Menschen in Baden-Baden, heute:
Peter Schneider
Oldtimer-Meeting in Baden-Baden. Das
Kurviertel ist abgesperrt, Chrom und Lack blitzen, Öl tropft
(hoffentlich nicht) auf den „heiligen“ Rasen, ein Zweitakter
heult auf, Champagnerkorken ploppen sanft, Stimmengemurmel an den
gedeckten Tischen unter schattigen Bäumen, leises Gelächter,
kritische Blicke gen Himmel, wo sich schwarze Wolken auftürmen.
Man
ist gern unter sich, trifft sich nun schon zum 38. Mal in
romantischer, eleganter vor dem schönsten Spielcasino der Welt.
Manche der Teilnehmer tragen zum „Schätzchen“ das zeitlich
passende, elegante Outfit, andere lungern im T-Shirt auf
Campingstühlchen herum und sind für jeden Spaß zu haben. Die einen
sind der alten Welt entsprungen, die anderen mit beiden Beinen auf
der Erde. Die einen haben sich mit ihrem vornehmen Mercedes-Benz,
Jaguar, Cadillac, Borgward oder Rolls-Royce hinter Schildern
verschanzt
die anderen heben kleine Kinder ins
Wageninnere und freuen sich an deren leuchtenden Augen.
So einer ist Peter Schneider, mein
heutiger Interviewpartner. Ich bin durch Zufall über ihn gestolpert,
nachdem ich zähneknirschend die happigen 10 Euro Tageseintritt
berappt habe auf der Suche nach einem „normalen“ Baden-Badener,
der vom Oldtimer-Virus infiziert ist. Gleich der zweite Wagen nach
der Kasse ist Schneiders „Cremeschnittchen“, ein Renault R 1062,
Baujahr 1956.
Dahinter der Besitzer mit offenem
Lächeln und interessierten Augen. Während es hinter den schwarzen
Wolkentürmen grummelt, haben wir uns in Nullkommanichts verabredet.
Er fragt nicht lange, kramt nach seiner Visitenkarte, schreibt sich
auf, wann ich zu ihm nach Hause kommen möchte. Vor lauter
Begeisterung über meinen „Menschenfund“ vergesse ich doch glatt,
ein zweites oder drittes Mal auf die neue Kamera zu drücken. Sie
macht angeblich gute Aufnahmen, aber müssen uns noch aneinander
gewöhnen.
Schneider folgt meinem Blick, der über
den pastellfarbenen Hüpfer gleitet. „Zuhause habe ich noch was
viel Besseres“, verrät er mir. „Einen Heinkel Kabinenroller,
eine Weltsensation.“ Erwartungsvoll sieht er mich an, doch ich muss
ihn enttäuschen. Vor meinem geistigen Auge erscheint zwar beim Wort
Kabinenroller ein Knutschkugel mit Fronteinstieg, aber zu
Fachsimpelei reicht es nicht.
Warum auch. Mich interessiert viel eher
der Mensch, der dahinter steckt, seine Beweggründe, Zeit und Geld in
alte Autos zu stecken und diese dann jedes Jahr ein Wochenende lang,
auf Hochglanz poliert, zu Schau zu stellen. Sind das hoffnungslose
Romantiker? Technikfreaks? „Schrauber“ aus Leidenschaft?
Verrückte Sammler?
Drei Tage später sehen wir uns wieder.
Nichts deutet in der stillen Siedlung von Haueneberstein darauf hin,
dass hier irgendwo edle „Schätzchen“ versteckt sind. Eine dicke
Katze schreitet majestätisch über den Weg, mein Gastgeber öffnet
die Tür, bevor ich klingeln kann, tiefenentspannt, wie beim ersten
Treffen.
„Ich bin der Peter“, empfängt er
mich lässig.
Er hat sich auf meinen Besuch
vorbereitet. Auf dem Esstisch liegt eine lange handschriftlich
verfasste Liste. „Hobbys“ steht oben drauf. Viel werden wir davon
an diesem Tag nicht abarbeiten, zu spannend sind die Geschichten, in
die wir uns vertiefen.
Wie kommt man also als ehemaliger
Grafiker auf die Idee, sich mit Oldtimern zu beschäftigen?
Über einen Freund, der einen alten
Mercedes besaß und ihn des öfteren zu Ausstellungen in Ladenburg
mitnahm. Schnell wuchs der Wunsch nach einem eigenen alten Automobil,
aber ein Mercedes war bei dem Gehalt natürlich nicht drin.
Kassensturz. Fünftausend D-Mark gab
das Budget schließlich her, und Peter Schneider machte sich sofort
auf die Suche. Ein Messerschmidt Kabinenroller sollte es sein! Es
dauerte nicht lange, da fuhr ihm in Rastatt ein solcher roter Wagen
über den Weg. Und der Besitzer, ein älterer Herr, trug sich
tatsächlich mit dem Gedanken, das Prachtstück zu verkaufen.
Regelmäßig alle vier Wochen fasste Schneider nach, bis er dann
eines Tages doch den kürzeren zog: ein Autohaus war ihm
zuvorgekommen.
Die Enttäuschung war groß, aber der
Ehrgeiz geweckt. Über ein einschlägiges Magazin weitete er die
Suche aus. Die nächste Chance bot sich in Linz, wieder stand es auf
der Kippe. „Der Verkäufer sagte am Telefon, es gebe noch einen
anderen Interessenten aus der Schweiz. Wer zuerst bei ihm vor der Tür
stünde, dem würde er das Fahrzeug geben.“ Diesmal wollte Peter
Schneider gewinnen! Noch in der Nacht um drei Uhr machte er sich mit
einem Freund auf den Weg - und schaffte es eine halbe Stunde vor dem
Schweizer.
Und dann? Musste das Schätzchen
hergerichtet werden. „Ich habe mir ein Werkstatt-Handbuch besorgt
und habe zum Glück handwerklich keine zwei linke Hände.“ Was noch
hinzukam, war – wieder einmal – Freundschaft. Jean-Marc Culas,
damals noch Chef der Ballooning-Firma,
(hier ein Video von Volker Hoffmann:)
und ein Beitrag über Jean-Marc Culas und sein Ballooning => KLICK
ließ Schneider in seiner Ballon-Halle
werkeln. „Ich hab den Wagen damals komplett zerlegt“, erinnert
sich Schneider. Als er fertig war, habe Culas darauf bestanden, dass
Schneider seinen zwei-Takter auf dem Oldtimer-Meeting zeigte. „Der
war der Hit“, freut sich Schneider noch heute.
Eigentlich habe er angesichts all der
teuren hochklassigen Wagen Bedenken gehabt, seinen Straßenfloh
auszustellen, aber die Leute, vor allem auch die Frauen, hätten
seinen Wagen regelrecht belagert. Erklärungsversuch eins: „Reine
Nostalgie. Die waren halt mit diesen kleinen Brot- und Butter-Wagen
aufgewachsen und waren sie gewohnt.“ Erklärungsversuch zwei (in
Richtung Damenwelt): „Erinnert das Design vielleicht an das so
genannte Kindchen-Schema?“ Wie dem auch sei, schon das erste
Oldtimer-Meeting vor achtzehn Jahren war ein voller Erfolg, und
Schneider verpflichtete sich im Gegenzug, Culas fortan als
Fahrzeugsteller, bzw. -einweiser im Kurhaus zu unterstützen.
Nicht nur die Damenwelt, auch Schneider
verfiel dem kleinen Wagen. Seine Augen leuchten, wenn er sich an
seine einsamen Überlandfahrten erinnert, auf denen er durch die
Glaskuppel direkt in den Himmel gucken konnte. Selbst beim Herrn vom
TÜV, den übrigens alle Oldtimer bestehen müssen, wenn sie auf
öffentlichen Straßen zum Meeting rollen wollen, war es wohl liebe
auf den ersten Blick. „Der setzte sich ans Steuer, gab Gas und war
gleich für zehn Minuten weg. Als er wiederkam, hat er mir ohne
Umschweife den Stempel gegeben.“
Aber auch solche Liebe währt nicht
ewig. Irgendwann – Schneider war vorzeitig Rentner geworden und
hatte eine Geschäftsidee – verkaufte er den Kabinenroller, und
kaufte sich von dem Erlös einen Citroen „Traction“.
Gangsterlimousine nennt er das Gefährt scherzhaft, denn in alten
Filmen stehen manchmal Gangster auf den Trittbrettern dieses Modells
und feuern wild um sich. Er hatte allerdings weitaus friedfertigeres
mit dem Wagen vor: Er wollte Oldie-Tours für Hochzeiten anbieten.
Keine glückliche Entscheidung. Der
Traum mit den Hochzeitsfahrten zerplatzte, als sich ein Brautpaar in
seinem Wagen derart zerstritt, dass er sich überlegte, ihnen lieber
eine Scheidungsfahrt anzubieten.
Und so ganz hatte er den Verkauf seines
ersten Oldtimers auch noch nicht verschmerzt. Vielleicht hatte er den
Kabinenroller nie wirklich verkaufen wollen? Das Schild „Zu
verkaufen“ hatte er damals zwar während des Oldtimer-Meetings
angebracht, und es lockte binnen kurzer Zeit auch hundert
Interessenten an. Aber der Preis war natürlich viel zu hoch
abgesetzt. „Wahrscheinlich habe ich das unbewusst so gemacht, damit
ihn keiner kauft“, verrät er mir mit einem wehmütigen Lächeln.
Aber dann kam diese Frau, zuckte kurz vor der Forderung zurück, kam
aber eine Viertelstunde wieder und beugte sich mit wilder
Entschlossenheit zu ihm herunter. „Ich will diesen Wagen haben“,
sagte sie ihm, „koste es, was es wolle.“
Noch heute kommt sie mit „seiner“
Messerschmidt regelmäßig zu den Meetings und stellt sich gern augenzwinkernd provozierend in seine Nähe. „Unverkäuflich“,
pflegt sie ihm dann neckisch zuzurufen.
Wie das so ist mit einem Virus –
Schneider hat natürlich längst Ersatz gefunden. Der Renault R1062,
Baujahr 1956, mit dem ich ihn auf dem Meeting angetroffen habe, wird
er ganz sicher nie verkaufen, hat er doch einst seinem Freund
Jean-Marc Culas gehört. Das Nummernschild JM ist eine Verbeugung vor
dem viel zu früh verstorbenen Freund.
Mittlerweile steht ein weiterer Wagen
in seiner Garage. Wieder ein Kabinenroller, wie könnte es anders
sein, allerdings ein „Heinkel“. Wieder rankt sich eine
abenteuerliche Geschichte um Entdeckung und Kauf. Es handelt sich um
einen typischen „Garagenfund“, der Schneider – wie könnte es
anders sein – über einen Freund vermittelt wurde. Auch diesmal
wurde es wieder spannend, immerhin bot auch der betuchte Heinkel-Club
Deutschland mit. Trotzdem bekam Peter Schneider den Zuschlag, was ihn
ganz besonders freut. Der Kaufpreis, über den Stillschweigen
vereinbart wurde, floss an ein SOS-Kinderdorf.
Alles weitere soll Thema für das
nächste Oldtimer-Meeting 2015 sein, auf dem der Wagen seinen großen
Auftritt haben soll. Schneider ist zwar kein Freund von
Über-Restaurierung alter Wagen, aber ein paar Handgriffe waren an
dem Kabinenroller des Baujahrs 1956 mit der Fertigungsnummer 61 - übrigens der älteste noch erhaltene Heinkel Kabinenroller weltweit (so die Zahlen vom Heinkel Club Deutschland) - schon nötig. Außerdem plant
Schneider sogar ein Buch über deinen Schatz herauszubringen, denn es
gibt – und das ist sensationell - eine lückenlose
Fahrten-Historie, sogar alte Fahrtenbücher hat er, die belegen, dass
das Auto einstmals bis an den Polarkreis gekommen ist.
Auch ein altes Schwarzweiß-Foto, das
den früheren Besitzer mit dem Wagen vor der Kulisse eines Klosters
oder Schlosses zeigte, dokumentiert die Geschichte dieses kleinen
Fahrzeugs. Schneider ließ das Foto übrigens nicht ruhen. Wenn er
sich in etwas hineinkniet, dann macht er es richtig.
Wo stand der Kabinenroller, als das
Foto gemacht wurde?, fragte er sich. Was ist das für eine Burg, ein
Schloss oder Kloster im Hintergrund? Fünftausend Fotos und Seiten
hat er im Internet aufgerufen, bis endlich eines passte. Das Motiv,
so fand er heraus, war gar nicht so weit entfernt, in Breisach, aber
die Aufnahme wurde von der anderen Rheinseite aus aufgenommen. Keine
Frage, dass er das nachgestellt hat. Das ist doch wahre Liebe!
Jetzt sollte ich eigentlich noch
berichten, dass Schneider auch noch Grammophone sammelt und
herrichtet, alte Filmkameras ebenso, dass er alles über Zeppeline
weiß und einstmals mehr als ein Dutzend Velo Solexe besaß, von
denen er auch heute noch drei pflegt und in Gebrauch hat, und...
… und die Liste auf dem Esstisch ist
immer noch nicht abgearbeitet ...
Ich kann mir nicht vorstellen, dass er
nun für den Rest des nachmittags die Hände in den Schoß legen
wird. Was wird er also tun, wenn ich mich verabschiedet habe? „Ich
muss noch die Flyer für den Blues Club im Löwen Lichtental
fertigmachen.“ Er sieht mein Gesicht und lacht. „Ich bin halt
Renntner mit drei n...“
Was hat er mit dem Blues Club zu tun?
Nun... es war einmal ein Sommerabend,
ein Freund aus alten Tagen, Berufsmusiker, war zu Besuch, man
erinnerte sich an gemeinsame musikalische Erlebnisse, - „schon
1957, als ich zehn war, hat ein Freund auf der Mundharmonika gespielt
und ich habe den Takt dazu geklopft und 1964 bekam ich die erste
Gitarre“ - irgendwann endete der Abend im Garten. „Lass uns Blues
spielen“, sagte der eine, und schon ging es los. Irgendwann standen
die Nachbarn am Zaun, aber nicht, um Ruhe zu verlangen, sondern um
Zugaben zu erbitten. Es kam zu einem gemeinsamen Urlaub am
Müritz-See, wo man ebenfalls die Finger nicht von der Gitarre und
vom Bass lassen konnte – ein Veranstalter bat sie spontan auf die
Hauptbühne, es kam ein Schlagzeuger dazu - und schon war die
Holiday Blues Band geboren. Gemeinsame Probenstunden gibt es nicht,
man trifft sich und spielt. Am Müritz-See sind sie schon so bekannt,
dass sie nicht mehr unbehelligt herumlaufen können, sondern
Autogramme geben müssen. „Da komme ich mir manchmal vor wie der
Mick Jagger vom Müritz-See“, lacht Schneider gutmütig. Steigende
Nachfragen zeugen von Spaß auf beiden Seiten.
TIPP: Am 15. August tritt die Holiday Blues
Band übrigens beim Stadtfest in Baden-Baden auf, gleich zur
Eröffnung um 17.15 Uhr, nach den offiziellen Reden, geht es los.
Und hier ein kleiner Vorgeschmack. Peter Schneider ganz rechts am Bass:
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