Samstag, 13. Juni 2015

Härtefallkommission


Aus der Arbeit der Härtefallkommission:
Integration kann vor
Abschiebung schützen


Bei der jüngsten Fortbildungsveranstaltung für ehrenamtliche Flüchtlingshelfer stellte Josef Follmann im Stadtteilzentrum Briegelacker seine Arbeit in der Härtefallkommission in Baden-Württemberg vor. Diese Kommission soll letzte, rein humanitäre Instanz für Asylbewerber sein, die schon mehrere Jahre in Deutschland leben, sich gut integriert haben, denen nun aber doch die Abschiebung droht.


Josef Follmann (rechts) mit Gastgeber Adrian Struch vom Caritasverband für Baden-Baden


Insofern war das Thema in Baden-Baden nicht ganz so relevant, da die Asylbewerber hier in der Regel erst seit ein paar Monaten leben und noch nicht integriert sind. Dies aber ist die Grundvoraussetzung für ein Tätigwerden der Kommission, erklärte der Referent für Migration und Integration des Diözesan-Caritasverbandes Freiburg.

Hier eine kurze Zusammenfassung der Arbeit der Härtefallkommission:


Was macht die Härtefallkommission?

Die Härtefallkommission kann, wenn „dringende humanitäre oder persönliche Gründe“ es rechtfertigen, dass ein Ausländer noch länger in Deutschland bleibt, ein Härtefallersuchen an das Innenministerium Baden-Württemberg richten. Das Ministerium weist dann in der Regel die zuständige Ausländerbehörde an, den Betroffenen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.


Wer gehört der Kommission an?

Die Härtefallkommission wurde in Baden-Württemberg vor zehn Jahren ins Leben gerufen. Ihr gehören an: Je ein Vertreter des Integrations- und des Innenministeriums, der Liga der Wohlfahrtsverbände, der evangelischen Landeskirche, der katholischen Kirche, vom Landkreistag, Städtetag, Flüchtlingsrat und jeweils eine „Persönlichkeit des Landes“, die vom Innen- und Integrationsministerium vorgeschlagen werden. Diese 10-köpfige Kommission entscheidet unabhängig vom Stand des Rechtsverfahrens rein über humanitäre und persönliche Bleibegründe. Dazu auch die Webseite des baden-württembergischen Integrationsministeriums => KLICK


Wieviele Anträge wurden 2014 bearbeitet?

Im vergangenen Jahr hatte die Kommission 208 Eingaben bearbeitet. 60 davon mussten bereits im Vorfeld abgelehnt werden, weil die Voraussetzungen nicht gegeben waren, 68 Fälle wurden abgelehnt, weil die betroffenen Personen erst kurze Zeit in Deutschland lebten und daher nicht integriert waren. Mit 80 Fällen beschäftigte man sich intensiv, 50 davon wurden als Härtefall ans Ministerium weitergereicht und von dort positiv beschieden.


Um wen geht es?

Um Asylbewerber, die eine „Duldung“ haben, schon längere Zeit in Deutschland leben (mindestens zwei Jahre !), gut integriert sind, denen nun jedoch die Abschiebung droht.

Ein Beispiel:

Eine Roma-Familie aus Serbien mit vier Kindern, von denen drei in Deutschland geboren sind. Die Familienmitglieder halten sich alle seit Geburt bzw. vielen Jahren in Baden Württemberg auf. Es wurden im Lauf der Jahre mehrere Asylanträge gestellt, die stets als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden. Eine wirtschaftliche Integration liegt nicht vor; der Ehemann war nur sehr kurzfristig als Leiharbeiter beschäftigt. Auch die soziale Integration der Eheleute ist eher bescheiden, beide verfügen trotz des langen Aufenthalts nur über mäßige Deutschkenntnisse. Die vier Kinder werden jedoch von ihren Lehrern sehr ordentlich beurteilt. Da sich die Kinder erst in einem Alter von drei bis elf Jahren befinden, können sie von den Eltern nicht getrennt werden. Auch eine Ausweisung zusammen mit den Eltern kann nach Ansicht der Kommission nicht in Betracht kommen, zumal sie nie in Serbien gelebt haben und Deutschland als ihre Heimat sehen. Ohne die Kinder wäre der Antrag trotz des langen Aufenthalts wohl aussichtslos gewesen, aber die Eltern haben sich auch nach der Beurteilung durch die Lehrer stets um ihre Kinder gekümmert. Die Familie soll deshalb zusammen bleiben, zumal die Zukunftsprognose für die Kinder günstig ist.

Wer kann Eingaben machen?

Jeder, egal ob Nachbar, Arbeitgeber, Pfarrer oder ehrenamtlicher Flüchtlingshelfer.


Welche Bedingungen müssen erfüllt werden?

Voraussetzung ist, dass die Betroffenen
  • bereits längere Zeit (mehr als zwei Jahre) in Deutschland leben
  • eine Duldung haben
  • die Abschiebeanordnung noch nicht zugestellt ist

Was rät der Fachmann?

Follmann riet allerdings, die Eingabe an die Kommission nicht zu früh zu stellen. Denn es gibt zwei Dinge zu beachten:

Wird ein Härtefallantrag gestellt, müssen alle anderen rechtlichen Verfahren zurückgezogen sein. Das kann manchmal nachteilig sein, denn es gebe durchaus Fälle, in denen man mit dem Gang durch die Instanzen Zeit gewinnt, zum Beispiel damit ein Jugendlicher einen Ausbildungsvertrag erhält und somit ohnehin bleiben darf.

Auch ist es oft besser, erst einmal in Ruhe möglichst viel Material zugunsten des Betroffenen zu sammeln: positive Schreiben des Arbeitgebers, des Vermieters, des Kindergartens oder der Schule etwa, oder Verweise auf eine gute Nachbarschaft, auf Teilhabe in einer Pfarrgemeinde, im Verein etc. Hier sah Follmann eine klassische Aufgabe von ehrenamtlichen Helfern, dieses Material zusammenzutragen.

Hilfreich sind zum Beispiel solche Malaktionen von Schulklassen...








... oder der Einsatz von Arbeitgebern.

Der muss ja nicht gleich ganz so weit gehen wie in einem Antrag, den ein Meister aus einem Daimler-Werk stellte, und der mit den Worten endete:
„Wenn Herr x kein Bleiberecht bekommt, wäre dies ein Verlust für den gesamten Mercedeskonzern – und für ganz Deutschland!“

Auch der leidenschaftliche Appell einer 90jährigen engagierten Lehrerin amüsierte die Kommission. Sie schrieb unter ihr Gesuch:

„Möge der große Himmel glühende Kohlen über Ihre Häupter regnen lassen, wenn Sie dem Antrag nicht stattgeben.“

Hierzu gibt es auch ein Merkblatt des Integrationsministeriums, was bei einer Eingabe zu beachten ist => KLICK


Ausblick und Kritik

Als Ausblick auf die derzeitige Flüchtlingswelle gab Follmann noch generell zu bedenken, dass niemand „einfach so“ seine Koffer packt und seine Heimat verlässt, um nach Europa zu gelangen.




Daher sei es unbedingt notwendig, die Fluchtursachen zu bekämpfen und die Situation in Afrika und Vorderasien zu beruhigen und nicht noch weitere Konflikte anzuzetteln und Situationen zu schaffen, die nicht mehr kalkulierbar sind.

90 Prozent der Flüchtlinge fliehen in der Regel nur über die eigene Staatsgrenze ins Nachbarland, denn sie hoffen, eines Tages in die Heimat zurückkehren zu können. Nur zehn Prozent machen sich auf einen weiteren Weg. Dabei sind manche jahrelang unterwegs, durchqueren auf abenteuerliche Weise die Sahara, um ans Meer zu kommen, müssen zwischendurch Arbeit aufnehmen, um den nächsten Weg und den nächsten Schleuser bezahlen zu können. Junge Menschen, die aus Afghanistan über die Türkei ans Meer kommen, um dann auf einem nicht seetüchtigen Schlauchboot eine der nahen griechischen Inseln zu erreichen, hätten noch nie zuvor das Meer gesehen und könnten gar nicht schwimmen.

Scharf kritisierte er die derzeitige Flüchtlingspolitik, vor allem im Mittelmeer. Er sehe kein Konzept hinter den Aktionen, sagte er.

Kritische Worte fand er auch zur so genannten Dublin-Regelung, aufgrund der allein im vergangenen Jahr über 35 000 Flüchtlinge in die Grenzländer zurückgeschickt wurden, die mit deren Rückkehr wiederum vollkommen überfordert sind.




Was also tun?




Und: „Den Menschen mit Freundlichkeit begegnen.“


*



Die nächste Fortbildung für Baden-Badener ehrenamtliche Flüchtlingshelfer wird erst nach der Sommerpause Ende September stattfinden.

Mehr zum Thema Asyl in Baden-Baden lesen Sie hier => KLICK