Auf
der Bühlerhöhe erfüllt sich ein Traum
Es
ist der absoluter Traum des jeden Schriftstellers: Jahrelang knobelt
man einem Stoff, kämpft mit Selbstzweifeln, verheddert sich schier
in der Fülle des Recherchematerials, konstruiert, schreibt,
verwirft, schreibt neu, sucht jemanden, der das Projekt ebenfalls
liebt, findet diese Person, seziert mit ihr zusammen wieder Sätze
und Sätze, poliert Wörter, haucht seinen Helden Leben ein, ringt
mit Formulierungen und dann – geht es plötzlich los: Verlage
überbieten sich, Lektoren, Marketingprofis und Verlagsvertreter
wollen das Buch. Bedeutet: Hardcover! Spitzentitel eines großen
Verlags! Werbekampagne! Platz 6 auf der Spiegel-Bestseller-Liste!
Fernsehauftritt! Lesungen, Lesungen, Lesungen... Applaus!
Für
viele Schriftsteller bleibt das ihr Leben lang Fiktion, aber für
Brigitte Glaser ging dieser Traum im Herbst in Erfüllung: Mit ihrem
Roman „Bühlerhöhe“ hat sie mitten ins Schwarze getroffen. Sie
kann es selber noch gar nicht so richtig fassen.
Strahlend
und überglücklich umarmt mich die freundliche Autorin, als wir uns
in einem Café in Achern zu unserem Gespräch treffen. Der Erfolg ist
der bodenständigen gebürtigen Badenerin überhaupt nicht zu Kopf
gestiegen, freimütig und humorvoll erzählt sie aus ihrem Leben als
Schriftstellerin: Von ihrer glücklichen Kindheit im Kreise einer
großen Familie in Fautenbach, einem Ortsteil von Achern, vom ersten
Umbruch, als es sie nach dem Sozialpädagogik-Studium nach Köln
verschlagen hatte, vom Schicksal ihres ersten Krimis, den sie in den
80ern in einem Auszeit-Jahr geschrieben hat und der den Weg so vieler
Erstlinge ging – nämlich direkt in die Schublade. Vom ersten
Krimi, den sie zusammen mit einem Kollegen schrieb, der aber –
trotz brisanten Themas – bei den Kritikern Naserümpfen hervorrief,
weil er keine Leiche enthielt. Ein Stachel, der tief saß, und der
zur Revanche antrieb: Gleich mit drei Leichen hatte sich später, im
Jahr 2003, ihre neue Heldin Katharina Schweitzer in „Leichenschmaus“
herumzuschlagen! Bis dahin hatte Brigitte Glaser sich als
Stadtteilkrimi-Schreiberin und Jugendbuchautorin erste Sporen
verdient, nun aber war sie wieder zum epischen Krimi-Genre
zurückgekehrt und konnte hier gleich zwei Leidenschaften miteinander
verbinden: Das Schreiben und das Kochen.
Dazu
schreibt die Autorin auf ihrer Homepage:
Der
erste Roman mit Katharina Schweitzer! Als ich anfange zu schreiben,
habe ich eine klare Vorstellungen, wie sie arbeitet – als
ehrgeizige Köchin in großen Restaurants - und wie sie ausschaut:
groß, gewaltig, rotlockig, unübersehbar. Äußerlich das glatte
Gegenteil zu mir. Bis heute finde ich es gut, dass ich sie mir so
ausgedacht habe, immer noch macht es Spaß, in eine Figur
einzutauchen, die auf Männer herabschauen kann. Von ihrer Psyche
habe ich damals noch wenig Ahnung, Katharina ist im wahrsten Sinne
des Wortes „ein unbeschriebenes Blatt“, aber, nachdem ich Ang
Lees wunderbaren Film „Eat, Drink, Man, Woman“ gesehen habe, weiß
ich, in was für eine Geschichte sie hineingerät. Der Krimi hat
natürlich etwas mit Kochen zu tun, und von Kochen verstehe ich was.
Für Leichenschmaus
tauche ich erstmals
in die Welt des Profikochens ein: Arbeiten unter Hochdruck auf
engstem Raum, extreme Hitze, rauer Umgangston, scharfe Konkurrenz.
Was geschieht, wenn in so einer Arbeitsatmosphäre, einem solchen
„locked room“ ein Mord geschieht?
„Ich
koche selber gern“, verrät die zierliche Autorin und lacht, „aber
ich merkte schnell, dass ich keine Ahnung von professioneller Küche
hatte.“ Drei bis vier Krimis brauchte sie, um sich in das Metier
sattelfest einzuarbeiten, in „Kirschtote“ machte sie ihren
Ausflug zurück nach Baden, das natürlich praktischerweise auch die
ursprüngliche Heimat ihrer Heldin ist. Sieben Teile dieser Serie
gibt es inzwischen, aber ach – als Serienschreiberin hat man
irgendwann mit allzu festen Gleisen zu kämpfen, egal, wie gut die
Bücher laufen. Die Ich-Persepktive nagte an ihr, und es einmal mit
anderen Perspektiven zu versuchen, erschien verlockend.
So
entstanden – sehr zur Freude ihrer zwei Töchter – ein paar
Jugendbücher, dazwischen aber blitzte immer wieder eine gewisse Idee
auf: Die Höhenhotels der Schwarzwaldhochstraße hatten es ihr von je
her angetan, kein Wunder, wurde sie doch mit Geschichten über deren
Blütezeit quasi großgezogen: Die Tante hatte einst einen Job auf
der Bühlerhöhe, die Stiefmutter als junge Frau im Hundseck. Immer
wieder hörte Brigitte Glaser Geschichten über jüdische Gäste, die
dort Urlaub machten, und in dem Zusammenhang fiel auch oft der
Begriff „Wiedergutmachung“. Spätestens bei den Recherchen zur
„Kirschtoten“ flammte das Interesse richtig auf, und dass die
Autorin ihre Kindheit in den 50er Jahren nicht vergessen mochte, kam
noch dazu. Bühlerhöhe. Adenauer. Wiedergutmachung. Daraus musste
doch eine Geschichte zu schreiben sein!
2009
zur Weihnachtszeit kam ein neues Puzzlesteinchen hinzu, als sie auf
der Bühlerhöhe im aus ihrem damals aktuellen Buch „Bienenstich“
las. Mit großen Augen streifte sie durch Saal und Rotunde und
vertiefte sich sofort in ein Gespräch mit dem damaligen Direktor des
Hotels, Heinz Imhof. „Mir schwebt da was vor“, verriet sie mir
damals, und auch, dass es kein Krimi werden würde. Eine langwierige,
knifflige Recherchearbeit begann. Und fast hätte sie sich in all den
ausufernden Nachforschungen, vor allem über die geliebten 50er
Jahre, verstrickt, wenn da nicht eine kleine Gruppe von
„mörderischen“ Freundinnen gewesen wäre, allesamt ebenfalls vom
Fach, die die Reißleine zogen: „Wo ist die Geschichte? Wer sind
deine Hauptpersonen?“, lauteten die zwei Kernfragen. Brigitte
Glaser nahm sie sich zu Herzen, dachte nach und plötzlich war alles
klar: Sie entschied sich, die Ereignisse aus der Sicht von drei sehr
unterschiedlichen Frauen zu schildern. „Ab da wusste ich, dass
alles stimmte“.
Der
Rest war Fleißarbeit und Glück, gepaart mit Selbstzweifeln, die es
in dieser Branche immer gibt, und die manche Schriftsteller nicht
schlafen lassen. In Brigitte Glasers Fall waren die Zweifel groß: Es
war ihr erstes historisches Buch – stimmten die Details? Gerade im
Fall des deutsch-israelischen Verhältnisses war Fingerspitzengefühl
angesagt. Und es war ein heikles Thema – darf man als Deutsche aus
der Sicht einer Jüdin schreiben?
Nun
denn – es hat geklappt. Und wie!
Seitdem
gibt es viele Glücksmomente. Sind darunter ganz besondere
Höhepunkte?
Der
sensationelle Buchvertrag (Spitzentitel!), und das „kurz bevor ich
60 wurde“. Sie hält kurz inne und lächelt, wie man nur lächeln
kann, wenn man unglaubliche 60 ist und es „geschafft“ hat: Stolz,
gepaart mit ein bisschen Nach-und Einsicht: „Vor zehn Jahren hätte
ich dieses Buch nicht schreiben können“, weiß sie, „ich habe
alle früheren Erfahrungen gebraucht, musste erst das Handwerk
lernen, bis alles stimmig war.“
Im
Januar war das Buch fertig lektoriert – und dann? Hände in den
Schoß legen? Urlaub machen?
Nicht
bei Brigitte Glaser! Nahtlos ging es weiter mit dem Schreiben – ein
Jugendbuch musste fertiggestellt werden, und nun sitzt sie, quasi zur
Entspannung, an einem neuen Regionalkrimi mit bewährtem Personal.
„Darin schicke ich Katharina Schweitzer zur Kur – und so fühle
ich mich auch.“
Einen
neuen großen Stoff hat sie erst für 2019 im Visier – alles andere
wäre auch zuviel, denn zurzeit kommt sie nicht zur Ruhe. Eine Lesung
jagt die andere – wenn auch leider immer noch eine in Baden-Baden
fehlt!, dazu kommen Interviews und Fernsehauftritte... Ach ja, das
Fernsehen! Der SWR hat extra für sie die abgeschottete Bühlerhöhe
aufschließen lassen und hat mit ihr an den Originalschauplätzen
über ihr Buch gesprochen. Ein echtes Highlight für sie.
Ein
zweites: Kürzlich durfte sie vor ausgewähltem Publikum in Rhöndorf,
im ehemaligen Wohnzimmer Adenauers an dessen Wohnzimmertisch lesen.
Das
alles macht sie wunschlos und dankbar.
Sie
blickt versonnen aus dem Fenster, als ich sie frage, ob sie noch
Träume hat. „Es sind doch so viele Träume in Erfüllung
gegangen“, sagt sie schließlich, „und das Schöne ist, dass ich
alles genießen kann, denn alles in meinem Leben ist im Augenblick
gut.“ Wer kann das schon von sich sagen!
Zum
Buch:
Bühlerhöhe
List-Verlag,
448
Seiten
ISBN:
978-3471351260
Kurztext:
Sommer,
1952. Deutschland diskutiert das Wiedergutmachungsgesetz. Konrad
Adenauer reist zur Frischzellenkur in den Schwarzwald. Es gibt
Morddrohungen aus verschiedenen Richtungen, auch von einer
Extremistengruppe aus Israel. Um den Kanzler zu schützen, schickt
der Mossad die junge Rosa Silbermann in das Nobelhotel Bühlerhöhe.
Rosa konnte vor dem Holocaust aus Deutschland fliehen. In ihrer
Kindheit war sie oft im Schwarzwald, und ihre Orts- und
Sprachkenntnisse zeichnen sie aus. Als Agentin betritt sie allerdings
Neuland, und ihre Mission wird dadurch erschwert, dass die
versprochene Unterstützung nicht rechtzeitig eintrifft.
Brigitte
Glaser und ihr Roman „Bühlerhöhe“ in der SWR-Sendung „Kunscht“
vom 20. 6. 2016 => KLICK
Webseite: