Menschen in Baden-Baden, heute:
Markus Schlotter
Aber es klingt falsch in diesem
Ambiente. Jutesäcke drängen sich im Regal hinter mir, prall gefüllt
mit rohen Kaffeebohnen, bedruckt mit exotischen Ländernamen aus dem "Kaffeegürtel" nahe dem Äquator, vor mir reihen sich alt- und
neumodische Kaffeefilter auf, bunte Zuckerbehälter, Kaffeeautomaten,
stabile Papiertüten mit fertigen Bohnenmischungen, deren Namen
„Rasselbande“, „Harte Jungs“, „Großer Bruder“ oder
„kleine Schwester“ schon signalisieren, dass hier individuell und
mit Liebe produziert wird.
Markus Schlotter, mein heutiger
Gesprächspartner, runzelt freundlich die Stirn, und mir schwant,
dass „Kaffee“ nicht ganz die Antwort ist, die er auf seine Frage,
was er mir anbieten darf, erwartet hat.
„Und welchen?“
Gute Frage.
Ich schweige hilflos.
Mir fallen die vielen Zubereitungsarten
für Kaffee ein und als schnöder, unsensibler Morgentrinker, der mit
dem Zeug einfach nur wach werden will, kommen mir allmählich in
diesem Kaffee-Paradies Bedenken, ob ich eventuell fehl am Platze bin
oder die Geduld meines Gegenübers unnötig strapazieren könnte.
Doch so schnell kann Markus Schlotter
nichts erschüttern.
„Mild oder kräftig?“, hakt er
nach.
„Mittel?“, schlage ich vor.
Er legt den Kopf schräg und lächelt,
und man merkt ihm an, wie der mich abschätzt um herauszufinden, mit
welcher Sorte und welcher Zubereitungsart er meinen Geschmack treffen
könnte. Angesichts seiner hinreißenden Begeisterung, die sich vom
ersten Augenblick an unweigerlich und ganz unaufgeregt auf mich
überträgt, schwindet meine Befürchtung, ich könnte seine
„Prüfung“ für heute sein. Warum sollte ich. Vermutlich kennt er
das Zaudern und – ja, auch das Unwissen zur Genüge, schließlich
hat er einige Jahre sein eigenes kleines Café im Herzen von
Baden-Baden besessen. Das L-Café oder richtig „Life&Coffee“
in der Hirschstraße, um genau zu sein. Es hatte sich in Windeseile
zu einem Mekka der Kaffeekenner entwickelt, immer wieder habe ich in
der Vergangenheit Lobeshymnen gehört. Immer wieder habe ich mir
vorgenommen, endlich, endlich einmal vorbeizuschauen. Vor ein paar
Wochen hat es den Besitzer gewechselt, und natürlich fällt einem
genau in diesem Moment schmerzlich ein, etwas verpasst zu haben.
Aber manchmal schenkt einem das Leben
eine zweite Chance, und hier ist sie: Ich habe Markus Schlotter
gefunden, draußen vor den Toren der Stadt, in Sinzheim, im
Industriegebiet am Markbach. Hier verwirklicht er nun – in bester
Nachbarschaft von „cityandmore" => KLICK – in einer riesigen Halle
seinen Lebenstraum von einer eigenen Kaffeerösterei. Und er tut dies
mit glühender Leidenschaft, die jeden fasziniert.
Sorgfältig gießt er noch für zwei
Kunden, die vor mir eingetrudelt sind, per Hand einen Filterkaffee
auf, dann ist meine Tasse dran. Beiläufig fotografiere ich in der Halle, während
er die Maschine anwirft, den Kaffee zubereitet und mit konzentrierter Miene die Milch angießt, bis ich einen Anflug von Enttäuschung in seinem
Gesicht bemerke
Da erst sehe ich, was er mir gezaubert hat:
Wohl allerletztes Mal in meinem Leben nippe ich
gedankenverloren an einer Kaffeetasse, während ich in meinem Notizblock blättere und mir die
erste Interviewfrage durch den Kopf schießt.
Ich vergesse sie.
Denn dieser Schluck – mmmhh! Dieser
Kaffee! Himmlisch. So cremig, so mild, so duftig, so feinporig, so
angenehm würzig, so...
Unsere Augen treffen sich, und Markus
Schlotter nickt erleichtert.
Zu Recht. Er hat es geschafft! Ich bin
angekommen in seiner Welt. Voll und ganz. Einen perfekteren Kaffee
habe ich noch nicht getrunken.
Markus Schlotter kann meine
Begeisterung verstehen. Genauso ist es ihm vor fünfzehn oder zwanzig
Jahren auch gegangen, als er bei einem italienischen Kaffeehändler
im Ruhrgebiet zum ersten Mal einen originalen Cappucino serviert
bekam. Für ihn, den gelernten Elektriker, war es eine Offenbarung.
„Seitdem war ich auf der Suche nach genau diesem Geschmack. Aber
ich habe ihn einfach nicht gefunden“, sagt er. Und damit war sein
Schicksal besiegelt, nahm sein Leben einen neuen Verlauf. „Ich will
ein eigenes Café aufmachen“, beschloss er.
Zielstrebig arbeitete er sich seitdem
in die Welt des Kaffees ein. Der Schichtdienst im von jeher
ungeliebten erlernten Beruf ermöglichte es ihm, sich in Seminaren
weiterzubilden. Erst erlernte er als Barista das Basiswissen der
perfekten Zubereitung bis hin zur Kunst, aus der Crema in der Tasse
Herzen oder andere Figuren zu zaubern. Dann sparte er sich seine
erste professionelle Maschine zusammen und stellte sie bei
Pfarrfesten und anderen Events auf. Mit durchschlagendem Erfolg: „Die
Leute standen Schlange, noch heute erinnern sie sich an meine
Kaffeekreationen, wenn sie mich treffen.“
Immer mehr perfektionierte er die Kunst
des Zubereitens, bis es folgerichtig Zeit wurde zum Sprung in die
nächste Dimension: Nicht mehr die Zubereitung, sondern das Produkt
an sich begann ihn immer mehr zu interessieren und zu faszinieren.
Bücher über Anbau und Weiterverarbeitung von Kaffee inhalierte er
geradezu, bald belegte er die ersten Röst-Seminare, wo er verfolgte,
wie man Rohbohnen durch gezieltes Rösten veredeln kann.
Allmählich variierte Markus Schlotters
Traum von eigenen Café. Jetzt sollte es ein Café mit
angeschlossener Rösterei sein, wo, war ihm erst einmal egal.
Die Liebe gab schließlich den
Ausschlag. Sie verschlug ihn nach Baden-Baden, das er sofort fest in
sein Herz schloss. Sieben Jahre pendelte er noch zwischen Ruhrgebiet
und der kleinen Stadt an der Oos, dann fügte sich alles: „Ich fand
meinen Partner fürs Leben“, sagt er schlicht. Und damit begann
endgültig die Suche nach einer geeigneten Örtlichkeit für Café
und Rösterei.
Im August 2010 eröffnete Teil eins,
Das kleine Café „Life & Coffee“ in der Hirschstraße und
gewann schnell eine begeisterte Stammkundschaft. „Aber ich hatte
immer die Rösterei im Hinterkopf“. Im Nachhinein ist er heilfroh,
dass er nicht beides an einem Ort vereinen konnte, denn das Rösten
benötigt höchste Konzentration.
Schon ein Jahr später hatte die Suche
ein Ende, und er konnte mit seinem ersten kleinen 2,5-Kilo-Röster in
der Halle Am Markbach loslegen. Er wurde Mitglied in einer
Gemeinschaft, in der sich gut drei Dutzend Röster
zusammengeschlossen haben. Sie beziehen ihre Bohnen direkt, ohne
Umweg über Kaffeebörse oder Zwischenhändler, von kleinen
Kaffeebauern, z. B. aus Honduras , Süd-Indien, Äthiopien, Ecuador,
Guatemala, Uganda, Mexiko, und Brasilien (Bob-o-link).
Hier von seiner Website ein Zitat:
“Bob-o-link“
ist der Name einer Singvogelart,
die in den USA und Kanada heimisch ist und jedes Jahr in Südamerika
überwintert. Dabei legt der kleine Vogel bis zu 20.000 Kilometer
Flugstrecke zurück und überwindet alle Ländergrenzen auf seinem
Weg. Inspiriert von dieser Leistung ist ein Projekt entstanden, dass
beim Anbau von Kaffee auf die Stärke der Gemeinschaft, Umweltschutz
und kompromisslose Qualität setzt – über geografische und
gedachte Grenzen hinaus. Bob-o-link Kaffee hat seinen Ursprung in der
historischen Kaffeefarm Fazenda Ambiental Fortaleza (Umweltfestung)
in den Mogiana Bergen des brasilianischen Bundesstaates Sao Paulo.
Der Eigentümer Marcos Croce kehrte der Monokultur den Rücken und
stellte die Farm 1999 konsequent auf ökologischen Anbau um. Nach und
nach folgten seinem Beispiel immer mehr Kaffeebauern aus der Region.
Heute zählen 18 Kaffeefamilienbetriebe zur Produzentengemeinschaft
Bob-o-link.Ihre Kaffees gedeihen im Einklang mit der Natur: auf einer
Höhe von 900 bis 1.250 Metern ü. N.N., inmitten von Schattenbäumen
und einer großen Pflanzenvielfalt. So gelingt es den Farmern Kaffees
anzubauen, deren einzigartigen Charakter und natürliche Herkunft man
schmecken kann. Diese Kaffees sind keine Massenware, sondern gehören
zu den besten der Welt. Die reifen Kaffeekirschen werden deshalb auch
mit größter Sorgfalt von Hand gepflückt und sonnengetrocknet.
Das
Resultat: Jede einzelne Kaffeebohne kommt als kleiner Tresor bei uns
an – randvoll gefüllt mit den besten und köstlichsten Aromen, die
wir mit gekonnter Röstung „befreien“.
Markus Schlotters Sorgfalt zahlte sich
aus, schnell sprach es sich herum, was er da zaubert, immer mehr
Anfragen trudelten ein, Privatkunden, Restaurants und Hotels orderten
seine mit Hingabe und äußerster Konzentration gerösteten
Kaffeemischungen.
Bald begann sich der Perfektionist in
ihm zwischen Café und Rösterei zu zerreiben. „Ich wollte alles
mit Herz und alles richtig machen“, gesteht er. Kurz vor dem
Burn-out fiel daher die Entscheidung, sich vom Café zu trennen und
sich ganz aufs Rösten zu konzentrieren.
Seitdem steht er jeden Morgen ab sechs
Uhr in der Frühe in der Halle und findet seine Arbeit sensationell!
Was nun folgt, ist eine kleine
Lehrstunde in Sachen Kaffeerösten. Ich lerne, wo der Kaffeegürtel
in der Welt sitzt (grob zwischen dem 25. Breitengrad Nord und Süd),
dass Kaffee mit 149 Litern pro Kopf im Jahr das am meisten
konsumierte Getränk in Deutschland ist, noch vor Mineralwasser und
Bier, dass Großröstereien ihren Kaffee mit vier- bis fünfminütigen
Hochtemperatur-Schockrösten quälen, dass industrielle gefertigter
Kaffee daher oft sauer schmeckt, wenn man ihn kalt werden lässt,
dass die Bohnen immer schwärzer und öliger werden, je länger man
sie röstet und dass es auch Kaffeegeschäft „Trends“ gibt. Der
neueste Schrei zum Beispiel ist – neben dem Kaffee aus der kleinen
Rösterei – der gute alte Filterkaffee. Wobei die Handfilter
heutzutage größere Durchlass-Löcher haben als früher.
Ich sehe Markus Schlotter beim Rösten
zu und bekomme eine Ahnung, was er mir sagen will. Da sind erst
einmal die vielen verschiedenen Arten von Kaffee, die er in den
typischen Säcken importiert. Die hohe Qualität kommt aber nicht in
einfachen Jutesäcken, sondern ist innen in Plastik geschützt. Die
rohen Bohnen sind grünlich, und sie duften nach Heu und Gras. Er
wiegt sie sorgfältig ab, dann kommen sie in den riesigen
zehn-Kilo-Röster, der längst das kleine Anfangsgerät abgelöst
hat. 14 bis 20 Minuten bleiben die Bohnen dort bei hoher Temperatur,
die ihnen die Säuren austreibt. Minütlich, fast noch öfter holt
Markus Schlotter kleine Proben aus dem Röster und schnuppert und
lauscht.
Irgendwann fangen die Bohnen wie kleines Popcorn an zu
knistern, dann entwickelt sich für wenige Sekunden ein stechender
Geruch. Immer wieder schnuppert der Fachmann, bis er diesen Zeitpunkt
und diesen stechenden Geruch wahrnimmt. Dann muss es schnell gehen:
Bevor die Bohnen nun ein zweites Mal knacken, müssen sie raus und
abgekühlt werden. Dann haben sie die richtige Farbe angenommen,
nein, nicht schwarz, wie ich das von meiner Mischung aus dem
Supermarkt kenne (das Schwarze, Ölige ist typisch italienisch, lerne
ich), sondern hellbraun wie Milchkaffee. Es folgen weitere
Arbeitsschritte, wie das Aussortieren kleiner Steinchen, die später
die empfindlichen Kaffeemühlen zerstören könnten, das Mischen,
Abpacken, Beschriften, und das Probieren, Probieren, Probieren.
Wie schmeckt die Röstung als
Filterkaffee, wie als Espresso, wie als Cappuccino? All das will und
muss Markus Schlotter wissen, und zwar täglich, für jeden
Röstvorgang aufs Neue.
Wenn er abends irgendwann Feierabend
macht, ist er fix und fertig, nicht nur von einem langen Tag, sondern
auch von den Dämpfen der austretenden Säuren, die er den ganzen Tag
eingeatmet hat und den Unmengen von Kaffee, die er gekostet hat. Aber
auch von der positiven Energie, die er in die Produktion gesteckt
hat. „Die merkt man“, davon ist er fest überzeugt.
Und was macht der Mann, wenn er
heimkommt? Er liest Fachzeitschriften über Kaffee, blättert in
Kaffeebüchern, und er träumt. Er träumt davon, einmal selbst auf
eine Kaffeeplantage zu fahren und „seinen Kaffee“ ehrfürchtig
vom ersten Setzling bis zum mühseligen Pflücken der Bohnen zu
begleiten.
Bislang ist ihm das noch nicht vergönnt
gewesen, die Urlaube führen ihn zu anderen Zielen, an denen Erholung
ganz oben steht.
Erholen? Abschalten? Kann er das
wirklich? Wie sieht es denn aus, das Erholen, wenn er den ersten
Hotelkaffee vor sich hat?
Er lacht. Hotelkaffee? Nicht mit ihm.
Wer Kaffee so liebt wie er, der reist selbstverständlich mit einem
zweiten Koffer, in dem sich nicht nur selbst geröstete Kaffeebohnen
befinden, sondern auch alle anderen Utensilien, die er für eine
perfekte Zubereitung braucht, angefangen vom richtigen Filter über
den Wasserkessel bis hin zur Kaffeemühle. „Nur gutes Wasser kann
ich leider nicht mitnehmen“, sagt er und lacht dabei. „Ich liebe
Kaffee nicht nur, ich lebe ihn.“
Die L-Rösterei am Markbach in
Sinzheim-Kartung ist (mit Ausschank) jeden Freitag und Samstag von 11
bis 16 Uhr geöffnet und übrigens barrierefrei.
Hier geht es zur Website => KLICK
Hier zur Website des deutschen
Kaffeeverbands: =>
KLICK
Mehr Geschichten über Menschen in
Baden-Baden finden Sie hier =>
KLICK
+++ Hinweis in eigener Sache: Ich mache
mit dieser Rubrik bis September Sommerpause +++