geboren wurde, in einem Land, das bis Ende des Zweiten Weltkriegs für mehrere Jahrzehnte von Japan besetzt gewesen war und in dem es für ihre Eltern strikt verboten war, Koreanisch
zu sprechen. Als sie 13 war, emigrierte die Familie in die USA, wo
Theresa Hak Kyung Cha in San Francisco aufwuchs und Ende der 1960er
bis Ende der 1970er Jahre, also zur Zeit der Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg, an der University of California in Berkeley
Vergleichende Literaturwissenschaft und Kunst studierte. Damals war die
gesamte Bay Area auch Zentrum für experimentelle Kunst wie
Performance und Videos.
Aufgrund ihres eigenen Erlebens von Exil, von kultureller und sprachlicher Umwandlung, beschäftigte sich die Künstlerin mit Themen wie Erinnerung und Entfremdung, hauptsächlich aber setzte sie sich intensiv mit Sprache auseinander. Sie betrachtete Sprache als "gemeinsamen Nenner" von Literatur, Linguistik und Filmtheorie. Cha, die fließend drei Sprachen beherrschte, suchte nach "den Wurzeln der Sprache, ehe sie auf der Zungenspitze zur Welt kommen". Das Erlernen von Fremdsprachen nutzte sie über die Funktion der bloßen Kommunikation hinaus für die Analyse und das Experimentieren mit "anderen sprachlichen Aspekten". Sie starb noch während des Studiums und hinterließ ein Buch, „Dictée“, das zum Todeszeitpunkt noch gar nicht gedruckt war, und das in ihrer Universität in Berkley neben ihren anderen Werken aufbewahrt wird.
Dieses Buch fand auf Umwegen zu Christina Lehnhard, und diese war sofort von Thema und Umsetzung fasziniert und kam so auf die Idee, Cha in Baden-Baden eine Ausstellung zu widmen. Es ist - auf Englisch - demnächst auch ausleihbar.
Ich zitiere nun die Pressestelle der staatlichen Kunsthalle:
Chas Werk beschäftigt sich in seiner medial vielfältigen Weise mit dem Erarbeiten einer künstlerischen Ausdrucksform, der künstlerischen als auch der eigenen Biografie und vor allem einer Sprache. Auch heute beschäftigen sich die Werke zeitgenössisch arbeitender Künstler*innen wie Thuy-Han Nguyen-Chi (*1988, Reutlingen, DE) vermehrt mit den Themen von Entfremdung, Sprache und Erinnerung, die oftmals durch die eigenen disparaten Biographien, als auch den Vorgängen einer global-gesehenen Politik, der Aufarbeitung vergangener Geschichte und gegenwärtiger Migrations- und Gesellschaftspolitik zustande kommt.
Dem Werk von Theresa Hak Kyung Cha stellt die Staatliche Kunsthalle die Film- und Soundarbeiten der vietnamesischen-deutschen Künstlerin und Filmemacherin Thuy-Han Nguyen-Chi mit dem Kurzfilm Into The Violet Belly zur Seite. Nguyen-Chi wurde 2022 für ihren Film mit dem Lola Preis ausgezeichnet. In Anlehnung an Chas Buch Dictée, führt Nguyen-Chis Soundinstallation mit Kompositionen des Künstlers Andrew Yong Hoon Lee (*1982, Winnipeg, CAN) durch die Ausstellungsräume. Neun Stimmen in einer raumübergreifenden Installation versammelt, reagieren auf die neun Musen, die Chas Buch Dictée strukturieren. Andrew Yong Hoon Lee’s ortsspezifische Komposition vereint die Stimmen zu einem Chor, der durch die Räume hörbar macht.
Es geht hier also um Sprache, um den Umstand, wie mühsam es ist, in einer neuen Heimat anzukommen und eine neue Sprache zu erlernen. Asiatisch stämmige Künstler werden Cha, wie oben beschrieben, zur Seite gestellt, auch gibt es während der Kurzführung einen Verweis auf spanisch sprechende Migranten in den USA. Ein Bezug zu Baden-Baden wäre pfiffig gewesen, denn auch bei uns sind in den letzten Jahren viele Menschen aus afrikanischen und Arabisch sprechenden Ländern angekommen. Es wäre vielleicht interessant gewesen, auch sie und ihre Kultur einzubinden. Aber womöglich hätte das den Rahmen gesprengt. Dies nur als Seiteneinschub.
Was sehen wir also rein objektiv?
Tja. Als erstes tatsächlich einen Röhrenfernseher, der schwarz-weißes Rauschen zeigt. Ab und zu taucht schemenhaft etwas aus, das ein Mund sein könnte, der sich bewegt.
Ein anderer Fernseher wirkt auf den ersten Blick ausgeschaltet, aber wenn man lange genug draufstarrt, flimmert mal ein englisches Wort über den Bildschirm.
Auf den Tischreihen im großen Saal liegen hinter Glas Fotokopien von Texten in englischer Sprache.Wer damit Schwieirgkeiten hat, kann sich Hilfe aus dem Kunsthallenbüro kommen lassen. Macht das jemand?
Und dann betreten wir die Räume hinter dem großen Saal: Kanalisationsrohre, so weit das Auge reicht. Überall diese Rohre. Aus denen Töne kommen, und wenn man sein Ohr nahe genug anlegt, hört man Geschichten. Verstehen muss man sie nicht, es geht um etwas Übergeordnetes, das dahinter gemeint ist. Die Installation der vietnamesisch-stämmigen Künstlerin Thuy-Han Nguyen-Chi geht auf deren Begegnung mit einer politischen Gefangenen zurück, von der sie erfuhr, dass sich die Gefängnisinsassen nachts über das System der Kanalrohre miteinander verständigten. Das erklärt einiges.
Wer sich allerdings nicht intensiv mit diesen Hintergründen beschäftigt (es liegen Beschreibungen – leider ziemlich akademisch formuliert – aus) sondern sich bei einem Rundgang durch die heiligen Hallen einfach nur von Kunst inspirieren lassen will, der ist hier eindeutig fehl am Platz und wird am Ende kapitulieren und die Kunsthalle mehr als ratlos verlassen.
Ich frage mich ernsthaft: Welches Publikum soll mit dieser hoch intellektuellen Umsetzung angesprochen werden? Wer ist die Zielgruppe? Was ist generell der Auftrag einer staatlichen Kunsthalle: Kunst von morgen zu produzieren, oder Zuschauer von heute zu faszinieren und ihnen einen Zugang zur Kunst zu ermöglichen? Vor ein paar Jahren versprachen unter Johan Holten große Veranstaltungen in dieser Kunsthalle noch einzigartige Kunst- und Kulturerlebnisse, gepaart mit Spaß! Die Leute kamen gern in die Ausstellungen. Seit ein paar Jahren scheint sich das neue Team – so empfinde ich persönlich es jedenfalls – eher auf eine kleine, exquisite Gruppe von Gleichgesinnten zu konzentrieren und Kunst für morgen zu produzieren. Kann man machen. Aber es geht leider am breiten Publikum vorbei.
Ich beschäftige mich, wenn auch sehr laienhaft, wirklich gerne mit Kunst, aber hier stoße ich eindeutig an meine Grenzen, allen wohlgemeinten Bemühungen zum Trotz.
Vor der Kunsthalle treffe ich eine Besucherin und frage sie nach ihrem Eindruck. Sie überrascht mich: Ihr hat's gefallen. Sehr einleuchtend finde sie die Präsentation, sagt sie. DAnn allerdings stellt sich heraus, dass sie tatsächlich keine „normale“ Besucherin ist, sondern genau das vermutete Zielpublikum verkörpert: Sie ist Kunstdozentin von Beruf.
Quod erat demonstrandum (= was zu beweisen war)?
Vielleicht.
Aber meine Meinung ist ja absolut subjektiv. In der Kunst gibt es kein richtig oder falsch. Wer sich nun selbst eine Meinung bilden will, bitte sehr: Die Kunsthalle ist täglich außer Montag von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 7 Euro, freitags frei, und zur Lunch-Zeit... Aber das wissen Sie nun ja schon. Nur zu! Ein Experiment ist es allemal wert! Bis 9. Juni 2024 ist noch Zeit dazu.
Und da jeden Freitagmittag ein anderer Aspekt der Ausstellung vertieft wird, könnte sich schon beim nächsten Besuch ein anderes Bild ergeben.
=> https://kunsthalle-baden-baden.de/