Ein
Schneider will bleiben
Im
Wechselbad
der
Gefühle
Bestimmt
erinnern Sie sich an Suleiman Touram, den Schneider aus Gambia. Ich habe bereits zweimal über ihn berichtet => KLICK
Suleiman
erobert zurzeit die Herzen eines Stadtteils. „Südliche Neustadt“
nennt die Verwaltung das Gebiet zwischen Augustaplatz und
Bertholdplatz, und dort gehört der 28jährige mittlerweile zum
Straßenbild, immer wieder kommt er mit Passanten in Kontakt, manche fragen sich, wie sie dem
talentierten Mr. Touram denn nur helfen können.
Den
fröhlichen „Mann vor dem Penny-Markt“, der an sein Fahrrad
gelehnt mit geschultem Blick die Mode der Straße mustert und sich
überlegt, ob er seine nächste Kollektion europäisch oder doch
lieber afrikanisch ausfallen lassen soll, plagen indes große Sorgen:
Darf er die Kleider, die er so fleißig entwirft und näht,
irgendwann verkaufen? Liebend gerne würde auf die staatliche Hilfe
verzichten und sein eigenes Geld verdienen, hat er doch zuhause eine
kleine Tochter, die er seit Jahren nicht gesehen hat und die er
unterstützen möchte.
Und
– noch wichtiger: Darf er denn endlich zur Ruhe kommen? Darf er
hier bleiben, nach sechs Jahren auf der Flucht? Darf er entspannen?
Vielleicht endlich einmal eine Nacht durchschlafen? Das kann er
nämlich schon lange nicht mehr. Zwei Stunden, mehr ist nicht drin.
Und
jetzt kam auch noch dieser Brief...
Weil
er auf seiner Flucht auf dem Mittelmeer vor der Küste Siziliens von
einem italienischen Regierungsboot gerettet wurde und noch an Bord
seine Fingerabdrücke aufgenommen wurden, gehört er zu den so
genannten Dublin III-Flüchtlingen, für deren Asylverfahren Italien
zuständig ist. Eigentlich müsste er dorthin zurückgeschickt
werden. Die blanke Horrorvorstellung für ihn.
(Mehr Informationen über Dublin III gibt ProAsyl => KLICK)
(Mehr Informationen über Dublin III gibt ProAsyl => KLICK)
Die
Zustände dort, so schildert Suleiman seinen Aufenthalt im Süden des Landes, seien bedrohlich gewesen,
es hätten sich im Raum Bari, wo er fast ein Jahr lang auf sich allein gestellt leben
musste, kriminelle Banden gebildet, die die Flüchtlinge aus
Schwarzafrika bedrohten. Er hielt es irgendwann nicht mehr aus und
floh weiter, nach Deutschland. Und hier, hier will er nun endlich
bleiben.
Angefangen
hatte alles 2007, nachdem er, um dem Militärdienst zu entgehen, eine
zweijährige, mit Zertifikat abgeschlossene Schneiderlehre absolviert hatte. Doch das half nichts: Immer wieder versuchte man in der Folgezeit, ihn trotz der Berufsausbildung, die eigentlich den Militärdienst erstzen sollte, zurück in
die Kaserne zu holen. Oft kam die Militärpolizei nachts, immer
wieder. Er wehrte sich, versuchte sich zu verstecken... „Ich will niemanden
totschießen“, erklärt er. Als die wiederkehrenden nächtlichen „Besuche“ überhand nahmen, entschloss er sich 2009, in den Senegal zu gehen. Aber
auch hier fand ihn die Geheimpolizei, und so ging es weiter, über
Mali nach Libyen, wo die Zustände dann erst recht vollkommen
unhaltbar waren.
Also
blieb letztendlich nur die Überfahrt auf einem Boot – und die
Bergung auf hoher See, die zwar sein Leben rettete, ihn aber dennoch
in Verzweiflung stürzte...
Jetzt
also hat er Italien hinter sich gelassen. Seit November ist er
Deutschland, und er will nicht mehr weiter, weder vor noch zurück.
Zurück schon gar nicht. Nicht nach Italien. Niemals. „Lieber
sterbe ich“, sagt er leise und blickt dumpf zu Boden. Man kann sich vorstellen, dass vor seinem geistigen Auge alles wieder hochkommt, wenn
er nur das Wort Italien hört: die Lebensgefahr, in der sich befand, die Angst
vor Verfolgung durch die kriminellen Banden. „Sie haben es auf uns
Schwarzafrikaner abgesehen“, sagt er.
Er
möchte einfach nur hier bleiben. Hier in Baden-Baden. Farbenfrohe Kleider
und Schmuck entwerfen. Selber für seinen Lebensunterhalt aufkommen.
Die
ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer unterstützen ihn nach Kräften.
Zuerst wurde ordnungsgemäß bei den Behörden angefragt, wurden
Anträge auf Genehmigung einer selbständigen Tätigkeit gestellt.
Letzte
Woche bekam er Antwort. Das Regierungspräsidium teilt ihm mit, dass
„geduldeten Ausländern“, wie er es derzeit ist, „kraft Gesetz“
die Ausübung eines Gewerbes nicht gestattet ist. Immerhin scheint
die Sache noch nicht endgültig verloren, denn man hat ihm eine Frist
eingeräumt, sich zu der Angelegenheit zu
äußern.
Aber welch eine Achterbahnfahrt der Gefühle nun folgt! Ratlosigkeit.
Fassungslosigkeit. Hoffnung. Verzweiflung. Lachen. Schwer zu
unterdrückende Tränen.
Denn
fast gleichzeitig mit dem Bescheid des Regierungspräsidium zur
Selbständigkeit trudelte ein weiterer Brief ein, den derzeit viele
Asylbewerber in Baden-Baden erhalten, und der nichts Gutes verheißt.
Er solle Gründe vorbringen, die – sollte er im ZUge von Dublin III nach
Italien abgeschoben werden – es rechtfertigen könnten, vor Ablauf einer bestimmten Frist wieder aus
Italien einzureisen.
Da
ist es wieder, das schlimme Wort: Italien.
Er
schüttelt den Kopf, wie um es loszuwerden.
Nein,
nicht Italien!
Aber
wohin? In der Heimat wartet der Militärdienst, in Italien die
Mörderbanden.
„Lebend
verlasse ich Baden-Baden nicht“, sagt er. „Ich
will in Baden-Baden bleiben und arbeiten.“
Ganz
unten ist er, verzweifelt.
Oder
gibt es doch noch einen Ausweg? Irgendeinen Lichtblick?
Er
wendet sich an den Arbeitskreis Asyl, an den dort ehrenamtlich
tätigen Rechtsanwalt Michael Hummel. Der prüft und brütet über
dem Fall. Lange Gespräche folgen, dann endlich schält sich ein
Hoffnungsschimmer heraus. Es geht, wie so oft in der Juristerei, um
Fristen, die offenbar abgelaufen sind.
Und
nun?
Der
Anwalt ist zuversichtlich. Er wird ein Schreiben aufsetzen.
Und
Suleiman – strahlt wieder.
Wird
sein Traum doch noch wahr? Darf er Kleider entwerfen?
Vielleicht sogar irgendwann eine Kunstgewerbe- oder Kunsthochschule
besuchen? Er wird es jedenfalls versuchen, und er will beginnen, eine
Mappe mit seinen Entwürfen zusammenzustellen.
„Eigentlich
braucht er einen Mäzen“, beurteilt Rechtsanwalt Hummel den Fall
pragmatisch. Am einfachsten wäre Suleiman übrigens geholfen, wenn
ihm jemand einen kleinen Raum kostenlos zur Verfügung stellen
würde, in dem er an seiner Künstlermappe arbeiten, Kleider nähen
und Schmuck herstellen kann....
Man wird ja noch mal träumen dürfen, oder?
Man wird ja noch mal träumen dürfen, oder?