Menschen
in Baden-Baden, heute:
Kamrooz
Haghgoo
Dieser
Mann beweist Hartnäckigkeit. Freundlich lächelnd sitzt Kamrooz
Haghgoo seit knapp zwei Jahren in oder vor seinem kleinen Kiosk am
Bertholdsplatz, zaubert in seiner winzigen Küche fantasievolle
Speisen und hält geduldig nach Kundschaft Ausschau.
Anfangs
musste man ihn schon für seinen Mut bewundern, sich zu trauen, den
einst heruntergewirtschafteten Kiosk überhaupt zu übernehmen.
Wer den kleinen Platz am Brunnen kannte, gab dem tapferen Betreiber
höchstens ein halbes Jahr. Aber dann, Stück für Stück, mauserte
sich der einst karge Kiosk hin zu einem winzigen, feinen, sehr
individuellen Café mit ambitionierten Öffnungszeiten. Zwischen 10
Uhr morgens und Mitternacht konnte man 2014 den ganzen Sommer hindurch unter einem Schatten spendenden Baumes rund um den Brunnen sitzen und Kaffee oder Tee trinken,
einen guten Wein genießen und ausgefallene, frisch zubereitete
Speisen ordern.
Im
Herbst, als die Blätter des großen Baumes fielen, war der Kiosk
immer noch geöffnet. Es wurde Winter, und Kamrooz Haghgoo zeigte
Geduld, schloss seinen kleinen Betrieb weiterhin sechs Tage die Woche
(wenn auch leicht verkürzt bis 20 Uhr) auf. Stühle und Tische wurden im Laufe der Zeit erneuert,
Sonnenschirme kamen hinzu... immer wieder waren neue positive
Änderungen festzustellen, wenn man vorbei hastete, auch wenn es den
Anschein hatte, dass sich der Betrieb doch auf keinen Fall tragen
konnte: Wie kann dieser freundliche Mann nur existieren, wenn er nur wenige Gäste hat, die man dort sitzen sah?
Irgendwie scheint es zu funktionieren. Seit
fast zwei Jahren hält sich das Brunnen-Café nun schon, Zeit, den
offenbar extrem optimistischen Besitzer einmal genauer zu befragen.
"Ich bin genügsam, was bleibt mir auch anderes übrig", lacht er die Frage nach der Rentabilität weg, doch dann wird er ernst. Anfangs sei es schon schwer gewesen, gesteht der 52-Jährige, denn als erstes habe er tatsächlich
den Kreis seiner Kundschaft umkrempeln müssen: Weg von der Schar mehr oder eher
weniger fröhlicher Zecher hin zu kultivierten Gästen, die es
lieben, mit ihm über Politik, Kultur und die Welt zu philosophieren.
Das kann man besonders trefflich mit ihm, denn Kamrooz Haghgoo ist
studierter Politologe. Und ein Paradebeispiel gelungener Integration.
Aber
fangen wir doch von vorne an. 1963 wurde Kamrooz Haghgoo im Iran
geboren, er wuchs in Teheran auf in einer Zeit des politischen
Umbruchs. An der Revolution 1979 nahm er aktiv teil, voller Hoffnung
und Euphorie, wie er bekennt. Unterschiedliche Strömungen prallten
damals aufeinander, mit politischen, religiösen und
demokratisch-fortschrittlichen Zielen. Letzteren schloss er sich an,
setzte sich für die Unabhängigkeit des Staates ein. Demokratische
Strukturen schwebten ihm für sein Land vor, aber der Klerus gewann
die Oberhand, und wenig später begannen die kriegerischen
Auseinandersetzungen mit dem Nachbarland Irak.
Kamrooz
Haghgoo war damals Gymnasiast und wollte auf keinen Fall in den Krieg
ziehen. Im Abitur, so sagt er, gab er daher leere Blätter ab, aber
er bestand trotzdem, so nötig brauchte das Land Soldaten.
Folgerichtig tauchte der junge Mann unter, versuchte, im Untergrund
politisch aktiv zu sein. Die Repressionen waren hart. Als zwei seiner
Freunde verhaftet und binnen 72 Stunden hingerichtet wurden, war für
ihn klar, dass er nicht bleiben konnte. Zu Fuß schlug er sich nach
Pakistan durch, von dort flog er mit gefälschten Papieren nach
Deutschland. Am 10. Juli 1984 - dieses Datum wird er nie vergessen - kam er an und beantragte Asyl, das ihm binnen sieben Monaten
gewährt wurde.
Er
landete in Heidelberg, lernte perfekt Deutsch und begann ein Studium.
Jura zunächst, aber das lag ihm nicht, und so wechselte er nach vier
Jahren die Richtung und studierte Politikwissenschaften, Philosophie
und Soziologie. 1997 machte er das Examen, gründete eine Familie und
begann, als Projektmanager in der Telekommunikations- und in der
IT-Branche zu arbeiten, zuletzt, 2011, betreute er ein Projekt der
Deutschen Bank, bis ein harter Sparkurs dort alle Pläne zunichte machte. Mit einem Schlag war Kamrooz Haghgoo arbeitslos, das wollte
er nicht hinnehmen. 480 Bewerbungen hat er in der Folgezeit
geschrieben, aber nur 15mal hat man ihn überhaupt zu
Vorstellungsgesprächen eingeladen. „Vielleicht bin ich zu alt“,
fragt er sich und verzieht unsicher das Gesicht.
Aber
er ist kein Mensch, der die Hände in den Schoß legt und über die
Ungerechtigkeit des Lebens nachdenkt, und so machte er sich erst
einmal im IT-Bereich selbständig. Grafikdesign und Onlinemarketing
ist ein Standbein, um das er sich auch heute noch nach Feierabend
kümmert, wenn er weit nach Mitternacht in seine Wohnung in
Heidelberg zurückkehrt, von der er jeden Morgen um halb acht wieder
aufbricht, um am Bertholdsplatz Tische und Stühle herauszustellen
und den Herd anzuwerfen.
Auf
das kleine Café hatte ihn ein Freund, der seinen Hang zur Gastronomie kannte, aufmerksam
gemacht, und Kamrooz
Haghgoo war sofort begeistert. „Toll“, dachte er sich,
„ich fange klein an und baue das Geschäft dann kontinuierlich
aus.“ Tja, und dann holte ihn erst einmal die Realität ein. Wer
den Kiosk noch aus alten Zeiten kennt, erinnert sich bestimmt noch an das eher unfreundliche Eck, um das man gerne einen Bogen schlug. Noch dazu war der Kiosk im Winter
geschlossen und bot dann ein trauriges Bild der Verwahrlosung.
Seit
zwei Jahren ändert sich das nun wie gesagt, dank Kamrooz Haghgoos
Beharrlichkeit und großem persönlichen Engagement. Seine
experimentierfreudige Kochkunst hat sich längst in der Nachbarschaft herumgesprochen,
viele Kunden holen sich die Gerichte und nehmen sie mit nach Hause.
Der „Renner“ ist sein Auberginenauflauf.
Die Gerichte sind allesamt
eher vegetarisch und mediterran, darüberhinaus – und das wundert
nicht – werden natürlich persische Spezialitäten angeboten. „Die
gibt es sonst nirgendwo in Baden-Baden“, betont Kamrooz Haghgoo,
der schon in der Studienzeit die Liebe zum Kochen entdeckte und sich
nun besonders mit seinen exotischen Reiszubereitungen einen treuen
Gästestamm erkocht hat.
Da
er alles frisch zubereitet - er kocht nicht nur, sondern backt auch vieles selbst - muss man ein bisschen Geduld mitbringen,
aber anders geht es nicht. Eine Zeitlang hatte er letztes Jahr
probiert, seine Speisen frei Haus auszuliefern, aber das hat
sich nicht bewährt, weil er als Einzelkämpfer der Nachfrage nicht
gerecht werden konnte, ohne Abstriche bei der Qualität hinzunehmen –
und so etwas kommt für ihn nicht in Frage.
Außerdem
würde ihm bei dieser Art Kundenservice etwas Entscheidendes fehlen:
Der direkte Kontakt zum Publikum, der das Markenzeichen seines
kleinen Cafés ist. Tiefschürfende Gespräche über Literatur, Kunst
und Kultur werden bei ihm oft geführt, und er beteiligt sich gerne
daran. Auch das Politisieren kann er nicht lassen, und so verfasst er in
seiner kargen Freizeit Artikel für eine politische iranische
Zeitschrift und war bis vor zwei Jahren im Vorstand des iranischen
Kulturvereins in Heidelberg tätig. Das kann er nun zeitlich nicht
mehr leisten, aber es fehlt ihm auch nicht. „Ich kompensiere das in
den Gesprächen mit meinen Gästen“, sagt er. Er sei kein typischer
Gastronom, der seine Gäste still und stumm bediene, sondern er
möchte eine Beziehung zu ihnen aufbauen. „Ich will wissen, welche
Erfahrungen und welche Träume sie haben.“
Hat
er selbst auch Träume? Oh ja, recht ambitionierte sogar: Er würde seinen
Kiosk gerne sanft vergrößern. Gerade weil er – nun schon im
zweiten Jahr – auch im Winter geöffnet haben will, wäre ein
gläserner Anbau (mit voll aufklappbaren Flügeltüren) für ein paar bescheidene Sitzplätze mehr nicht
schlecht. Er hat sich von einem Architekten Pläne zeichnen lassen,
einen Bauantrag eingereicht, vom Bauamt aber im ersten Anlauf leider
eine Absage erhalten. „Keine Bebauung am Bertholdplatz,“ habe es
geheißen. Kamrooz Haghgoo ist enttäuscht. Er sieht in dem kleinen
Kiosk seine Zukunft, findet, dass das, was er aus der Ecke gemacht hat, eine Bereicherung des Stadtviertels ist.
„Ich
bin überzeugt, dass mein Geschäft laufen wird und es sich in zwei,
drei Jahren durchgesetzt hat“, glaubt er beharrlich. Wenn er nicht
erweitern kann, wird er über den Winter zumachen müssen. Was dann
passiert, ist für ihn klar: „Die Säufer werden den Platz
zurückerobern.“ Keine schöne Vision. Aber Kamrooz Haghgoo ist kein Mensch, der schnell aufgibt. "Man muss Geduld haben, wenn man im Leben Erfolg haben will", sagt er. Das sei sein Grundsatz. "Sonst hätte ich es nie geschafft, nach Deutschland zu kommen." Und so wird er auch weiterhin am Bertholdsplatz kochen und philosophieren und diskutierfreudige Gäste herzlich willkommen heißen.
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