Wie man dem Zufall nachhilft...
Diese Geschichte über Wolf X., der aus Baden-Baden stammt, habe ich diese Woche in meinem Mail-Eingang gefunden. Vater X. hat sie mir geschickt. Und sie hat mich sehr gefreut. Mal ehrlich: Wer hat „damals“ (oder ganz aktuell?) in der Single-Zeit nicht früher oder später schon einmal mit dem Gedanken gespielt, dem launischen Glücks-Zufall ein bisschen auf die Sprünge zu helfen und eine Kontaktanzeige aufzugeben (oder sich in einem Partnerportal zu registrieren - auch dafür gibt es Erfolgsgeschichten im Bekanntenkreis). Gerade die Heiratsanzeigen in der altehrwürdigen Wochenzeitschrift „Die Zeit“ sind ganz besonders ansprechend.
Und
so kann es gehen:
Eine
ungewöhnliche Verkupplung
Handelnde
Personen: Wolf X.
Anika X.
(X.s Sohn und
Tochter)
Mareike Z. und ihre
beste Freundin
Beteiligt:
Das Zeit-Magazin
Veröffentlicht mit Bild von dem Paar in der Jubiläiumsausgabe 70
Jahre DIE ZEIT auf Seite 23
Wer
nicht suchet ... ... der findet manchmal dennoch. Wie Mareike und Wolf
zufällig über eine Kontaktanzeige zusammenkamen.
VON
NICOLA MEIER
Ein
Abo, denkt Wolf, als er am 24. Dezember 2012 das schuhkartongroße Paket
unter dem Weihnachtsbaum öffnet und als Erstes ein ZEITmagazin sieht.
Er nimmt es in die Hand und sieht jetzt, was darunter im Karton liegt:
ausgedruckte E-Mails, Fotos von Frauen.
»Ich habe eine Kontaktanzeige
im ZEITmagazin für dich aufgegeben«, sagt seine Zwillingsschwester
Anika. Wolf verdreht die Augen.Gut, er wird 35, und er
hat noch nie eine längere Beziehung gehabt. Aber er hat einen guten Job
bei einer Großbank in Zürich, er hat tolle Freunde, reist um die
Welt.
Er hat nicht das Gefühl, dass in seinem Leben etwas fehlt. Und jetzt
teilt seine Schwester ihm vor der ganzen Familie mit, dass sie das anders
sieht, noch dazu gedruckt auf Seite 74 im ZEITmagazin.
Mit
seiner Festtagsstimmung ist es vorbei.Einen Monat zuvor, im November,
grübelte Anika über ein Weihnachtsgeschenk für ihren Bruder. Auch
wenn er immer das Gegenteil behauptet, dachte sie: Was er wirklich mal
gebrauchen könnte, wäre eine Freundin. Ihr Bruder ist ein herzensguter
Kerl, ein bisschen zu sehr Kumpeltyp vielleicht. Mit einem Gutschein
für eine Online-Partnerbörse bräuchte sie ihm nicht zu kommen, er
würde sich sowieso nicht anmelden.
Anika, ZEIT-Abonnentin, fielen
die Anzeigen
im Magazin ein. Sie sucht ihn. Er sucht sie. Vollendete Tatsachen,
das war besser.»Meinem Zwillingsbruder, 34«, tippte sie also, »perfekter
Schwiegersohn, genussvolles Bärchen, parkettsicher, Englandfan,
Familienmensch und sehr ansehnlich, fehlt eine ...« Ja, wie sollte
»sie« sein? Anika überlegte. Lieb müsste sie sein. Aber ihm auch Paroli
bieten können. Unabhängig sollte sie sein und gerne unterwegs. Aber
auch ein Familienmensch. Das Problem: Jedes Wort kostete Geld. Eine gestandene
Frau, könnte sie schreiben. Klang total bescheuert.
Sie
schrieb: » ...fehlt eine Süße zum Nestbauen in Zürich oder
sonstwo. Bist
Du lieb, lustig und mutig genug zu schreiben?« »Eine Süße zum Nestbauen«?
Diese vier Wörter stören Wolf am meisten, niemals im Leben hätte
er das selber geschrieben! So eine Frau will er doch gar nicht. Ob wegen
dieser Formulierung die beiden Professoren auf der Suche nach einem
Lebenspartner für ihre Töchter geschrieben haben?
39 Briefe und E-Mails
sind eingegangen. Anika, die ihm das alles eingebrockt hat, sortiert
sie zusammen mit ihrer Mutter in kleine Stapel, die beiden amüsieren
sich bestens. Eine Mutter wirbt mit ihrer »Rubens-Tochter«, eine
Russin braucht einen Schweizer Pass. Wolf schmollt. »Ich sage denen allen
ab«, motzt er.
Nach
den Feiertagen setzt er sich an seinen Computer. »Vielen Dank für Ihr
Interesse, aber ...«, tippt er immer wieder. Aber nur 38-mal.
Denn unter
den Zuschriften gibt es ein Foto, das ihn nicht loslässt. Es zeigt das
Gesicht einer blonden Frau, eingerahmt von weißen Apfelblüten. Das Foto
ist im Alten Land in Hamburg aufgenommen, dort lebt die Frau. Auf dem
Bild lächelt sie, und es ist ein schönes Lächeln, offen und natürlich.
Die Frau auf dem Bild heißt Mareike, aber geschrieben hat ihre
beste Freundin Tanja. Diese Tanja, das wird Wolf später erfahren, hat
Mitte Dezember ihre beste Freundin Mareike in Hamburg besucht, die dort
promoviert. Für die Zugfahrt hatte Tanja die ZEIT von der Woche zuvor
mitgenommen, sie war noch nicht durch.Es wurde ein schönes Mädels-Wochenende,
und irgendwann, Mareike war gerade am Geschenkeverpacken,
las Tanja ihr aus Spaß die Kontaktanzeigen vor.
Sie
lachten über die Selbstbeschreibungen der Männer (»gut situiert«, »sehr
gut situiert«, »ehemaliger Bankdirektor«) und regten sich über ihre
Ansprüche an die gesuchten Frauen auf (»klein & schlank«,
»klein & sehr
schlank«, »reden können wir dann später«).
Eine Anzeige war
anders. »Meinem
Zwillingsbruder, 34 ...«, las Tanja vor.Eine Süße zum Nestbauen? Schlimm,
urteilten die Freundinnen. Aber eine Schwester, die für ihren Bruder
sucht: irgendwie sympathisch. Vor allem: Dieser Mann war, anders als
die meisten anderen Männer auf den Kennenlern-Seiten, erst Mitte 30.
»Dem
könntest du doch mal schreiben!«, sagte Tanja. Schon lange wünschte sie
ihrer besten Freundin einen Partner, die aber vertrat die Meinung: Lieber
gar keinen als den Falschen. Einmal hatte sie sich bei einer Online-Partnerbörse
angemeldet, drei zähe Dates später hatte sie ihr Profil
wieder gelöscht. »Ich schreibe dem ganz sicher nicht«, sagte Mareike.
»Das kannst du ja übernehmen!«, fügte sie hinzu, schließlich habe
der Mann seine Anzeige ja auch nicht selber aufgegeben. Es war als Scherz
gemeint.
»Zwillingsbruder
für allerbeste Freundin gesucht!«, tippte Tanja am 20. Dezember
in die Betreffzeile ihrer E-Mail. »Für meine 31-jährige Freundin«,
schrieb sie, »Genießerin mit vielseitigen Interessen, neben lieb
und lustig auch sehr ansehnlich und auf jeden Fall ein Familienmensch,
leider nicht besonders mutig in Liebesangelegenheiten«.
An
die Mail hängte sie jenes Apfelblütenfoto von Mareike, an dem Wolfs Blick
jetzt hängen geblieben ist.Statt der letzten Absage-E-Mail schreibt
er am 29. Dezember: »Hallo Tanja. (...) Es würde mich sehr freuen,
wenn Mareike Deine Aufmerksamkeit beim Lesen des ZEITmagazins zu schätzen
wüsste und sich im nächsten Jahr mal bei mir melden würde.« Am 3.
Januar hat er eine E-Mail von Mareike in seinem Postfach.
Er
schreibt noch am selben Tag zurück. Sie mailen, sie whatsappen, sie
skypen, aber ohne
Videofunktion. Sich das erste Mal sehen, das muss persönlich sein, findet
Mareike. Nach ein paar Wochen sagt Wolf: »Ich bin das Wochenende bei
Freunden in Hamburg. Wenn du magst, können wir uns ja treffen.« In Wahrheit
besucht er die Freunde vor allem, um sagen zu können: »Du, ich bin
ja eh da, wie wär’s?« Verabredung an einem Samstagnachmittag am Jungfernstieg.
Ein
Jahr später, am 8. Februar 2014, feiern sie den Jahrestag ihres ersten
Treffens an der Alster in Hamburg. Auf der Bank vor dem Hotel Vier
Jahreszeiten zieht Wolf eine blau-weiße Schachtel aus seiner Manteltasche.
Sprüngli, ihre Lieblingspralinen. Er vergisst, auf die
Knie
zu gehen, aber in der Schachtel liegt auf der Haselnusspraline ein Ring.
Die Geschichte von der Kontaktanzeige, die er nicht aufgab und die sie
nicht beantwortete, aus der aber trotzdem eine Ehe wurde, erzählt man
sich in den Familien des Paares fortan als Beziehungswunder.
Sogar weitere
Anzeigen werden hoffnungsvoll geschrieben. Ohne Erfolg.
Und hier der Film zur Geschichte => KLICK