Donnerstag, 9. Juli 2015

Redel / Durlacher


Straße soll umbenannt werden:

Welcher Name für die
Julius-Redel-Straße?




Das geht ja mal flott:

Am 4. Februar diesen Jahres schreckte ein Baden-Badener Historiker, der öffentlich nicht im Internet genannt werden möchte, die Gemeinderäte der Stadt auf: Der Arzneimittelfabrikat Julius Redel, dem man erst 1987 in Haueneberstein eine Straße gewidmet hatte, war gar nicht so ein ausnahmsloser Wohltäter, wie es zunächst schien. 

Hier ein Ausschnitt aus der Webseite der nach ihm benannten Stiftung:


Der Historiker hatte bei seinen Recherchen im Staatsarchiv Freiburg entdeckt, dass Redel bereits von 1932 freiwilliges Mitglied der NSDAP war. 1938 und 1939 gehörte er als Mitglied der SS zeitweise zur Wachmannschaft in den Konzentrationslagern Dachau und Flossenbürg. 
 
Seine Entdeckung teilte der Historiker sofort Oberbürgermeisterin Margret Mergen und den Gemeinderäten mit.

Auch das Bündnis „Baden-Baden ist bunt“ erhielt Kenntnis von dem Brief und forderte umgehend, die Straße umzubenennen. Bei der Friedenskundgebung am 8. Mai sammelte man binnen kürzester Zeit über 100 Unterschriften für eine Umbenennung, weitere Unterschriftenlisten sind zur Zeit noch im Umlauf.

Mittlerweile beauftragte die Stadt ganz offiziell das Generallandesarchiv in Karlsruhe mit einem Gutachten zu dem Fall, und es bestätigte am 29. April die verhängnisvollen Verstrickungen Redels:

Ein entsprechender Prüfauftrag wurde an das Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe erteilt (in der Anlage beigefügt). Aus dem Gutachten vom 29. April ergeben sich folgende Punkte:
Julius Redel fühlte sich seit 1930 der NS-Ideologie verbunden und trat bereits 1932, d.h. lange vor der Machergreifung Hitlers, der NSDAP bei. Er war Mitglied der SS, zuletzt im Rang eines Scharführers. Als SS-Angehöriger gehörte Redel 1938/39 zum Wachpersonal der Konzentrationslager Dachau und Flossenbürg und war somit an der Bewachung politisch verfolgter Menschen beteiligt. Eine aktive Beteiligung Redels an der „Arisierung“ jüdischen Vermögens bzw. zumindest sein Wunsch, sich an geraubtem Vermögen zu bereichern, ist belegt.
Als Redels Firma 1941 von einem Produktionsverbot bedroht war, weil sie als kriegswirt- schaftlich unwichtig eingestuft wurde, bemühte sich Julius Redel seinen Betrieb als nati- onalsozialistischen Musterbetrieb und sich selbst als überzeugten und opferbereiten Na- tionalsozialisten darzustellen.


Hier geht es zum Wortlaut des Gutachtens => KLICK

Nächsten Montag nun soll der der Gemeinderat über eine Umbenennung der Straße entscheiden. (Lesen Sie hierzu auch en Beitrag von goodnews4 => KLICK)

Die Verwaltung hat im Vorfeld der Beratungen eine Liste mit Namensvorschlägen erstellt.

Das Fachgebiet Vermessung schlägt vor:
  • Rudolf Diesel (Erfinder des Dieselmotors)
  • Berta Benz (deutsche Pionierin des Automobils)
  • Nicolaus Otto (Erfinder des Ottomotors)
  • Alexander von Humboldt – deutscher Naturforscher und Forschungsreisender

Auch der Ortschaftsrat Haueneberstein zeigte sich kreativ:
  • Philipp Reis – deutscher Physiker und Erfinder, Wegbereiter des Telefons
  • Melitta Bentz – Erfinderin des Kaffeefilters
  • Marie Curie – polnisch-französische Physikerin und Chemikerin, zweifache Nobelpreisträgerin
  • Käthe Paulus – Erfinderin des zusammenlegbaren Fallschirms
  • Landseestraße – die es aber schon in Sandweier gibt


Das Bündnis „Baden-Baden ist bunt“ hingegen greift einen Vorschlag der „Aktion Stolpersteine“ auf und schlägt vor, die Straße nach jemandem zu benennen, der einen örtlichen und einen persönlichen Bezug zum Thema hat:

Es gebe niemanden Geeigneteren dafür als Gerhard Durlacher.

Der Soziologe und Autor Gerhard Durlacher wurde 1928 in Baden-Baden geboren. Sein musisch veranlagter Vater Artur hätte gerne eine Schauspielkarriere eingeschlagen, aber verzichtete seinen Eltern zuliebe und stieg bei ihnen im Baden-Badener Möbelgeschäft mit ein. Seine Frau Erna war ebenfalls in dem Familienbetrieb tätig. Die Familie flüchtete 1937 nach Holland. 1942 wurden die Durlachers über Westerbork nach Theresienstadt deportiert. Elsa Durlacher kam im Mai 1944 in Stutthof um, ihr Mann im Mai 1945 in Bergen-Belsen. Nur Sohn Gerhard, als 14jähriger 1944 nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, überlebte das Todeslager. Er kehrte nach Holland zurück und konnte dort ein Studium aufnehmen. Von 1964-1983 lehrte er als Dozent der Soziologie an der Universität Amsterdam.
Die traumatischen Erfahrungen im KZ verbannte er aus seiner Erinnerung: „Ein Vorhang hatte sich vor mein Wahrnehmungsvermögen gesenkt. Ich registrierte das grauenhafte Geschehen, ohne es zu Kopf und Herz durchzulassen. Jetzt, nach fast vierzig Jahren, fällt dann und wann ein Archivblatt aus dem Panzerschrank meines versunkenen Gedächtnis“. So dauerte es 40 Jahre, bis Gerhard Durlacher seine - inzwischen mehrfach preisgekrönten - autobiografischen Schriften verfasste.
Auch seine Tochter, die Schriftstellerin Jessica Durlacher, beschäftigt sich in ihren Romanen mit der Frage, wie man ein neues Leben nach einer Jugend in Auschwitz beginnen kann und welche Auswirkungen der Holocaust für die nachfolgende Generation hat.

In Baden-Baden liegt ein Stolperstein für ihn. Dazu ein ausführlicher Themenkomplex von SWR 2 => KLICK




... unter anderem auch eine Audio-Datei zum Stolperstein für Durlacher => KLICK



Dazu: Wikipedia => KLICK

dazu bad-bad.de => KLICK

Noch heute soll ein entsprechender offener Brief auf den Weg gebracht werden.

Aktualisierungen:


10. Juni 2015: Der Ortschaftsrat Haueneberstein hat am Montag einstimmig für den Namen Berta Benz gestimmt. Der Vorschlag des Bündnisses "Baden-Baden ist bunt" konnte dabei nicht berücktichtigt werden, weil er erst am nächsten Tag publik gemacht wurde. Jetzt liegt die Entscheidung am Montag, 15. Juni, beim Gemeinderat.

Der goodnews4-Bericht über die Abstimmung in Haueneberstein => KLICK



15. Juni 2015: Der Gemeinderat folgt der Empfehlung des Ortsschaftsrats Haueneberstein und stimmt für die Umbenennung in "Bertha-Benz-Straße". Oberbürgermeisterin Margret Mergen verspricht, Gerhard Durlacher ganz oben auf die Warteliste für die nächste Neu- oder Umbenennung von Straßen oder Plätzen zu setzen. Für die Grünen stellt Bea Böhlen in Aussicht, im Herbst die Umbenennung des Hindenburgplatzes zu beantragen.

Lesen Sie dazu auch den Bericht auf goodnews4 => KLICK


17. Juni 2015: Das sagt Oberbürgermeisterin Margret Mergen zum Thema Gerhard Durlacher / Umbenennung Hindenburgplatz in einem Interview von goodnews4=> KLICK