Sonntag, 21. Februar 2016

Alltagsleben - 2

 
Wie man dem Zufall nachhilft...

Diese Geschichte über Wolf X., der aus Baden-Baden stammt, habe ich diese Woche in meinem Mail-Eingang gefunden. Vater X. hat sie mir geschickt. Und sie hat mich sehr gefreut. Mal ehrlich: Wer hat „damals“ (oder ganz aktuell?) in der Single-Zeit nicht früher oder später schon einmal mit dem Gedanken gespielt, dem launischen Glücks-Zufall ein bisschen auf die Sprünge zu helfen und eine Kontaktanzeige aufzugeben (oder sich in einem Partnerportal zu registrieren - auch dafür gibt es Erfolgsgeschichten im Bekanntenkreis). Gerade die Heiratsanzeigen in der altehrwürdigen Wochenzeitschrift „Die Zeit“ sind ganz besonders ansprechend. 






Und so kann es gehen:



Eine ungewöhnliche Verkupplung


Handelnde Personen: Wolf X.
Anika X.
(X.s Sohn und Tochter)
Mareike Z. und ihre beste Freundin
Beteiligt: Das Zeit-Magazin

Veröffentlicht mit Bild von dem Paar in der Jubiläiumsausgabe 70 Jahre DIE ZEIT auf Seite 23


Wer nicht suchet ... ... der findet manchmal dennoch. Wie Mareike und Wolf zufällig über eine Kontaktanzeige zusammenkamen.

VON NICOLA MEIER

Ein Abo, denkt Wolf, als er am 24. Dezember 2012 das schuhkartongroße Paket unter dem Weihnachtsbaum öffnet und als Erstes ein ZEITmagazin sieht. Er nimmt es in die Hand und sieht jetzt, was darunter im Karton liegt: ausgedruckte E-Mails, Fotos von Frauen.
»Ich habe eine Kontaktanzeige im ZEITmagazin für dich aufgegeben«, sagt seine Zwillingsschwester Anika. Wolf verdreht die Augen.Gut, er wird 35, und er hat noch nie eine längere Beziehung gehabt. Aber er hat einen guten Job bei einer Großbank in Zürich, er hat tolle Freunde, reist um die
Welt. Er hat nicht das Gefühl, dass in seinem Leben etwas fehlt. Und jetzt teilt seine Schwester ihm vor der ganzen Familie mit, dass sie das anders sieht, noch dazu gedruckt auf Seite 74 im ZEITmagazin.

Mit seiner Festtagsstimmung ist es vorbei.Einen Monat zuvor, im November, grübelte Anika über ein Weihnachtsgeschenk für ihren Bruder. Auch wenn er immer das Gegenteil behauptet, dachte sie: Was er wirklich mal gebrauchen könnte, wäre eine Freundin. Ihr Bruder ist ein herzensguter Kerl, ein bisschen zu sehr Kumpeltyp vielleicht. Mit einem Gutschein für eine Online-Partnerbörse bräuchte sie ihm nicht zu kommen, er würde sich sowieso nicht anmelden.

Anika, ZEIT-Abonnentin, fielen die Anzeigen im Magazin ein. Sie sucht ihn. Er sucht sie. Vollendete Tatsachen, das war besser.»Meinem Zwillingsbruder, 34«, tippte sie also, »perfekter Schwiegersohn, genussvolles Bärchen, parkettsicher, Englandfan, Familienmensch und sehr ansehnlich, fehlt eine ...« Ja, wie sollte »sie« sein? Anika überlegte. Lieb müsste sie sein. Aber ihm auch Paroli bieten können. Unabhängig sollte sie sein und gerne unterwegs. Aber auch ein Familienmensch. Das Problem: Jedes Wort kostete Geld. Eine gestandene Frau, könnte sie schreiben. Klang total bescheuert.

 Sie schrieb: » ...fehlt eine Süße zum Nestbauen in Zürich oder sonstwo. Bist Du lieb, lustig und mutig genug zu schreiben?« »Eine Süße zum Nestbauen«? Diese vier Wörter stören Wolf am meisten, niemals im Leben hätte er das selber geschrieben! So eine Frau will er doch gar nicht. Ob wegen dieser Formulierung die beiden Professoren auf der Suche nach einem Lebenspartner für ihre Töchter geschrieben haben?

39 Briefe und E-Mails sind eingegangen. Anika, die ihm das alles eingebrockt hat, sortiert sie zusammen mit ihrer Mutter in kleine Stapel, die beiden amüsieren sich bestens. Eine Mutter wirbt mit ihrer »Rubens-Tochter«, eine Russin braucht einen Schweizer Pass. Wolf schmollt. »Ich sage denen allen ab«, motzt er.

Nach den Feiertagen setzt er sich an seinen Computer. »Vielen Dank für Ihr Interesse, aber ...«, tippt er immer wieder. Aber nur 38-mal.



Denn unter den Zuschriften gibt es ein Foto, das ihn nicht loslässt. Es zeigt das Gesicht einer blonden Frau, eingerahmt von weißen Apfelblüten. Das Foto ist im Alten Land in Hamburg aufgenommen, dort lebt die Frau. Auf dem Bild lächelt sie, und es ist ein schönes Lächeln, offen und natürlich. Die Frau auf dem Bild heißt Mareike, aber geschrieben hat ihre beste Freundin Tanja. Diese Tanja, das wird Wolf später erfahren, hat Mitte Dezember ihre beste Freundin Mareike in Hamburg besucht, die dort promoviert. Für die Zugfahrt hatte Tanja die ZEIT von der Woche zuvor mitgenommen, sie war noch nicht durch.Es wurde ein schönes Mädels-Wochenende, und irgendwann, Mareike war gerade am Geschenkeverpacken, las Tanja ihr aus Spaß die Kontaktanzeigen vor.

Sie lachten über die Selbstbeschreibungen der Männer (»gut situiert«, »sehr gut situiert«, »ehemaliger Bankdirektor«) und regten sich über ihre Ansprüche an die gesuchten Frauen auf (»klein & schlank«, »klein & sehr schlank«, »reden können wir dann später«). 

Eine Anzeige war anders. »Meinem Zwillingsbruder, 34 ...«, las Tanja vor.Eine Süße zum Nestbauen? Schlimm, urteilten die Freundinnen. Aber eine Schwester, die für ihren Bruder sucht: irgendwie sympathisch. Vor allem: Dieser Mann war, anders als die meisten anderen Männer auf den Kennenlern-Seiten, erst Mitte 30.

»Dem könntest du doch mal schreiben!«, sagte Tanja. Schon lange wünschte sie ihrer besten Freundin einen Partner, die aber vertrat die Meinung: Lieber gar keinen als den Falschen. Einmal hatte sie sich bei einer Online-Partnerbörse angemeldet, drei zähe Dates später hatte sie ihr Profil wieder gelöscht. »Ich schreibe dem ganz sicher nicht«, sagte Mareike. »Das kannst du ja übernehmen!«, fügte sie hinzu, schließlich habe der Mann seine Anzeige ja auch nicht selber aufgegeben. Es war als Scherz gemeint.

»Zwillingsbruder für allerbeste Freundin gesucht!«, tippte Tanja am 20. Dezember in die Betreffzeile ihrer E-Mail. »Für meine 31-jährige Freundin«, schrieb sie, »Genießerin mit vielseitigen Interessen, neben lieb und lustig auch sehr ansehnlich und auf jeden Fall ein Familienmensch, leider nicht besonders mutig in Liebesangelegenheiten«.

An die Mail hängte sie jenes Apfelblütenfoto von Mareike, an dem Wolfs Blick jetzt hängen geblieben ist.Statt der letzten Absage-E-Mail schreibt er am 29. Dezember: »Hallo Tanja. (...) Es würde mich sehr freuen, wenn Mareike Deine Aufmerksamkeit beim Lesen des ZEITmagazins zu schätzen wüsste und sich im nächsten Jahr mal bei mir melden würde.« Am 3. Januar hat er eine E-Mail von Mareike in seinem Postfach.

Er schreibt noch am selben Tag zurück. Sie mailen, sie whatsappen, sie skypen, aber ohne Videofunktion. Sich das erste Mal sehen, das muss persönlich sein, findet Mareike. Nach ein paar Wochen sagt Wolf: »Ich bin das Wochenende bei Freunden in Hamburg. Wenn du magst, können wir uns ja treffen.« In Wahrheit besucht er die Freunde vor allem, um sagen zu können: »Du, ich bin ja eh da, wie wär’s?« Verabredung an einem Samstagnachmittag am Jungfernstieg.

Ein Jahr später, am 8. Februar 2014, feiern sie den Jahrestag ihres ersten Treffens an der Alster in Hamburg. Auf der Bank vor dem Hotel Vier Jahreszeiten zieht Wolf eine blau-weiße Schachtel aus seiner Manteltasche. Sprüngli, ihre Lieblingspralinen. Er vergisst, auf die
Knie zu gehen, aber in der Schachtel liegt auf der Haselnusspraline ein Ring. Die Geschichte von der Kontaktanzeige, die er nicht aufgab und die sie nicht beantwortete, aus der aber trotzdem eine Ehe wurde, erzählt man sich in den Familien des Paares fortan als Beziehungswunder.

Sogar weitere Anzeigen werden hoffnungsvoll geschrieben. Ohne Erfolg.



Und hier der Film zur Geschichte =>  KLICK