Menschen in Baden-Baden, heute:
Gertrud Esslinger
„Über
mich? Eine Geschichte?“ - Gertrud Esslinger ist verwundert. „Was
gibt es denn über mich und meine Arbeit schon groß zu berichten?“
Und damit hat sie ihre Tätigkeit bereits gut charakterisiert. Man
sieht sie nicht, sie steht nicht im Rampenlicht, aber ohne sie –
gäbe es die Bühne auch nicht, gäbe es keine Szene, in die man sich
setzen könnte, keine Kulissen, keinen Handlungsspielort, keine
Requisite, nicht mal einen Außendrehort beim Film. Gertrud Esslinger
ist Bühnenbildnerin, eine der wichtigsten Menschen einer Show, auch
wenn man sie nicht sieht. Still und kreativ verwandeln sie Ideen in
Illusion, sind Teil des Ganzen.
Am
Freitag waren all diese Menschen aus dem Hintergrund einmal
Hauptpersonen, beim Baden-Baden-Award von IHK und Euraka, bei dem die
besten Nachwuchskräfte für ihre vielfältigen Arbeiten ausgezeichnet
ausgezeichnet wurden. (Mehr dazu hier => KLICK)
Ein magischer Moment für die jeweils bundesweit drei besten jungen
Veranstaltungstechniker, Maskenbildner, Veranstaltungskaufleute,
Bühnenmaler und Bühnenplastiker, für die Mediengestalter Bild/Ton
und die Requisiteure, die für ihre Arbeiten Preise einheimsten. Wenigstens dieses eine Mal standen sie, die sonst im Hingergrund werkeln, nun selber auf der Bühne.
Und
wer hat ihnen diese Bühne gebaut? Gertrud Esslinger. Bereits zum
sechsten Mal war sie für das Bühnenbild verantwortlich. Aus dem Ärmel schütteln lässt sich das übrigens nicht, das Konzept braucht eine lange Vorbereitungszeit. Bereits vor einem Jahr war das Motto des diesjährigen
Awards festgelegt worden – Zauberei – Magie - „der magische
Moment“.
Sobald
die Idee auf dem Tisch lag, sprang in Gertrud Esslinger das Kopfkino
an – und ziemlich schnell stand für sie fest, wie das passende
Bühnenbild aussehen soll, das sie für diesen Festabend gestalten
würde: Ein Zauberwald sollte es werden.
Faszinierend zu beobachten, wie aus einer ersten gekritzelten Skizze ein Modell
wird, dass dann immer größere Ausmaße annimmt.
Zollstock?
Fehlanzeige. Das geht mit Augenmaß, sagt sie seelenruhig, und hier
zeigt sich dann ihre langjährige Erfahrung. Klar ist sie gespannt,
ob alles passen wird, wie sie es sich ausgedacht hat; geändert
werden kann vor Ort ja nicht mehr viel. Dabei hat sie diesmal
vieles aus der Hand gegeben, zwar genaue Vorgaben gemacht, die
Auszubildenden dann aber unter ihrer Aufsicht und in gewissen Maßen machen lassen. Hier das Modell:
Denn erstmals
wurde die Herstellung des Bühnenbildes komplett in die Hände von
Azubis gegeben. Angehende Bühnenmaler, Bühnenplastiker und
Veranstaltungstechniker waren mit von der Partie, in leisen Tönen
angeleitet durch die erfahrene freischaffende Kollegin. „Ohne Team
geht gar nichts“, ist Gertrud Esslingers Motto, und in diesem
Projekt bewahrheitet sich ihre Einstellung.
Unermüdlich
streifte sie in den letzten Wochen durch die Studios und Werkstätten
des SWR, war immer vor Ort, wenn ihr Rat gebraucht wurde. Im Malsaal,
in der Schreinerei, bei den Bühnentechnikern...
In
der Woche vor dem Award begleitete sie den Aufbau in der
Akademiebühne in der Cité, stimmte gelassen kleinen Abweichungen
zu, wenn etwa der Lichttechniker die Dekorationen ein paar Zentimeter
anheben wollte... Der Umgangston ist stets ruhig, respektvoll,
freundschaftlich. Man merkt, dass hier „Teamplayer“ am Werk sind,
die sich blind verstehen.
Hier
zwei angehende Bühnenmaler, Svea Ret und Maxi Holder, die im großen
Malsaal des Senders Gertrud Esslingers Vorstellungen umsetzten. Klare
Vorgaben gab es zwar, sie konnten aber auch ihre eigene
Kreativität ausleben.
Gertrud
Esslinger macht ihren Job gern, das merkt man ihr an.
Wie
kommt man dazu, Bühnenbildnerin zu werden?
Gertrud
Esslinger schmunzelt ein bisschen. In unmittelbarer Nähe der
Wirkstätte von Margarete Steiff auf der Ostalb aufgewachsen, stand
für sie sehr früh fest, dass sie Malerei studieren wollte. Schon
als Kind hatte sie lieber gemalt als Hausaufgaben gemacht.
Doch
wie es so geht im Leben – die Eltern starben früh, da gab es
keinen Raum mehr für Flausen von wegen brotloser Kunst. Andererseits
wollte sie unbedingt an die Kunstakademie, unbedingt! Und siehe da,
sie fand ein Studium, das sie – so dachte sie - später würde
ernähren können: Innenarchitektur und Möbeldesign.
Aber
ach – schon während des Studiums merkte sie, dass sie fehl am
Platz war. „Das war doch eher der Ort für höhere Töchter“,
sagt sie rückblickend und lacht. „Nicht meine Welt.“
Was
tun? Nun, da sie bereits in der Schulzeit Artikel für die
Lokalzeitung verfasst hatte, kam ihr der Gedanke, in Zeitschriften
über Kunst, Design und Architektur zu schreiben. Also hängte sie
ein Aufbaustudium Journalistik dran.
Und
während eines notwendigen Praktikums landete sie beim Hörfunk und
beim Fernsehen und sah, was in den Studios hinter den Kulissen an
phantasievollen Dekorationen für Shows und Filme entstanden. Der
Funke sprang sofort über, ein Praktikum als Szenenbildnerin schloss
sich an, dann, Mitte der 80er Jahre war es, blieb sie gleich beim
damaligen SDR und arbeitete als Assistentin für Filme, Fernsehspiele
und Studioproduktionen – unterbrochen nur durch ein Vierteljahr, in
dem sie – aus der Friedensbewegung kommend – zum Kaffeepflücken
nach Nicaragua ging, um die dortige Revolution zu unterstützen. Die
Realität holte sie aber schnell ein. Außer viel Spaß inmitten
einer lustigen Gruppe Gleichgesinnter aus aller Welt gab es nichts zu
verdienen, und tja – natürlich auch kein Land zu retten. „Wenn
man jung ist, hat man halt solche Ideen“, sagt sie heute, milde
über sich lächelnd.
Ein täuschend echter Baumstamm als Rednerpult für den Award |
Zurück
in Stuttgart ging es weiter mit der Karriere. Und schon bald bekam sie eine erste eigene
Produktion, allerdings im Auftrag von Radio Bremen. Immerhin: eigenverantwortlich! Eine Komödie, die sie in
Szene setzen sollte. Sie suchte Drehorte, Landschaften, Straßen,
öffentliche Gebäude aus – schnell entwickelte sie ein Gespür für
die Ausstattung historischer Geschichten – ihr Spezialgebiet. Weitere Fernspielfilme folgten, die sie für einige Jahre nach Bremen verschlugen. Wie
eine zweite Heimat wurde die Stadt im Norden für sie, und sie hatte
bei den gar nicht so kühlen Nordlichtern auch schnell den Namen
„adoptierte Schwäbin“ weg.
Allerdings
war sie immer noch beim SDR angedockt - und das war gut so, denn als
sich ihre Tochter ankündigte, war sie, alleinerziehend, auf
Hilfe bei der Kinderbetreuung angewiesen, und wer ist besser dafür
geeignet als eine Oma. Die aber lebte in Stuttgart.
Es
folgte die Mitarbeit in vielen bekannten Fernsehsendungen bis hin zu
Tatorten, doch dann, während der Fusion, wurden die Arbeitsgebiete
zwischen Baden-Baden und Stuttgart aufgeteilt, die erste Staffel der
„Fallers“ stand an – gedreht in Studio 3 und 4 in Baden-Baden. Mit
Feuereifer war Gertrud Esslinger – damals hochschwanger - in der
ersten Stunde dabei, um zum Beispiel Außenmotive zu finden oder die
Werkstatt der „Kräuterhexe“ einzurichten.
Es
folgten vielseitige Produktionen, ehe es 2006 ganz nach Baden-Baden
ging. Sie wusste, was auf sie zukam, kannte den Ort schon, wusste,
„dass die Stadt nicht unbedingt größer als Stuttgart ist“, wie
sie es mit ihrem feinen Humor ausdrückt.
Der Schinken bei den Fallers kommt zwar aus einem echten Kühlschrank, ist aber nicht echt |
Auf
Motivsuche für eine Fernsehproduktion fand sie auch gleich eine
Wohnung, alle Ampeln standen also auf Grün. Die wichtigste Zeit
ihres Lebens habe sie an der Oos verbracht, sagt sie rückblickend,
eine gute Zeit, wenngleich sie durch ein unglückliches formales
Versehen ihren Status als feste freie Mitarbeiterin verlor – ein
herber Schlag für eine alleinerziehende Mutter. Jetzt darf sie nur
noch zwei Produktionen im Jahr für den SWR ausstatten, zu wenig, um
davon leben zu können. Immerhin sind dies jedes Jahr zwei Staffeln
der geliebten „Fallers“, die sie begleiten darf, und das tröstet
sie ein wenig über ihre finanzielle Situation hinweg.
Doch
die Zeiten sind unsicher, auch die Mitarbeit bei den Fallers ist
leider keine Selbstverständlichkeit, jedes Jahr aufs Neue muss sie
bangen, ob sie zum Zuge kommt. Das ist bitter, aber: „Ich finde
immer einen Weg“, sagt sie tapfer - um dann leise
hinterherzuschieben: „Ich hätte es mir allerdings nicht träumen
lassen, dass es mit Ende 50 noch mal so anstrengend werden würde.“
Auf
der anderen Seite ist sie auch froh, dass sie aufgrund dieser
misslichen Situation oft lange Zeit am Stück frei hat, denn
natürlich hat sie ihr politisches Gewissen nicht abgelegt. Heute
allerdings rettet sie keine Staaten mehr, sondern Flüchtlinge. Sie
ist – neben ihrem Engagement im Bündnis „Baden-Baden ist bunt“
(hier ein Foto von der Friedenskundgebung auf der Fieserbrücke im
Mai diesen Jahres) –
eine
der treibenden Kräfte in der Helferszene rund um das alte
Vicentiushaus, der ruhende Pol, der immer einen kühlen Kopf bewahrt
und sich nicht erschüttern lässt.
Sie
ist bei Asylbewerbern und Helfern - nicht nur im Vincentiushaus -
beliebt, leitet das Café Kontakt, kümmert sich um Einzelbetreuung,
um Arbeitssuche der Flüchtlinge und Arztbesuche - kurz: um alles,
fast ist sie schon so etwas wie eine ehrenamtliche, sprich:
unbezahlte Sozialarbeiterin.
Besonders
am Herzen liegt ihr der charmante Schneider aus Gambia, Suleiman
Touram. Die sprachliche Verständigung mit ihm ist immer noch
schwierig, aber er hängt an ihr, lässt den Kontakt nie abbrechen,
und sie hält zu ihm, auch wenn er alles andere als ein
Paradebeispiel für gelungene Integration ist.
Lesen Sie dazu auch seine Geschichte(n) => KLICK und KLICK
Lesen Sie dazu auch seine Geschichte(n) => KLICK und KLICK
Mal
sorgt sie sich, weil seine Abschiebung nach Italien droht und er sich
lieber umbringen will als dorthin zurückzugehen, mal bittet sie beim
Ausländeramt um gut Wetter, damit er sich als Schneider selbständig
machen kann (vergebens), dann wiederum begleitet sie ihn zum Anwalt –
und ärgert sich, wenn er einen Termin nicht einhält, weil er, wie
er entwaffnend lachend erklärt, so schöne Musik gehört hatte, dass
er einfach die Zeit darüber vergaß.
Ihr
Sorgenkind also, vielleicht kümmert sie sich gerade deshalb so um
ihn, weil nicht alles glatt geht bei ihm, vielleicht, weil er ja auch
eine Art Künstler ist, Lebenskünstler allemal. Gerade hat er sich
wieder bei ihr gemeldet – er leidet wie alle unter der Situation in
der Westlichen Industriestraße: Hier hat die Stadtverwaltung die
Zimmer „nachverdichtet“, auf 17 Quadratmeter jeweils ein drittes
Bett hineingequetscht. Mit allem Übel, das so viel ungewollte
menschliche Nähe zwischen Fremden mit sich zieht: Diese Woche habe
jemand seinen Spind aufgebrochen und sein gesamtes Nähmaterial
gestohlen, schreibt er ihr.
Oh
je. Alles weg, was freiwillige Helfer für ihn angesammelt hatten?
Nähmaschine, Garn, Stoffreste, Knöpfe, fertige Kleider – alles
weg? Hoffentlich nicht. Gertrud Esslinger leidet mit ihm, auch wenn
sie eigentlich gar keinen Kopf für Ablenkungen hat. Denn sie steckt
im Augenblick mitten in den Vorbereitungen zum Baden-Baden-Award.
Freitag nun ging er im wahrsten Sinne des Wortes über die Bühne, alles hat geklappt, und ganz zum Schluss, zum Gruppenbild, stand sie auch selber mitten drin in ihrem magischen Zauberwald und ...