Sonntag, 22. Februar 2015

Georg von Langsdorff


Menschen in Baden-Baden, heute:
Georg von Langsdorff





"Ein Mann kommt von oben", hätte ich - frei nach Fallada - für meinen heutigen Interviewpartner gern getitelt. Oder - ebenfalls frei nach Fallada - "Großer Mann - was nun?"

Denn Georg von Langsdorff, der Mann, um den es heute geht, ist in seinem Leben weit gereist und hat es weit gebracht. Er war ein richtiger "Macher" in der internationalen Filmbranche. Und nun, mit 61, hat er alles verkauft und ist aus der großen weiten Welt nach Baden-Baden zurückgekehrt. Von Tempo 280 runter auf gefühlt nahe Null.

Fällt einem da nicht die Decke auf den Kopf? Genießt man es wirklich, jetzt Zeit für Spaziergänge mit dem Hund zu haben? Oder brodelt es im Innern? Braut sich da etwas zusammen, das demnächst unsere kleine Stadt auf den Kopf stellen wird?

Fragen, die er erst mal gar nicht hören will.

Ach, eigentlich will er auch nicht, dass etwas über ihn geschrieben wird. Man kann im Internet recherchieren wie man will - viel findet man tatsächlich nicht viel über ihn. Und Fotos - nein bitte! Wenn schon, dann nur welche aus dem eigenen Fundus. 

Nun gut, wir können auf einen Kompromiss einigen.

Irgendwie passt "sein" Foto (oben) auch gut zu seinem Leben.

Genauso wie dieses hier:




Obwohl er ja nie beruflich mit der Kamera direkt zu tun hatte, sondern immer mit den Menschen davor und dahinter und - vor allen - mit deren Produkten.

Aber beginnen wir von vorn, bei den Wurzeln, in Baden-Baden. Hier wuchs er auf, hier verdiente er sich erste Sporen als Volontär beim Badischen Tagblatt, dann wechselte er - immer als freier Journalist - zum damaligen Südwestfunk, später nach München zum Bayerischen Rundfunk/Schulfunk. Dann Anfang der 80er Jahre: Jamaika! Das einfache Leben, unbeschwert, locker, die Erkenntnis, dass man nicht viel Materielles braucht, um glücklich zu sein.

Warum gerade diese Karibikinsel?

Langsdorff zuckt mit den Schultern. "Es war die große Zeit des Reggae, das hat mir gefallen." Frei und erst mal ungebunden verlängerte er den sechswöchigen Urlaub auf drei Jahre. "Eine gute Zeit", stellt er fest und wirft mir einen vielsagenden Seitenblick zu. Das Leuchten, das in seinen Augen aufblitzt, spricht Bände. Das einfache Leben sagte ihm zu: Auto, ein paar Klappstühle und 200 Langspielplatten, viel mehr brauchte er damals nicht. Zwanzig Stunden am Tag brachte der Radiosender, für den er arbeitete, Reggae. Kneipe - Live-Konzerte - tolle Zeit, murmelt er noch, dann schweigt der Gentleman genüsslich. - Bevor ihn der Schalk doch noch einholt: "Kürzlich hat mir jemand gesagt, dass die in meiner ehemaligen Kneipe immer noch "mein" Salatdressing anrühren", fällt ihm ein, und er lacht humorvoll. "Sage nochmal jemand, man würde keine Spuren hinterlassen. Und wenn es nur die Spur des Salatdressings ist."

Die Spuren im Lebenssand vertieften sich nach seiner Rückkehr nach München. Öffentlich-rechtliches Radio war nicht mehr so sein Ding, und so heuerte er als freier Redakteur bei Radio M1 an. Im Mief von Kettenrauchern und Kaffee wurde Rock 'n' roll gespielt, was das Zeug hielt - beziehungsweise solange der Sendemast hielt. Der sei eines Tages in den Alpen von einem Saboteur gesprengt worden, schildert von Langsdorff. Wie auch immer - es wurde daraufhin eine Kabelfrequenz eingekauft, und so ging es weiter mit M1, wenn auch mit einem großen Unterschied: Langsdorff grinst. "Ich glaube, wir kannten in dieser Phase jeden unserer Hörer persönlich." Die Frage der Wirtschaftlichkeit stellte sich irgendwann, Geldgeber stiegen ein, und damit begann sich das berufliche Blatt auch für ihn zu wenden - weg vom Hören sind zum Sehen.

Kino, Kino

Denn zu diesem Zeitpunkt hatte sich von Langsdorff längst einen Namen als anerkannter Filmkritiker gemacht. Der nächste Schritt lag auf der Hand. Zusammen mit Maria-Theresa von Seidlein gründete er die S&L Medienproduktion GmbH. Das Produzieren von "The making of" war ihre Spezialität, und die Blöcke wurde von mehreren freien TV-Sendern in 30 minütigen Sendungen zum Kinostart der jeweiligen Filme ausgestrahlt. Reportagen von den Filmfestivals in Cannes, Deauville und Venedig folgten. „Ich war auf jedem großen Set, der irgendwo auf der Welt gedreht wurde und habe alle wichtigen Leute getroffen.“ Wer kann das schon von sich sagen!

Irgendwann entwickelte sich die Idee weiter, S&L Medianetworx GmbH wurde gegründet, eine Presseagentur für Hollywoodfilme. Interviewpartner für Presseinterviews wurden vermittelt und gecoacht, Kino-Marketing vom Feinsten betrieben. Und weiter ging es mit dem Kauf des zweitgrößten Kinomagazins... Bilder vom Set, Fotos von den Stars, Filmausschnitte, Clips, Marktforschung... Die Spirale drehte sich immer weiter nach oben, aber auch ein Flop war zu verkraften: Kino-online-Ticketing. "Das hatten wir uns wohl zu leicht vorgestellt", gesteht von Langsdorff rückblickend.

Kino indes beherrschte sein Leben. Drei Filme sah er sich durchschnittlich an - pro Tag. Wie lange kann man diesen Stress verkraften? Für ihn persönlich war nach zwanzig Jahren Schluss. "Das Filmgeschäft frisst dich auf. Klar, ich habe alles erreicht, was möglich war. Da fühlst du dich gehetzt und wichtig. Wichtig! - Alles Blödsinn! Irgendwann fragst du dich: Was tue ich mir da an?"

Und da tat er das einzig Richtige: Verkaufte die Anteile seiner Firma und zog sich zurück. Nicht nach Los Angeles oder in die Keys in Florida, sondern schlicht zurück zu den Wurzeln, nach Baden-Baden. Nun ja, ganz freiwillig war die Ortswahl nicht, familiäre Gründe gaben den Ausschlag. Inzwischen fühlt er sich pudelwohl hier. "Ich habe Baden-Baden immer geliebt und hatte eine großartige Jugend hier." Kein Wunder, nahm ihn doch sein Großvater als Mitglied des Internationalen Clubs schon früh überall hin mit, wo etwas geboten war.

Und jetzt?

Er grinst. Klar musste er erst einmal runterkommen. "Anfangs dachte ich jeden Morgen: Du musst was machen!" Heute ist er gelassener geworden, hält inne, überlegt, wo er sich engagieren könnte. Ein paar sinnvolle und weniger sinnvolle Dinge sind bis heute dabei herausgekommen. "Ich habe eine lange Zeit gebraucht, um mich wieder selbst zu fühlen."

Heute genießt er das stille Leben mit Frau und Hund. Lange Spaziergänge durch den Schwarzwald. Kochen, seine große Leidenschaft. (Dass er übrigens auch an einer Rinderherde in Bayern beteiligt ist, entlockt ihm eher ein Schmunzeln, denn das Fleisch der glücklichen Kühe kann der passionierte Koch leider nicht selbst verbrauchen: „So große Tiefkühltruhen habe ich nicht.“)

Ein bisschen untypisch für so einen Macher!






Ein skeptischer Seitenblick, als überlegte er, ob er das Folgende nun wirklich preisgeben soll, dann erfahre ich doch noch etwas: Zum Beispiel, dass er sich zweimal im Monat im Tafelladen engagiert, weil er etwas "tun" will statt einfach nur Geld zu spenden. Dass er über der Idee eines ultimativen Drehbuchs brütet. Und dass er darüber nachdenkt, wie man die Außenwirkung Baden-Badens verbessern könnte.
 
Und schon ist er wieder da, der Funke der Leidenschaft: Immer noch würden munter alte Klischees bedient, das sei doch bedauerlich, klagt er. Nach 35jähriger Abwesenheit  empfindet er, dass seine Heimatstadt jünger geworden ist, dynamischer und auch offener. Dies und auch die wahre Schönheit des Umlandes werde aber leider in der Außenwirkung immer noch weitgehend ignoriert. Hier Ideen zu formulieren, wie man die Natur, den Nationalpark, die Pferderennen, das Casino und Turgenev unter einen bunten, trendigen Hut bringen und daraus einen „USP“, also einen unique selling point, ein Alleinstellungsmerkmal, bauen könnnte, das fehle der Stadt. "Von außen betrachtet, sehe ich als Deutscher wenig Gründe, nach Baden-Baden zu fahren und hier länger zu verweilen." Das hört sich doch schon nach mehr als nach reinem Lokalpatriotismus an!

Und das Filmgeschäft? Fehlt ihm das kein bisschen?


Ganz klare Anwort: "Überhaupt nicht!" Im Gegenteil. Er hat kaum noch Kontakt zu den alten Bekannten, macht einen großen Bogen ums Kino, ihm reicht ja oft schon ein Blick auf einen Trailer, um anhand der Schnittfolge und der Auswahl der Gags die Qualität eines Films beurteilen zu können. Ein wenig Übersättigung spricht aus seinen Worten, obwohl „ich inzwischen Licht am Ende des Tunnels sehe und hoffe, dass es kein Zug ist". Immerhin ist er jüngst Mitglied im Filmclub Baden-Baden geworden.


Aber so ganz hat ihn die große Kinoleidenschaft noch nicht wieder gepackt: Beim ersten Filmabend des Clubs war er zwar während der allgemeinen Begrüßungsrunde dabei, stahl sich dann aber doch davon, als es dunkel wurde und der Film anlief...




Aktualisierung Ende September 2016:

Tja....  

Wie das so ist mit Leidenschaften - man kann sich noch so sehr gegen sie wehren, sie finden doch immer wieder ihren Weg zurück direkt ins Herz! So geht es auch einem Georg von Langsdorff. Was sagte er im Februar 2015, als die oben aufgeschriebene Geschichte entstand? Das Filmgeschäft fehle ihm kein bisschen? Getäuscht, lieber Freund! Inzwischen ist er aus der Video-Szene  Baden-Badens nicht mehr wegzudenken, sie hat ihn wieder voll am Schopfe, die Film-Leidenschaft. Erst erfreute er das Bündnis "Baden-Baden ist bunt" mit seinen Künsten und drehte einen wunderbaren Clip über die internationale Suppenparten im September 2015 

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jetzt ist er fast täglich mit der Video-Kamera in der Stadt unterwegs, um den neuen Internet-Blog "Mercurius" mit kunterbunten, höchst informativen und bewegten und bewegenden Geschichten zu füttern.





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