Sonntag, 30. August 2015

Suleiman Touram (3)



Ein Schneider will bleiben
Im Wechselbad
der Gefühle

Bestimmt erinnern Sie sich an Suleiman Touram, den Schneider aus Gambia. Ich habe bereits zweimal über ihn berichtet => KLICK




Suleiman erobert zurzeit die Herzen eines Stadtteils. „Südliche Neustadt“ nennt die Verwaltung das Gebiet zwischen Augustaplatz und Bertholdplatz, und dort gehört der 28jährige mittlerweile zum Straßenbild, immer wieder kommt er mit Passanten in Kontakt, manche fragen sich, wie sie dem talentierten Mr. Touram denn nur helfen können.

Den fröhlichen „Mann vor dem Penny-Markt“, der an sein Fahrrad gelehnt mit geschultem Blick die Mode der Straße mustert und sich überlegt, ob er seine nächste Kollektion europäisch oder doch lieber afrikanisch ausfallen lassen soll, plagen indes große Sorgen: Darf er die Kleider, die er so fleißig entwirft und näht, irgendwann verkaufen? Liebend gerne würde auf die staatliche Hilfe verzichten und sein eigenes Geld verdienen, hat er doch zuhause eine kleine Tochter, die er seit Jahren nicht gesehen hat und die er unterstützen möchte.



 
Und – noch wichtiger: Darf er denn endlich zur Ruhe kommen? Darf er hier bleiben, nach sechs Jahren auf der Flucht? Darf er entspannen? Vielleicht endlich einmal eine Nacht durchschlafen? Das kann er nämlich schon lange nicht mehr. Zwei Stunden, mehr ist nicht drin.

Und jetzt kam auch noch dieser Brief...

Weil er auf seiner Flucht auf dem Mittelmeer vor der Küste Siziliens von einem italienischen Regierungsboot gerettet wurde und noch an Bord seine Fingerabdrücke aufgenommen wurden, gehört er zu den so genannten Dublin III-Flüchtlingen, für deren Asylverfahren Italien zuständig ist. Eigentlich müsste er dorthin zurückgeschickt werden. Die blanke Horrorvorstellung für ihn.

(Mehr Informationen über Dublin III gibt ProAsyl => KLICK)

Die Zustände dort, so schildert Suleiman seinen Aufenthalt im Süden des Landes, seien bedrohlich gewesen, es hätten sich im Raum Bari, wo er fast ein Jahr lang auf sich allein gestellt leben musste, kriminelle Banden gebildet, die die Flüchtlinge aus Schwarzafrika bedrohten. Er hielt es irgendwann nicht mehr aus und floh weiter, nach Deutschland. Und hier, hier will er nun endlich bleiben.

Angefangen hatte alles 2007, nachdem er, um dem Militärdienst zu entgehen, eine zweijährige, mit Zertifikat abgeschlossene Schneiderlehre absolviert hatte. Doch das half nichts: Immer wieder versuchte man in der Folgezeit, ihn trotz der Berufsausbildung, die eigentlich den Militärdienst erstzen sollte, zurück in die Kaserne zu holen. Oft kam die Militärpolizei nachts, immer wieder. Er wehrte sich, versuchte sich zu verstecken... „Ich will niemanden totschießen“, erklärt er. Als die wiederkehrenden nächtlichen „Besuche“ überhand nahmen, entschloss er sich 2009, in den Senegal zu gehen. Aber auch hier fand ihn die Geheimpolizei, und so ging es weiter, über Mali nach Libyen, wo die Zustände dann erst recht vollkommen unhaltbar waren.

Also blieb letztendlich nur die Überfahrt auf einem Boot – und die Bergung auf hoher See, die zwar sein Leben rettete, ihn aber dennoch in Verzweiflung stürzte...

Jetzt also hat er Italien hinter sich gelassen. Seit November ist er Deutschland, und er will nicht mehr weiter, weder vor noch zurück. Zurück schon gar nicht. Nicht nach Italien. Niemals. „Lieber sterbe ich“, sagt er leise und blickt dumpf zu Boden. Man kann sich vorstellen, dass vor seinem geistigen Auge alles wieder hochkommt, wenn er nur das Wort Italien hört: die Lebensgefahr, in der sich befand, die Angst vor Verfolgung durch die kriminellen Banden. „Sie haben es auf uns Schwarzafrikaner abgesehen“, sagt er.

Er möchte einfach nur hier bleiben. Hier in Baden-Baden. Farbenfrohe Kleider und Schmuck entwerfen. Selber für seinen Lebensunterhalt aufkommen.




Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer unterstützen ihn nach Kräften. Zuerst wurde ordnungsgemäß bei den Behörden angefragt, wurden Anträge auf Genehmigung einer selbständigen Tätigkeit gestellt.

Letzte Woche bekam er Antwort. Das Regierungspräsidium teilt ihm mit, dass „geduldeten Ausländern“, wie er es derzeit ist, „kraft Gesetz“ die Ausübung eines Gewerbes nicht gestattet ist. Immerhin scheint die Sache noch nicht endgültig verloren, denn man hat ihm eine Frist eingeräumt, sich zu der Angelegenheit zu äußern. 


 

Aber welch eine Achterbahnfahrt der Gefühle nun folgt! Ratlosigkeit. Fassungslosigkeit. Hoffnung. Verzweiflung. Lachen. Schwer zu unterdrückende Tränen. 

Denn fast gleichzeitig mit dem Bescheid des Regierungspräsidium zur Selbständigkeit trudelte ein weiterer Brief ein, den derzeit viele Asylbewerber in Baden-Baden erhalten, und der nichts Gutes verheißt. Er solle Gründe vorbringen, die – sollte er im ZUge von Dublin III nach Italien abgeschoben werden – es rechtfertigen könnten, vor Ablauf einer bestimmten Frist wieder aus Italien einzureisen.

Da ist es wieder, das schlimme Wort: Italien.

Er schüttelt den Kopf, wie um es loszuwerden.

Nein, nicht Italien!

Aber wohin? In der Heimat wartet der Militärdienst, in Italien die Mörderbanden.

Lebend verlasse ich Baden-Baden nicht“, sagt er. „Ich will in Baden-Baden bleiben und arbeiten.“

Ganz unten ist er, verzweifelt.

Oder gibt es doch noch einen Ausweg? Irgendeinen Lichtblick?

Er wendet sich an den Arbeitskreis Asyl, an den dort ehrenamtlich tätigen Rechtsanwalt Michael Hummel. Der prüft und brütet über dem Fall. Lange Gespräche folgen, dann endlich schält sich ein Hoffnungsschimmer heraus. Es geht, wie so oft in der Juristerei, um Fristen, die offenbar abgelaufen sind.

Und nun?

Der Anwalt ist zuversichtlich. Er wird ein Schreiben aufsetzen.



Und Suleiman – strahlt wieder.

Wird sein Traum doch noch wahr? Darf er Kleider entwerfen? Vielleicht sogar irgendwann eine Kunstgewerbe- oder Kunsthochschule besuchen? Er wird es jedenfalls versuchen, und er will beginnen, eine Mappe mit seinen Entwürfen zusammenzustellen.











Eigentlich braucht er einen Mäzen“, beurteilt Rechtsanwalt Hummel den Fall pragmatisch. Am einfachsten wäre Suleiman übrigens geholfen, wenn ihm jemand einen kleinen Raum kostenlos zur Verfügung stellen würde, in dem er an seiner Künstlermappe arbeiten, Kleider nähen und Schmuck herstellen kann....

Man wird ja noch mal träumen dürfen, oder?