Neu im Sudioraum der Kunsthalle
Maya Schweizer
Ich
gebe es zu: Auch ich bin bislang manchmal achtlos an dem kleinen Raum
neben dem Empfangstresen in der staatlichen Kunsthalle
vorbeigegangen.
45cbm
– hm... klein, fensterlos.
Immerhin:
eine Art Experimentierwerkstatt für aufstrebende junge Künstler.
„45 Kubikmeter für Kunst – das Studio der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden. Als Plattform für junge und experimentelle Kunstprojekte ergänzt 45cbm das laufende Programm der Kunsthalle um neue Perspektiven. Im Rhythmus von vier bis sechs Wochen bieten die Ausstellungen Einblicke in das aktuelle Schaffen einer jungen Künstlergeneration“,
schreibt
die Kunsthalle auf ihrer Webseite über den kleinen Raum.
Die
neueste Aktion ist ab Samstag, 6. Juni, offiziell zu sehen, eine
Video-Installation der 38jährigen Künstlerin Maya Schweizer.
„Der
sterbende Soldat von Les Milles“, hat sie den 14minütigen Film
genannt, mit dem sie auf ihre eigene Weise eine Art Kriegsdenkmal
errichten will, eine Brücke zwischen drei Kriegen, dem ersten und
zweiten Weltkrieg und dem französisch-algerischen Krieg.
Les
Milles (hier geht es zum Beitrag auf Wikipedia, aus dem auch das
Kartenfoto entnommen ist => KLICK)
Moritz Scheper, als kuratorischer Assistent verantwortlich für die Ausstellung, hob in einem Pressegespräch gerade den räumlichen Bezug des Kunstwerks heraus: Um Elsass und Lothringen judenfrei übergeben zu können, habe man viele Juden aus Baden und der Pfalz nach Les Milles deportiert, berichtet er.
Ihn fasziniert an dem Film, wie die Künstlerin in ihrem Video alltägliche Szenen vom heutigen Dorfplatz zeigt und sodann in die Beklemmung der Geschichte schwenkt. Eben noch spielten Bewohner des Dorfes auf dem sandigen Platz vor der Ziegelei Boule, im nächsten Schnitt hält die Kamera auf Kritzeleien und eingeritzte Bilder der einstigen Gefangenen an den Wänden ihres Lagers.
Foto: Kunsthalle |
Maya Schweizer lernte die alte Ziegelei schon früh kennen, denn die gebürtige Pariserin hielt sich in ihrer Kindheit oft in der Gegend auf. Als sie im Rahmen einer Art Stipendiumaufenthalt in Aix-en-Provence noch einmal mit dem Ort konfrontiert wurde, war ihr schnell klar, dass sie beides zeigen wollte: Den dörflichen Alltag von Les Milles heute mit seinen ganz normale Bewohnern, aber genauso auch die Spuren der einstigen Gefangenen. Friedliche Szenen hier, die aber in ihrer Eindringlichkeit doch betroffen machen, wenn zum Beispiel das Klacken der Boulekugeln vor der Lärmkulisse überfliegender Flugzeuge immer stärker wird, bis es sich wie Gewehrschüsse anhört...
Stein, Staub, Sand... die zentralen Materialien werden noch dazu hautnah an den Betrachter herangeholt, denn vor der Leinwand in dem kleinen Raum ist eine Fläche Sand aufgeschüttet, so dass der Besucher selbst ein Teil des Kunstwerks wird, indem auch er seine (Fuß-)spuren hinterlässt.
Moritz Scheper ist die Freude anzumerken, Maya Schweizer ab morgen dem Baden-Badener Publikum vorstellen zu dürfen. „Sie ist mir schon länger aufgefallen“, berichtet er und zeigt ein Buch mit Arbeiten der Künstlerin, in dem ihr Werdegang skizziert ist.
Maya Schweizer hatte zunächst in Frankreich Kunstgeschichte studiert, und schon gleich zu Beginn den Schwerpunkt auf Filmanalyse gesetzt, nachdem sie ihre Versuche, abstrakt zu zeichnen, ganz offenbar nicht befriedigt hatten, wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig deute.
Allerdings gab es während des Studiums an der Uni für ihren Geschmack zu viel Theorie, und so zog es sie 1998 nach Berlin, ins Künstlerhaus Bethanien. Ein wichtiger Ort für Berlins Aufstieg als Hotspot der Kunst. (Hier geht es zur Webseite des Hauses =>KLICK) Sie jobbte dort, wurde dann aber auf die Kunsthochschule in Leipzig aufmerksam und absolvierte dort zweieinhalb Jahre lang eine Art Grundstudium, das sie schließlich bei Lothar Baumgarten (Dazu wikipedia => KLICK) in Berlin abschloss.
Aber auch die Arbeit in ihrer Fotoklasse empfand sie alsbald als thematisch zu eingeschränkt. Erst als sie einen Schnittkurs belegte und in Video-Fach wechselte, hatte sie ihre Bestimmung gefunden.
Ihr erster Film war eine „immaterielle Erinnerung“ ihrer Großmutter an die Kriegszeit, in der diese sich in Paris, Marseille und Lyon versteckte. Es folgte ein Video über eine Synagoge in Bratislawa, die abgerissen und durch eine Kathedrale ersetzt wurde, in Rom filmte die Künstlerin in den Katakomben unter der Villa Mussolinis...
Jetzt also Les Milles – und damit fügt sich alles in eine Reihe wider das Vergessen.
Und was ist mit dem Sand? Die Künstlerin freut sich. Normalerweise liegt ein Teppich vor ihren Videos, dass es diesmal bei einem Film über eine alte Ziegelei mit Szenen eines Boule-Spiels Sand gibt, freut sie.
Moritz Scheper schmunzelt. „Wir hatten den Sand glücklicherweise noch von der Ausstellung von Eva Kotátková (dazu mein Blogeintrag => KLICK ) letztes Jahr übrig“, erklärt er. Hier ein Schnappschuss dazu:
Jetzt hoffe er nur, dass der Sand für die Dauer der Ausstellung da bleibt, wo er hingehört...
Nun, ein Besen ist jedenfalls immer in Griffnähe...
Ich kann jedem Besucher der Kunsthalle empfehlen, sich die Viertelstunde Zeit zu nehmen und einen Zwischenstopp im kleinen Raum 45cbm einzulegen, um sich auf Maya Schweizers beeindruckendes Video und ihre Sicht auf die Dinge von einst und heute einzulassen.
Eröffnung: Freitag, 5. Juni, 19 Uhr. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen zu kommen und mit der Künstlerin zu sprechen.
Öffnungszeiten: bis 17. Juli, Dienstag bis Sonntag jeweils 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt für den Studioraum ist immer frei, er befindet direkt neben der Kasse. Der Eintritt für die große Ausstellung der Kunsthalle ist übrigens freitags frei.
Mehr über Kunst in Baden-Baden finden Sie hier => KLICK
Hier geht es zu meinem Blogeintrag über die derzeit laufende große Ausstellung in der Kunsthalle, "Nach dem Frühen Tod" => KLICK