Sonntag, 1. März 2015

Silke Wiskandt


Menschen in Baden-Baden, heute:
Silke Wiskandt


Sie ist das, was man landläufig eine gestandene Geschäftsfrau nennt. Seit neun Jahren betreibt Silke Wiskandt ihren kleinen Spielwarenladen „Bär und mehr - Kinderträume“ am Leopoldsplatz, aber sie ist alles andere als eine Träumerin. Obwohl sie seit Monaten von Alpträumen geplagt wird, denn wie ein Damoklesschwert schwebt der geplante Umbau des Leopoldsplatzes über ihr und ihrem Lebenstraum. Diese Baustelle ist eine Bedrohung für alle Einzelhändler, die rund um den Platz angesiedelt sind. Mit 30 bis 50 Prozent Einbußen ist während der Bauphase zu rechnen, haben sie über den Einzelhandelsverband recherchiert, Verluste, die keiner von ihnen angesichts einer geplanten Bauzeit von zwei Jahren unbeschadet verkraften kann.





Doch Silke Wiskandt gibt ihren Lebenstraum – und das ist ihr Laden für sie – nicht kampflos auf. Sie hat sich deshalb im Frühjahr 2014 mit 35 anderen betroffenen Geschäftsleuten zu einer "Leopolds-Initiative" zusammengetan und in der Zwischenzeit einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, den die Initiative im März der Stadt übergeben will. Die Forderungen:

- Planungssicherheit

Wir müssen planen können“, ist die oberste Maxime, sagt Silke Wiskandt. Es wäre daher sehr hilfreich und überaus notwendig, wenn das Bauamt ein Jahr im voraus verlässliche Terminaussagen über Beginn und Ende der Maßnahme ausgibt.

Warum?

"Im Einzelhandel brauchen wir ein Jahr Vorlauf, um Waren zu bestellen beziehungsweise dann eben nicht mehr zu bestellen. Wir müssen uns Sparmaßnahmen bis hin zur Reduzierung unseres Personal überlegen und terminieren und wir müssen unseren Warenbestand reduzieren“, sagt die Fachfrau. So traue sie sich persönlich im Hinblick auf die Baumaßnahme im Augenblick nicht, einen neuen Auszubildenden zu nehmen, weil sie nicht wisse, ob sie ihn für die gesamte Lehrzeit werde beschäftigen können.
 
Und dann ist da noch das Problem mit der Ware. Wieviel und wann ordern?
Ich bekomme zum Beispiel bereits jetzt meine Ware für den Sommer“, erklärt Wiskandt. In der Bekleidungsbranche wird noch länger vorgeplant, da müsse ein Dreivierteljahr vorher geordert werden.

Und wer im Augenblick ein großes Warenlager habe, müsse rechtzeitig beginnen, dieses zu reduzieren, damit es zum Zeitpunkt des Baustarts und des reduzierten Verkaufs nicht obendrein noch überquillt und dann veraltet ist, wenn sich die Zeiten und Zahlen wieder beruhigen.




Touristen gehen freiwillig nicht durch eine Baustelle, die suchen sich immer einen Weg drumherum“, sagt Wiskandt und verweist auf Studien des Einzelhandelsverbands Südbaden, der die Leopolds-Initiative mit Rat und Tat unterstützt.

- Baustellenzaun

Gute Erfahrung hat man seitens des Verbandes beispielsweise in Freiburg bei einer ähnlichen Baumaßnahme mit einem bebilderten Baustellenzaun gemacht: Auf ihm habe man im Verhältnis 1 : 1 Fotos der dahinterliegenden, versteckten  Schaufenster angebracht, um so auf die beeinträchtigten Geschäfte aufmerksam zu machen. „Trotzdem hatten die Einbußen von 30 Prozent“, seufzt Silke Wiskandt besorgt. Aber jammern hilft ja nicht, das weiß sie. "Wir müssen jede Chance ergreifen, um während der Baumaßnahme wahrgenommen zu werden.“

- Baustellen-Dorf

Deshalb gibt es auch einen sehr konkreten und originellen Vorschlag an die Stadt: Man möchte in den Kolonnaden, wie beim Weihnachtsmarkt, Verkaufsbuden der betroffenen Geschäfte aufstellen und Touristen und Kunden mit speziellen Events herbeilocken. 

- Werbung und Bonuskarten

Flyer in den Hotels mit Hinweisen auf die betroffenen Geschäfte, eventuell mit Bonusangeboten seitens der Stadt können sich die Mitglieder der Initiative ebenfalls vorstellen. 

- Entschädigungsfonds

Aber trotz allem sehen die Geschäftsleute keinen anderen Weg, als zusätzlich einen Entschädigungsfonds zu fordern, mit dem die Kosten für den Erhalt der Läden aufgefangen werden.

Wenn man Rohre und Leitungen für Strom, Wasser und Telekom erneuert, muss bis zur Tür aufgerissen werden, das wird für eine gewisse Zeit wirklich extrem für uns. Wir müssen eine Möglichkeit bekommen, uns über Wasser zu halten“, sagt Wiskandt. Sie persönlich hofft auf die Kulanz ihres Vermieters, vom dem sie sich einen Mietnachlass wünscht. Andere Kollegen können das von privaten Vermietern aber nur schlecht fordern.

Ich muss schließen, wenn ich ins Minus rutsche“, sorgt sich Silke Wiskandt. Sie habe in den neun Jahren, in denen sie ihr Geschäft in Baden-Baden führt, schon allein wegen der Auswirkungen der Wirtschaftskrise keine Rücklagen bilden können, zumal sie inzwischen ihren Warenbestand vervierfacht hat, also alles, was sie verdiente, in den Laden gesteckt hat.

"Ich bin bald 53, es würde mir in der Seele weh tun, wenn ich die Reißleine ziehen müsste. Schließlich ist der Laden mein Lebenswerk“, sagt sie. Sie klingt kämpferisch, nicht verzagt. "Wir wollen nicht auf Konfrontation mit der Stadt gehen, aber die Stadt muss uns helfen", sagt sie schlicht.





Schließlich ist der Laden ihr großer Kindheitstraum, den sie sich hart erkämpft und auf schweren Umwegen verwirklicht hat.

Schon als kleines Mädchen ging sie voll in der Welt der Puppen und Teddys auf, aber ihre Spiel-Flausen trieben ihr die Eltern energisch aus. Etwas Seriöses sollte aus der Tochter werden, und die folgte zunächst brav: Ausbildung beim Finanzamt, dann zur Bürokauffrau – aber das war so gar nichts für die tatendurstige „rheinische Frohnatur“ aus Düsseldorf. Irgendwann nahm sie ihr Leben selbst in die Hand, und entsprechend bunt wurde es dann: Psychologiestudium, Auftritt an der Börse, Leitung von Antikmärkten...

Und doch kam alles anders. Denn da war ja noch das Herz, und das schlug seit ihrem 14. Lebensjahr nur für „den einen“ – den sie zehn Jahre später heiratete und mit dem sie schon bald vier Kinder hatte. Das war es dann erst mal mit dem Traum von der Selbständigkeit. Aber tatkräftig, wie es ihre Natur ist, unterstützte sie den Kinderarzt in der Praxis, wo und wie sie nur konnte. Schon bald war der praktische Rat der resoluten jungen Mutter bei den Patienten heiß begehrt, und so weitete sich ihr Aufgabenfeld beständig aus: Babykurse, Krabbelgruppen, Erste-Hilfe-Kurse am Kind, Vorträge – kurz, neben und mit der Kinderarztpraxis entstand ein gut besuchtes kleines Kinderzentrum. Inklusive einer Ausstellung von sicherem zertifiziertem Holzspielzeug zur Vorweihnachtszeit. Die war so erfolgreich, dass die Weihnachts- zur Dauerausstellung wurde und sich weiter zum kleinen Laden neben der Praxis entwickelte. So hätte es weitergehen können.

Aber das Glück ist launisch, und irgendwann standen die Weichen auf Wechsel. Anfang 2006 verkaufte sie ihren kleinen Großstadtladen – und zog … nach Baden-Baden.



Warum ausgerechnet Baden-Baden?

Lebhaft wedelt sie mit den Händen, und ihr Gesicht leuchtet. Der Schwarzwald war ihr durch viele Ferien ein Begriff gewesen, außerdem hatte sie Freunde im Murgtal. Und dann gab es - wie so oft bei den Zugezogenen - diesen einen, einzigen magischen Moment: Silke Wiskandt weiß noch genau, wie sie eines Tages in Baden-Baden in einem Café saß. Es war ein verkaufsoffener Sonntag, die Sonne schien... Den Rest kann sich wohl jeder Baden-Badener vorstellen: Das Herz ging ihr auf und sie stellte fest: „Es ist einfach nur schön hier.“ Und praktisch, wie sie ist, lag die nächste Frage gleich auf der Hand: „Gibt es hier eigentlich einen Spielwarenladen?“

Wenn jemand wie Silke Wiskandt solch eine Frage stellt, kann es nur eines bedeuten. Und richtig! Kein halbes Jahr später hatte sie „ihren“ Laden gefunden, alle Anschubschwierigkeiten waren aus dem Weg geräumt.

Dann: Der erste Tag!

Wie war der? Erinnert sie sich noch daran?

Silke Wiskandt lacht schallend: „Und ob! Ein riesiger Hundehaufen lag vor der Tür.“ Aber das soll ja Glück bringen, redete sie sich ein. Und so klappte alles tatsächlich wunderbar, nicht zuletzt auch deswegen, weil sie sich gründlich vorbereitet hatte. Sie hatte sogar das Ehepaar Sassie, das bis zum Ruhestand jahrelang „DAS“ Spielwarengeschäft in Baden-Baden betrieben hatte, über die Marktchancen ausgequetscht. „Lassen Sie die Finger von Modelleisenbahnen“, hatte sie als guten Rat mitbekommen und hat dies auch bis heute beherzigt.




Das (etwas) andere Sortiment gegen den Trend der "Billigheimer" vor den Toren der Stadt rüttelte sich im Laufe der Zeit und der Erfahrung zusammen. Besonders hilfreich hat es sich erwiesen, Postkartenstände vor dem winzigen Laden zu postieren. Die ziehen Laufkundschaft an, oft stolpern die Touristen direkt aus dem Bus in ihren Laden, und das ist schlicht überlebenswichtig: „80 Prozent meiner Kunden sind Touristen“, sagt Wiskandt. Dazu rechnet sie auch Kongressteilnehmer und internationales Stammpublikum.



Die restlichen 20 Prozent ihrer Kundschaft sind Einheimische, in der Hauptsache Großeltern, während junge Eltern häufig dem Vorurteil unterliegen, Geschäfte in der Innenstadt  seien unerschwinglich. Dabei könnte Wiskandt auch die anspruchsvollsten Eltern mit zertifiziertem und ökologisch wertvollen und nachhaltigen Spielwaren zufriedenstellen.

Spielt eine Spielwarenladenbesitzerin privat eigentlich auch? Was für eine Frage an eine vierfache Mutter! Siedler von Catan, verrät sie mir, sei das Lieblingsspiel der Familie, in allen Variationen.

Gesellschaftsspiele hat sie allerdings in ihrem Sortiment rigoros reduziert. Die können große Ketten konkurrenzlos billiger anbieten. Aber das Liebste in ihrem Sortiment sind ihr nach wie vor - neben den Teddybären, zu denen wir später noch kommen werden - die Puppen. Silke Wiskandt bestellt sie aus aller Herren Länder, denn je nach Kultur unterscheiden sich die Gesichter sehr voneinander. Spanische Puppen sind im Augenblick zum Beispiel der Hit. Und noch eine unvermutete Eigenart hat die Chefin herausgefunden: Je nach Herkunftsland riechen die Puppen anders. Die aus Spanien zum Beispiel tragen einen Hauch von Vanille, deutsche hingegen riechen „so wie in meiner Kindheit“, anders kann sie es nicht beschreiben. Auf diese Weise kann sie ihre Puppen mit geschlossenen Augen unterscheiden, und gäbe es „Wetten, dass...“ noch, hätte sie die Wette bestimmt gewonnen.

Aber die Vielzahl der Puppen kann einen potenziellen Käufer auch ziemlich verunsichern. Soll er nun die nehmen, oder doch lieber die? Und wie heißen die Negerpuppen von einst eigentlich heutzutage politisch korrekt? "Puppe mit Migrationshintergrund?" Es gibt sie gottlob noch, immerhin!




Also, Frau Wiskandt, was raten Sie denn nun einer Kundin, die ihrer Enkelin eine Puppe kaufen will?

Nehmen Sie die, in die Sie sich auf den ersten Blick verlieben. Das muss ein Bauchgeschenk sein.“

Ihre eigene Vorliebe indes liegt, wie der Name des Ladens schon sagt, mehr auf den Bären.

So an die Hundert hat sie in ihrer privaten Sammlung daheim, gesteht sie. Und es werden alljährlich mehr: Heiligabend zum Beispiel. Schon in der Adventszeit suche sie sich insgeheim ihren "Liebling des Jahres" aus, und dann hoffe und zittere sie, dass ihn ihr niemand wegschnappt. Natürlich könnte sie ihn sich einfach nehmen, aber ein bisschen Nervenkitzel und Ritual und Magie muss sein! An Heiligabend schließt sie dann nach all der Hektik des Weihnachtsgeschäfts in aller Ruhe den Laden ab, hält ein paar Minuten zum Verschnaufen inne, und dann begibt sie auf die Suche nach „ihrem“ Teddy. Der wird dann ganz ehrlich gekauft, mitgenommen und unter den Weihnachtsbaum gesetzt.

Und was macht eine Geschäftsfrau, wenn sie mal nicht ans Geschäft denken will? 

"Tanzen!", kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. Und damit meint jemand wie Silke Wiskandt natürlich nicht wildes Herumgehopse, sondern ambitionierten, geordneten Tanzsport: Wiener Walzer, um genau zu sein, in einer festen Formation des Tanzsportclubs. "Beim Tanzen kann ich alles vergessen, a.l.l.e.s.", sagt sie, wenngleich es im Augenblick auch auf diesem Gebiet nicht unbedingt rund läuft: Ihr Tanzpartner hat gesundheitsbedingt eine längere Trainingspause gehabt, und nun gilt es, den Rückstand aufzuholen, denn beim Pfingsttanzturnier im Kurhaus wollen sie unbedingt dabei sein. Sie werden es schaffen, wetten dass...?
 



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