Menschen
in Baden-Baden, heute:
Silke
Wiskandt
Sie
ist das, was man landläufig eine gestandene Geschäftsfrau nennt.
Seit neun Jahren betreibt Silke Wiskandt ihren kleinen
Spielwarenladen „Bär und mehr - Kinderträume“ am Leopoldsplatz,
aber sie ist alles andere als eine Träumerin. Obwohl sie seit
Monaten von Alpträumen geplagt wird, denn wie ein Damoklesschwert
schwebt der geplante Umbau des Leopoldsplatzes über ihr und ihrem
Lebenstraum. Diese Baustelle ist eine Bedrohung für alle
Einzelhändler, die rund um den Platz angesiedelt sind. Mit 30 bis 50
Prozent Einbußen ist während der Bauphase zu rechnen, haben sie
über den Einzelhandelsverband recherchiert, Verluste, die keiner von
ihnen angesichts einer geplanten Bauzeit von zwei Jahren unbeschadet
verkraften kann.
Doch
Silke Wiskandt gibt ihren Lebenstraum – und das ist ihr Laden für
sie – nicht kampflos auf. Sie hat sich deshalb im Frühjahr 2014
mit 35 anderen betroffenen Geschäftsleuten zu einer
"Leopolds-Initiative" zusammengetan und in der Zwischenzeit
einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, den die Initiative im März der
Stadt übergeben will. Die Forderungen:
-
Planungssicherheit
„Wir
müssen planen können“, ist die oberste Maxime, sagt Silke
Wiskandt. Es wäre daher sehr hilfreich und überaus notwendig, wenn
das Bauamt ein Jahr im voraus verlässliche Terminaussagen über
Beginn und Ende der Maßnahme ausgibt.
Warum?
"Im
Einzelhandel brauchen wir ein Jahr Vorlauf, um Waren zu bestellen
beziehungsweise dann eben nicht mehr zu bestellen. Wir müssen uns
Sparmaßnahmen bis hin zur Reduzierung unseres Personal überlegen
und terminieren und wir müssen unseren Warenbestand reduzieren“,
sagt die Fachfrau. So traue sie sich persönlich im Hinblick auf die
Baumaßnahme im Augenblick nicht, einen neuen Auszubildenden zu
nehmen, weil sie nicht wisse, ob sie ihn für die gesamte Lehrzeit
werde beschäftigen können.
Und
dann ist da noch das Problem mit der Ware. Wieviel und wann ordern?
„Ich
bekomme zum Beispiel bereits jetzt meine Ware für den Sommer“,
erklärt Wiskandt. In der Bekleidungsbranche wird noch länger
vorgeplant, da müsse ein Dreivierteljahr vorher geordert werden.
Und
wer im Augenblick ein großes Warenlager habe, müsse rechtzeitig
beginnen, dieses zu reduzieren, damit es zum Zeitpunkt des Baustarts
und des reduzierten Verkaufs nicht obendrein noch überquillt und
dann veraltet ist, wenn sich die Zeiten und Zahlen wieder beruhigen.
„Touristen
gehen freiwillig nicht durch eine Baustelle, die suchen sich immer
einen Weg drumherum“, sagt Wiskandt und verweist auf Studien des
Einzelhandelsverbands Südbaden, der die Leopolds-Initiative mit Rat
und Tat unterstützt.
-
Baustellenzaun
Gute
Erfahrung hat man seitens des Verbandes beispielsweise in Freiburg
bei einer ähnlichen Baumaßnahme mit einem bebilderten
Baustellenzaun gemacht: Auf ihm habe man im Verhältnis 1 : 1 Fotos
der dahinterliegenden, versteckten Schaufenster angebracht, um
so auf die beeinträchtigten Geschäfte aufmerksam zu machen.
„Trotzdem hatten die Einbußen von 30 Prozent“, seufzt Silke
Wiskandt besorgt. Aber jammern hilft ja nicht, das weiß sie. "Wir
müssen jede Chance ergreifen, um während der Baumaßnahme wahrgenommen zu werden.“
-
Baustellen-Dorf
Deshalb
gibt es auch einen sehr konkreten und originellen Vorschlag an die
Stadt: Man möchte in den Kolonnaden, wie beim Weihnachtsmarkt,
Verkaufsbuden der betroffenen Geschäfte aufstellen und
Touristen und Kunden mit speziellen Events herbeilocken.
-
Werbung und Bonuskarten
Flyer
in den Hotels mit Hinweisen auf die betroffenen Geschäfte, eventuell
mit Bonusangeboten seitens der Stadt können sich die Mitglieder der
Initiative ebenfalls vorstellen.
-
Entschädigungsfonds
Aber
trotz allem sehen die Geschäftsleute keinen anderen Weg, als
zusätzlich einen Entschädigungsfonds zu fordern, mit dem die Kosten
für den Erhalt der Läden aufgefangen werden.
„Wenn
man Rohre und Leitungen für Strom, Wasser und Telekom erneuert,
muss bis zur Tür aufgerissen werden, das wird für eine gewisse Zeit
wirklich extrem für uns. Wir müssen eine Möglichkeit bekommen, uns
über Wasser zu halten“, sagt Wiskandt. Sie persönlich hofft auf
die Kulanz ihres Vermieters, vom dem sie sich einen Mietnachlass
wünscht. Andere Kollegen können das von privaten Vermietern aber
nur schlecht fordern.
„Ich
muss schließen, wenn ich ins Minus rutsche“, sorgt sich Silke
Wiskandt. Sie habe in den neun Jahren, in denen sie ihr Geschäft
in Baden-Baden führt, schon allein wegen der Auswirkungen der
Wirtschaftskrise keine Rücklagen bilden können, zumal sie inzwischen ihren Warenbestand vervierfacht hat, also alles, was sie verdiente, in den Laden gesteckt hat.
"Ich bin bald 53, es würde
mir in der Seele weh tun, wenn ich die Reißleine ziehen müsste.
Schließlich ist der Laden mein Lebenswerk“, sagt sie. Sie klingt
kämpferisch, nicht verzagt. "Wir wollen nicht auf Konfrontation
mit der Stadt gehen, aber die Stadt muss uns helfen", sagt sie
schlicht.
Schließlich
ist der Laden ihr großer Kindheitstraum, den sie sich hart erkämpft und auf schweren Umwegen verwirklicht hat.
Schon als kleines Mädchen ging sie voll in der Welt der Puppen und Teddys
auf, aber ihre Spiel-Flausen trieben ihr die Eltern energisch aus. Etwas Seriöses sollte aus der Tochter werden, und die folgte zunächst brav: Ausbildung beim Finanzamt, dann zur Bürokauffrau – aber das war so gar nichts
für die tatendurstige „rheinische Frohnatur“ aus Düsseldorf. Irgendwann nahm sie ihr Leben selbst in die Hand, und entsprechend bunt
wurde es dann: Psychologiestudium, Auftritt an der Börse,
Leitung von Antikmärkten...
Und doch kam alles anders. Denn da war ja noch das Herz, und das schlug seit ihrem 14. Lebensjahr nur für
„den einen“ – den sie zehn Jahre später heiratete und mit dem
sie schon bald vier Kinder hatte. Das war es dann erst mal mit dem Traum von der Selbständigkeit. Aber tatkräftig, wie es ihre Natur ist, unterstützte sie den Kinderarzt in der Praxis, wo und wie sie nur konnte. Schon
bald war der praktische Rat der resoluten jungen Mutter bei den
Patienten heiß begehrt, und so weitete sich ihr Aufgabenfeld
beständig aus: Babykurse, Krabbelgruppen, Erste-Hilfe-Kurse am Kind,
Vorträge – kurz, neben und mit der Kinderarztpraxis entstand ein
gut besuchtes kleines Kinderzentrum. Inklusive einer Ausstellung
von sicherem zertifiziertem Holzspielzeug zur Vorweihnachtszeit. Die
war so erfolgreich, dass die Weihnachts- zur Dauerausstellung wurde
und sich weiter zum kleinen Laden neben der Praxis entwickelte. So hätte es weitergehen können.
Aber
das Glück ist launisch, und irgendwann standen die Weichen auf
Wechsel. Anfang 2006 verkaufte sie ihren kleinen Großstadtladen –
und zog … nach Baden-Baden.
Warum
ausgerechnet Baden-Baden?
Lebhaft wedelt sie mit den Händen, und ihr Gesicht leuchtet. Der Schwarzwald war ihr durch viele Ferien ein Begriff
gewesen, außerdem hatte sie Freunde im Murgtal. Und dann gab es - wie so oft bei den Zugezogenen - diesen einen, einzigen magischen Moment: Silke Wiskandt weiß noch genau, wie sie eines Tages in
Baden-Baden in einem Café saß. Es war ein verkaufsoffener Sonntag, die
Sonne schien... Den Rest kann sich wohl jeder Baden-Badener vorstellen: Das Herz ging ihr auf und sie stellte fest: „Es ist
einfach nur schön hier.“ Und praktisch, wie sie ist, lag die nächste Frage gleich auf der
Hand: „Gibt es hier eigentlich einen Spielwarenladen?“
Wenn
jemand wie Silke Wiskandt solch eine Frage stellt, kann es nur eines
bedeuten. Und richtig! Kein halbes Jahr später hatte sie „ihren“
Laden gefunden, alle Anschubschwierigkeiten waren aus dem Weg
geräumt.
Dann:
Der erste Tag!
Wie
war der? Erinnert sie sich noch daran?
Silke
Wiskandt lacht schallend: „Und ob! Ein riesiger Hundehaufen lag vor
der Tür.“ Aber das soll ja Glück bringen, redete sie sich ein.
Und so klappte alles tatsächlich wunderbar, nicht zuletzt auch
deswegen, weil sie sich gründlich vorbereitet hatte. Sie hatte sogar
das Ehepaar Sassie, das bis zum Ruhestand jahrelang „DAS“
Spielwarengeschäft in Baden-Baden betrieben hatte, über die
Marktchancen ausgequetscht. „Lassen Sie die Finger von
Modelleisenbahnen“, hatte sie als guten Rat mitbekommen und hat dies
auch bis heute beherzigt.
Das
(etwas) andere Sortiment gegen den Trend der "Billigheimer" vor den Toren der Stadt rüttelte
sich im Laufe der Zeit und der Erfahrung zusammen. Besonders
hilfreich hat es sich erwiesen, Postkartenstände vor dem winzigen
Laden zu postieren. Die ziehen Laufkundschaft an, oft stolpern die
Touristen direkt aus dem Bus in ihren Laden, und das ist schlicht
überlebenswichtig: „80 Prozent meiner Kunden sind Touristen“,
sagt Wiskandt. Dazu rechnet sie auch Kongressteilnehmer und
internationales Stammpublikum.
Die
restlichen 20 Prozent ihrer Kundschaft sind Einheimische, in der
Hauptsache Großeltern, während junge Eltern häufig dem Vorurteil unterliegen,
Geschäfte in der Innenstadt seien unerschwinglich. Dabei könnte Wiskandt auch die
anspruchsvollsten Eltern mit zertifiziertem und ökologisch
wertvollen und nachhaltigen Spielwaren zufriedenstellen.
Spielt
eine Spielwarenladenbesitzerin privat eigentlich auch? Was für eine Frage an eine vierfache Mutter! Siedler von Catan, verrät sie mir, sei
das Lieblingsspiel der Familie, in allen Variationen.
Gesellschaftsspiele hat sie allerdings in ihrem Sortiment rigoros reduziert. Die können große Ketten konkurrenzlos billiger anbieten. Aber
das Liebste in ihrem Sortiment sind ihr nach wie vor - neben den
Teddybären, zu denen wir später noch kommen werden - die Puppen. Silke Wiskandt bestellt sie aus aller Herren Länder,
denn je nach Kultur unterscheiden sich die Gesichter sehr
voneinander. Spanische Puppen sind im Augenblick zum Beispiel der
Hit. Und noch eine unvermutete Eigenart hat die Chefin
herausgefunden: Je nach Herkunftsland riechen die Puppen anders. Die
aus Spanien zum Beispiel tragen einen Hauch von Vanille,
deutsche hingegen riechen „so wie in meiner Kindheit“, anders
kann sie es nicht beschreiben. Auf diese Weise kann sie ihre Puppen
mit geschlossenen Augen unterscheiden, und gäbe es „Wetten,
dass...“ noch, hätte sie die Wette bestimmt gewonnen.
Aber
die Vielzahl der Puppen kann einen potenziellen Käufer auch ziemlich
verunsichern. Soll er nun die nehmen, oder doch lieber die? Und wie
heißen die Negerpuppen von einst eigentlich heutzutage politisch
korrekt? "Puppe mit Migrationshintergrund?" Es gibt sie
gottlob noch, immerhin!
Also,
Frau Wiskandt, was raten Sie denn nun einer Kundin, die ihrer Enkelin
eine Puppe kaufen will?
„Nehmen
Sie die, in die Sie sich auf den ersten Blick verlieben. Das muss ein
Bauchgeschenk sein.“
Ihre eigene Vorliebe indes liegt, wie der Name des Ladens schon sagt, mehr auf den
Bären.
So
an die Hundert hat sie in ihrer privaten Sammlung daheim, gesteht
sie. Und es werden alljährlich mehr: Heiligabend zum Beispiel. Schon
in der Adventszeit suche sie sich insgeheim ihren "Liebling des
Jahres" aus, und dann hoffe und zittere sie, dass ihn ihr
niemand wegschnappt. Natürlich könnte sie ihn sich einfach nehmen,
aber ein bisschen Nervenkitzel und Ritual und Magie muss sein!
An Heiligabend schließt sie dann nach all der Hektik des
Weihnachtsgeschäfts in aller Ruhe den Laden ab, hält ein paar
Minuten zum Verschnaufen inne, und dann begibt sie auf die Suche nach
„ihrem“ Teddy. Der wird dann ganz ehrlich gekauft, mitgenommen
und unter den Weihnachtsbaum gesetzt.
Und was macht eine Geschäftsfrau, wenn sie mal nicht ans Geschäft denken will?
"Tanzen!", kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. Und damit meint jemand wie Silke Wiskandt natürlich nicht wildes Herumgehopse, sondern ambitionierten, geordneten Tanzsport: Wiener Walzer, um genau zu sein, in einer festen Formation des Tanzsportclubs. "Beim Tanzen kann ich alles vergessen, a.l.l.e.s.", sagt sie, wenngleich es im Augenblick auch auf diesem Gebiet nicht unbedingt rund läuft: Ihr Tanzpartner hat gesundheitsbedingt eine längere Trainingspause gehabt, und nun gilt es, den Rückstand aufzuholen, denn beim Pfingsttanzturnier im Kurhaus wollen sie unbedingt dabei sein. Sie werden es schaffen, wetten dass...?
Und was macht eine Geschäftsfrau, wenn sie mal nicht ans Geschäft denken will?
"Tanzen!", kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. Und damit meint jemand wie Silke Wiskandt natürlich nicht wildes Herumgehopse, sondern ambitionierten, geordneten Tanzsport: Wiener Walzer, um genau zu sein, in einer festen Formation des Tanzsportclubs. "Beim Tanzen kann ich alles vergessen, a.l.l.e.s.", sagt sie, wenngleich es im Augenblick auch auf diesem Gebiet nicht unbedingt rund läuft: Ihr Tanzpartner hat gesundheitsbedingt eine längere Trainingspause gehabt, und nun gilt es, den Rückstand aufzuholen, denn beim Pfingsttanzturnier im Kurhaus wollen sie unbedingt dabei sein. Sie werden es schaffen, wetten dass...?