Sonntag, 30. November 2014

Volker Schilling



Menschen in Baden-Baden, heute:

Volker Schilling





Zehn Jahre Museum Frieder Burda - das bedeutet nicht nur wechselnde Ausstellungen, glanzvolle Vernissagen, Konzerte und Besucherschlangen, sondern auch jede Menge Arbeit. Jedenfalls für die, die für den reibungslosen Betrieb verantwortlich sind. Einer von ihnen, der von Anfang an dabei war, ist Volker Schilling, heute Teamleiter des Aufsichtspersonals.
 
Haben Sie sich nicht auch schon mal gefragt, wie sich die Aufsichtspersonen in Museen den Tag vertreiben? Für uns Außenstehende sieht das Herumstehen in den Sälen doch nach einem langweiligen, geruhsamen Job aus.

Walter Schilling schmunzelt über meine Vorstellungen, denn geruhsam ist sein Job ganz und gar nicht. Gut, es gibt auch mal Tage, an denen vielleicht nur 80 Besucher oder "Gäste", wie er sie nennt, ins Museum finden. Dann werden die Stunden lang. Dann kämpft man mit Müdigkeit, träumt, schaut aus dem Fenster, grübelt über die bevorstehende Autoreparatur, über Einkäufe, die getätigt werden sollten, Gespräche, die geführt werden müssen, Urlaube, die man planen könnte.

"Man muss sich ablenken und beschäftigen können, sonst schafft man das nicht", gibt er zu, und: "Man muss mit sich im Reinen sein."

Aber wann ist schon mal wenig los im Burda-Museum! Meistens ist das Gegenteil der Fall.


Stress, Stress, Stress


Mit Schrecken erinnert sich Schilling noch an die ersten Tage im Oktober vor zehn Jahren. Viereinhalb, fünftausend Besucher am Tag! Jeder wollten irgend etwas anderes von ihm wissen: Wo sind die Toiletten, wo fängt man mit dem Rundgang an, wo gibt man die Garderobe ab... "Wenn wir Glück hatten, hatten wir ein- oder zweimal am Tag vielleicht fünf Minuten Pause, gerade um mal schnell selber auf die Toilette zu kommen." Der Rest der Tage war Stress, purer Stress. Essen? Fehlanzeige! Hinsetzen und Ausruhen? Fehlanzeige. "Ich frage mich noch heute, wie wir das überstanden haben."

Damals standen den Aufsichtspersonen sogar noch fünfzehn nette, hübsche Hostessen in Highheels zur Seite, die reihum alle halbe Stunde ausgewechselt wurden und dennoch über schmerzende Füße klagten.

Nein, diesen Job hatte Volker Schilling nicht erwartet, als er sich damals auf eine etwas kryptische Stellenanzeige in der Zeitung beworben hatte. "Aufsicht für Objekt in Baden-Baden gesucht", hatte die gelautet, und Volker Schilling, der zuvor viele Jahre in Bietigheim erfolgreich eine über die Grenzen bekannte Eisdiele betrieben hatte, bis das Kreuz nicht mehr mitmachte, griff sofort zu. "Es war mir egal, wer mich nimmt, ich hätte alles gemacht, nur keine Nachtschicht", sagt er rückblickend.

Erst beim zweiten Vorstellungstermin wurde den Aspiranten enthüllt, um welches "Objekt in Baden-Baden" es sich handeln würde. Aber da noch die Geländer an den Rampen fehlten, wurde das künftige Personal erstmal nur von außen herumgeführt. Schilling sah das neue Gebäude und staunte, hatte er doch Burda bis dato nur mit den mütterlichen Schnittmustern in Verbindung gebracht. Es war Liebe auf den ersten Blick. Schnell lernte er dazu, und er freute sich auf das Haus und diesen Job.





Das ist bis heute so geblieben. Voller Ehrfurcht spricht er über den Museumsstifter Frieder Burda, der für ihn indirekt (das Aufsichtspersonal ist von einer darauf spezialisierten Fremdfirma angestellt) "ein toller und sozial eingestellter Chef" ist. "Wir sind hier eine Familie", fasst er das Betriebsklima zusammen. Und das ist auch Ansporn für Schilling, seinen Teil dazu beitragen, dass Frieder Burdas Traum Wirklichkeit wird.

Inzwischen hat er es zum Teamleiter gebracht und sorgt selber dafür, dass sich seine 15 Kollegen wohl fühlen. Da übernimmt er auch schon mal den Posten von jemandem, damit dieser schnell mal einen Kaffee trinken kann, denn es gibt ja nur eine halbe Stunde Mittagspause. "Wir werden nach Stunden bezahlt", erklärt er mir. Und das bedeutet für ihn persönlich beispielsweise, dass er nur während der wenigen "Schließzeiten", wenn das Museum also wegen Bilderwechsels eine Woche geschlossen ist, ein paar Tage Urlaub nimmt. Dann geht es mit dem Motorrad in die Pfalz oder sonstwo hin, wo es ruhig ist und wo keine Menschen sind.

Ansonsten ist er immer im Dienst, sechs Tage die Woche. Der Verdienst in der auf Museen spezialisierten Fremdfirma, die nicht zum Haus Burda gehört, ist nicht üppig, leben kann man nicht davon, für die meisten bringt der Job daher nur ein Zubrot. Aus diesem Grunde weist er auch oft junge Bewerber ab. Ausnahmen waren einmal zwei Mittzwanziger, die unter "burn-out" litten und froh waren, über den Aufsichtsjob wieder in den Arbeitsmarkt integriert zu werden. "Ich habe ihnen aber gleich gesagt, dass nach der einen Ausstellung Schluss ist und sie sich einen Job suchen müssen, mit dem sie Geld verdienen, um eine Familie ernähren zu können."

In der Regel ist das Aufsichtspersonal um die 45 Jahre und älter, auch Schilling hofft, in zwei Jahren in Rente gehen zu können. Viele Mitarbeiter haben übrigens ein Studium absolviert, aber wichtiger ist ihm, dass sie neben Fremdsprachen vor allem auch Menschenkenntnis mitbringen.


Menschenkenntnis


Das findet er nämlich besonders wichtig, und er vertreibt sich manchmal mit einem kleinen Spiel die Zeit: Wenn es tatsächlich einmal ruhiger zugeht, schließe er manchmal die Augen, aber nicht, um zu schlafen, sondern um sein Bauchgefühl zu trainieren. Wenn sich dann die Schritte eines Gastes nähern, hört er tief in sich hinein und fragt sich, ob er dem Besucher vertrauen kann, ob dieser wohl weit genug von den Wänden weg bleibt. Aber natürlich ist Kontrolle besser, und so hat er bis jetzt immer zur richtigen Zeit die Augen geöffnet! "Seit zehn Jahren haben wir wirklich einen Schutzengel im Haus", sinniert er, denn noch nie sei etwas Schlimmes passiert.

Vor Katastrophen also ist man bislang verschont geblieben, merkwürdige Begebenheiten allerdings gab es in den Jahren reichlich. Schmunzelnd erzählt Schilling beispielsweise von der reichen Amerikanerin, die sich schrecklich aufregte, weil neben den ausgestellten Bildern keine Preisschilder zu sehen waren. Sie wollte aber einen echten Gerhard Richter kaufen! "Es dauerte eine Zeitlang, bis wir ihr klarmachen konnten, dass dies hier ein Museum ist. Sie ist dann sehr beleidigt ins Brenners abgerauscht."



Gut erinnern kann sich Schilling auch noch an zwei Texaner, die filmreif mit Stetson und Cowboy-Stiefeln hereinspaziert kamen. "Nur der Colt hat noch gefehlt", lacht er, wenn er daran zurückdenkt. Schweigend waren die beiden durch die Ausstellung gegangen, aber vor dem berühmten Neuschwansteinbild blieben sie wie vom Blitz getroffen stehen und gerieten regelrecht in Exstase und riefen begeistert: "Hey, look! Disney-World!"

Kopfschüttelnd erinnert sich Schilling auch an diesen Sado-Maso-Typen, der "in voller Latex-Montur - sogar das Röckchen bestand aus Latex, es gab kein Stückchen Haut zu sehen, nur die Gesichtsmaske ließ gerade mal die Augen frei" ins Museum kam. Was macht man mit so jemandem? Schilling hebt die Schultern und lächelt. "Nun ja, er befand sich im Besitz einer gültigen Eintrittskarte..."

Sein siebter Sinn wird da eher bei den unscheinbaren Gästen gefordert. Wenn zum Beispiel eine gut situiert aussehende Frau harmlos durchs Museum streunt und urplötzlich, beim letzten Bild, die Beherrschung verliert und über das Bild streichelt. "Dann erkläre ich ihr deutlich, dass sie das nicht machen sollte."


Von Eseln und Sado-Maso-Typen


Eine andere Besucherin blockierte einmal für eine dreiviertel Stunde die Kasse, weil sie sich bitterlich beklagte, sie sei extra aus Stuttgart zur Chagall-Ausstellung angereist, und nun sehe sie kein einziges Chagall-Bild. Erst als sie den Zeitungsausschnitt mit der Ankündigung und Beschreibung der Ausstellung aus dem Auto holte, musste sie einsehen, dass der Fehler nicht am Museum, sondern an ihr lag: Die Zeitung war ein Jahr alt.

Gar nicht reden von dem Mann, der mit einem Esel ins Museum wollte und das Tier bereits zwischen die zwei Glastüren gebracht hatte. Dass Tiere im Museum nichts zu suchen haben, nahm eine andere Besucherin sehr wörtlich: Sie konnte gerade noch daran gehindert werden, ihren Hund ins Schließfach zu sperren. "Es gab sogar mal eine Mutter, die ihr kleines Kind ins Schließfach schieben wollte, weil wir kein Spielzimmer für Kinder haben", sagt Schilling und schüttelt den Kopf. "Die Frau haben wir gebeten, das Museum zu verlassen."

Langeweile also gibt es selten für ihn, im Gegenteil. "Abends ist man fertig. Körperlich vom vielen Stehen und Gehen, psychisch vom vielen Schauen und Aufpassen, dass niemand zu nahe an die Bilder kommt."


Spannende Künstlerbegegnungen


Was gefällt ihm denn ganz besonders an seiner Arbeit?

Da ist zum einen, dass das Museum so viel Tageslicht hat und er zwischendurch hinaus in die Allee blicken kann. Zum anderen genießt er es, auch mal berühmte Künstler live zu erleben und viel über Kunstgeschichte zu lernen. "Das geht gar nicht anders, man bekommt durch die Führungen viel mit". Er hört sich auch stets vorab den Audio-Guide für die laufenden Ausstellungen an, damit er den Gästen kompetent Auskunft geben kann. "Das ist spannend", sagt er.

Hat er ein Lieblingsbild in der Sammlung?

Ja! Unbedingt. Das Bild "gelbgrün" von Gerhard Richter. "Mein Wellnessbild." Er freut sich, dass er es nach zehn Jahren in der jetzigen Ausstellung wiedersehen kann. Und er hat natürlich auch dazu eine Geschichte: Als das Bild zum ersten Mal gezeigt wurde, da war da diese nette ältere Dame im Dirndl, die vor dem Bild stand und sich dann lächelnd zu ihm umwandte und sagte: "So e
in tolles Bild. Es zaubert den Menschen ein Lächeln ins Gesicht, und solange sie es ansehen, machen sie schon keinen Krieg." Schilling lächelt. "Das habe ich bis heute nicht vergessen, daran muss ich immer denken, wenn ich das Bild sehe." Und das allerschönste für ihn ist, dass es dieses Bild nun auch als Poster gibt. "Zehn Jahre habe ich darauf gewartet. Jetzt habe ich es mir endlich kaufen können."








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