Sonntag, 9. Juli 2023

Das neue BT - Die erste Woche

Das neue Badische Tagblatt

Gemischte Gefühle und viel Kritik

 

Nun ist es also soweit. Seit 1. Juli 2023 haben Badisches Tagblatt und Badische Neueste Nachrichten miteinander fusioniert. Oder im Klartext: Die große Regionalzeitung aus Karlsruhe hat die kleine Lokalzeitung aus Baden-Baden/Mittelbaden geschluckt. Die Veränderungen begannen erst schleichend, in den letzten Wochen, also im Juni, gab es viel Aufklärung, was sich ändern wird und warum.  Am Samstag, 1. Juli dann aber der Paukenschlag. Neues Format, neue Zustellbezirke, technische Probleme am Druckstandort Karlsruhe-Neureut. Alles neu - wenn es denn überhaupt beim Leser ankam. Da ging viel schief, und viele Menschen waren verärgert, sind es leider immer noch.

Ich habe die ersten sieben Tage mit der neuen Zeitung intensiv verfolgt, und mir sind viele Sünden und Verbesserungsmöglichkeiten aufgefallen. Vielleicht greift die Selbstkritik der Redakion, und einige Kinderkrankheiten werden in der nächsten Zeit noch ausgemerzt. Ansonsten - sehe ich leider schwarz. 

Was ich am meisten bemängele: Die Leser/Abonnenten  in der Stadt und der Region fühlen sich nicht mehr wertgeschätzt. Die Leser-Blatt-Bindung ist bei diesem Prozess verlorengegangen, "die" Zeitung wurde für einige Benutzer zum beliebig austauschbaren Informationsobjekt. Wie trügerisch. Das darf nicht sein! Da muss gegengesteuert werden.

Deshalb hier meine Erfahrungsberichte, die ich vom 1. bis 8. Juli 2023 täglich auf meiner Facebook-Seite veröffentlich habe und die ich hier auf meinem Blog auch all denjenigen zum Nachlesen anbiete, die nicht in den sozialen Medien unterwegs sind.

Vorab: Es gibt keinen Grund, die Zeitung abzubestellen. Wir haben keine Alternative mehr und "müssen" (= werden) uns daran gewöhnen, wie der Verleger uns allerliebst höchstselbst mitteilte. (Das war ja schon der erste Affront. "Müssen" müssen wir zahlenden Kunden gar nichts.)  Aber beginnen wir. 

Meine Erfahrungsberichte Tag für Tag.

 

 

Das neue BT - Tag eins

So, nun ist es geschehen. Das gute alte BT ist Geschichte. Es ist nicht nur wegen des geänderten Formats schmerzhaft. (Die paar Zentimeter sind tatsächlich gewöhnungsbedürftig, das hätte ich nicht gedacht). Auch dass der neue Austräger mich heute morgen nicht gefunden hat, kann ich verschmerzen. In der Geschäftssstelle konnte ich mir ein Exemplar holen, welch ein Glück, dass ich in der Nähe wohne. Das bringt mich schon ersten Kritikpunkt:
1.) Warum an einem Wochenende? Vieles funktioniert nicht auf Anhieb, das sehe ich in Beiträgen in einer fb-Gruppe, bzw sah es, der Beitrag wurde leider gerade gelöscht. Weder die Zustellung mit den neuen Bezirken funktionierte einwandfrei, noch der Zugriff auf das neue e-Paper der BNN. Da gibt es doch jede Menge Beratungsbedarf. Ein paar Infostände in der Stadt und in den Ortsteilen wären ja nicht schlecht gewesen.
2.) Der Inhalt. Größe bedeutet nicht unbedingt mehr Vielfalt. Es ist ein Schritt zurück in BNN-Zeiten gemacht worden. Lange Riemen, wenig Inhalt. Das war der Grund, aus dem ich mich vor 23 Jahren entschieden habe, das BT zu abonnieren. Heute hat mich die BNN-Realität eingeholt. Eine Seite über Uhren im Stadtgebiet. Heute! Heute wäre der Tag gewesen, um den ehemaligen BT-Lesern zu zeigen, dass alles gut ist. Aber nein, nix ist gut!
Aufmacher: Einstellung des ARD-Buffets in Baden-Baden. Eine halbe Seite. Abdruck der SWR-Pressemitteilung samt SWR-Foto! Keine eigene Recherche. Und das, obwohl das Personal der Lokalredaktion auf 12 Personen verdopppelt wurde.
3.) An wen wende ich mich nun mit meiner Kritik? Ah, da gibt es ja die Notiz "Wir für Sie". Aber: Keine Namen der Redakteure, nur der allgemeine Hinweis auf die Telefonnummer und die Mail-Adresse des Sekretariats. Schade, Chance für einen Leserkontakt vertan.
4.) Ach, wie schön: ein Kommentar! Zu einer Entscheidung des Gemeinderats vom vergangenen Montag. Heute, Samstag. Ich dachte, dies ist eine Tages-Zeitung.
5.) Gestern war Premiere vom Sommertheater auf dem Marktplatz. Kein Wort, kein Bild.
6.) Früher gab es auf der Titelseite eine schmale Kopf-Leiste mit Anreißern aus den Lokalteilen. Die ist nun weggefallen. Dafür war das Aufmacher-Bild der Eins heute vom Tom-Jones-Konzert in Baden-Baden (vom Donnerstag). Das fand ich prinzipiell sehr gut (wennngleich es gerne aktueller sein könnte). Hoffentlich gehört eine solche offensichtliche Stärkung des Lokalen zum neuen Konzept. Noch gebe ich nicht auf und bin gespannt auf die Montags-Ausgabe.
 
 
 
Das neue BT - Tag zwei

Eine Lokalzeitung schafft sich ab. Trauerspiel, zweiter Tag.
Ich mache es kurz:
1.) Das Lokale hat für die neue Zeitung offenbar wenig Relevanz, nicht mal mehr eine einzige Anreißermeldung aus dem Lokalen auf der Eins.
2.) Der im Ton unverschämte offene Brief der Gastro-Clique an den OB und den Gemeinderat zum Thema Zentralklinikum, das heute in öffentlicher Sitzung behandelt werden soll, schlägt auf social media hohe Wellen, aber die Zeitung erwähnt ihn mit keiner Silbe. Dabei wäre gerade hier eine neutrale Einordnung erste Journalistenpflicht gewesen.
3.) Stattdessen lange Riemen und riesige, zum Teil nichtssagende Bilder (zum Beispiel 25,5 mal 13 Zentimeter geschlossenes Tor mit Gebäudeschild an Musikschule) über der braven Aufarbeitung (120 Zeilen) einer Sitzungsvorlage vom vergangenen (!) Mittwoch. (Aufmacher auf der drei.)
 
 
 
 
4.) Auf der ersten Lokalseite 2 (zwei!) gute Reportagen über eine vergangene und eine künftige Veranstaltung plus eine einspaltige Wochenvorschau auf das Arbeitspensum der Redaktion. Ich bin enttäuscht. Vielfalt sieht anders aus.
Fazit: Ich fühle mich im Augenblick nicht ausreichend informiert.
5.) ABER: Der allgemeine, überregionale Teil ist überaus interessant. Kompliment. Für diese Inhalte abonniere ich allerdings nicht unbedingt eine Lokalzeitung.
6.) Fazit: Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Das kann und muss besser werden.
 
 
 
Das neue BT - Tag drei
 
Tag drei aus der Reihe "Eine Lokalzeitung schafft..." nein, diesmal verzichte ich auf "... sich ab", und ersetze es durch "...es vielleicht doch". Halten wir zunächst mal fest: Man bemüht sich. Sehr. Und mit sichtbarem Erfolg.
Nun gut, nicht für alle sichtbar, denn die Zustellung scheint noch ein Riesenproblem zu sein. Was aber diejenigen, deren Briefkasten morgens immer noch leer ist, nicht wissen können. Für sie auf diesem Weg die frohe Botschaft: Die Zeitung hat das e-paper kostenlos für alle freigeschaltet, bis alles wieder in geordneten Bahnen läuft. Man kann das etwas versteckt (warum?) auf der 3. Seite des Lokalteils nachlesen.
Hier die Zugangsdaten:
Benutzername ist folgende Mailadresse:
epaper@service.bnn.de
Passort: Himmelblau.
Ich habe es mit der App probiert, man lädt "Badische neueste Nachrichten" herunter, und dort muss man einfach nur klicken und ist drin: Man wird gefragt: "Haben Sie schon ein Abonnement?" Ich habe "nein" geklickt. "Wir schenken Ihnen die heutige Ausgabe" heißt es dann, und los geht es, man kann sich die gewünschte Teilausgabe auswählen. Toller Service!
 

 
Nun kann man auch nachlesen, warum der Briefkasten eventuell leer war und dies eventuell auch noch ein paar Tage so bleibt: In der Neustrukturierung der Ausliefer- und Zustelllogistik, ausgehend vom Druckhaus in Karlsruhe-Neureut bis hin zu den veränderten Zustellbezirken und dem letzten Glied in der Kette, dem Austräger des Nachts auf noch ungewohnten Wegen, klemmt es.
Deswegen musste übrigens auch der Druckbeginn vorgezogen werden, und deswegen ist die Zeitung mit ihren redaktionellen Beiträgen im Augenblick nicht so aktuell, wie wir uns das eigentlich wünschen.
Fazit für heute: Bitte nicht verzweifeln und nicht gleich abbestellen! Einfach noch ein paar Tage abwarten. Das wird schon. Geben wir unserer Lokalzeitung eine Chance. Wir haben keine andere.
 
 
Das neue BT - Tag vier
 
Neuerung: Im BT gibt es seit heute (endlich!) wieder eine Seite mit Veranstaltungen in und um Baden-Baden. Daher werde ich meine wöchentliche Zusammenfassung der Kultur-Tipps fürs Wochenende - auf Facebook und auch auf diesem Blog - einstellen.
 

 
(Anmerkung: Das BT hatte im ersten Schritt Richtung Fusion die allseits beliebte Sonderbeilage "Auszeit" im vergangenen Jahr eingestellt, ersatzlos. Das bedeutete, dass wir in Baden-Baden keine Übersicht mehr hatten, welche Veranstaltungen wann wo stattfinden. Ein schmerzlicher Verlust, der mich damals genervt dazu veranlasste, die Aufgabe der Zeitung zu übernehmen, und die Termine allwöchentlich wenigstens fürs Wochenende hier auf diesem Blog zusammenzustellen und sie dann auf Facebook weiter zu verteilen. Ein Service, der mit viel Begeisterung und Dankbarkeit angenommen wurde, aber natürlich auf Dauer von mir alleine in meiner Freizeit nicht geleistet werden konnte.)
 
 
 
Das neue BT - Tag fünf
 
An das größere Format habe ich mich leider immer noch nicht so richtig gewöhnt, aber dies nur am Rande.
Heute habe ich etwas am Inhalt auszusetzen.
1.) Der Aufmacher auf Seite 3. Wieder ein langer Riemen - mit riesigem Bild nimmt er fast eine halbe Seite ein. (Gibt es Zeitungspapier im Augenblick zu Sonderrabatten?) Über 5 Spalten schreckt mich die Frage auf: "Bleibt das New Pop Festival in Baden-Baden?" Auch in der Unterzeile hält uns im Ungewissen: "Das sagt der Veranstalter SWR zu Gerüchten über eine Verlagerung der Veranstaltung nach Stuttgart"
Erst in Zeile 40 erfährt der Leser, dass alles heiße Luft ist. Denn natürlich bleibt das Festival an der Oos. Hallo? Ich habe mich heute Morgen ein bisschen veräppelt gefühlt. Wortwahl und Aufbau des Textes finde ich fragwürdig. Was vielleicht als clickbaiting im Internet funktioniert, hat gedruckt am Frühstückstisch nichts zu suchen.
2.) Was ich immer wieder gerne lese, ist die Wetterseite.
In der neuen Zeitung gefällt mir, wie ausführlich das Bio-Wetter nun zu Wort kommt. Bis hin zur Art der Pollen, die einem das Leben schwer machen können und zur Frage, ob es Belastungen mit Migräne, Atemwegen, Blutdruck, Schlaf etc geben könnte. Die Mondphasen fehlen mir hingegen. Es gibt viele Menschen, die nach dem Mondkalender gärtnern oder nach schlaflosen Nächten am nächsten Morgen mit Blick auf die Seite eine Erklärung (Vollmond) finden wollen. Der Bauernregel ("Wenn die Nacht zu längen beginnt, dann die Hitze am meisten zunimmt") und dem Gartenwetter ("Rasenflächen unter Obstbäumen einmal in der Woche mähen") der alten Ausgabe trauere ich nicht nach. Allerdings frage ich mich, ob es die Leserschaft wirklich interessiert, wie das Wetter gestern oder gar vorgestern (im Ernst?) war. 
 

 
3.) "Namen sind Nachrichten", "wer, wo, was, wann " - lernen Journalisten am ersten Tag ihrer Ausbildung. "Die Landesbischöfin", die am kommenden Wochenende im Schwarzwald wandern wird, hat bestimmt einen Namen, oder? Und dass die Referentin des Vortrags über die Entwicklung der Todesstrafe am Samstag im LA8 Susanne Opfermann heißt und Leiterin des Strafvollzugsmuseums Ludwigsburg ist, hätte ich auch gerne aus der Zeitung erfahren.
4.) Bei aller Kritik - die Extra-Seite über das Elsass, die wohl regelmäßig erscheint, ist wirklich ein Gewinn. Unser Radius hört ja nicht am Rhein auf.
 
 

Das neue BT - Tag sechs 

1.) Fünfter Tag in Folge riesige Aufmacher zum Oldtimer-Meeting, heute sogar vorn und hinten. Man kann Begeisterung auch übertreiben.
2.) Gestern bei einer Veranstaltung. Nur Insider sind gekommen, keine Gäste. Mitglied: "Hast du keine Pressemitteilung geschickt? Ich habe keine Ankündigung gesehen." Vorsitzende: "Doch habe ich. Aber na ja. BT halt. Was wollt ihr erwarten." Alle gucken sich an und heben resigniert die Schultern. "Also, ich hab gestern gekündigt", sagt schließlich einer und haut auf den Tisch. Die anderen nicken. Unglücklich.
Allmählich sehe ich schwarz. Der Lokalzeitung sind die Vereine wurscht? Pressemitteilungen kommen nicht mehr ins Blatt? Portraits über einzelne Mitglieder oder Aktionen ausgewählter Vereine sollen das Defizit auffangen. Echt jetzt, BT?
Nicht mal eine kleine Meldung? Ihr habt doch Platz, und Personal habt ihr auch.
Könnte man besser machen.
Fazit: Viele Leser ärgern sich, zu Recht.
Aber Kündigung ist auch keine Lösung.
Eine Studie der Universität Zürich zeigt, wie wichtig Lokaljournalismus vor allem heutzutage ist.
 
 
 
Das neue BT - Tag sieben
 
1.) Heute morgen habe ich keinen Kaffee gebraucht, so hat es mir den Kreislauf hochgehoben. Wie bitte? Die AFD gehört für die Redaktion zu den bürgerlichen Stadtrats-Fraktionen, wird in den "Kurstadtspitzen" sogar ausdrücklich dazugezählt? Mir verschlägt es die Sprache.
2.) Nachdem wir diese Woche an jedem Tag ein bis zwei Riesenartikel zum Oldtimer-Meeting vorgesetzt bekamen, heute noch mal zwei halbe Seiten. Gut gemeint, aber es reicht jetzt mal.
Nun noch ein paar Blicke über den Lokalteil Baden-Baden hinaus.
3.) Lob an die Redaktion in Rastatt, die wegen Planungsunstimmigkeiten bei der Querspange zum neuen Klinikum (allerdings erst auf Nachbohren von Lesern) nachgehakt hat. So wünscht man sich das. Mir hätte dazu allerdings noch ein bissiger Kommentar gefallen. Ist schließlich ein sehr heißes Eisen. Heißer jedenfalls als das gewählte Kommentarthema "Radfahren".
2.) In Bühl (und nicht nur dort) wird die herrliche Glosse "Quetschewurm" von Jörg Kräuter schmerzlich vermisst. Die war weit über die örtlichen Grenzen beliebt. Vielleicht eine kurze Begründung nachschieben, warum er im neuen BT keinen Platz mehr bekommt? Zur Info: Es gibt sie weiterhin auf seiner Homepage, hier der Link => https://joergkraeuter.de/literatur/
3.) Und jetzt - Augen zu! Das BNN-Erscheinungsbild der Kleinanzeigen ist für uns verwöhnte BT-Leser extrem gewöhnungsbedürftig. Weg vom klaren, sauberen Bild hin zu einer unübersichtlichen Schwarz-Malerei im "neuen" Format. Das ist altmodisch und könnte man ansprechender gestalten. 
 
vorher...
nachher

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Fazit: Ich habe in dieser Woche viel zu kritisieren gehabt. Und werde die Zeitung trotzdem NICHT abbestellen. Es gibt keine Alternative, schon gar nicht im Internet, und noch weniger in einem gewissen tendenziösen online-Leserbrief-Forum. Im BT arbeiten viele gut ausgebildete Journalisten; ich bin mir sicher, dass ihre interne Blatt-Kritik ähnlich ausfallen wird, und das muss Konsequenzen haben, sprich: Verbesserungen bringen. Warten wir es ab!
 
Allen, die etwas TUN wollen, empfehle ich, statt zu kündigen Leserbriefe zu schreiben. Das wird seine Wirkung nicht verfehlen.