Samstag, 28. März 2015

Kunsthalle - Früher Tod (2)

Ich kann mir doch nicht
jeden Tag ein Ohr abschneiden




Die Ausstellung "nach dem frühen Tod" in der Kunsthalle Baden-Baden wirkt wie von leichter Hand arrangiert, aber je öfter man durchgeht, umso mehr Details werden sichtbar und umso deutlicher wird, dass sich hier jemand sehr viele Gedanken um Inhalt, Zusammenspiel und Präsentation gemacht hat.

Wie schwierig es für Hendrik Bündge, den Kurator der Ausstellung, war, an die einzelnen Bilder zu kommen, habe ich in meinem gestrigen Beitrag bereits geschildert => KLICK .

Mitten im Riesentrubel der letztjährigen quirligen Landesausstellung „Room Service“ (lesen Sie dazu meinen damaligen Beitrag =>KLICK ) brütete er bereits über Konzept und Ausschreibung für dieses Jahr, musste sich mit möglichen Leihgebern der benötigten Bilder ebenso in Verbindung setzen, wie er sich stimmige Beigaben ausdenken musste. Und damit sind nicht die Vitrinen mit all dem witzigen Kitsch gemeint, mit denen er veranschaulichen wollte, auf welch absurde Art heutzutage weltberühmten Künstlern gehuldigt wird. (Lesen Sie dazu meinen gestrigen Beitrag => KLICK)





Daneben waren auch handwerkliche Konzepte zu erstellen: Stellwände wurden herbeigeschafft, die Räumlichkeiten wurden für einzelne Epochen beziehungsweise Aussagen mit entsprechenden neuen, von Raum zu Raum unterschiedlichen Wandfarben versehen. Und lange, bevor die ersten Werke eintrudelten musste wenigstens theoretisch feststehen, wo und wie sie platziert werden sollten.

Dann endlich wurden Ende Februar/Anfang März die ersten Bilder in der Kunsthalle herbeigeschafft, begleitet von Kurieren, die alles genauesten begutachteten. Sie prüften den Zustand der Kisten, in denen die Werke angeliefert wurden, sie prüften den Zustand der Bilder, nachdem sie aus den Kisten befreit waren, sie waren bei der Hängung dabei, prüften Lichteinfall und Lichtstärke und überließen nichts dem Zufall.




Eineinhalb Wochen dauerte die Aufbauarbeit, für Bündge eine spannende Zeit. „Die Hängung ist das Schönste“, findet er. „Wenn man merkt, wie es plötzlich funktioniert, wie die Wandfarbe passt...“ Da funkeln plötzlich seine Augen, und er verliert für einen winzigen Moment seine Distanziertheit. Stolz erfülle ihn, wenn er nun durch die Ausstellung gehe und feststelle, dass alles so geworden ist, wie er es sich vorgestellt habe, verrät er. Er freue sich, wenn die Räume wirken, wenn die Durchblicke stimmen.

Im großen Saal beispielsweise hängen neben dem bereits erwähnten Werk "Rosen und Sonnenblumen" von Vincent van Gogh, über das ich gestern schon schrieb, ein Werk von Basquiat und dieses von Jackson Pollock ...





... und diese Künstler haben nicht nur den frühen Tod gemeinsam, sondern auch, dass ihr Leben verfilmt wurde. Wie übrigens auch das von Frida Kahlo, von der es leider kein Original-Werk zu sehen gibt, dafür hat Bündge aber eine Vitrine voller amüsanter Kitsch-Gegenstände zusammengetragen: Vom echten Frida-Kahlo-Tequila ...



... bis hin zu einer Ansammlung von Künstler-Bärten samt Frida-Kahlo-Damenbart


 

Viel Zeit, sich von der Anstrengung auszuruhen, bleibt Bündge nicht, denn nach der Eröffnung ist vor der nächsten Ausstellung.

Jetzt bereitet es ihm großes Vergnügen, Besucher durch die Ausstellung zu führen. Jeden Freitag gibt es gegen einen Obolus von 2 Euro um 15 Uhr öffentliche Führungen, und wenn es seine Zeit erlaubt, übernimmt er es gerne, unterschiedlichen Gruppen durch "seine"  Räume zu begleiten und ihnen zu erklären, was er sich bei der Auswahl und Hängung der Werke gedacht hat. Es sind keine Standardführungen, gerne richtet er sich nach dem Vorwissen der Teilnehmer und freut sich über interessierte Fragen, die es ihm ermöglichen, kunsthistorisches Wissen und Anekdoten über die ausgestellten Künstler zum Besten zu geben.

So zum Beispiel auch über Martin Kippenberger, bis zu seinem Tod das versoffene "Enfant terrible" der Kunstwelt ...


... der hier unter anderem mit einem Selbstportrait vertreten ist und -  in Anspielung an das Schicksal seines berühmten Maler-Kollegen van Gogh gesagt haben soll: "Ich kann mir ja nicht jeden Tag ein Ohr abschneiden"...




Nicht nur Bündge selbst übernimmt Führungen durch die Ausstellung, auch die anderen im Kunsthallen-Teams springen gerne ein, und alle betonen, dass ihr gläsernes Arbeitszimmer neben dem Café für jeden Besucher offensteht. „Wir beantworten gerne Fragen“, lautet das Credo des jungen Teams.

Davon konnte ich mir gestern selbst ein Bild machen, als ich mit drei Asylbewerbern aus Nigeria auftauchte, die beim Willkommensfest letzten Samstag meine Einladung zu einem Besuch in der Kunsthalle annahmen. Für die Leute in der Kunsthalle war es keine Frage, meinen Gästen, die erst seit zwei Wochen in Baden-Baden sind und daher noch wenig Deutsch können, eine englischsprachige Führung anzubieten. Nadia Heinsohn schaffte es mit ihrer sehr eindrucksvollen Art, uns nicht einfach nur eine Führung durch die Ausstellung zu geben, sondern einen kurzweiligen, lebendigen Überblick über den Stand der zeitgenössischen Kunst in der westlichen Welt zu geben ... und auch schwierige Exponate anschaulich zu erklären... 




Da ich Flüchtlinge nicht erkennbar ablichten will, ist dieses Foto hier nur als Sinnbild gedacht. Es war sehr bewegend zu sehen, wie interessiert unsere Gäste den Ausführungen lauschten und wie dankbar sie über das Angebot waren, ihren Wissensdurst zu stillen.



Für mich war dies bereits mein dritter Rundgang durch die Ausstellung, und ich kann sagen, dass es kein bisschen langweilig wird, sondern immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt.

Übrigens: es gibt sogar Kunst zum Mitnehmen! Nun, der van Gogh muss natürlich hängen bleiben, aber dieser Stapel von Postern darf bis zum Ende der Ausstellung gerne abnehmen. Fassen Sie sich also bei Ihrem nächsten Besuch ein Herz und nehmen sich ein Plakat mit nach Hause!





Der Künstler...




... hatte es so gewollt:





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Lesen Sie morgen in meiner Sonntagsgeschichte: Wie jemand Kurator wird, für den "Kunst" in der Schulzeit eher ein Fremdwort war, und wie es um den Wert von Frauenarbeit in der Kunstwelt bestellt ist ...


Öffnungszeiten und Eintrittspreise der Kunsthalle finden Sie hier => KLICK