Menschen in Baden-Baden, heute:
Michael Hummel
Eigentlich hatte er ja schon als Kind Architekt werden wollen. Er ist – mit einem fotografischen Gedächtnis ausgestattet - mit Architekturbüchern aufgewachsen, streifte fast jedes Wochenende durch die Räume der Würzburger Residenz und saugte auf diese Weise Einrichtungsstile und Kulturepochen in sich auf wie andere Jungen in seinem Alter Fußballtabellen. Eine barocke Kathedrale hätte er gern errichtet... Nun – das hat zwar nicht geklappt. Aber als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Asylrecht baut Michael Hummel heute trotzdem: Brücken nämlich, auf denen Schutzsuchende aus aller Herren Länder durch den Dschungel der Vorschriften und Verordnungen letztendlich – vielleicht – einen Platz zum Leben in Sicherheit finden.
Unkonventionell
ist der 37jährige, ein Querdenker, aufgeschlossen und sehr
engagiert. So hilft er zum Beispiel ehrenamtlich im Arbeitskreis Asyl
in Baden-Baden, hat in diesem Verein gleich einen Vorstandsposten
übernommen. Jeden Dienstagabend sitzt er in den Beratungsstunden des
AK Asyl in einer Flüchtlingsunterkunft in Baden-Baden und erteilt
Ratschläge. Ehrenamtlich, wohlgemerkt. Häufig lehnt er Mandate ab,
auch wenn ein Asylbewerber ihn darum bittet, seinen Fall zu
übernehmen. „Das wird doch zu teuer für dich“, sagte er dann
manchmal. „Die Anträge, die du brauchst, können die
Ehrenamtlichen auch für dich stellen, dazu brauchst du mich nicht.“
Aber trotzdem guckt er dann natürlich noch einmal drüber und prüft,
ob alles seine Richtigkeit hat.
Und
diese soziale Ader lebt er auch. „Ich könnte und wollte das nicht
in Vollzeit hauptberuflich machen“, wehrt er aufkeimenden Respekt
vor seinem sozialen Engagement in aller Bescheidenheit ab. So arbeitet er
zum Beispiel nebenher in einem Möbelgeschäft als Verkäufer,
um wenigstens seine Krankenkassenbeiträge einbezahlen zu können.
Warum
macht er das?
Weil
er nur so als Berufsanfänger seine Unabhängigkeit und seine
Freiheit behalten kann und ihm das wichtig ist. Die Alternative wäre,
in einem größeren Büro unterzuschlüpfen – keine Alternative für
ihn. Er liebt die Selbständigkeit, dieses freie Handeln und
Entscheiden ohne einen Chef, der ihm dreinredet. Wobei auch das nicht
so einfach ist für einen Einzelkämpfer: Länger als eine Woche darf
ein Rechtsanwalt nämlich seiner Kanzlei nicht fernbleiben – ein
Relikt aus einer Zeit ohne Emails, Handys und WhatsApp-Messenger.
Gerade WhatsApp leistet dem mobilen und agilen Anwalt, schon heute
große Dienste, um sich schnell mit seinen internationalen Mandanten
auszutauschen und Schriftstücke hin- und herzujonglieren.
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offizielle „Akten“ betreut Michael Hummel derzeit – das hört
sich erst mal nicht viel an, aber man sollte bedenken, dass er seine
Kanzlei erst vor eineinhalb Jahren eröffnet hat und die „Akten“
nicht mit Ende des Asylverfahrens geschlossen werden, sondern viele
Folgesachen nach sich ziehen. Das ganze Leben breitet sich einem
Betreuer im Laufe eines Asylverfahren aus, und die Begleitung geht
später mit Ausländer- und Familienrecht immer weiter.
Von Vorteil ist ihm hier seine Sprachbegabung: Mühelos erklärt er die komplizierten Sachverhalte auch auf Englisch und Französisch, wechselt, ohne lange nachzudenken, zwischen den Sprachen, kann sich auch gut in die verschiedenen afrikanischen Sprechweisen hineinhören, die anderen Ehrenamtlichen oftmals Verständigungsschwierigkeiten bereiten.
Von Vorteil ist ihm hier seine Sprachbegabung: Mühelos erklärt er die komplizierten Sachverhalte auch auf Englisch und Französisch, wechselt, ohne lange nachzudenken, zwischen den Sprachen, kann sich auch gut in die verschiedenen afrikanischen Sprechweisen hineinhören, die anderen Ehrenamtlichen oftmals Verständigungsschwierigkeiten bereiten.
Wie
kommt man als gebürtiger Würzburger mit Hang zum Kirchenbau zu
einer Anwaltskanzlei in Baden-Baden?
Michael
Hummel zwinkert verschmitzt und gewährt einen Blick in die
Vergangenheit seiner internationalen Familie. Da ist zum einen die
Mutter: Griechisch-orthodox, getauft in Bad Kissingen. Die
Großmutter: Russisch-orthodox, 1942 aus Russland geflüchtet, mit
Wurzeln, die auf den legendären Dschingis Khan bis in die Goldene
Horde =>KLICK und darüberhinaus auf Ursprünge in Saudi Arabien zurückreicht.
Dann die Linie aus Baden-Baden: Der Ur-Urgroßvater: Englischer Arzt und einstiger Besitzer der Hofapotheke Rössler und einer Restauration in Straßburg. Der Ur-Großvater: ein Lebemann aus dem Geschlecht der Bilharz: Besitzer des legendären Hotels Terminus (gegenüber dem Festspielhaus) in Baden-Baden, das leider während der Weltwirtschaftskrise verkauft wurde.
Die
Großeltern, beides Mathematiker, kamen zufällig im Allgäu zusammen, und der
Großvater ließ sich später als Mathematikprofessor in Würzburg
nieder, wo auch die Familie Hummel gegründet wurde.
Immer
wieder kamen die Enkel in den Ferien nach Baden-Baden, in eine
Wohnung, die wie ein Museum voller Antiquitäten steckte, wie sich
Michael Hummel gerne erinnert. Einen Schrank aus dieser Zeit hat er
übrigens gerettet, und dieses Möbelstück ist weit gereist:
Würzburg, Baden-Baden, Berlin und wieder Baden-Baden, wo es heute
schickes Stilelement im japanisch angehauchten Wartezimmer der
Kanzleiräume ist.
Würzburg
Michael Hummel wuchs in Würzburg auf, ging gegenüber der dortigen Residenz in Hort und Schule, machte nach dem Abitur seinen Zivildienst und strebte dann natürlich erst einmal seinen Traumberuf an. Doch schon die erste Vorlesung an der Bauhaus-Universität in Weimar öffnete ihm die Augen. „Einigen von Ihnen wird das Studium zu eng sein – Sie werden schon bald in die freie Kunst wechseln – den anderen wird es nicht streng genug sein – Sie werden mal Juristen werden“, unkte einer der Architekturprofessoren zu Beginn. Und er sollte recht behalten. Auch Michael Hummel erkannte schnell, dass dieses Studium überhaupt nichts für einen Freigeist war, der so gerne Schlösser und Kirchen zeichnete und dem die strengen Stilvorgaben der heutigen Bauvorschriften zuwider sind. So wechselte er im Jahr 2000 an die Freie Universität nach Berlin und schlug sich mit Straf- und Schuldrecht herum. Nun ja - auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.
England
Also nahm er nach dem ersten juristischen Staatsexamen 2006 eine Auszeit und ging nach England. Was zunächst als Urlaub geplant war, wuchs sich zu einem zweijährigen Aufenthalt aus. „Hier gehöre ich hin“, merkte er nämlich sofort. Die englische Lebens- und Denkweise passte einfach zu ihm.
Ein
Versuch, sein deutsches Studium anerkennen zu lassen oder an der
open University weiterzumachen scheiterte, doch so etwas schreckt
jemanden wie Michael Hummel nicht. Dann arbeitete er eben in London als
Optiker, als Koch und später auf dem Land auf einem Bio-Bauernhof. Den wollte er
schließlich übernehmen und brach dafür in Deutschland alle Zelte
ab. Doch als er nach Wohnungsauflösung und erforderlichem Papierkrieg nach England zurückkehrte, hatte sich sein
Lebenstraum zerschlagen. Also zurück nach Berlin. Prenzlauer Berg,
multikulti Ecke. Ein buntes Leben als Koch, dann als Verkäufer in
einer Boutique schloss sich an. Fernziel: Geld für einen neuen Start
in England verdienen.
Berlin
Aber: „In Berlin kann man kein Geld verdienen“, stellte er irgendwann ernüchtert fest. Er besann sich auf sein Studium und machte das zweite Staatsexamen. Während des Referendariats schnupperte er in die Arbeit der Luftfahrtbehörde, in der zu diesem Zeitpunkt gerade durchsickerte, dass der Eröffnungstermin des neuen Flughafens nicht zu halten sein werde, wechselte zur Staatsanwaltschaft, Abteilung Sexualstrafrecht, merkte in der Station Landgericht, wie absurd ihm die Denkweisen im Zivilrecht vorkamen und schnupperte in einer Anwaltskanzlei die Luft des Ausländerrechts.
Baden-Baden
Der Zufall wollte es, dass kurz vor dem zweiten Staatsexamen im Haus der Mutter in Baden-Baden eine Wohnung frei wurde. Schnell wurde klar, dass sie groß genug war, um in ihr zwei Räume als Kanzlei abzuzweigen. Und schon stellte sich die Gretchenfrage: Welches Fachgebiet würde es werden? Große Steuerkanzleien gab es in der Kurstadt schon genug. Aber da war doch das faszinierende Ausländerrecht... und das passte doch irgendwie zu seiner schillernden Lebensgeschichte!
Flugs
wurde Kontakt zu amnesty international in Karlsruhe aufgenommen.
„Braucht ihr einen Anwalt, der ehrenamtlich für euch tätig ist?“,
fragte er nur, und schon lag der erste Fall auf dem Tisch: ein
Mandant aus Syrien brauchte Rat in der Dublin-III-Thematik. Sofort merkte der Jung-Anwalt, dass es auf diesem Gebiet einen akuten Bedarf
gab und gibt; er konnte gar nicht schnell genug seine Zulassung bei
der Anwaltskammer holen, wie er mit Fällen eingedeckt wurde –
hauptsächlich waren und sind es Syrer, die ihn engagieren. „Das hat sich bei ihnen
rumgesprochen“, meint Hummel.
Ihm
gefällt sein derzeitiger Status als Selbständiger, dem kein Chef
reinreden kann, mit einer Kanzleigröße, die noch kein Sekretariat
erfordert. „Das könnte ich mir als Berufsanfänger nicht leisten“,
sagt er pragmatisch. Und ihn fasziniert das Thema Asyl. „Da kann
ich mich gut ehrenamtlich engagieren“, lernte er - und genau
das wollte er ja.
Es
wäre ihm ein Graus, tagein, tagaus acht oder zehn Stunden in der
Kanzlei zu sitzen und womöglich Verkehrsdelikte oder verquaste
Zivilfälle zu vertreten. Gerade bei Asylverfahren erfahre man viel
über die Mandanten. Mehr als in allen anderen Rechtsgebieten, die
immer nur Teilbereiche der Menschen berühren.
Reich
werden wird er auf diesem Gebiet nicht. „Was soll ich denn bei so
langen Verfahren verlangen“, fragt er zurück. Früher habe es eine
Bezahlung nach produzierten Schriftsatzseiten gegeben, das sei nun
weggefallen, und seine Mandanten sind ja auch nicht alle auf Rosen
gebettet. Oft räumt er ihnen Ratenzahlung ein.
Was
treibt ihn an?
„Die
Menschen interessieren mich. Ihre Schicksale lassen mich nicht kalt.“
Es befriedigt ihn, dass er als Jurist versuchen kann, das Beste für
sie herauszuholen.
Und
wo sieht er sich zehn Jahren? Schwere Frage. Vielleicht geht er doch
irgendwann zurück auf die Insel? In England könne jeder Häuser
bauen, wie er möchte, ohne große planerische Vorgaben. Man brauche
nur einen guten Bauingenieur oder Statiker dafür. Sein Blick wird
träumerisch, wenn er das erzählt, und wenn man sich in seiner
Kanzlei und den Wohnräumen umsieht, merkt man, dass dieser Mann einen Hang für außergewöhnliche Stilepochen hat und noch
für einige Überraschungen gut sein wird.
Aber
im Augenblick hoffen und wünschen sich alle, die in Sachen Asyl in
Baden-Baden engagiert sind, dass er sich diese Träumereien noch
eine Zeit lang aus dem Kopf schlägt. Denn sie brauchen ihn hier.
Dringend. Das sieht er auch selbst ein. Vermutlich werde er bald
schon mit Anfragen überrannt, schätzt er, denn: „In Sachen Asyl
haben wir schon bald ein einziges juristisches Chaos in Deutschland“,
prognostiziert er. Da bleibt dann kein Raum mehr, auch nicht für
noch so schöne Luftschlösser – oder vielleicht doch? Ein Fernziel
hat er jedenfalls: Irgendwann einmal in der Lage zu sein, das Hotel
Terminus wieder in den Schoß beziehungsweise Besitz der Familie
zurückzuführen...
Aktualisierung:
Seit Oktober 2016 konzentriert sich Michael Hummel nur noch auf die ehrenamtliche Beratung des Arbeitskreises Asyl und der Flüchtlinge.
Aktualisierung:
Seit Oktober 2016 konzentriert sich Michael Hummel nur noch auf die ehrenamtliche Beratung des Arbeitskreises Asyl und der Flüchtlinge.
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