Freitag, 1. April 2016

Alltagswahn - Frankreichausflug

Heute gibt es wieder einen neuen Beitrag (wenn auch nicht ganz jahreszeitaktuell, könnte so aber auch letzte Woche an Ostern geschehen sein) der Rubrik "Alltagswahn", für die Michael Beck Geschichten aus seinem kunterbunten Leben aufschreibt - frei nach dem Motto: "Nehmen Sie das Leben (und diese kleinen Geschichten) nicht zu ernst!" ...
Viel Spaß! 


 
Frankreichausflug des Grauens

Von Michael Beck
Natürlich, gute Idee, huschhusch mal eben nach Frankreich rüber. Das Fest dräut, das eine oder andere Produkt könnte man noch gebrauchen, dies und jenes könnte man auch gleich noch erledigen. Zuvor noch flugs zur Buchhandlung des Vertrauens rauschen und das Deutsch-Arabische Bildwörterbuch abholen.
Buch da und nix wie ab nach Fronggreisch. Hunde bleiben wegen der derzeitigen Fahndungskontrollen daheim, Hunde ausladen um das (gut bewachte) Fahrzeugheck kontrollieren zu lassen ist lästig. Es nieselt, alles grau in grau, eintönig, ZZ Top im Radio heitert erheblich auf. Mehr Erheiterung, als ich den kleinen Flecken Kaltenhouse im Elsaß erreiche. Das bewußte, unsägliche Einfamilienhaus ist volle Kanne für Weihnachten aufgebretzelt (bleibt dann normalerweise bis Ostern auch alles hängen, die Osterhasendeko kommt dann irgendwie drüber). Wände, Tore, Rahmen, Garten, Kamin und Dach (ja echt) sind jedes Jahr unsäglich geschmückt, „schrill“ ist eine sehr freundliche Bezeichnung dafür. „Heute knipse ich das endlich mal, glaubt einem ja keiner sonst!“ quarkt das Männchen in meinem Ohr. Brav lenke ich das Auto diskret auf den Gehweg, zücke das Handy und will anvisieren, da erblickt mein trübes Auge im Garten eine männliche Gestalt. Mordsschnauzbart. Hutähnliches Gebilde auf dem Kopf. Es setzt sich in meine Richtung in Bewegung und hat eine Mistgabel in der Hand. Finstere Augenbrauen schieben sich fast bis an den Riesenschnauzer. Ich nehme mir vor, das Ganze ein anderes mal zu knipsen und lasse den Finsterling stehen. Man hat ja so etwas wie einen Selbsterhaltungstrieb.
Raus aus dem Dorf und Richtung Lieblings-Hypermarché. Oha! Stau, Police National, CRS und Nagelteppiche. Eine Hundert Prozent Kontrolle, wie es aussieht. Alle Uniformierten haben Maschinenpistolen vor der Brust hängen, ich wappne mich in Geduld und blättere durch das neue Buch für meine Sprachschüler aus Syrien und Eritrea, während ich langsam Fahrzeuglänge um Fahrzeuglänge vorankrieche. Als das Uniformgewimmel dichter wird, lasse ich schon mal das Fenster herunter und krabble Ausweis & Co. aus dem Portemonnaie.
Ein Uniformierter mit einem Malinois (belgischer Schäferhund) geht am Auto vorbei. Ich Idiot habe nichts besseres zu tun, als den Hund anzugrinsen und zu sagen „Na du bist ja ein Süsser!“ Der Hund schaut mich an, sein Gesicht sagt „Endlich mal ne nette Ansprache!“ und er wedelt. Bekommt Wind aus meinem Fahrzeug, zieht rüber und springt bellend an meiner Heckklappe hoch. Bingo! Ich könnte mich in den Allerwertesten beissen, wegen soviel Blödheit meinerseits. Natürlich riecht er unsere beiden Hunde. Im Rückspiegel taucht eine Maschinenpistole auf, das Fahrzeug vor mir wird weggeschickt, das hinter mir auch, schräg vor mir steht eine weitere Maschinenpistole im Augenwinkel sehe ich, dass sich rechts vom Auto ebenfalls jemand postiert hat. Ich bin bemüht, meine Hände auf dem Lenkrad sichtbar zu halten. Noch wird nicht direkt auf mich Blödkopf gezielt.
Man bedeutet mir, den Motor abzustellen und auszusteigen. „Doucement!“ (Behutsam, langsam) Während ich die morschen Knochen aus dem Auto hieve, werde ich schon gefragt „Munition, Sprengstoff, Jagdwaffe im Auto?“ Ich verneine und will das mit dem Hundetransporter erklären, ernte nach meinem „Non!“ nur ein barsches „Boucle-la !“ (Sinngemäß „Halt die Klappe!“). Die Heckklappe schwingt hoch, der Malinois hüpft ins Auto und freut sich ein Loch ins Fell, weil es so schön nach Hundemädels duftet, ein fahrbarer Spiegel klappert unter dem Auto herum. Der Hundeführer kratzt sich am Kopf und bezeichnet seinen Hund als „Branquignol“ – Idiot sozusagen. „Der freut sich nur über die Hunde, die hier drin waren!“ ruft er. Alle entspannen sich sichtlich, als der Kollege auf der Beifahrerseite die Tür öffnet und das Buch erblickt. „Lernen Sie Arabisch?“ fragt er mit angehobenen Augenbrauen? Alle Köpfe schauen zu mir. Mir fällt nicht ein, was Flüchtling auf französisch heißt. Meine Erklärung auf Deutsch hilft nicht, refugee löst dann das Problem. Man bedeutet mir loszufahren, mein kleiner Mann im Ohr sinniert, warum denn mein Ausweis gar nicht angesehen wurde, als mir einfällt, dass meine beiden letzten What´s App Chats mit Mohammed und Khalil waren. Ich kratze die Kurve. Neues Deo sollte ich mir auch kaufen, das aktuelle hat kläglich versagt. Im Dorf dürfte der Verkehrskollaps herrschen, tut mir leid Leute.
Endlich mein geliebter Supermarkt – überdachter Parkplatz, direkt an der Eingangsreihe – geht doch. Mordsbetrieb, die Gallier sorgen auch schon für die Festtage. Pfeifend hole ich mir einen Wagen und rollere in den Markt. Supergau. KOMPLETT, aber derart KOMPLETT umgeräumt die Bude. Nichts ist mehr wo es war. Ich knirsche mit den Zähnen und stürze mich in die Katastrophe. Wieso gibt es keine GPS-App zur Artikelsuche im Markt? Sonst haben sie auch jeden Quatsch online. Aaaaaaaaaah!
Immerhin, die Probiertabletts und Degustationsdamen sind überall unterwegs, in kürzester Zeit habe ich einen abenteurlichen Produkt- und Geschmacksmix im Bauch. Am leckersten und kommunikativsten war die Austernstation. Drei Fine de Claire geschlürft und ausgiebig über den passenden Wein diskutiert. Hatte die Dame leider nicht. Dafür war der Pomerol fünf Gänge weiter agreable. Wirkt aber durchaus entspannend. Endlich habe ich fast alles zusammen und frage eine der (sehr hübschen) jungen Supermarkt-Damen auf Inlinern, wo ich denn den letzten Artikel finden könne. (Ja, die flitzen da auf Inlinern herum, besorgen fehlende Artikel aus dem Lager und bringen sie den Kunden – keine Ahnung, warum die nie einen Unfall haben.) Grüne Augen blinkern mir zu und schicken mich an das andere Ende des Marktes, war ja irgendwie klar. Meinen bepackten Wagen lasse ich stehen, ist mir zu anstrengend, ihn durch durch das Getümmel des ganzen Markts zu manövrieren. Aber: Die Beschreibung der Inlineprinzessin stimmt auf den Zentimeter genau. Beglückt hüpfe ich mit Feigenbrot bewaffnet durch die Gänge und stelle ernüchtert fest: Mein beladener Wagen ist weg. Richtig weg. Nicht einfach weitergeschoben, um die Ecke gefahren oder so. Ganz und gar weg. Weger geht nicht. Das kleine Männchen in meinem linken Ohr flüstert mir zu, dass ich nun hinausgehen muss, mir einen neuen Wagen holen muss und die ganze wirre Tour noch einmal hinter mich bringe. In meinem rechten Ohr sitzt ein kleiner, grüner Hulk der brüllt: „Finde den Wagen – hau den Kidnapper zu Brei!!!“ Ich folge, welche Überraschung, dem Hulk. Knurrend streiche ich durch den Markt, meine Hunde wären stolz auf mich. Im neunten Gang sehe ich die charakteristische Rückansicht „meines“ Wagens. Acht Flaschen Crémant Saumur rosé am Wagenende. Sie winken mir hilfeheischend zu, findet der Hulk. Beglückt erreiche ich den Wagen. Ups, der Inhalt wurde ergänzt: Ein Kistchen Austern Utah Beach. Tiefkühlschnecken. Eine 16er Kiste Pain au Chocolat. Kichererbsen und ein 12er Pack Kronenbourg Bier – das kann kein Mensch trinken. 3 Pasteten mit Pilzen, fad. Der Rest? Meinsmeinsmeins. Ich staple Bier, Austern, Schnecken und pain au Chocolat zu einem Turm. Als ich mit Pasteten und Kichererbsen kämpfe, stürzt ein rotgesichtiges Männchen auf mich zu und ruft „Lassen Sie das los! Nehmen Sie die Finger aus meinem Wagen!“ Ich stelle mich schützend davor und frage ihn, wieviel Crémant er denn gekauft habe und ob der blanc oder rosé wäre. Er ist sichtlich verwirrt und entschuldigt sich dann für seinen Irrtum. Derart in Gedanken und so. Ich drücke ihm seine Einkäufe in die Arme und flüchte mit dem Wagen. Hulk und der im anderen Ohr gröhlen vor Vergnügen. Wir sind wieder on top.
Wir verlassen ohne weitere Probleme den Markt. Die Tusnelda mit dem Peugeot 205, die hinter mir tatsächlich achtzehn Züge zum Ausparken benötigt, lässt mich kalt. Der Käseduft drängelt diskret aus der großen Kühltasche und bringt mich zum Lächeln. Weihnachten kann kommen.