Aus der Arbeit der Härtefallkommission:
Integration kann vor
Abschiebung schützen
Bei
der jüngsten Fortbildungsveranstaltung für ehrenamtliche
Flüchtlingshelfer stellte Josef Follmann im Stadtteilzentrum
Briegelacker seine Arbeit in der Härtefallkommission in Baden-Württemberg vor. Diese
Kommission soll letzte, rein humanitäre Instanz für Asylbewerber
sein, die schon mehrere Jahre in Deutschland leben, sich gut
integriert haben, denen nun aber doch die Abschiebung droht.
Josef Follmann (rechts) mit Gastgeber Adrian Struch vom Caritasverband für Baden-Baden |
Insofern
war das Thema in Baden-Baden nicht ganz so relevant, da die
Asylbewerber hier in der Regel erst seit ein paar Monaten leben und
noch nicht integriert sind. Dies aber ist die Grundvoraussetzung für
ein Tätigwerden der Kommission, erklärte der Referent für Migration und Integration des Diözesan-Caritasverbandes Freiburg.
Hier eine kurze Zusammenfassung der Arbeit der Härtefallkommission:
Was
macht die Härtefallkommission?
Die
Härtefallkommission kann, wenn „dringende humanitäre oder
persönliche Gründe“ es rechtfertigen, dass ein Ausländer noch
länger in Deutschland bleibt, ein Härtefallersuchen an das
Innenministerium Baden-Württemberg richten. Das Ministerium weist
dann in der Regel die zuständige Ausländerbehörde an, den
Betroffenen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
Wer
gehört der Kommission an?
Die
Härtefallkommission wurde in Baden-Württemberg vor zehn Jahren ins
Leben gerufen. Ihr gehören an: Je ein Vertreter des Integrations-
und des Innenministeriums, der Liga der Wohlfahrtsverbände, der
evangelischen Landeskirche, der katholischen Kirche, vom
Landkreistag, Städtetag, Flüchtlingsrat und jeweils eine „Persönlichkeit des
Landes“, die vom Innen- und Integrationsministerium vorgeschlagen
werden. Diese 10-köpfige Kommission entscheidet unabhängig vom Stand des
Rechtsverfahrens rein über humanitäre und persönliche
Bleibegründe. Dazu auch die Webseite des baden-württembergischen
Integrationsministeriums => KLICK
Wieviele
Anträge wurden 2014 bearbeitet?
Im
vergangenen Jahr hatte die Kommission 208 Eingaben bearbeitet. 60
davon mussten bereits im Vorfeld abgelehnt werden, weil die
Voraussetzungen nicht gegeben waren, 68 Fälle wurden abgelehnt, weil
die betroffenen Personen erst kurze Zeit in Deutschland lebten und
daher nicht integriert waren. Mit 80 Fällen beschäftigte man sich
intensiv, 50 davon wurden als Härtefall ans Ministerium
weitergereicht und von dort positiv beschieden.
Um
wen geht es?
Um
Asylbewerber, die eine „Duldung“ haben, schon längere Zeit in
Deutschland leben (mindestens zwei Jahre !), gut integriert sind,
denen nun jedoch die Abschiebung droht.
Ein
Beispiel:
Eine Roma-Familie aus Serbien mit vier Kindern, von denen drei in Deutschland geboren sind. Die Familienmitglieder halten sich alle seit Geburt bzw. vielen Jahren in Baden Württemberg auf. Es wurden im Lauf der Jahre mehrere Asylanträge gestellt, die stets als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurden. Eine wirtschaftliche Integration liegt nicht vor; der Ehemann war nur sehr kurzfristig als Leiharbeiter beschäftigt. Auch die soziale Integration der Eheleute ist eher bescheiden, beide verfügen trotz des langen Aufenthalts nur über mäßige Deutschkenntnisse. Die vier Kinder werden jedoch von ihren Lehrern sehr ordentlich beurteilt. Da sich die Kinder erst in einem Alter von drei bis elf Jahren befinden, können sie von den Eltern nicht getrennt werden. Auch eine Ausweisung zusammen mit den Eltern kann nach Ansicht der Kommission nicht in Betracht kommen, zumal sie nie in Serbien gelebt haben und Deutschland als ihre Heimat sehen. Ohne die Kinder wäre der Antrag trotz des langen Aufenthalts wohl aussichtslos gewesen, aber die Eltern haben sich auch nach der Beurteilung durch die Lehrer stets um ihre Kinder gekümmert. Die Familie soll deshalb zusammen bleiben, zumal die Zukunftsprognose für die Kinder günstig ist.
Wer
kann Eingaben machen?
Jeder,
egal ob Nachbar, Arbeitgeber, Pfarrer oder ehrenamtlicher
Flüchtlingshelfer.
Welche
Bedingungen müssen erfüllt werden?
Voraussetzung
ist, dass die Betroffenen
- bereits längere Zeit (mehr als zwei Jahre) in Deutschland leben
- eine Duldung haben
- die Abschiebeanordnung noch nicht zugestellt ist
Was
rät der Fachmann?
Follmann
riet allerdings, die Eingabe an die Kommission nicht zu früh zu
stellen. Denn es gibt zwei Dinge zu beachten:
Wird
ein Härtefallantrag gestellt, müssen alle anderen rechtlichen
Verfahren zurückgezogen sein. Das kann manchmal nachteilig sein,
denn es gebe durchaus Fälle, in denen man mit dem Gang durch die
Instanzen Zeit gewinnt, zum Beispiel damit ein Jugendlicher einen
Ausbildungsvertrag erhält und somit ohnehin bleiben darf.
Auch
ist es oft besser, erst einmal in Ruhe möglichst viel Material
zugunsten des Betroffenen zu sammeln: positive Schreiben des
Arbeitgebers, des Vermieters, des Kindergartens oder der Schule etwa,
oder Verweise auf eine gute Nachbarschaft, auf Teilhabe in einer
Pfarrgemeinde, im Verein etc. Hier sah Follmann eine klassische
Aufgabe von ehrenamtlichen Helfern, dieses Material zusammenzutragen.
Hilfreich
sind zum Beispiel solche Malaktionen von Schulklassen...
... oder
der Einsatz von Arbeitgebern.
Der
muss ja nicht gleich ganz so weit gehen wie in einem Antrag, den ein
Meister aus einem Daimler-Werk stellte, und der mit den Worten
endete:
„Wenn Herr x kein Bleiberecht bekommt, wäre dies ein Verlust für den gesamten Mercedeskonzern – und für ganz Deutschland!“
Auch
der leidenschaftliche Appell einer 90jährigen engagierten Lehrerin
amüsierte die Kommission. Sie schrieb unter ihr Gesuch:
„Möge der große Himmel glühende Kohlen über Ihre Häupter regnen lassen, wenn Sie dem Antrag nicht stattgeben.“
Hierzu
gibt es auch ein Merkblatt des Integrationsministeriums, was bei
einer Eingabe zu beachten ist => KLICK
Ausblick und Kritik
Als
Ausblick auf die derzeitige Flüchtlingswelle gab Follmann noch
generell zu bedenken, dass niemand „einfach so“ seine Koffer
packt und seine Heimat verlässt, um nach Europa zu gelangen.
Daher
sei es unbedingt notwendig, die Fluchtursachen zu bekämpfen und die
Situation in Afrika und Vorderasien zu beruhigen und nicht noch
weitere Konflikte anzuzetteln und Situationen zu schaffen, die nicht
mehr kalkulierbar sind.
90
Prozent der Flüchtlinge fliehen in der Regel nur über die eigene
Staatsgrenze ins Nachbarland, denn sie hoffen, eines Tages in die
Heimat zurückkehren zu können. Nur zehn Prozent machen sich auf
einen weiteren Weg. Dabei sind manche jahrelang unterwegs,
durchqueren auf abenteuerliche Weise die Sahara, um ans Meer zu
kommen, müssen zwischendurch Arbeit aufnehmen, um den nächsten Weg
und den nächsten Schleuser bezahlen zu können. Junge Menschen, die
aus Afghanistan über die Türkei ans Meer kommen, um dann auf einem
nicht seetüchtigen Schlauchboot eine der nahen griechischen Inseln
zu erreichen, hätten noch nie zuvor das Meer gesehen und könnten
gar nicht schwimmen.
Scharf
kritisierte er die derzeitige Flüchtlingspolitik, vor allem im
Mittelmeer. Er sehe kein Konzept hinter den Aktionen, sagte er.
Kritische Worte fand er auch zur so genannten Dublin-Regelung, aufgrund der allein im vergangenen Jahr über 35 000 Flüchtlinge in die Grenzländer zurückgeschickt wurden, die mit deren Rückkehr wiederum vollkommen überfordert sind.
Was
also tun?
Und:
„Den Menschen mit Freundlichkeit begegnen.“
*
Die
nächste Fortbildung für Baden-Badener ehrenamtliche
Flüchtlingshelfer wird erst nach der Sommerpause Ende September
stattfinden.
Mehr
zum Thema Asyl in Baden-Baden lesen Sie hier => KLICK