Viel Spaß!
Frankreichausflug des Grauens
Von Michael Beck
Natürlich,
gute Idee, huschhusch mal eben nach Frankreich rüber. Das Fest
dräut, das eine oder andere Produkt könnte man noch gebrauchen,
dies und jenes könnte man auch gleich noch erledigen. Zuvor noch
flugs zur Buchhandlung des Vertrauens rauschen und das
Deutsch-Arabische Bildwörterbuch abholen.
Buch
da und nix wie ab nach Fronggreisch. Hunde bleiben wegen der
derzeitigen Fahndungskontrollen daheim, Hunde ausladen um das (gut
bewachte) Fahrzeugheck kontrollieren zu lassen ist lästig. Es
nieselt, alles grau in grau, eintönig, ZZ Top im Radio heitert
erheblich auf. Mehr Erheiterung, als ich den kleinen Flecken
Kaltenhouse im Elsaß erreiche. Das bewußte, unsägliche
Einfamilienhaus ist volle Kanne für Weihnachten aufgebretzelt
(bleibt dann normalerweise bis Ostern auch alles hängen, die
Osterhasendeko kommt dann irgendwie drüber). Wände, Tore, Rahmen,
Garten, Kamin und Dach (ja echt) sind jedes Jahr unsäglich
geschmückt, „schrill“ ist eine sehr freundliche Bezeichnung
dafür. „Heute knipse ich das endlich mal, glaubt einem ja keiner
sonst!“ quarkt das Männchen in meinem Ohr. Brav lenke ich das Auto
diskret auf den Gehweg, zücke das Handy und will anvisieren, da
erblickt mein trübes Auge im Garten eine männliche Gestalt.
Mordsschnauzbart. Hutähnliches Gebilde auf dem Kopf. Es setzt sich
in meine Richtung in Bewegung und hat eine Mistgabel in der Hand.
Finstere Augenbrauen schieben sich fast bis an den Riesenschnauzer.
Ich nehme mir vor, das Ganze ein anderes mal zu knipsen und lasse den
Finsterling stehen. Man hat ja so etwas wie einen
Selbsterhaltungstrieb.
Raus
aus dem Dorf und Richtung Lieblings-Hypermarché. Oha! Stau, Police
National, CRS und Nagelteppiche. Eine Hundert Prozent Kontrolle, wie
es aussieht. Alle Uniformierten haben Maschinenpistolen vor der Brust
hängen, ich wappne mich in Geduld und blättere durch das neue Buch
für meine Sprachschüler aus Syrien und Eritrea, während ich
langsam Fahrzeuglänge um Fahrzeuglänge vorankrieche. Als das
Uniformgewimmel dichter wird, lasse ich schon mal das Fenster
herunter und krabble Ausweis & Co. aus dem Portemonnaie.
Ein
Uniformierter mit einem Malinois (belgischer Schäferhund) geht am
Auto vorbei. Ich Idiot habe nichts besseres zu tun, als den Hund
anzugrinsen und zu sagen „Na du bist ja ein Süsser!“ Der Hund
schaut mich an, sein Gesicht sagt „Endlich mal ne nette Ansprache!“
und er wedelt. Bekommt Wind aus meinem Fahrzeug, zieht rüber und
springt bellend an meiner Heckklappe hoch. Bingo! Ich könnte mich in
den Allerwertesten beissen, wegen soviel Blödheit meinerseits.
Natürlich riecht er unsere beiden Hunde. Im Rückspiegel taucht eine
Maschinenpistole auf, das Fahrzeug vor mir wird weggeschickt, das
hinter mir auch, schräg vor mir steht eine weitere Maschinenpistole
im Augenwinkel sehe ich, dass sich rechts vom Auto ebenfalls jemand
postiert hat. Ich bin bemüht, meine Hände auf dem Lenkrad sichtbar
zu halten. Noch wird nicht direkt auf mich Blödkopf gezielt.
Man
bedeutet mir, den Motor abzustellen und auszusteigen. „Doucement!“
(Behutsam, langsam) Während ich die morschen Knochen aus dem Auto
hieve, werde ich schon gefragt „Munition, Sprengstoff, Jagdwaffe im
Auto?“ Ich verneine und will das mit dem Hundetransporter erklären,
ernte nach meinem „Non!“ nur ein barsches „Boucle-la !“
(Sinngemäß „Halt die Klappe!“). Die Heckklappe schwingt hoch,
der Malinois hüpft ins Auto und freut sich ein Loch ins Fell, weil
es so schön nach Hundemädels duftet, ein fahrbarer Spiegel klappert
unter dem Auto herum. Der Hundeführer kratzt sich am Kopf und
bezeichnet seinen Hund als „Branquignol“ – Idiot sozusagen.
„Der freut sich nur über die Hunde, die hier drin waren!“ ruft
er. Alle entspannen sich sichtlich, als der Kollege auf der
Beifahrerseite die Tür öffnet und das Buch erblickt. „Lernen Sie
Arabisch?“ fragt er mit angehobenen Augenbrauen? Alle Köpfe
schauen zu mir. Mir fällt nicht ein, was Flüchtling auf französisch
heißt. Meine Erklärung auf Deutsch hilft nicht, refugee löst dann
das Problem. Man bedeutet mir loszufahren, mein kleiner Mann im Ohr
sinniert, warum denn mein Ausweis gar nicht angesehen wurde, als mir
einfällt, dass meine beiden letzten What´s App Chats mit Mohammed
und Khalil waren. Ich kratze die Kurve. Neues Deo sollte ich mir auch
kaufen, das aktuelle hat kläglich versagt. Im Dorf dürfte der
Verkehrskollaps herrschen, tut mir leid Leute.
Endlich
mein geliebter Supermarkt – überdachter Parkplatz, direkt an der
Eingangsreihe – geht doch. Mordsbetrieb, die Gallier sorgen auch
schon für die Festtage. Pfeifend hole ich mir einen Wagen und
rollere in den Markt. Supergau. KOMPLETT, aber derart KOMPLETT
umgeräumt die Bude. Nichts ist mehr wo es war. Ich knirsche mit den
Zähnen und stürze mich in die Katastrophe. Wieso gibt es keine
GPS-App zur Artikelsuche im Markt? Sonst haben sie auch jeden Quatsch
online. Aaaaaaaaaah!
Immerhin,
die Probiertabletts und Degustationsdamen sind überall unterwegs, in
kürzester Zeit habe ich einen abenteurlichen Produkt- und
Geschmacksmix im Bauch. Am leckersten und kommunikativsten war die
Austernstation. Drei Fine de Claire geschlürft und ausgiebig über
den passenden Wein diskutiert. Hatte die Dame leider nicht. Dafür
war der Pomerol fünf Gänge weiter agreable. Wirkt aber durchaus
entspannend. Endlich habe ich fast alles zusammen und frage eine der
(sehr hübschen) jungen Supermarkt-Damen auf Inlinern, wo ich denn
den letzten Artikel finden könne. (Ja, die flitzen da auf Inlinern
herum, besorgen fehlende Artikel aus dem Lager und bringen sie den
Kunden – keine Ahnung, warum die nie einen Unfall haben.) Grüne
Augen blinkern mir zu und schicken mich an das andere Ende des
Marktes, war ja irgendwie klar. Meinen bepackten Wagen lasse ich
stehen, ist mir zu anstrengend, ihn durch durch das Getümmel des
ganzen Markts zu manövrieren. Aber: Die Beschreibung der
Inlineprinzessin stimmt auf den Zentimeter genau. Beglückt hüpfe
ich mit Feigenbrot bewaffnet durch die Gänge und stelle ernüchtert
fest: Mein beladener Wagen ist weg. Richtig weg. Nicht einfach
weitergeschoben, um die Ecke gefahren oder so. Ganz und gar weg.
Weger geht nicht. Das kleine Männchen in meinem linken Ohr flüstert
mir zu, dass ich nun hinausgehen muss, mir einen neuen Wagen holen
muss und die ganze wirre Tour noch einmal hinter mich bringe. In
meinem rechten Ohr sitzt ein kleiner, grüner Hulk der brüllt:
„Finde den Wagen – hau den Kidnapper zu Brei!!!“ Ich folge,
welche Überraschung, dem Hulk. Knurrend streiche ich durch den
Markt, meine Hunde wären stolz auf mich. Im neunten Gang sehe ich
die charakteristische Rückansicht „meines“ Wagens. Acht Flaschen
Crémant Saumur rosé am Wagenende. Sie winken mir hilfeheischend zu,
findet der Hulk. Beglückt erreiche ich den Wagen. Ups, der Inhalt
wurde ergänzt: Ein Kistchen Austern Utah Beach. Tiefkühlschnecken.
Eine 16er Kiste Pain au Chocolat. Kichererbsen und ein 12er Pack
Kronenbourg Bier – das kann kein Mensch trinken. 3 Pasteten mit
Pilzen, fad. Der Rest? Meinsmeinsmeins. Ich staple Bier, Austern,
Schnecken und pain au Chocolat zu einem Turm. Als ich mit Pasteten
und Kichererbsen kämpfe, stürzt ein rotgesichtiges Männchen auf
mich zu und ruft „Lassen Sie das los! Nehmen Sie die Finger aus
meinem Wagen!“ Ich stelle mich schützend davor und frage ihn,
wieviel Crémant er denn gekauft habe und ob der blanc oder rosé
wäre. Er ist sichtlich verwirrt und entschuldigt sich dann für
seinen Irrtum. Derart in Gedanken und so. Ich drücke ihm seine
Einkäufe in die Arme und flüchte mit dem Wagen. Hulk und der im
anderen Ohr gröhlen vor Vergnügen. Wir sind wieder on top.
Wir
verlassen ohne weitere Probleme den Markt. Die Tusnelda mit dem
Peugeot 205, die hinter mir tatsächlich achtzehn Züge zum Ausparken
benötigt, lässt mich kalt. Der Käseduft drängelt diskret aus der
großen Kühltasche und bringt mich zum Lächeln. Weihnachten kann
kommen.