Menschen in Baden-Baden, heute:
Nadja und Christian Hoff
„Heute
ist der erste Tag, an dem mal niemand weint“, sagt Christian Hoff
und reibt sich Anspannung und Müdigkeit aus dem Gesicht. Anstrengende Tage und
Wochen liegen hinter dem Leiter der neuen Wohngruppe für
„unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ am Ende der Stadt.
Anfang Dezember war es, da schauten er und seine Frau Nadja sich das
Haus am Ortsrand von Müllenbach zusammen mit dem Jugendamt
unverbindlich an, nur zwei Tage später trudelte die Email ein: 13
unbegleitete junge Flüchtlinge aus dem Auffanglager in München
kommen nach Baden-Baden. Wann? In einer Woche. „Macht ihr das?“
Was
für eine Frage für den Leiter der mobilen pädagogischen Dienste,
Mopädd. Wenn einer Spezialist für derartige Fälle ist, dann
Christian Hoff: Seit 18 Jahren engagiert sich der 48jährige
Baden-Badener für Kinder und Jugendliche in Not. Er und sein Team –
bis zu 80 haupt- und teilberufliche Pädagogen und Therapeuten
beschäftigt er inzwischen in seiner Firma – gehen dorthin, wo es
brennt: In die Familien, wenn gemeinsame Beratung für Vater, Mutter und Kind
notwendig ist. Oder ganz persönlich nur zum Kind in der
Familie, wenn ihm auf diese Weise geholfen werden kann. Sie nehmen
Kinder und Jugendliche aber auch aus misslichen Verhältnissen
heraus und geben ihnen in Wohngruppen und Gemeinschaften das, was sie
brauchen: Liebe, Geborgenheit und Anleitung zum Flüggewerden. Diese
Hilfe reicht von Zielvereinbarungen, Erarbeiten einer Tagesstruktur,
über Alltagshilfe, Unterstützung bei den Ämtern bis hin zu ganz
normalen Erziehungsfragen. Jugendliche ab 16 Jahren, die nicht mehr
zuhause wohnen können, werden auch stundenweise bis zur
Verselbständigung betreut, sei es wenn es gilt, den Umgang mit Geld
zu üben, sei es beim Bewerben auf eine Arbeits- oder
Ausbildungsstelle oder ganz profan in Fragen einer gesunden
Ernährung.
Auch
an den Schulen in Baden-Baden und im Landkreis Rastatt ist das
Mopädd-Team in der Nachmittagsbetreuung aktiv und erreicht hier an
die tausend Schüler täglich.
Das
Jugendamt kennt und schätzt die Arbeit der Pädagogen seit langem
und arbeitet eng mit ihnen zusammen. In letzter Zeit eben auch, wenn
minderjährige Flüchtlinge mutterseelenallein in Baden-Baden
eintreffen und aufgefangen werden müssen. Denn bis sie 18 sind,
unterliegen sie dem Jugendschutz, viel Jüngere kommen gar unter
Vormundschaft des Jugendamts.
Ein
Glücksfall ist, dass Christian Hoff im Umgang mit jungen
Flüchtlingen beileibe kein Neuland betritt. Er kennt sich mit dem
Thema aus, seit 25 Jahren hat er mit ihnen zu tun, schon damals kamen
sie aus der Region Iran/Irak, wenn auch nicht in den Mengen wie heutzutage.
Auch in jüngster Zeit waren bereits einige Neuzugänge in Jugendwohngemeinschaften in Baden-Baden untergebracht worden, die Wohnkapazitäten waren erschöpft, und nun – wo gleich der Zuzug 13 Schützlingen auf einen Schlag angekündigt wurde - musste schnell ein neues Heim her. Insofern war es fast schon Fügung,
dass
der Stadt just in dieser Situation das Haus in Müllenbach angeboten
wurde. Ein Jahr schon stand es leer, berichtet deren Besitzer; auch
er ist sehr glücklich, dass sich nun alles so gut entwickelt hat.
Es
ist ein schönes, ehrwürdiges, altes Haus, Baujahr 1823, riesig, mit
mehreren großen Gemeinschaftsräumen (sogar eine Tischtennisplatte
und ein Kicker haben Platz und werden gern genutzt) und mit einer großen
Gastroküche ausgestattet, weil es vor Jahren einmal als Wirtshaus
fungierte.
Wenn
man das Haus betritt, fällt sofort die freundliche, helle Atmosphäre
auf. Und die Stille. Wohnen hier wirklich 13 Halbwüchsige? Am
großen Tisch im Aufenthaltsraum sitzt Christian Hoff mit einigen der
Jugendlichen. Ein Schachbrett ist zwischen ihm und einem seiner
Schützlinge aufgebaut, daneben würfeln sich andere Jugendliche
durch ein Mensch-Ärgere-Dich-Spiel und lernen ganz nebenbei, wie die
Farben auf Deutsch heißen.
Wissbegierig sind sie, blitzgescheit. Sie
saugen die neue Sprache nur so in sich auf, und werden von ihr auf
Schritt und Tritt verfolgt. Die Kommunikation läuft bewusst auf
deutsch, nur wenn es mal gar nicht geht, fällt ein englischer
Brocken. Am Weihnachtsbaum hängt ein Sprachlernschild, am Stuhl, am
Büro, selbst auf der Treppe liegt eines.
Neugierig
und
freundlich schauen sie auf, als der Besuch erscheint, ihr Lächeln
ist freundlich und offen, den Schmerz, der hinter ihnen liegt und der
in ihnen wühlt, spürt man auf den ersten Blick nicht. Nicht mehr?
Oder besser: in diesem einen Augenblick nicht. Die
Stimmungen schwanken, auch der Hausbesitzer, den ich später bei
einem nachträgliche Fototermin treffe, kann ein Lied davon singen. In
einem
Augenblick sind es noch fast ganz normale Kinder, die sich freuen,
wenn sie die Tiere, die er am Haus hält, streicheln dürfen. „Jeder von
ihnen bedankt sich, sogar beim Pferd; so etwas habe ich noch nie
erlebt“,
sagt der Besitzer und schmunzelt. Aber diese guten Stimmungen seien
trügerisch, schnell kann es kippen, und im nächsten Augenblick
weinen die Kinder bitterlich, und auch er ist oft hilflos, wenn sie
ihm zum Beispiel schluchzend erzählen, dass die Taliban Mutter und
Vater im Elternhaus verbrannt haben und sie dabei zuschauen mussten.
„Der Umgang mit den Tieren bringt sie auf andere Gedanken und tut ihnen
bestimmt gut“, hofft der Besitzer.
Nadja und Christian Hoff sind ihm daher sehr dankbar - sowohl für seine Bereitschaft, den Kindern den Umgang mit den Tieren zu ermöglichen als auch für die Bereitstellung des Hauses.
Sie
können sich noch gut an den Tag erinnern, als der Bus vorfuhr und
die Jungs ausstiegen und sich verwundert umsahen. “Wo sind wir
hier?“ wollten sie wissen. Die 13 Kinder hatten ja kein
Mitspracherecht bei ihrer Verteilung, man hatte sie im Auffangcamp in
München in einen Bus gesetzt, durch die Lande gefahren und
irgendwann irgendwo aufgefordert, auszusteigen.
„Manche
von ihnen hatten nichts dabei“, berichtet Christian Hoff,
„keine Tasche, keinen Rucksack, keine Socken.“ Sie hatten bis
dato nicht mal ihre Kleidung waschen können, weil sie keine Sachen
zum Wechseln besaßen. Einer von ihnen hatte noch die Schuhe an, mit
denen er in Afghanistan losgelaufen war. „Er ist immer nur nachts
gelaufen, drei Monate lang, durch die ganze Türkei.“
Nadja
Hoff weiß noch, wie ihr erster Eindruck war: „Die
haben schon ein bisschen streng gerochen“, sagt sie augenzwinkernd, aber das sei ja auch verständlich, weil sie unterwegs keine Gelegenheit zur Körperpflege gehabt hätten. Außerdem seien viele von
ihnen krank gewesen. „Mit mehr als der Hälfte mussten wir sofort
ins Krankenhaus, einer hatte zwei Schussverletzungen, andere hohes
Fieber und eine schwere Grippe und fast alle Zahnprobleme...“
Die medizinische Versorgung ist etwas problematisch, denn die Jugendlichen haben die Grenze der Schmerzen längst erreicht, ein Mehr – zum Beispiel mit nötigen Impfungen - lassen sie erst einmal nicht zu, oder wenn, dann nur nach geduldigem Erklären und Zureden. „Es ist einfach genug, sie wollen nicht noch mehr Schmerzen zugefügt bekommen, da ist jetzt schon ein Nadelstich zu viel.“
Eine
schwierige Situation, und nicht die einzige. Denn als die Jungs
eintrudelten, war das Haus noch gar nicht richtig bezugsfertig. Nadja
Hoff: „Wir hatten nur zehn Tage Vorlauf. Ja, wo kriegt man denn so
schnell Möbel her!“ Aber in Baden-Baden ist die Helferwelt noch in
Ordnung: Das „Dänische Bettenlager“ in der Cité erwies sich als
Segen und machte das Unmögliche möglich: „Wir waren am Freitag
bei ihnen und haben unsere Situation geschildert - und am Montag
hatten wir 13 Betten, 13 Lattenroste, 13 Matratzen, 13 Schränke...“
Doch damit war es nicht getan, ein Mitarbeiter war in der
Folgezeit eine ganze Woche lang acht Stunden am Tag damit
beschäftigt, die Möbel zusammenzubauen. Die jungen Schützlinge
übernachteten zunächst in der Jugendherberge – „die konnte ja
erst einziehen, als wenigstens die Betten standen“ - packten
währenddessen aber auch selber mit an im Haus.
Per
Zeitungsanzeige kam das Team zu einer riesigen, gut erhaltenen Couch,
die der Besitzer, als er hörte, um was es ging, sogar eigenhändig
vorbeibrachte.
Nachdem die Grundversorgung inklusive erstem
Einkleiden von der Unterwäsche bis zu den Schuhen erledigt war, ging
es an Alltäglichkeiten. Christian Hoff erklärt an einem kleinen
Beispiel, welche Schwierigkeiten es zu überwinden gilt: „Ich kann
denen nicht einfach sagen – kauft euch eine Monatskarte und steigt
am Brahmsplatz aus – sie kennen keinen Bus, geschweige denn das
Transportsystem und dann - wer weiß denn, was Monatskarte auf Dari
heißt?“
Den
Jugendlichen, die in der Kriegsheimat noch Familie haben, war
natürlich der Kontakt nach Hause am wichtigsten. Aber oh weh, kein
Handyempfang in Müllenbach, und die Telefonleitung ließ auch auf
sich warten. Hektische Tage waren das, so Hoff: „Ich habe zwei Tage
vor Weihnachten, als der versprochene Techniker einfach nicht kam,
noch nachts Mails zum Provider losgeschickt, und tatsächlich
erbarmte sich jemand und fühlte sich zuständig.“ Ein Segen, denn
der Vorschlag, stattdessen einen Brief an die Mutter zu schicken, lief ins Leere:
„Sie kann doch nicht lesen“, gestand der betreffende Junge. Ja,
schlimmer noch, die Mutter habe ihn losgeschickt in die Fremde, weil
sie, so sagte sie ihm, bald sterben würde. Da steht wenigstens der
telefonische Kontakt über allem.
„Es
sind doch Kinder“, bricht es aus Nadja Hoff heraus, und ihr Mann
fügt leise hinzu: „Die wollen eigentlich nur eines: Heim zu ihrer
Mama.“ Sie könnten oft gar nicht ermessen, was in der Welt und mit
ihnen selbst geschehe. Wenn es noch Eltern in der Ferne gibt, trösten
diese ihre Kinder per Telefon und reden ihnen gut zu, in Deutschland
zu bleiben, wo sie es bestimmt gut haben.
Aber
es gibt auch einen Jungen, ausgerechnet der jüngste ist es, der
seine Mama nicht telefonisch erreichen kann, seit Tagen schon ist der
Kontakt abgebrochen. Oder ein anderer, der beim Aufrufen von Facebook
plötzlich das Foto seines Cousins sah - mit durchgeschnittener
Kehle... Da wird dann psychologische Hilfe gebraucht, und zum Glück
ist sie da, eine Psychologin, die vieles auffängt. Rund um die Uhr ist
jemand bei den Kindern und spendet Trost und hilft.
Wenn
ein Zusammenbruch kommt, ist jeder gefordert, auch Hoff selbst. „Dann
kann man die Kinder einfach nur halten und auf sie einreden, auch
wenn es nur auf Deutsch ist - und hoffen, dass sie den Sinn
verstehen“, berichtet er. Was sagt man Kindern in solch einer
Situation? „Alles wird gut. Du kannst mir vertrauen. Du bist in
Sicherheit.“ Untereinander reden die jungen Flüchtlingen nicht
über ihre Erlebnisse, hat er bemerkt. „Ich glaube, sie wollen sich
nicht auch noch gegenseitig belasten.“
Um
die jungen Menschen auf andere Gedanken zu bringen, hat man während
der Weihnachtsferien viel gemeinsam unternommen. Absolut begeistert
wurde die Wanderung zum Wildgehege aufgenommen, der Anblick von
zotteligen Schottlandrindern, von Wildschweinen und Rehen sorgte für
kleine Glücksmomente. Und schon bald folgte eine weitere Entdeckung:
„Sie gehen schrecklich gerne schwimmen“, haben die Hoffs
festgestellt. Der absolute Höhepunkt war für die Dreizehn über die
Feiertage aber der Besuch der Eisarena. „Da wurden sie wieder zu
dem, was sie eigentlich sind: Kinder!“
Christian
und Nadja Hoff sehen sich an und lächeln verständnisvoll:
„Das
sollte man auch nie vergessen: Es sind Kinder! Mit schrecklichen
Erinnerungen und mitten in der Pubertät. Aber in erster Linie
Kinder.“ Und jeder Tag mit ihnen hinterlässt auch für die beiden
erfahrenen Fachleute einen tiefen Eindruck. „Man muss schon sehr
professionell sein, damit man das bei Feierabend nicht mit nach Hause
nimmt“, gestehen sie.
Feierabend?
Den gab es in den vergangenen fünf Wochen nicht! Selbst das eigene
Weihnachtsfest fiel aus; das Hirschgulasch ruht noch in der
Tiefkühltruhe, die Spätzle wurden gar nicht erst gekauft und
gegenseitige Geschenke gab es leider auch nicht.
Dass
er seiner Nadja aus Zeitgründen nichts hat kaufen können, hat
Christian Hoff bis heute nicht so ganz verwunden. Seine Frau
sieht es gelassen: „Aber wir haben doch ein Geschenk bekommen: die
Kinder!“, sagt sie, lacht und nimmt ihn bei der Hand. Ganz fest.
Wenn
Sie helfen wollen:
Fahrräder
waren daher ein Traum für die Gruppe! Sie dürsten danach, die
Umgebung zu erkunden, und könnten auf dem Fahrrad außerdem besser
als Verkehrsteilnehmer wahrgenommen werden, so Hoff. Ein Aufruf über
Facebook und einen Mailverteiler hat bereits ausreichend Fahrräder
avisiert, am Montag, wenn die Schule beginnt und die Kinder
vormittags aus dem Haus sind, wird Hoff die Gelegenheit wahrnehmen,
die Räder einzusammeln. Doch das zieht schon den nächste Wunsch nach sich:
- 13 Fahrradhelme wären natürlich nicht schlecht!
- Und Malsachen fehlen: Buntstifte, Filzstifte, Wasserfarben, Fingerfarben, Plaka-Farben, Papier ach, am besten gleich Papierrollen!
- Und gebrauchte, internetfähige Handys, ganz wichtig!
- Und Fußbälle
- Und wenn hier Fachkräfte mitlesen => Bitte melden Sie sich! Es wird weiteres Personal gesucht.
Wenn Sie etwas anbieten möchten, dann bringen Sie bitte nichts direkt vorbei, sondern nehmen Sie bitte Kontakt zu Christian Hoff auf:
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