Sonntag, 17. Mai 2015

Imogen Nabel



Menschen in Baden-Baden, heute:

Imogen Nabel


Diese Frau weiß, was sie will: Verantwortung übernehmen, zum Beispiel. „Nachdenken, informieren, Meinung bilden, handeln. Nicht alles auf andere schieben oder Verantwortung abgeben“ - so lautet, spröde zusammengefasst, ihre Lebensmaxime.




Beispiel gefällig?

Samstags-Spaziergang mit Gästen durch die Stadt. Vom Markplatz die idyllischen Staffeln hoch zum neuen Schloss. Ui, wie sieht es denn hier aus? Alles voller Müll! „Da habe ich mich vor meinem Besuch richtig geschämt“, gesteht sie.

Und was macht jemand wie Imogen Nabel?

Sie nimmt die Sache in die Hand. Im Netzwerk Facebook postet sie flugs in einer Gruppe:

"... Du am Mittwoch um 18.00 Uhr zum "Fläschmop" "Saubere Schloßstaffeln" kommst. Treffpunkt: am Fuß der Treppe, Marktplatz. Ich poste jetzt keine Müllfotos und hab auch keine Lust, lang rumzunölen, wer da was machen müsste oder lassen sollte, find's nur einfach traurig, dass der Weg zum wunderschönen Aussichtspunkt so aussieht (definitiv KEINE Visitenkarte für unsere schöne Stadt) und zu mehreren ist es sicher schnell gemacht. Also: ich bring nen Besen (Mop) und ein Six-Pack (Fläsch), Müllsäcke, Arbeitshandschuhe ... sollte sich bis dahin wer anders drum gekümmert haben, auch gut, dann nur Fläsch."

Ortstermin. Mittwoch, 18 Uhr.

Wer ist da? – Niemand.

Und der Müll? Ist wie durch Geisterhand verschwunden. Sogar die Kiesel auf den zwei Stufen zur Aussichtsterrasse sind weggefegt. Dies hier ist der kleine Rest, den sie heute noch gefunden hat, nicht der Rede wert:





Imogen Nabel ist zufrieden. „Ich hatte mir schon gedacht, dass das Zeug weg sein würde.“

Und jetzt?

Also kein Mop, sondern nur 'Fläsch'“, sagt sie und versucht ein Lächeln. Vorgesorgt hat sie jedenfalls, eine Kühltasche voller Bierflaschen hat sie angeschleppt. Aber auch auf dem Bier wird sie sitzenbleiben. „Hab ich fast erwartet“, sagt sie, als wir um viertel nach sechs immer noch alleine sind.





Enttäuscht?

Sie zuckt mit den Schultern. „Eigentlich nicht. Ich hab's wenigstens versucht. Man kann entweder nölen oder den Besen in die Hand nehmen. Ich gehöre zur zweiten Kategorie. - Aber ich hätte es lustig gefunden, wenn jemand gekommen wäre.“

Punkt. Fertig. Abgehakt.

Können wir noch ein bisschen reden?

Skepsis. „Über mich gibt es eigentlich nichts zu berichten. Die Aktion ist ja eigentlich gar nichts Besonderes. Kindergärten, Schulen und Vereine machen ja im Grunde viel mehr Dreck weg bei diversen Aktionen.“ Und noch eine Bitte: "Nichts Privates!"

Es gibt auch so genug zu erzählen über diese Frau, deren Leben von ihrem Beruf geprägt wird, für den lebt – fast schon exzessiv, wenn man bedenkt, dass es einmal vier Jahre gab, in denen sie zwei Full-Time-Jobs in zwei verschiedenen Städten parallel ausübte.

Dabei wusste sie – 1961 im Südschwarzwald geboren - nach dem Abitur erst mal gar nicht, was sie studieren sollte – alles hätte ihr damals offen gestanden, bei den exzellenten Noten – aber „das einzige, was ich wusste, war, dass ich NICHT Medizin studieren wollte.“

Schon damals packte sie zu, ergriff Chancen, getrieben von Neugier, Dinge zu lernen, die sie nicht beherrschte. Schreiben faszinierte sie zwar, aber erst mal ging es ganz handfest zur Sache, und fast wäre sie Schreinerin geworden. Dann fiel ihr eine Hospitanz beim damaligen SWF in Baden-Baden zu. Landesschau, eigentlich nur drei Monate. Sie sollte Zeitungen auswerten, Themen finden. Eigentlich. Aber schon nach zwei Wochen war sie mitten drin im „Filme-Machen“ - und das ließ sie bis heute nie mehr los.

Learning by doing, mit Hilfe geduldiger Kollegen, war angesagt. Ein Makel, wie sie fand. Vielleicht hätte sie doch studieren sollen, um eine ordentliche Ausbildung zur Redakteurin machen zu können? Abgeschlossenes Studium war damals Voraussetzung, und aus diesem Grund ging sie doch noch an die Uni. Aber was studieren? Mathematik hätte sie interessiert, aber das ging damals in Freiburg nicht. Also Germanistik und Geschichte und vergleichende Sprachwissenschaft, dann – mit einem Faible für Island - Skandinavistik als Hauptfach, in der Hoffnung, mit diesem Studienzweig vielleicht einmal ins Ausland geschickt zu werden...




Natürlich wurde neben dem Studium weiter gearbeitet, und sie schrieb in der gleichen Zeit, in der sie für das Studium ein Referat ausarbeiten sollte, nebenher noch sieben Drehbücher um. Eine Zerreißprobe für die damals 22jährige.

Irgendwann gab sie auf und entschied sich gegen die Wissenschaft und für die Arbeit. „Wenn ich bis 30 nicht Regisseurin bin, dann mache ich was anderes“, schwor sie sich.

Nun, machen wir es kurz – sie musste nicht mehr umsatteln, auch wenn ihre berufliche Laufbahn natürlich bunt wurde. Telekolleg in Baden-Baden, dann Producerin der bekannten und beliebten Sendung „Löwenzahn“ bei einer freien Produktionsfirma in Berlin. Ein Allroundjob, sagt sie heute rückblickend, und man merkt ihr an, dass er ihr viel Spaß gemacht hat. Nach drei Jahren aber die Verlockung: Regiearbeit fürs Telekolleg in Baden-Baden.


"Baden-Baden ist meine Stadt"
 

Hier verbrachte sie sowieso jedes Wochenende, denn „Baden-Baden ist MEINE Stadt“. Und wie! Die WG, in der sie damals lebte, war umtriebig, hier war immer etwas los, nie gab es ein Abendessen alleine, immer schneite jemand vorbei, immer endeten die Abende mit Freunden irgendwann frühmorgens am dortigen Küchentisch. Deshalb war es keine Frage für sie, den Job anzunehmen. Die Berliner Firma aber stand Kopf. „Ohne dich geht es nicht“, hieß es. Also machte sie beides: Vier Jahre pendelte sie zwischen Berlin und Baden-Baden, machte hier Überstunden, um diese dort im anderen Job „einzuarbeiten“. „Keine Ahnung, wie ich das geschafft habe“, wundert sie sich heute noch, aber sie schaffte es. „Ich neige wohl zu Perfektionismus mit einem Hang zur Selbstausbeutung“, stellt sie trocken fest.

Es folgte ein Angebot beim NDR in Hamburg, das sie nicht abschlagen konnte: Eine Tätigkeit in der Fernsehspiel-Redaktion! Ihr Traum! Zweieinhalb Jahre blieb sie dort, dann spülte das Leben sie für fünf Jahre als Filmproduzentin nach München, anschließend nach Köln, wo sie bis 2007 Fernseh-Serien produzierte. Bis sie sich selbständig machte - und zum ersten Mal in ihrem Leben glückte ihr etwas nicht. Es war ein umwerfendes Projekt für Kinder, das sie mit ihrer eigenen Firma ganz groß hätte machen können, „aber ich war nicht mutig genug und habe mich nicht getraut, es zu machen.“

Auch das muss es geben. So hat sie auch mal verlieren gelernt, nicht unbedingt etwas, über das man gerne redet. Und jetzt, fast am Ende unseres Gespräch, rückt sie mit noch einem zerbrochenen Traum heraus:

Schauspielerin wäre ja sie eigentlich am liebsten geworden. Ihr Traumberuf. Schon ab der ersten Schulklasse stand sie gerne auf der Bühne, litt aber unter unendlichem Lampenfieber. „Das habe ich gehasst – und geliebt und – ach...“ Sie kann sich noch an eine Schulaufführung zum St. Martinstag erinnern. Da habe sie den Bettler mimen sollen – und allergrößten Beifall für ihr „lebensechtes“ Spiel erhalten – dabei war es nur das Lampenfieber gewesen, dass sie so zittern ließ...

Ihre Lehre daraus: Sehr viel später, in Hamburg, der einzigen Zeit, in der sie einen Job mit geregeltem Feierabend hatte, belegte sie einen Schauspielkurs und schloss ihn als Theaterpädagogin ab. „Ich habe alles gemacht vom Clown bis zum Schwertkampf, wollte erfahren, wie das ist, eine Rolle zu erarbeiten.“ Sie fand es heraus, inklusive dem alten, verhassten Bekannten: Lampenfieber. „Der Horror.“ Man müsse schon eine starke Persönlichkeit sein, um das auszuhalten, auch um sich mit den besonderen Menschen in der Schauspieler-Szene zu umgeben. Eine Erfahrung, sie die nicht missen möchte, und die ihr ein Gespür für die Schauspieler geschenkt hat, denen sie als Regisseurin bis dahin eher sorglos Anweisungen erteilt hatte. Nun wisse sie, was es bedeute, wenn man einem Schauspieler, er „alles“ in eine Rolle lege, sage: „Das war ja recht gut, aber nun mach das bitte ganz anders“. 
 



Was bleibt, ist die Bewunderung für Menschen, die wissen, was sie wollen. „Die beneide ich glühend“. Sie stockt und legt nachdenklich nach: „Für mich war leider nie eine einzige Sache so unbedingt wichtig, dass ich dafür alles, wirklich alles gegeben hätte.“ So ging es auch bei ihr, wie bei vielen Journalisten, mehr in die Breite als in die Tiefe.

Es ist vor allem Respekt, den sie gelernt hat. Respekt übrigens ganz besonders auch für Autoren, Roman- wie Drehbuchautoren. Auch hier weiß sie, wo ihre Grenze liegt. Sie schreibe ja immer, ihr ganzes Leben lang, aber nie habe habe sie ein komplettes Drehbuch selber konzipiert und geschrieben. „Nicht meine Welt“, hat sie gelernt, es scheitere schon an der Angst vor der leeren Seite 1. „Aber ich bin ein toller Ghostwriter.“

An die tausend Drehbücher habe sie früher pro Jahr auf den Tisch bekommen, immer habe sie sich Mühe mit ihnen gegeben, denn sie wisse nun mal, wie viel harte Arbeit es bedeute, ein Buch zu schreiben. So habe sie auch den Autoren stets versucht gerecht zu werden. Und aus diesem Grund kümmert sie sich heute als Vorsitzende der „TOP.Talente.org“ => KLICK intensiv um die Ausbildung von Drehbuchautoren.

Seit 2010 ist sie Redakteurin beim SWR Fernsehen im Fachgebiet Bildung und Wissenschaft. Hier ist sie für regionale Zeitgeschichte zuständig und – glücklich, wieder in Baden-Baden zu sein. Sie fühlt sich angekommen. Obwohl sie lange weg gewesen war, ist alles vertraut geblieben, hier ist ihr Zuhause, hier leben ihre Freunde.


Gesellschaftliche Verantwortung
 

Und hier übernimmt sie nun auch gesellschaftlich Verantwortung: Seit April ist sie im Vorstand der Gesellschaft der Freunde Junger Kunst (hier geht es zur Webseite des Vereins => KLICK), und arbeitet im Augenblick intensiv an den Vorbereitungen zum 60jährigen Bestehen mit, das im Juli groß gefeiert werden soll.

Auch kommunalpolitisch versucht sie etwas zu bewegen, kandidierte im vergangenen Jahr für den Stadtrat – im Lager der "Freien Bürger Baden-Baden".

Die sorgen ja als "enfants terribles" für viel Wirbel in der Stadt...

„Bei denen ist nichts festgefahren“, erklärt die einstige SPDlerin. „Hier kann ich neue Ideen einbringen – und wenn es Ärger gibt, ist das doch ein Zeichen, dass sich etwas bewegt.“ Sie hat festgestellt, dass sie im Kommunalen lieber in einer losen Wählergemeinschaft arbeitet als in einer fest strukturierten Partei, deren große politischen Ziele sie dann eben irgendwann nicht mehr ganz teilen kann. Und halbe Sachen liegen ihr ja nicht.

Zum Einzug in den Stadtrat hat es nicht gereicht, aber sie engagiert sich trotzdem weiterhin in der Wählervereinigung.

Warum?

Das Gebiet Schule/Kultur/Soziales ist ihr wichtig, sagt sie. Und „da bin ich in einer Gruppe einfach mehr als wäre ich nur alleine.“

Gibt es etwas, was sie in ihrem Leben bereut? Anders gemacht hätte?

Nein. Nichts. „Ich habe viele unangenehme Dinge erlebt“, gibt sie unumwunden zu, und manchmal habe sie es nicht mehr hören können, wenn jemand ihr mit den Worten „Wer weiß, wofür das gut ist“, zureden wollte. Aber etwas anders machen? Nein. Nichts. Oder vielmehr ... fast nichts. Wie es kam und sich fügte, war doch alles so weit gut in ihrem Leben – nun ja, bis auf das verflixte 29. Lebensjahr.

Was war daran so schlimm?

Sie verdreht die Augen. „Entropie“, raunt sie mir zu. (Ehe ich das jetzt erkläre, verweise ich auf Wikipedia => KLICK) Mit anderen Worten: „Das 29. Lebensjahr war … langweilig. Ohne Höhen und Tiefen. Alles war in einem entropischen Ausgleichszustand.“ Sie schüttelt sich.

Nun, diesem Zustand ist sie dann ja zum Glück bald wieder entronnen.

Gibt es überhaupt Freizeit für sie? Ein Hobby?

Das hört sich bei Imogen Nabel so an: „Wenn ich Zeit habe, dann nehme ich gerne Dinge in Angriff, die ich vorher noch nie gemacht habe.“

Das Klavierspiel ist gerade ihre „heimliche Leidenschaft“, sie hat es kürzlich erst mit Hilfe eines sehr guten Lehrers wieder in Angriff genommen. Aber „Spiel“ ist ein Wort, das nicht gut zu Imogen Nabel passt. „Ich bin gerade dabei, mir die Mondscheinsonate zu erarbeiten“, sagt sie, und so klingt es weitaus authentischer.

So ähnlich hört es sich auch an, wenn sie von weiteren künstlerischen Ambitionen in der Vergangenheit redet, zum Beispiel vom Versuch, Opernarien einzustudieren, oder von ihrem Ausflug in den Stepptanz, der für sie zu einer echten Herausforderung geriet. Da habe sie wahrscheinlich zu viel gedacht. Ein Manko, das sie zwischen den einzelnen Stunden zwar mit viel Fleiß ausglich, was in der nächsten Stunde aber gleich mit der nächsten Schrittfolge erneut torpediert wurde...

Ein bisschen Unzufriedenheit klingt nun aber bei dieser Rückschau doch durch: Es gebe leider nichts, für das sie so richtig brenne, dass sie es um JEDEN Preis tun oder versuchen würde. Dazu fehle ihr das Feuer, die Leidenschaft. Sie bedauert das. Glühend beneide sie ihr Leben lang Menschen, die genau wüssten, wohin sie wollten.

Es bleibt der Trost mit einem Zitat von William Shapespeare: „Wenn man nicht weiß, wohin man will, so kommt man am weitesten.“





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