Sonntag, 2. August 2015

Hans-Dieter Boos


Menschen in Baden-Baden, heute:

Hans-Dieter Boos


Die Sonne scheint, es ist eine kurze Fahrt durch Feld, Wald und Flur. Dann ist das Ziel auch schon erreicht, und Haueneberstein, der 4000-Seelen-Ort etwas außerhalb des noblen Stadtkerns von Baden-Baden, zeigt sich von seiner schönsten Seite. Alles ist da, was man zum Leben braucht: Apotheke, Bäcker, Metzger, Einzelhandel, gut besuchte Ganztages-Grundschule, Kindergarten, Kirche, eine Halle zum Feiern (ganz wichtig) und, fast noch wichtiger: ein glücklicher Mann, der mit sich, seinem Beruf und seinem Dorf im Reinen ist – Hans-Dieter Boos, hauptamtlicher Ortsvorsteher und rund um die Uhr Ansprechpartner im Dorf für alle Belange des Lebens.




Er sieht sich als Bindeglied zwischen Bürger und Verwaltung; den Beruf des Ortsvorstehers übt er seit genau 20 Jahren nun schon mit wahrer Leidenschaft aus. Überhaupt – das Wort Beruf gefällt ihm eigentlich nicht so gut im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit. Berufung, das ist es, was ihn von morgens bis spätabends, auch an den Wochenenden antreibt. Berufung und die Liebe zu seinen Mitbewohnern und zum Dorf, in dem er nun schon seit 30 Jahren lebt. „Da gehen wir nicht mehr weg“, habe ihm seine Frau vor vielen Jahren einmal ganz spontan auf einem der berühmten Eberbachfeste zugerufen, „und sie hatte wie immer Recht“.

Seitdem gehört Hans-Dieter Boos zum Dorf. Wo etwas los ist, ist er dabei. 41-Stunden Woche? Er winkt ab. Er zählt die Stunden nicht. „Ich habe es mir so ausgesucht, da wird mir nichts zuviel“, erklärt er mit Nachdruck. Auch die Balger können ein Lied von und mit ihm singen, denn er fungiert für seinen Geburtsort ebenfalls als Ansprechpartner – und leiht dem örtlich Chor dort seine Stimme. Freizeit? Eher ein Fremdwort. Ein bisschen Nodic-Walking, ein bisschen Gärtnern – oder besser: Ernten. Immer ist er in Bewegung. Stillsitzen auf einer Bank und Löcher in die Luft starren, das ist so gar nichts seins.

Zurück zu seiner hauptamtlichen Tätigkeit. Wie wird man eigentlich Ortsvorsteher? Formal wird man auf Vorschlag des Ortschaftsrates vom Gemeinderat gewählt, es ist aber kein politisches Mandat, sondern eine so genannte Bestellung. „Ich bin ganz normaler Beamter“, erklärt er.

Beamter. Das hört sich eigentlich nicht nach einem Traumberuf seit Kindesbeinen an. Wie kommt man dazu? Hans-Dieter Boos lacht, weil die Antwort ganz einfach ist: „Mein Onkel war bei den Stadtwerken, als Busfahrer. Und als ich mich nach der Mittleren Reife fragte, was ich werden sollte, sagte er: Junge, geh zur Stadt. Das wäre was für dich!“ Also hat der „Junge“ sich bei der Stadtverwaltung beworben, eine Ausbildung für den mittleren Dienst begonnen und seine Entscheidung nie bereut. „Es macht einfach Spaß, weil ich viel mit Menschen zu tun habe“, sagt er. „Es ist meine berufliche Erfüllung schlechthin, wenn ich Menschen helfen kann.“


Tatkräftige Hilfe
 

Viele Begebenheiten schwirren ihm durch den Kopf, als ich ihn nach besonderen Beispielen frage, eines ist ihm ganz besonders im Gedächtnis geblieben: Ein damaliger Kollege berichtete ihm, seine Mutter habe alle Rentenunterlagen weggeworfen, weil sie nach früherer Rechtslage nicht genügend Anwartschaften hatte. Daraufhin habe er solange recherchiert, bis er sechs Jahre für die Frau zusammen hatte und sie eben doch ein Anrecht auf Rente hatte. „Eines Tages stand sie mit Tränen in den Augen vor mir und hat sich dafür bedankt.“ Unvergesslich sei das für ihn gewesen.

Bewegend findet er es auch immer wieder, wenn langwierige Projekte im Ort viel Geduld brauchen und dann doch irgendwann realisiert werden und er bei ihrer Einweihung dabei sein kann. Eberbachhalle, Kreisverkehr, Stadtbahnhaltestelle fallen ihm spontan dazu ein, und er strahlt dabei übers ganze Gesicht.

Überhaupt scheint er sich in seinem Ort pudelwohl zu fühlen. Warum? Was macht Haueneberstein so besonders? Viele Punkte sprudeln aus ihm heraus: Die intakte Infrastruktur, dass man den Spagat zwischen Gewerbestandort und dörflichem Charakter gut hinbekommen hat, die verkehrstechnisch hervorragende Anbindung – auch den öffentlichen Nahverkehr findet er vollkommen ausreichend, obwohl das manche Halbwüchsige und ihre Eltern deutlich anders sehen. Und dann sind da natürlich noch die Hauenebersteiner selbst, aufgeschlossene, freundliche und hilfsbereite Menschen, die auch gegenüber Neubürgern stets offen sind, so wie er es bisher erfahren hat. Das schlägt sich auch im regen Vereinsleben nieder. 23 Vereine – da finde jeder etwas für seine Neigung, egal ob Schießsport, Fußball, Laufen, Musik, Heimatgeschichte oder Fastnacht... "Die Vereine harmonieren auch untereinander und helfen sich gegenseitig aus", sagt er. Besonders stolz ist der Ortsvorsteher natürlich darauf, dass Haueneberstein der erste Stadtteil ist, in dem komplett alle Vereine als jugendfreundlich zertifiziert sind und das „HaLT“-Siegel bekamen (Hart am Limit). => KLICK


Sorgen in der dörflichen Idylle


Dennoch – auch im idyllischsten Ort spielt der Alkohol immer wieder eine Rolle, besonders bei den einst so beliebten Nachtumzügen in der Faschingszeit. Auch Haueneberstein hat inzwischen die Reißleine ziehen müssen, weder die örtlichen Vereine noch die Polizei bekamen die – zum großen Teil von außerhalb angereisten - Schnapsleichen mehr in den Griff, denn die einst so beliebte und kleine Veranstaltung lief immer mehr aus dem Ruder. Aber Hans-Dieter Boos zwinkert mit den Augen und freut sich trotzdem diebisch: „Inzwischen trifft man sich halt in der Fastnachtszeit unangekündigt, spontan, irgendwo an einem geheimen Ort im Dorf und zieht dann gemeinsam zur Eberbachhalle.“

Allmählich wird mir das fast zu viel mit der Lobhudelei und der rosaroten Brille. „Wenn Sie so weitermachen, ziehe ich ja noch her“, rufe ich spaßeshalber, und er lacht zurück: „Dann hätte ich mein Ziel erreicht.“

Nun, es gibt aber bei aller Idylle doch ein paar Sorgen, die die Ortsverwaltung drücken. Der geplante Standort für ein Asylbewerberheim draußen im Gewerbegebiet treibt einige Anlieger, die zum Teil auch auf ihrem Werksgelände wohnen, zur Weißglut. Sie drohen mit Klage, schreiben Leserbriefe.





Hans-Dieter Boos bleibt dennoch freundlich. Im Ratssaal neben seinem Büro hängen die Pläne, er hat eine andere Sicht auf die Dinge, findet, man habe einen guten Standort gefunden, einen, an dem die Verwaltung das unmittelbare Umfeld selbst mitbestimmen kann, weil das Land ihr gehört. Er findet die Örtlichkeit auch nicht zu weit abseits vom Ort. Einen Supermarkt gibt es in Sichtweite, die nächste Bushaltestelle sei auch fußläufig erreichbar.




Und die Anlieger? Einer von ihnen, René Meyer, bleibt hart. Er ist – wie viele andere – empört, wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird, sagt er mir, als ich ihn vor Ort befrage. Die Verwaltung sei ihnen gegenüber extrem kleinlich gewesen, was die Auslegung von Bauvorschriften anbelangt, und nun setze man sich über alles hinweg, und plane Unterkünfte gleich für 90 Personen, und das ohne echte Infrastruktur auf der grünen Wiese. 




Das wollen die Anlieger bekämpfen, zur Not werden sie gerichtlich vorgehen. Gegen Asylbewerber selbst hätten sie nichts, betonen sie. Gerade Meyer unterstützt die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer wie auch die Aylbewerber selbst immer wieder spontan und großzügig. Es gehe ihnen nur um die Lage am Rand des Gewerbegebiets und um die Ausmaße der Unterkunft, betont er. „Würde wir hier nur über 30 oder 40 Asylbewerber reden, würde niemand etwas sagen“.




Kann es sein, dass hier ein Kommunikationsproblem vorliegt? Hans-Dieter Boos schüttelt den Kopf. Nicht von seiner Seite. „Ich bleibe gesprächsbereit.“ Bereits in der kommenden Woche soll es ein erneutes Treffen mit den Anliegern geben, ganz privat, außerhalb des offiziellen Terminkalenders. Er hofft, nein, er ist überzeugt, dass man doch noch zu einer guten Lösung kommt. "Ich lasse jedenfalls nichts unversucht."

Und Hans-Dieter Boos wäre kein Optimist, wenn er nicht auch Positives sehen würde: Schon 30 Einwohner haben sich bei ihm gemeldet, die sich vor Ort aktiv in der Flüchtlingshilfe engagieren wollen. „Das ist toll“, freut er sich. 





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