Dienstag, 5. März 2024

Ralf Schira

 

Atelierbesuch bei Ralf Schira

Der gerade Weg der Leidenschaft

 

Es ist nicht so, dass er als kleiner Bub im Sandkasten schon Figuren statt Kuchen geformt hätte. Auch das väterliche Bauunternehmen spielte keine Rolle bei seine Berufung. Und in der Schule hatte er keineswegs einen verständnisvollen, begeisternden Kunstlehrer gehabt – ganz im Gegenteil: „Es gab eine so große gegenseitige Abneigung, dass im Gymnasium ein Leistungskurs bei ihm unmöglich war.“ Und trotzdem ist er Künstler geworden, sogar Künstler des Jahres 2024 in Baden-Baden. Die Rede ist von Ralf Schira, besser bekannt als der Mann mit der Lupe. Die kennt wahrscheinlich jeder in Baden-Baden.

 

 


Sie steht, als Geschenk der Bürgerstiftung, seit 2013 auf dem Hungerberg und soll uns befähigen, das Stadtgeschehen – richtig! - unter die Lupe zu nehmen. Nun, zumindest ein großes Sorgenkind der Stadt hat man beim Durchblick im Visier.

Aber zurück zu dem Mann, der dieses Denkmal geschaffen hat. Wie wird man Künstler, und sogar Künstler des Jahres 2024?

 


 

Atelierbesuch. „Wie ich Künstler geworden bin?“ Ralf Schira guckt ein bisschen ratlos. „Das war nicht geplant,“ sagt er dann langsam. „Das kam einfach aus mir raus.“ Werkbank statt Schulbank – das war schon lange sein Streben gewesen. Das plastische Arbeiten in Holz und Metall machten ihm besonderen Spaß, gerne formte und schnitzte er Dinge des täglichen Lebens, zum Beispiel für die Küchenarbeit der Mutter. 

 


 

 



Richtung Abitur war dann schon klar, dass er sich eine handwerkliche Ausbildung suchen wollte. Aber wie und wo und was? Ausgerechnet vom Werkstoff Stein riet ihm die Berufsberatung allerdings ab, weil er zu jener Zeit gerade ein Meniskusproblem hatte. Doch gerade dorthin verschlug es Schira, in einen Betrieb in Ettlingen, der sich auf Restaurierungen von Gebäuden, vornehmlich Burgen und Kirchen, spezialisiert hatte. Der Chef war ein „Alt-68er“, der seinem Stift viel freie Hand ließ, und der sperrte bei der Arbeit Augen und Ohren auf, denn um ihn herum jobbten mit ihm auch viele Studenten der Karlsruher Kunstakademie, um sich ihr Studium zu finanzieren. Die blieben nach Feierabend weiter im Betrieb und machten ihre eigenen Sachen. Und bald kam auch er erst nach 22 Uhr nach Hause oder verbrachte seine Samstage im Betrieb. Dem Lehrmeister war's recht, er überließ dem Lehrling sogar einen eigenen Schlüssel. Irgendwann ermunterten ihn die Studenten, sie auf die Akademie zu begleiten, und da passierte es: „Ich wusste plötzlich: Hier bin ich goldrichtig.“

 


Hatte er sich vormals durch die Schule geschleppt, ging ihm von nun an alles leicht von der Hand, konnte er gar nicht mehr genug lernen. Drei Jahre dauerte die Ausbildung zum Steinbildhauer, sie wurde sogar etwas verkürzt. Gesellenstück war nicht, wie vom Lehrherrn eigentlich gewünscht, ein Profil-Stück, sondern ein weiblicher Torso in natürlicher Größe. Note eins. Natürlich! 

 


 

Es folgte für ein Jahr ein Job in Frankfurt, wo Ralf Schira Grabmale bearbeitete und sofort wieder in Kontakt mit den Studenten der dortigen Städelschule kam. Einer von ihnen machte Ralf Schira auf die Bildhauerschule in Müllheim/Schweiz aufmerksam. Er schickte seine Mappe ein und wurde prompt genommen, bekam sogar ein Stipendium.

Schira denkt gern an diese Zeit in der Schweiz zurück. Jeder hatte in der Akademie sein eigenes Atelier, die Schule wurde dicht geführt. „Die Lehrer waren täglich vor Ort.“ Das erste Jahr war hart, reine Theorie, kaum Zeit für die Praxis in der Werkstatt. 

 



Das Studium der Kunsthistorie und -theorie, der Philosophie und griechischen Sagen hielt die Studenten in Atem und vom Modellieren ab. Alles drehte sich um die zentrale Frage: „Wann und warum ist etwas Kunst?“ Warum ist die Katzenzeichnung des Nachbarn keine Kunst, eine Katze von Jeff Koonz aber schon? Oder warum ist ein Gegenstand auf einem Schrottplatz keine Kunst, der gleiche Gegenstand im Museum aber schon? Um es vorwegzunehmen: „Das frage ich mich manchmal heute noch, aber eine Antwort in einem Satz gibt es nicht.“ Objektiv feststellen lässt es sich nicht, auch wenn natürlich einiges vom Werdegang des Urhebers abhängt.

Drei Jahre blieb Schira in der Schweiz, immer etwas kritisch beäugt vom Vater, der sich etwas Bodenständigeres für seinen Sohn gewünscht hätte. Der jedoch ging unbeirrt weiter, ließ sich von seinen Motiven finden, skizzierte diese flüchtigen Ideen, die oft ihren Ursprung in Alltagsgegenständen haben, setzte diese Ideen dann um. „Wenn ich anfange, ist die Skulptur bereits zu 75 Prozent in meinem Kopf fertig“.

 


Und auch der Student war nach drei Jahren fertig und durfte sich Diplombildhauer nennen. Die Abschlussarbeit war eine Art drehbare Diskus-Scheibe aus Marmor, benannt nach den beiden unzertrennlichen griechischen Heldenbrüdern Castor und Pollux.

Und immer noch modellierte der Künstler an seinem Weg. Diesmal ging es für ein Jahr nach Paris. Ach Paris! Ja, diese Zeit war offenbar genau so, wie man es sich landläufig vorstellt: Romantik im winzigen einfachen Dachstübchen am Place de la Bastille – zentraler geht es ja kaum. Die Professorin, bei der Schira noch etwas dazulernen wollte, war Malerin, und so versuchte er sich in diesem Metier, lernte zeichnen, Radierungen, Tusche. Aber nein, das Zweidimensionale lag ihm nicht.

An vielen Erfahrungen und Erinnerungen reicher beugte er sich nach diesem Jahr dem Wunsch des Vaters und und absolvierte ganz solide eine handwerkliche Meisterschule in Düsseldorf, wo er sich durch Din-Normen, technisches Zeugs und Gesetzestexte kämpfte, nur um am Ende den Meistertitel zu haben und die Eltern in ihrem Wunsch nach finanzieller Sicherheit für die Sprößling zu beruhigen. Mit Schöngeistigkeit indes hatte das nichts zu tun. Aber dann - war auch das geschafft und damit endlich …

 



… war er frei. Beruflich, aber leider auch im Privatleben. „Ich war aufgeschmissen“, gesteht der Künstler heute rückblickend. Und was macht man in Zeiten der Unsicherheit? Man kehrt zurück, in diesem Fall nach Karlsruhe, zu den Kumpels und Geschwistern. In der Südstadt fand er eine ausgediente Wäscherei, mietete sie an und – ja, und jetzt? Plötzlich ist man das, was man immer sein wollte: freischaffender Künstler. Endlich. Aber wie umgehen mit dieser Freiheit, die grenzen- und auch bodenlos sein kann?

Schira hebt die Schultern. „Ich hab einfach angefangen.“ Nahm Skizzenblock und Stift und begann, seinen Traum zu leben, wenn auch fürs Erste neben einem normalen Brotberuf, der ihm finanzielle Sicherheit bot. Etwas, was er jungen Kollegen immer empfehlen würde. Man habe zwar als Angestellter weniger Zeit, aber die „gehört dir“. Als rein Selbständiger müsste man ja alles, von der Steuer bis zur Rentenversicherung, im Alleingang organisieren, und würde vermutlich mehr Zeit aufwenden als in einem geregelten Job, den Schira in einem Steinmetzbetrieb an drei Tagen pro Woche Zum Brotverdienen ausübte.

 


 

An den freien Tagen und Wochenenden aber ging es künstlerisch los. Stein auf Stein wurden Kunstwerke geschaffen, aber zunehmend mißfiel ihm der Werkstoff. Zu schwer, zu massiv, zu unbeweglich. Und just in diesem Moment klopfte der Zufall an seine Tür: Ein Lieferant des Bühnenbildners im nahegelegenen Theater hatte im Vorbeigehen Schiras Werkstatt entdeckt und wurde vorstellig. „Ich habe da vielleicht etwas für Sie“, sagt der fremde Zufallsbesucher und bot ihm einen Kunststoff an, den man direkt auf Styropor aufziehen kann, für eine neue Dimension von Kunstwerken, leicht und stabil. Bei Schira rannte er offene Türen ein, denn genau nach so einem Stoff hatte der Künstler schon gesucht, aber damals war das ohne Internet schwierig. „Na, auf Sie habe ich ja gewartet“, begrüßte der Künstler den Lieferanten seiner Zukunftsvision also freudig, und startete mit dem neuen Material in eine neue Zeit mit neuen Formen, welche er niemals hätte in starren Stein meißeln können.


 

Das erste Werk dieser Art besitzt er noch immer, es stet im Wohnzimmer. Gestatten? Harvey, benannt nach dem unsichtbaren Hase aus dem gleichnamigen Film mit James Stewart aus dem Jahr 1950. => https://de.wikipedia.org/wiki/Mein_Freund_Harvey_(1950)

Von dieser Skulptur gab es übrigens eine Bronze-Ausführung, die witzigerweise über einen Umweg beim berühmten, meisterhaften Kunstfälscher Wolfgang Beltracci landete. => https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Beltracchi

Seit 2006 hat Ralf Schira, inzwischen auch privat im Glück, seinen Wohnsitz in Baden-Baden, und mit der Wohnung fiel ihm gleichsam als glückliche Fügung hinterm Haus auch gleich ein passendes Atelier zu. Mittlerweile ist er ein anerkannter Künstler, der auf Kunstmessen und in zahlreichen Ausstellungen zu sehen ist. 

 

 

Auch das Thema Bühnenbildnerei, das einst in seiner Anfangszeit in Karlsruhe seinen Stil revolutionierte, verlässt ihn nicht. 2016 war bei den Pfingstfestspielen im Festspielhaus ein riesiger 6,50 Meter hoher, von Schira gestalteter Totenkopf Teil der Kulisse, und seitdem macht die Bühnenbildnerei in und um Baden-Baden rund 20 Prozent seiner Arbeit aus. Auch handwerkliche Restaurierungen sind weiterhin Bestandteil seines Tuns, neben der freien Kunst oder dem gelegentlichen Bau von Brunnen oder besonderen Grabmalen.

 

 

Im Atelier direkt an der Oos stehen unvollendete Entwürfe, und auch schon die ersten Rohlinge für die große Ausstellung, die anlässlich seiner Ernennung zum Künstler des Jahres im Dezember im Alten Dampfbad geplant ist. Iglus nennt er die kleinen Formen, und wir dürfen gespannt sein, ob und wie die Rohlinge dann noch wiederzukennen sein werden. 

 


Ganz so lange brauchen wir aber auf ein Wiedersehen mit dem Künstler nicht zu warten. Wer die Lupe noch nicht kennt, kann sie jederzeit am Hungerberg besichtigen, und ab 24. März ist ein echter Schira außerdem auch wieder im Rahmen der open-Air-Ausstellung „Scultura“ am Alten Dampfbad zu sehen.

=> http://www.gfjk.de/seite/431451/aktuell.html

Hier geht es zur Webseite von Ralf Schira => https://ralf-schira-bildhauer.de/