Menschen
in Baden-Baden, heute:
Das
Ehepaar Azemi
Gestern
Abend. Eine Sommernacht wie aus dem Bilderbuch. Es wird gefeiert in
der ganzen Stadt: Frühjahrsmeeting, Winzertage, private Grillpartys und Open-Air-Konzerte. Die
Lichtentaler Allee ist voll mit flanierenden Touristen und
Einheimischen.
Und
in der staatlichen Kunsthalle startet ein ungewöhnliches Programm:
Public Viewing des Champion League Finales. Eingeladen sind alle
Asylbewerber der Stadt, ihre ehrenamtlichen Helfer und natürlich
auch alle anderen Fußballinteressierten. Immerhin rund 50 Zuschauer
folgen der Einladung, obwohl sie nicht groß öffentlich publik
gemacht worden war.
Eine
halbe Stunde vor Spielbeginn füllt sich das Café, die
ungewöhnlichen Gäste suchen sich einen guten Platz mit Sicht aufs
an die Wand projizierte Geschehen, sie ordern Cola und Mineralwasser,
bedienen sich gerne an den Tellern mit kleinen Knabbereien, die auf
den Tischen verteilt sind, oder sie holen sich einen Teller
Nudelsalat, der extra für sie kostenlos bereitsteht.
Kostenlos?
Skender
und Hatixhe Azemi, die Pächter des Cafés, strahlen. „Vor 23
Jahren waren wir auch Asylbewerber.“ Sie haben es sich deshalb
nicht nehmen lassen, ihr Café heute Abend zu öffnen, obwohl sie
eigentlich andere Pläne gehabt haben. Immerhin hat ihr Sohn Drilon
an diesem Abend Premiere am Theater gehabt, in „Blutjung“, einem
Projekt des Jugendclubs U22. (Hier geht es zur Webseite für das
Stück => KLICK )
Aber
als feststand, dass in der Kunsthalle für Flüchtlinge ein „public viewing“ in
Sachen Fußball veranstaltet würde, wurde gleich nach Besuch der
Aufführung die Schürze wieder umgebunden. Den Nudelsalat und die
Knabbereien gab es kostenlos, die Getränke wurde zu einem
reduzierten Preis angeboten, damit sich die Asylbewerber die auch
leisten konnten.
„Das
ist unser Dank an Deutschland. Unser Dank, dass wir heute unser Leben
so leben können, wie wir es tun“, erklärt Skender Azemi
bescheiden. Es ist ihm wichtig, dass ich das schreibe, denn seine
Dankbarkeit kommt aus tiefem Herzen.
1992
kam der damals 28-Jährige aus dem Kosovo nach Deutschland. Sein
Vater war Parlamentsabgeordneter gewesen, der die Unabhängigkeit des
Kosovo deklariert hatte. (hierzu auch ein Link auf Wikipedia =>KLICK
) Später musste er deswegen untertauchen. Die Spannungen im Kosovo
unter der Ära Milošević
wurden unerträglich, täglich wurden Skender Azemi und seine Familie
von der Polizei befragt, wo sich sein Vater befinde, was er von
Zusammenkünften wisse. Das Gebiet wurde von Serbien besetzt,
Kosovaner und Albaner wurden verfolgt...
„Ich
muss weg“, wurde dem gelernten Krankenpfleger
schließlich klar. Buchstäblich mit dem letzten Zug reiste er mit
seinem damals gerade noch gültigen jugoslawischen Pass über
Bulgarien und Luxemburg nach Deutschland.
Was
folgte, bezeichnet Skender Azemi als Lotteriespiel. Er wurde nach
Karlsruhe gebracht und stellte seinen Asylantrag. Dann wurden er und
viele Gleichgesinnte auf verschiedene Orte aufgeteilt. Nach welchen
Regeln es wohin ging – das blieb undurchsichtig. Manche kamen nach
Bühlertal, andere nach Dresden oder Leipzig, er aber – nach
Baden-Baden. Seine Familie wunderte sich zunächst sehr, als er sie
endlich telefonisch erreichte und erklären wollte, wo er gelandet
war. „Warum sprichst du den Namen doppelt aus“, wurde er gefragt.
Er lacht.
Von
Anbeginn an, so schien es, hatte er – gemessen an den tragischen
Umständen – einen Sechser gelandet. „Ich wollte nur drei Monate
bleiben und dann wieder zurück, weil ich hoffte, die Situation in
der Heimat würde besser werden“, erinnert er sich. Immer wieder
verlängerte er diese Frist, immer wieder wurde auch seine
Aufenthaltserlaubnis verlängert. Irgendwann holte er seine Freundin
nach, um sie zu heiraten.
Jetzt
mischt Hatixhe sich in unser Gespräch ein. „Andere Bräute werden
mit einer weißen Pferdekutsche zur Hochzeit geholt, ich musste über
die Grenze durch einen dunklen Wald schleichen“, erinnert sie sich
amüsiert.
Und
wie war es dann in Baden-Baden? Gefiel ihr die Stadt?
Vor lauter Tränen habe sie zunächst gar nichts von der
Schönheit der Stadt mitbekommen, sagt sie. Die gelernte Krankenschwester wäre so gern in
ihrer Heimat geblieben, sie hatte damals Chemie studiert, aber für
Kosovo-Albaner wurden Schulen und Universitäten geschlossen, Substanzen, die für das
Studium notwendig waren, wurden unter Verschluss genommen, die
Bevölkerung wurde gezwungen, serbisch zu lernen und
plötzlich kyrillische Schrift zu verwenden.
Aber
so notwendig es in der sich eskalierenden Situation auch erschien,
das heimatliche Pristina zu verlassen – es war eben doch die
Heimat, und der trauerte sie nach. Noch dazu, als der Krieg in der Heimat ausbrach und eben auch um Pristina tobte, und sie oft außer sich war vor Sorge um die Verwandten. Und auch, weil sie in Baden-Baden
erst einmal vollkommen alleine war.
Ihr
Mann Skender hatte ja schnell eine Arbeit gefunden, ein bekannter
Gastwirt hatte ihn aufgenommen, ihm nicht nur einen Job verschafft,
obwohl er anfänglich nur „Ja“ und „Nein“ und „Bitte“ und
„Danke“ sagen konnte, sondern ihm auch noch eine Wohnmöglichkeit
gegeben und ihm Herz und Tür geöffnet. „Ich wusste, dass ich
immer eine offene Tür finden würde, wenn es ein Problem gäbe.“
Seine
junge Frau hingegen saß nun erst einmal mutterseelenallein in der
Wohnung herum und weinte. Aber dann ging es auch für sie aufwärts:
Als erstes begann sie verbissen Deutsch zu lernen.
Und
wie?
„Mit
der Zeitung. Ich suchte eine Wohnung für uns, also musste ich erst
mal alle Wörter lernen, die man dafür benötigt.“ Mit dem
Wörterbuch suchte sie sich die Begriffe zusammen, trug sie in ein
Heft, und hatte dieses Heft immer bei sich. Sie fand eine Stelle als
Altenpflegehelferin im Theresienheim und lernte auf ihre Weise
weiter, erweiterte den Wortschatz täglich. Jedes deutsche Wort, das
sie aufschnappte, kam in das Vokabelheft. „Komm, komm, langsam“,
waren ihre ersten Worte im Job. Sie steckte ihre Nase so eifrig in
das immer dicker werdende Heft, dass sie im Bus zur Arbeit sogar
einmal ihre Haltestelle verpasste und einen langen Weg zurücklaufen
musste.
Und
so hat sie heute, nach all ihren Erfahrungen, einen großen Traum:
Den Traum von einer Krankenpflegeschule im Kosovo mit deutschen
Lehrern, die den vielen, vielen angehenden Krankenschwestern vor Ort
gleich Deutsch und deutsche Kultur beibringen könnten, damit sie
vorbereitet sind, wenn sie herkommen und arbeiten und sich
integrieren wollen. Angesichts des Pflegenotstands vielleicht keine
schlecht Idee, findet sie.
Denn
was für das Ehepaar Azemi galt, gilt auch heute noch für die
meisten Menschen, die in Deutschland Asyl suchen: Sie wollen viel
lieber ihr eigenes Geld verdienen als Leistungen geschenkt bekommen.
Und
dann klappt das auch mit der Integration. So wie beim Ehepaar Azemi.
Elf Jahre hat Skender Azemi für seinen ersten Arbeitgeber gearbeitet,
dann hat er sich mit seiner Frau 2006 im Café in der Kunsthalle
(hier geht es zur Webseite => KLICK) selbständig gemacht. Inzwischen ist die Trauer um die alte Heimat der Freude über die neue gewichen. Und ihre beiden Söhne, 18 und 20 Jahre alt und
in Deutschland geboren, haben einen deutschen Pass, fühlen sich sowieso als
Deutsche. Der eine studiert Motortechnik an der technischen Uni in
Stuttgart, der jüngere möchte Arzt werden – wenn ihm nicht noch seine
Leidenschaft zum Theater in die Quere kommt...
Seine
Eltern nehmen es gelassen. Sie sehen stolz und glücklich aus. „Wir
haben so ein Glück gehabt, wir haben tolle Freunde gefunden“,
freuen sie sich. „Es ist das beste Gefühl, wenn man weiß, da ist
ein Mensch, bei dem stehen für mich immer die Türen offen.“ Ein
klein wenig davon haben sie gestern zurückgegeben, mit ihren offenen
Türen im Café.
Auch
die Vertreter der Kunsthalle, die den Anstoß zu dem Event gaben,
können zufrieden sein mit dem Abend.
Als
„Ort der Begegnung“ wollte man auch Asylbewerbern ein
niederschwelliges Angebot ohne Ansprüche und Erwartungen
unterbreiten, erklärt die kuratorische Assistentin Nadia Heinsohn
die Motive der Kunsthalle zu dieser Aktion. Natürlich werde kunstinteressierten Flüchtlingen gerne kleine
Gruppenführungen auf Englisch durch die laufenden Ausstellungen
angeboten, aber ebenso sind alle herzlich willkommen, wenn man einfach
nur zusammensitzt und feiert – am 10. Juli wird es beispielsweise
wieder soweit sein, wenn die neue Ausstellung mit einem öffentlichen
Sommerfest eröffnet wird und es wieder heißen wird „You are
welcome – Seid willkommen“.
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