Freitag, 8. März 2024

Staatliche Kunsthalle - Ausstellung März 2024

 

Neue Ausstellung zum Hören

und miteinander Reden

 

„No other cure none other than words in talking“ - was für ein sperriger Name für eine Ausstellung, die ein großes Publikum anlocken soll! Die staatliche Kunsthalle Baden-Baden beweist ab heute wieder einmal, dass sie experimentierfreudig ist und im highlevel des Kunsthimmels schwebt. Künstler/innen und Kuratorin können sich schon jetzt sicher sein, dass über sie und ihr tieferes Ansinnen geredet wird. Und damit hat die Ausstellung ihren eigentlichen Sinn erfüllt, denn es geht ihr genau um das: Das Miteinander-Reden. 



Und es solle gezeigt werden, wie die Werke historischer und zeitgenössischer KünstlerInnen durch Sprache, Erinnerung und die Erfahrung von Fremde miteinander verbunden sind, heißt es in der Pressemappe. 

 

Ich versuche es mit eigenen Worten.

Im Zentrum der Idee steht die Künstlerin Theresa Hak Kyung Cha, die 1951 in Südkorea geboren wurde, in die USA emigrierte, weil unter der japanischen Besatzung in ihrem Heimatland noch nicht einmal die eigene Sprache gesprochen werden durfte. Das Thema ließ sie daraufhin nicht mehr los. Sie ist bekannt geworden für ihr Buch „Dictée“, in dem sie sich mit Sprache auseinandersetzt. Genauer gesagt: Mit Sprache, Sprechen, Erzählen, und das vor dem Hintergrund ihrer Erfahrung mit anderen Kulturen. Frei übersetzt könnte der Satz „Nur Sprechen ist die Heilung“ als Überschrift über ihrem gesamten Werk gelten, so Kuratorin Christina Lehnert.

=> https://de.wikipedia.org/wiki/Theresa_Hak_Kyung_Cha

Sprache ist also das, was wir in der Ausstellung finden. Der Rundgang im ersten Stock gestaltet sich etwas überraschend. Kaum zweidimensionale Kunstwerke an der Wand, die zum Verweilen und Interpretieren einladen. Filmprojektionen dominieren den Hauptraum, es gibt Tische und Stühle, damit man die englischen Texte in Ruhe studieren kann. (Wer Übersetzungshilfe braucht, kann der Aufsicht Bescheid geben, und es wird jemand aus dem Team der Kunsthalle kommen und weiterhelfen.)

Aber schon im nächsten Raum erschließt sich das Gesehene und zu Hörende eher, wenn man sich die Mühe macht, und den Begleittext zur Ausstellung studiert, den man kostenlos an der Kasse erhält. Denn auf den ersten Blick sieht man eigentlich nur – Kanalrohre.

 


Diese Rohre ziehen sich durch alle weiteren Räume und haben einen künstlerischen Hintergrund, beziehungsweise eine Künstlerin als Hintergrund: Thuy-Han Nguyen-Chi, 1988 in Reutlingen geboren, wollte einen Ort schaffen, dem sie „deep listening“, lesen und sprechen zuordnet.

=> https://de.wikipedia.org/wiki/Thuy-Han_Nguyen-Chi

Sie schreibt gerade in London ihre Doktorarbeit über Filmtheorie und ist hierbei auf das Werk von Theresa Hak Kyung Cha gestoßen. Das habe sie extrem beeindruckt, wie sie im Pressegespräch berichtete. Verschiedene Wissensformen seien in dem Buch zusammengefasst, man könne gar nicht sagen, ob es eine Autobiografie oder Poesie sei. Als Thuy-Han Nguyen-Chi im Laufe ihrer Recherchen mit politischen Gefangenen in Kontakt kam, die von ihrer geheimen Konversation über die Kanalisationsrohre des Gefängnisses berichteten, war die Idee für die Performance geboren, die ab sofort bis 9. Juni 2024 in der Kunsthalle Baden-Baden gezeigt wird.

Natürlich sind das nicht einfach nur Rohre, sondern man sollte dort Platz nehmen, das Ohr an die Öffnungen legen und dem gesprochenen oder gesungenen Wort lauschen. Man braucht Zeit und Muße dafür, einfach nur durchlaufen erschöpft sich sich Ratlosigkeit. Und richtig: "Das ist eine Ausstellung, in die man mehrmals kommen sollte", so der Tipp der Kuratorin.


 

Neun Künstler wurde gebeten, als Musen zu fungieren, und Texte, Kompositionen und Gesang beizusteuern. Neun Musen also, den griechischen Göttinnen nachempfunden. Schriftsteller, Performancekünstler, Philosophen und Musiker, Komponisten, eine ganz besondere Sängerin und eine Klavierspielerin... da ist die Hoffnung groß, dass sich eventuell irgendwann während der Ausstellungszeit diese neun Musen in Baden-Baden einfinden und ein gemeinsames Konzert geben.

Unterstützung fand Thuy-Han Nguyen-Chi in ihrem Künstlerkollegen Andrew Yong Hoon Lee, der die Soundinstallationen komponierte. 

 

v.l.: Kuratorin Christina Lehnert, Thuy-Han Nguyen-Chi und Andrew Yong Hoon Lee

Eine weitere Künstlerin der Ausstellung war dem Bahnstreik zum Opfer gefallen und konnte nicht beim Pressegespräch dabei sein: Evelyn Taocheng Wang, die als in Europa lebende asiatische Frau eine Serien von Klischeebildern der östlichen und westlichen Kulturen beigesteuert hat.

=> https://de.wikipedia.org/wiki/Evelyn_Taocheng_Wang

Wem das alles nun zu akademisch ist, der sei herzlich eingeladen zum Dialog. Morgen, Samstag, 9. März wird es um 12 Uhr einen Künstler/innenbrunch und um 14 Uhr ein Gespräch mit Thuy-Han Nguyen-Chi und Andrew Yong Hoon Lee geben, und am Sonntag, 10 März führt Kuratorin Christina Lehnert um 14 Uhr durch die Ausstellung und stellt sich den Fragen des geneigten Publikums. Die Sonntagsführungen werden auch während der gesamten Dauer der Ausstellung angeboten.

Wir dürfen gespannt sein auf das Echo auf diese Ausstellung. In die jüngste Schau „Sarkis – sieben Tage, sieben Nächte“ kamen immerhin rund 10 000 Besucher.

=> https://kunsthalle-baden-baden.de/

 


Nicht ganz verschweigen möchte ich, dass die Eingangshalle der Kunsthalle mit dem Café soeben neu gestaltet wurde. "Garden of Ornaments" heißt das Thema des Künstlers Viron Erol Vert, der es geschafft hat, die Räumlichkeit total umzukrempeln und frischen Wind hereinzulassen. Ornamente und viel Farbe an den Wänden, neue Sitzinseln, und allen voran ein riesiger Tisch im Zentrum, der zum miteinander-Reden einlädt, ganz, wie es die derzeitige Ausstellung auch beabsichtigt.

Mehr über den Künstler Viron Erol Vert gibt es in einem Beitrag des SWR =>  https://www.swr.de/swr2/kunst-und-ausstellung/viron-erol-vert-uebernimmt-die-kuenstlerische-gestaltung-des-foyers-der-staatlichen-kunsthalle-baden-baden-100.html