Donnerstag, 5. Februar 2015

Lautstark


Schüler gehen auf die Straße
Lautstark gegen Intoleranz




Was für ein blöder Querschläger! Am kommenden Montag wollen zahlreiche Schüler in der Baden-Baden Innenstadt gegen Pegida, beziehungsweise nach deren Zerschlagung gegen Intoleranz und Rassismus demonstrieren, sie verteilen Flyer in der Stadt, melden die Demonstration ordnungsgemäß an, organisieren Podium und Sprecher und dann - über Nacht - das:






Die ganze Innenstadt wurde in der Nacht zu gestern von Vandalen heimgesucht, tausend Zettel wurden an Verteilerkästen, Litfasssäulen, Mülleimer geklebt, und noch schlimmer: Parolen wurden an Bauwerke - wie hier den Brunnen am Leo - gesprüht. Noch dazu mit dem typischen Logo des Jugendforums:


Am Abend sitzen die Schülervertreter in ihrem Besprechungsraum des Jugendforums zusammen. Ratlos. Sauer. Aber auch erstaunlich ruhig und pragmatisch.

"Damit haben wir nichts zu tun. Die Plakate und Schmierereien sind nicht von uns! Wir distanzieren uns von dieser Tat und entschuldigen uns bei den Geschädigten, auch wenn uns ja gar keine Schuld trifft." So fasst es Organisator Raphael Bohlender zusammen.

Den 19jährigen Schüler des Pädagogiums hatte es gestern Morgen genau wie alle anderen in der Runde eiskalt erwischt: Nichts Böses ahnend brütete er über einer Deutsch-Vorklausur fürs Abi, als er und sein bester Freund aus heiterem Himmel aus dem Unterricht geholt wurden. Die beiden mussten zum Amt für öffentliche Ordnung, wurden von der Polizei verhört. Sie konnten es nicht glauben, als sie erfuhren, was vorgefallen war.

"Das war niemand von uns", mussten Bohlender und sein Freund F. Thomas immer wieder zu Protokoll geben, denn natürlich fiel der erste Verdacht auf die Schüler. Die beiden verbürgten sich auch für die anderen Mitorganisatoren der Schülermitverwaltungen aus Markgraf-Ludwig-Gymnasium, Hohenbaden, Klosterschule vom Heiligen Grab, Grüner Jugend und Jugendforum. "Wir vertrauen denen. Wir hatten zwar mal eine Plakataktion angedacht, aber wir hatten gar kein Geld dafür."

Die Polizei war irgendwann halbwegs überzeugt, denn die Tat muss wohl organisiert gewesen sein. Das sei solchen Demonstrationsanfängern wie den Baden-Badener Schülern eigentlich nicht zuzutrauen, mussten Bohlender und sein Freund sich anhören. Zwar nicht schmeichelhaft, aber immerhin entlastend. Zumal die beiden als Internatsschüler, die nachts hinter verschlossenen Türen schlafen, ein hieb- und stichfestes Alibi haben.

Wer die Übertäter waren, wird nun die Polizei ermitteln müssen. "Die wussten echt über alles Bescheid", wundert sich Bohender. "Die wussten, wer sich auf Facebook zur Demo angemeldet hat, wer die Veranstaltung geliked und wer sie geteilt hatte."

Obwohl sie glaubhaft ihre Unschuld beteuern, müssen die Baden-Badener Schüler nun die Suppe auslöffeln: Verschärfte Sicherheitsvorkehrungen lautet das Fazit der Ordnungshüter: Statt fünf müssen nun zehn Schüler als Ordner gekennzeichnet sein, und auch die Polizei belässt es nun nicht dabei, den Zug durch die Stadt mit zwölf Kräften zu begleiten, sondern stockt das Kontingent auf.


Hoffnung auf friedlichen Verlauf


Bleibt für alle die Hoffnung, dass es sich um eine einmalige Tat von Unbekannten handelt und dass die Demonstration friedlich verlaufen wird.

Immerhin haben sich die Verantwortlichen einiges einfallen lassen. So werden am Montag beispielsweise zu Beginn der Veranstaltung um 18 Uhr auf der Fieserbrücke sowohl der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Whittacker als auch die Landtagsabgeordnete der Grünen, Bea Böhlen, Reden halten. Anschließend wird sich ein lautstarker Protestzug durch die Innenstadt in Bewegung setzen. Gedacht ist ein Marsch über den Leo, die Sophienstraße, Sonnenplatz, Gernsbacher Straße, Blumebrunnen, Lange Straße bis zum Kaufhaus Wagener und zurück durch die Lange Straße zum Ausgangspunkt. Eventuell wird aber auch abgekürzt, wenn es zu kalt sein sollte, oder wenn - und daran mag niemand denken - die Veranstaltung wegen Eingriffen gewaltbereiter Teilnehmer abgebrochen werden muss.

"Quatsch, wir sind in Baden-Baden", versuchte man sich am Mittwochabend gegenseitig Mut zu machen. Schützenhilfe bekamen die Organisatoren übrigens auch vom Gymnasium Windeck in Bühl, das mit einer Abordnung samt Verbindungslehrer und GEW-Vertrauensmann Oliver Kirsten angerückt war.




Nicht nur mit der bösen Überraschung der wilden Plakatiererei müssen sich die Macher/innen herumschlagen, auch die Zerschlagung von Pegida macht ihnen nun schaffen, lautete ihr Motto doch "Lautstark gegen Pegida". Doch davon ließen sie sich nicht entmutigen. "Das Motto bleibt." Es stehe ja auch gegen Intoleranz und gegen Rassismus. Auf die hochgereckte Faust, die noch den Flyer und nun die unliebsamen illegalen Plakate zierte, will man aber während des Marsches verzichten. Wie genau die Plakate und Banner aussehen werden, die man auf Demonstration hochhalten und herzeigen will, wird sich am kommenden Sonntag zeigen. Dann nämlich treffen sich Organisatoren und möglichst viele Freiwillige um 16.30 Uhr wieder im Raum des Jugendforums zur gemeinsamen Plakat-Bastelstunde. In dem Zusammenhang freuten sie sich übrigens über eine Spende der Rotarier, die sie dringend für die Materialkosten für Stoffe, Spanplatten, Pinsel und Farben benötigten.

"Eigentlich eine spontane Idee"

Wie kommen eigentlich zwei Jugendliche auf die Idee, eine große Demonstration zu planen?

Raphael Bohlender nennt es eher einen "Schnapsgedanken". In der zweiten Januarwoche hätten er und sein bester Freund sich intensiv mit den Protestmärschen in Dresden beschäftigt, sich über deren Gedankengut informiert, die 19 Punkte der Bewegung studiert. "Was ist denn das für ein Schwachmaten-Verein", empörten sie sich. "Dagegen müsste man eigentlich etwas machen." Gesagt getan. Das war die Geburtsstunde von "Lautstark gegen Pegida."Die Aufgabenteilung war von Anfang an klar: Der Freund war für die ideelle Konzeption, Bohlender für die Umsetzung zuständig. Und das bedeutet immerhin einiges an Arbeit: Anmeldung beim Amt für öffentliche Ordnung, Zusammenschluss mit anderen Schulen im Stadtgebiet, Vortrag beim Jugendforum, bis hin zur Formulierung eines Elternbriefes:




Es ist allerdings nicht so, dass Raphael Bohlender politisch vollkommen unerfahren wäre. Immerhin hat er sich schon bisher als Schülersprecher und im Landesschülerbeirat einen Namen gemacht. Das liegt sicher auch daran, dass - neben der aufgeklärten, kritischen Erziehung im Elternhaus - auf dem Wirtschaftsgymnasium, auf das er geht, desöfteren politischen Themen behandelt werden. Und so  wundert es nicht, wenn der 19jährige sich tatkräftig engagiert: Auch an Demonstrationen gegen die Neonazis und braungefärbte Läden in seiner Heimatstadt hat er teilgenommen und ist gegen "HOGESA" (Hooligans gegen Salafisten) auf die Straße gegangen. 

Alles verlief friedlich, wohlgemerkt.

Das ist den jungen Leuten auch für den kommenden Montag zu wünschen!