Sonntag, 20. Juli 2014

Peter Schneider



Menschen in Baden-Baden, heute:

Peter Schneider

 


Oldtimer-Meeting in Baden-Baden. Das Kurviertel ist abgesperrt, Chrom und Lack blitzen, Öl tropft (hoffentlich nicht) auf den „heiligen“ Rasen, ein Zweitakter heult auf, Champagnerkorken ploppen sanft, Stimmengemurmel an den gedeckten Tischen unter schattigen Bäumen, leises Gelächter, kritische Blicke gen Himmel, wo sich schwarze Wolken auftürmen.




Man ist gern unter sich, trifft sich nun schon zum 38. Mal in romantischer, eleganter vor dem schönsten Spielcasino der Welt. Manche der Teilnehmer tragen zum „Schätzchen“ das zeitlich passende, elegante Outfit, andere lungern im T-Shirt auf Campingstühlchen herum und sind für jeden Spaß zu haben. Die einen sind der alten Welt entsprungen, die anderen mit beiden Beinen auf der Erde. Die einen haben sich mit ihrem vornehmen Mercedes-Benz, Jaguar, Cadillac, Borgward oder Rolls-Royce hinter Schildern verschanzt







die anderen heben kleine Kinder ins Wageninnere und freuen sich an deren leuchtenden Augen.

So einer ist Peter Schneider, mein heutiger Interviewpartner. Ich bin durch Zufall über ihn gestolpert, nachdem ich zähneknirschend die happigen 10 Euro Tageseintritt berappt habe auf der Suche nach einem „normalen“ Baden-Badener, der vom Oldtimer-Virus infiziert ist. Gleich der zweite Wagen nach der Kasse ist Schneiders „Cremeschnittchen“, ein Renault R 1062, Baujahr 1956.



Dahinter der Besitzer mit offenem Lächeln und interessierten Augen. Während es hinter den schwarzen Wolkentürmen grummelt, haben wir uns in Nullkommanichts verabredet. Er fragt nicht lange, kramt nach seiner Visitenkarte, schreibt sich auf, wann ich zu ihm nach Hause kommen möchte. Vor lauter Begeisterung über meinen „Menschenfund“ vergesse ich doch glatt, ein zweites oder drittes Mal auf die neue Kamera zu drücken. Sie macht angeblich gute Aufnahmen, aber müssen uns noch aneinander gewöhnen.

Schneider folgt meinem Blick, der über den pastellfarbenen Hüpfer gleitet. „Zuhause habe ich noch was viel Besseres“, verrät er mir. „Einen Heinkel Kabinenroller, eine Weltsensation.“ Erwartungsvoll sieht er mich an, doch ich muss ihn enttäuschen. Vor meinem geistigen Auge erscheint zwar beim Wort Kabinenroller ein Knutschkugel mit Fronteinstieg, aber zu Fachsimpelei reicht es nicht.

Warum auch. Mich interessiert viel eher der Mensch, der dahinter steckt, seine Beweggründe, Zeit und Geld in alte Autos zu stecken und diese dann jedes Jahr ein Wochenende lang, auf Hochglanz poliert, zu Schau zu stellen. Sind das hoffnungslose Romantiker? Technikfreaks? „Schrauber“ aus Leidenschaft? Verrückte Sammler?

Drei Tage später sehen wir uns wieder. Nichts deutet in der stillen Siedlung von Haueneberstein darauf hin, dass hier irgendwo edle „Schätzchen“ versteckt sind. Eine dicke Katze schreitet majestätisch über den Weg, mein Gastgeber öffnet die Tür, bevor ich klingeln kann, tiefenentspannt, wie beim ersten Treffen.

„Ich bin der Peter“, empfängt er mich lässig.

Er hat sich auf meinen Besuch vorbereitet. Auf dem Esstisch liegt eine lange handschriftlich verfasste Liste. „Hobbys“ steht oben drauf. Viel werden wir davon an diesem Tag nicht abarbeiten, zu spannend sind die Geschichten, in die wir uns vertiefen.

Wie kommt man also als ehemaliger Grafiker auf die Idee, sich mit Oldtimern zu beschäftigen?

Über einen Freund, der einen alten Mercedes besaß und ihn des öfteren zu Ausstellungen in Ladenburg mitnahm. Schnell wuchs der Wunsch nach einem eigenen alten Automobil, aber ein Mercedes war bei dem Gehalt natürlich nicht drin.

Kassensturz. Fünftausend D-Mark gab das Budget schließlich her, und Peter Schneider machte sich sofort auf die Suche. Ein Messerschmidt Kabinenroller sollte es sein! Es dauerte nicht lange, da fuhr ihm in Rastatt ein solcher roter Wagen über den Weg. Und der Besitzer, ein älterer Herr, trug sich tatsächlich mit dem Gedanken, das Prachtstück zu verkaufen. Regelmäßig alle vier Wochen fasste Schneider nach, bis er dann eines Tages doch den kürzeren zog: ein Autohaus war ihm zuvorgekommen.

Die Enttäuschung war groß, aber der Ehrgeiz geweckt. Über ein einschlägiges Magazin weitete er die Suche aus. Die nächste Chance bot sich in Linz, wieder stand es auf der Kippe. „Der Verkäufer sagte am Telefon, es gebe noch einen anderen Interessenten aus der Schweiz. Wer zuerst bei ihm vor der Tür stünde, dem würde er das Fahrzeug geben.“ Diesmal wollte Peter Schneider gewinnen! Noch in der Nacht um drei Uhr machte er sich mit einem Freund auf den Weg - und schaffte es eine halbe Stunde vor dem Schweizer.

Und dann? Musste das Schätzchen hergerichtet werden. „Ich habe mir ein Werkstatt-Handbuch besorgt und habe zum Glück handwerklich keine zwei linke Hände.“ Was noch hinzukam, war – wieder einmal – Freundschaft. Jean-Marc Culas, damals noch Chef der Ballooning-Firma, 

 (hier ein Video von Volker Hoffmann:)



und ein Beitrag über Jean-Marc Culas und sein Ballooning => KLICK

ließ Schneider in seiner Ballon-Halle werkeln. „Ich hab den Wagen damals komplett zerlegt“, erinnert sich Schneider. Als er fertig war, habe Culas darauf bestanden, dass Schneider seinen zwei-Takter auf dem Oldtimer-Meeting zeigte. „Der war der Hit“, freut sich Schneider noch heute.

Eigentlich habe er angesichts all der teuren hochklassigen Wagen Bedenken gehabt, seinen Straßenfloh auszustellen, aber die Leute, vor allem auch die Frauen, hätten seinen Wagen regelrecht belagert. Erklärungsversuch eins: „Reine Nostalgie. Die waren halt mit diesen kleinen Brot- und Butter-Wagen aufgewachsen und waren sie gewohnt.“ Erklärungsversuch zwei (in Richtung Damenwelt): „Erinnert das Design vielleicht an das so genannte Kindchen-Schema?“ Wie dem auch sei, schon das erste Oldtimer-Meeting vor achtzehn Jahren war ein voller Erfolg, und Schneider verpflichtete sich im Gegenzug, Culas fortan als Fahrzeugsteller, bzw. -einweiser im Kurhaus zu unterstützen.

Nicht nur die Damenwelt, auch Schneider verfiel dem kleinen Wagen. Seine Augen leuchten, wenn er sich an seine einsamen Überlandfahrten erinnert, auf denen er durch die Glaskuppel direkt in den Himmel gucken konnte. Selbst beim Herrn vom TÜV, den übrigens alle Oldtimer bestehen müssen, wenn sie auf öffentlichen Straßen zum Meeting rollen wollen, war es wohl liebe auf den ersten Blick. „Der setzte sich ans Steuer, gab Gas und war gleich für zehn Minuten weg. Als er wiederkam, hat er mir ohne Umschweife den Stempel gegeben.“

Aber auch solche Liebe währt nicht ewig. Irgendwann – Schneider war vorzeitig Rentner geworden und hatte eine Geschäftsidee – verkaufte er den Kabinenroller, und kaufte sich von dem Erlös einen Citroen „Traction“. Gangsterlimousine nennt er das Gefährt scherzhaft, denn in alten Filmen stehen manchmal Gangster auf den Trittbrettern dieses Modells und feuern wild um sich. Er hatte allerdings weitaus friedfertigeres mit dem Wagen vor: Er wollte Oldie-Tours für Hochzeiten anbieten.

Keine glückliche Entscheidung. Der Traum mit den Hochzeitsfahrten zerplatzte, als sich ein Brautpaar in seinem Wagen derart zerstritt, dass er sich überlegte, ihnen lieber eine Scheidungsfahrt anzubieten.

Und so ganz hatte er den Verkauf seines ersten Oldtimers auch noch nicht verschmerzt. Vielleicht hatte er den Kabinenroller nie wirklich verkaufen wollen? Das Schild „Zu verkaufen“ hatte er damals zwar während des Oldtimer-Meetings angebracht, und es lockte binnen kurzer Zeit auch hundert Interessenten an. Aber der Preis war natürlich viel zu hoch abgesetzt. „Wahrscheinlich habe ich das unbewusst so gemacht, damit ihn keiner kauft“, verrät er mir mit einem wehmütigen Lächeln. Aber dann kam diese Frau, zuckte kurz vor der Forderung zurück, kam aber eine Viertelstunde wieder und beugte sich mit wilder Entschlossenheit zu ihm herunter. „Ich will diesen Wagen haben“, sagte sie ihm, „koste es, was es wolle.“

Noch heute kommt sie mit „seiner“ Messerschmidt regelmäßig zu den Meetings und stellt sich gern augenzwinkernd provozierend in seine Nähe. „Unverkäuflich“, pflegt sie ihm dann neckisch zuzurufen.





Wie das so ist mit einem Virus – Schneider hat natürlich längst Ersatz gefunden. Der Renault R1062, Baujahr 1956, mit dem ich ihn auf dem Meeting angetroffen habe, wird er ganz sicher nie verkaufen, hat er doch einst seinem Freund Jean-Marc Culas gehört. Das Nummernschild JM ist eine Verbeugung vor dem viel zu früh verstorbenen Freund.



Mittlerweile steht ein weiterer Wagen in seiner Garage. Wieder ein Kabinenroller, wie könnte es anders sein, allerdings ein „Heinkel“. Wieder rankt sich eine abenteuerliche Geschichte um Entdeckung und Kauf. Es handelt sich um einen typischen „Garagenfund“, der Schneider – wie könnte es anders sein – über einen Freund vermittelt wurde. Auch diesmal wurde es wieder spannend, immerhin bot auch der betuchte Heinkel-Club Deutschland mit. Trotzdem bekam Peter Schneider den Zuschlag, was ihn ganz besonders freut. Der Kaufpreis, über den Stillschweigen vereinbart wurde, floss an ein SOS-Kinderdorf.

Alles weitere soll Thema für das nächste Oldtimer-Meeting 2015 sein, auf dem der Wagen seinen großen Auftritt haben soll. Schneider ist zwar kein Freund von Über-Restaurierung alter Wagen, aber ein paar Handgriffe waren an dem Kabinenroller des Baujahrs 1956 mit der Fertigungsnummer 61 - übrigens der älteste noch erhaltene Heinkel Kabinenroller weltweit (so die Zahlen vom Heinkel Club Deutschland) - schon nötig. Außerdem plant Schneider sogar ein Buch über deinen Schatz herauszubringen, denn es gibt – und das ist sensationell - eine lückenlose Fahrten-Historie, sogar alte Fahrtenbücher hat er, die belegen, dass das Auto einstmals bis an den Polarkreis gekommen ist.



Auch ein altes Schwarzweiß-Foto, das den früheren Besitzer mit dem Wagen vor der Kulisse eines Klosters oder Schlosses zeigte, dokumentiert die Geschichte dieses kleinen Fahrzeugs. Schneider ließ das Foto übrigens nicht ruhen. Wenn er sich in etwas hineinkniet, dann macht er es richtig.

Wo stand der Kabinenroller, als das Foto gemacht wurde?, fragte er sich. Was ist das für eine Burg, ein Schloss oder Kloster im Hintergrund? Fünftausend Fotos und Seiten hat er im Internet aufgerufen, bis endlich eines passte. Das Motiv, so fand er heraus, war gar nicht so weit entfernt, in Breisach, aber die Aufnahme wurde von der anderen Rheinseite aus aufgenommen. Keine Frage, dass er das nachgestellt hat. Das ist doch wahre Liebe!

Jetzt sollte ich eigentlich noch berichten, dass Schneider auch noch Grammophone sammelt und herrichtet, alte Filmkameras ebenso, dass er alles über Zeppeline weiß und einstmals mehr als ein Dutzend Velo Solexe besaß, von denen er auch heute noch drei pflegt und in Gebrauch hat, und...

… und die Liste auf dem Esstisch ist immer noch nicht abgearbeitet ...

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er nun für den Rest des nachmittags die Hände in den Schoß legen wird. Was wird er also tun, wenn ich mich verabschiedet habe? „Ich muss noch die Flyer für den Blues Club im Löwen Lichtental fertigmachen.“ Er sieht mein Gesicht und lacht. „Ich bin halt Renntner mit drei n...“

Was hat er mit dem Blues Club zu tun?



Nun... es war einmal ein Sommerabend, ein Freund aus alten Tagen, Berufsmusiker, war zu Besuch, man erinnerte sich an gemeinsame musikalische Erlebnisse, - „schon 1957, als ich zehn war, hat ein Freund auf der Mundharmonika gespielt und ich habe den Takt dazu geklopft und 1964 bekam ich die erste Gitarre“ - irgendwann endete der Abend im Garten. „Lass uns Blues spielen“, sagte der eine, und schon ging es los. Irgendwann standen die Nachbarn am Zaun, aber nicht, um Ruhe zu verlangen, sondern um Zugaben zu erbitten. Es kam zu einem gemeinsamen Urlaub am Müritz-See, wo man ebenfalls die Finger nicht von der Gitarre und vom Bass lassen konnte – ein Veranstalter bat sie spontan auf die Hauptbühne, es kam ein Schlagzeuger dazu - und schon war die Holiday Blues Band geboren. Gemeinsame Probenstunden gibt es nicht, man trifft sich und spielt. Am Müritz-See sind sie schon so bekannt, dass sie nicht mehr unbehelligt herumlaufen können, sondern Autogramme geben müssen. „Da komme ich mir manchmal vor wie der Mick Jagger vom Müritz-See“, lacht Schneider gutmütig. Steigende Nachfragen zeugen von Spaß auf beiden Seiten.

TIPP: Am 15. August tritt die Holiday Blues Band übrigens beim Stadtfest in Baden-Baden auf, gleich zur Eröffnung um 17.15 Uhr, nach den offiziellen Reden, geht es los.

Und hier ein kleiner Vorgeschmack. Peter Schneider ganz rechts am Bass: 







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