Sonntag, 18. Oktober 2015

Kamrooz Haghgoo



Menschen in Baden-Baden, heute:

Kamrooz Haghgoo


Dieser Mann beweist Hartnäckigkeit. Freundlich lächelnd sitzt Kamrooz Haghgoo seit knapp zwei Jahren in oder vor seinem kleinen Kiosk am Bertholdsplatz, zaubert in seiner winzigen Küche fantasievolle Speisen und hält geduldig nach Kundschaft Ausschau.




Anfangs musste man ihn schon für seinen Mut bewundern, sich zu trauen, den einst heruntergewirtschafteten Kiosk überhaupt zu übernehmen. Wer den kleinen Platz am Brunnen kannte, gab dem tapferen Betreiber höchstens ein halbes Jahr. Aber dann, Stück für Stück, mauserte sich der einst karge Kiosk hin zu einem winzigen, feinen, sehr individuellen Café mit ambitionierten Öffnungszeiten. Zwischen 10 Uhr morgens und Mitternacht konnte man 2014 den ganzen Sommer hindurch unter einem Schatten spendenden Baumes rund um den Brunnen sitzen und Kaffee oder Tee trinken, einen guten Wein genießen und ausgefallene, frisch zubereitete Speisen ordern.

Im Herbst, als die Blätter des großen Baumes fielen, war der Kiosk immer noch geöffnet. Es wurde Winter, und Kamrooz Haghgoo zeigte Geduld, schloss seinen kleinen Betrieb weiterhin sechs Tage die Woche (wenn auch leicht verkürzt bis 20 Uhr) auf. Stühle und Tische wurden im Laufe der Zeit erneuert, Sonnenschirme kamen hinzu... immer wieder waren neue positive Änderungen festzustellen, wenn man vorbei hastete, auch wenn es den Anschein hatte, dass sich der Betrieb doch auf keinen Fall tragen konnte: Wie kann dieser freundliche Mann nur existieren, wenn er nur wenige Gäste hat, die man dort sitzen sah?

Irgendwie scheint es zu funktionieren. Seit fast zwei Jahren hält sich das Brunnen-Café nun schon, Zeit, den offenbar extrem optimistischen Besitzer einmal genauer zu befragen.




"Ich bin genügsam, was bleibt mir auch anderes übrig", lacht er die Frage nach der Rentabilität weg, doch dann wird er ernst. Anfangs sei es schon schwer gewesen, gesteht der 52-Jährige, denn als erstes habe er tatsächlich den Kreis seiner Kundschaft umkrempeln müssen: Weg von der Schar mehr oder eher weniger fröhlicher Zecher hin zu kultivierten Gästen, die es lieben, mit ihm über Politik, Kultur und die Welt zu philosophieren. Das kann man besonders trefflich mit ihm, denn Kamrooz Haghgoo ist studierter Politologe. Und ein Paradebeispiel gelungener Integration.

Aber fangen wir doch von vorne an. 1963 wurde Kamrooz Haghgoo im Iran geboren, er wuchs in Teheran auf in einer Zeit des politischen Umbruchs. An der Revolution 1979 nahm er aktiv teil, voller Hoffnung und Euphorie, wie er bekennt. Unterschiedliche Strömungen prallten damals aufeinander, mit politischen, religiösen und demokratisch-fortschrittlichen Zielen. Letzteren schloss er sich an, setzte sich für die Unabhängigkeit des Staates ein. Demokratische Strukturen schwebten ihm für sein Land vor, aber der Klerus gewann die Oberhand, und wenig später begannen die kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Nachbarland Irak.

Kamrooz Haghgoo war damals Gymnasiast und wollte auf keinen Fall in den Krieg ziehen. Im Abitur, so sagt er, gab er daher leere Blätter ab, aber er bestand trotzdem, so nötig brauchte das Land Soldaten. Folgerichtig tauchte der junge Mann unter, versuchte, im Untergrund politisch aktiv zu sein. Die Repressionen waren hart. Als zwei seiner Freunde verhaftet und binnen 72 Stunden hingerichtet wurden, war für ihn klar, dass er nicht bleiben konnte. Zu Fuß schlug er sich nach Pakistan durch, von dort flog er mit gefälschten Papieren nach Deutschland. Am 10. Juli 1984 - dieses Datum wird er nie vergessen -  kam er an und beantragte Asyl, das ihm binnen sieben Monaten gewährt wurde.

Er landete in Heidelberg, lernte perfekt Deutsch und begann ein Studium. Jura zunächst, aber das lag ihm nicht, und so wechselte er nach vier Jahren die Richtung und studierte Politikwissenschaften, Philosophie und Soziologie. 1997 machte er das Examen, gründete eine Familie und begann, als Projektmanager in der Telekommunikations- und in der IT-Branche zu arbeiten, zuletzt, 2011, betreute er ein Projekt der Deutschen Bank, bis ein harter Sparkurs dort alle Pläne zunichte machte. Mit einem Schlag war Kamrooz Haghgoo arbeitslos, das wollte er nicht hinnehmen. 480 Bewerbungen hat er in der Folgezeit geschrieben, aber nur 15mal hat man ihn überhaupt zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. „Vielleicht bin ich zu alt“, fragt er sich und verzieht unsicher das Gesicht. 


 

Aber er ist kein Mensch, der die Hände in den Schoß legt und über die Ungerechtigkeit des Lebens nachdenkt, und so machte er sich erst einmal im IT-Bereich selbständig. Grafikdesign und Onlinemarketing ist ein Standbein, um das er sich auch heute noch nach Feierabend kümmert, wenn er weit nach Mitternacht in seine Wohnung in Heidelberg zurückkehrt, von der er jeden Morgen um halb acht wieder aufbricht, um am Bertholdsplatz Tische und Stühle herauszustellen und den Herd anzuwerfen.

Auf das kleine Café hatte ihn ein Freund, der seinen Hang  zur Gastronomie kannte, aufmerksam gemacht, und Kamrooz Haghgoo war sofort begeistert. „Toll“, dachte er sich, „ich fange klein an und baue das Geschäft dann kontinuierlich aus.“ Tja, und dann holte ihn erst einmal die Realität ein. Wer den Kiosk noch aus alten Zeiten kennt, erinnert sich bestimmt noch an das eher unfreundliche Eck, um das man gerne einen Bogen schlug. Noch dazu war der Kiosk im Winter geschlossen und bot dann ein trauriges Bild der Verwahrlosung.

Seit zwei Jahren ändert sich das nun wie gesagt, dank Kamrooz Haghgoos Beharrlichkeit und großem persönlichen Engagement. Seine experimentierfreudige Kochkunst hat sich längst in der Nachbarschaft herumgesprochen, viele Kunden holen sich die Gerichte und nehmen sie mit nach Hause. Der „Renner“ ist sein Auberginenauflauf.




Die Gerichte sind allesamt eher vegetarisch und mediterran, darüberhinaus – und das wundert nicht – werden natürlich persische Spezialitäten angeboten. „Die gibt es sonst nirgendwo in Baden-Baden“, betont Kamrooz Haghgoo, der schon in der Studienzeit die Liebe zum Kochen entdeckte und sich nun besonders mit seinen exotischen Reiszubereitungen einen treuen Gästestamm erkocht hat.



Da er alles frisch zubereitet - er kocht nicht nur, sondern backt auch vieles selbst - muss man ein bisschen Geduld mitbringen, aber anders geht es nicht. Eine Zeitlang hatte er letztes Jahr probiert, seine Speisen frei Haus auszuliefern, aber das hat sich nicht bewährt, weil er als Einzelkämpfer der Nachfrage nicht gerecht werden konnte, ohne Abstriche bei der Qualität hinzunehmen – und so etwas kommt für ihn nicht in Frage.

Außerdem würde ihm bei dieser Art Kundenservice etwas Entscheidendes fehlen: Der direkte Kontakt zum Publikum, der das Markenzeichen seines kleinen Cafés ist. Tiefschürfende Gespräche über Literatur, Kunst und Kultur werden bei ihm oft geführt, und er beteiligt sich gerne daran. Auch das Politisieren kann er nicht lassen, und so verfasst er in seiner kargen Freizeit Artikel für eine politische iranische Zeitschrift und war bis vor zwei Jahren im Vorstand des iranischen Kulturvereins in Heidelberg tätig. Das kann er nun zeitlich nicht mehr leisten, aber es fehlt ihm auch nicht. „Ich kompensiere das in den Gesprächen mit meinen Gästen“, sagt er. Er sei kein typischer Gastronom, der seine Gäste still und stumm bediene, sondern er möchte eine Beziehung zu ihnen aufbauen. „Ich will wissen, welche Erfahrungen und welche Träume sie haben.“

Hat er selbst auch Träume? Oh ja, recht ambitionierte sogar: Er würde seinen Kiosk gerne sanft vergrößern. Gerade weil er – nun schon im zweiten Jahr – auch im Winter geöffnet haben will, wäre ein gläserner Anbau (mit voll aufklappbaren Flügeltüren) für ein paar bescheidene Sitzplätze mehr nicht schlecht. Er hat sich von einem Architekten Pläne zeichnen lassen, einen Bauantrag eingereicht, vom Bauamt aber im ersten Anlauf leider eine Absage erhalten. „Keine Bebauung am Bertholdplatz,“ habe es geheißen. Kamrooz Haghgoo ist enttäuscht. Er sieht in dem kleinen Kiosk seine Zukunft, findet, dass das, was er aus der Ecke gemacht hat, eine Bereicherung des Stadtviertels ist.



Ich bin überzeugt, dass mein Geschäft laufen wird und es sich in zwei, drei Jahren durchgesetzt hat“, glaubt er beharrlich. Wenn er nicht erweitern kann, wird er über den Winter zumachen müssen. Was dann passiert, ist für ihn klar: „Die Säufer werden den Platz zurückerobern.“ Keine schöne Vision. Aber Kamrooz Haghgoo ist kein Mensch, der schnell aufgibt. "Man muss Geduld haben, wenn man im Leben Erfolg haben will", sagt er. Das sei sein Grundsatz. "Sonst hätte ich es nie geschafft, nach Deutschland zu kommen." Und so wird er auch weiterhin am Bertholdsplatz kochen und philosophieren und diskutierfreudige Gäste herzlich willkommen heißen.




Weitere Geschichten über Menschen in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK